Die Probleme der Radfahrer nahmen zu: schon Anfang Juni 1916 war jegliche „Benutzung von Fahrrädern zu Vergnügungsfahrten“ durch die Militärbehörden untersagt worden, bei einem Verstoß gegen die Regelung drohte ein Jahr Gefängnis (siehe den Beitrag Kein Radrennen). Nur wenige Wochen später gab es die nächste Hiobsbotschaft für Radler: alle Fahrradbereifungen (Decken und Schläuche) wurden beschlagnahmt, die „freiwillige Ablieferung“ bei den Sammelstellen (Landherrenschaftliches Bureau im Bergedorfer Schloss, Polizeistation Geesthacht, Gemeindeverwaltung Sande) wurde „empfohlen“, und es sollte eine nach Qualität der Bereifung abgestufte finanzielle Entschädigung geben – und ab dem 12. August durfte nur noch zu Berufs- und Geschäftszwecken mit einer Erlaubniskarte der Militärbehörde gefahren werden (siehe BZ vom 16. Juni, 24. Juli und 11. August 1916).
Es war aber keine Schikane der Militärs, die hinter den Maßnahmen stand, weil man den Zivilisten den Sport und das Vergnügen vermiesen wollte, sondern Folge des Gummimangels: von Kautschukimporten war Deutschland abgeschnitten, und synthetischen Kautschuk gab es noch nicht.
Der Erfolg der Aufrufe zur freiwilligen Abgabe bis zum 15. September war wohl geringer als erwartet: in der ersten Sammelphase wurden nur ganze Stücke mit vollständigen Ventilen einschließlich der Verschlussmuttern akzeptiert, doch dann wurde die Frist mehrfach verlängert und auch zerschnittene Bereifung war (als Altgummi) abzuliefern. Nach dem 15. Januar 1917 folgte dann aber tatsächlich die Enteignung, bei 10% Preisabschlag (siehe BZ vom 7., 12. und 20. September, 10. Oktober und 20. Dezember 1916).
Für die Fahrradfreunde gab es aber bald ein Hintertürchen, „Ersatzbereifung“ genannt, und immer wieder wurde diese im Anzeigenteil der BZ angeboten. Den Reigen eröffnete C. Ad. Riege mit „Tau-Bereifung“, H. Falke bot zunächst undifferenziert „beschlagnahmefreie Fahrradbereifung“ an, später die Spiralfederbereifung „Spirala“.
1917 stiegen dann auch Berliner Versandhändler in dieses Geschäftsfeld ein:
Ob das Fahren mit derartigen Ersatzlösungen vergnüglich war? Das darf bezweifelt werden, aber es war doch eine Alternative zum Zufußgehen – und mit diesen Bereifungen konnte 1917 sogar ein Rennen gefahren werden, wie im Sportalbum der Radwelt, XVI. Jahrgang 1917/18 , S. 17f. nachzulesen ist: bei der Ersatzreifenfahrt Berlin – Zossen – Berlin (50 km) betrug die Siegerzeit 1:54:24,1, und auch die Hersteller wurden prämiert: „Im Fabriken-Wettbewerb fiel der 1. Preis an die Loc-Fabrik elastischer Radbereifung G. m. b. H. Mainz-Kostheim und der zweite Preis an Stückgold-Adlerwerke vorm. Heinr. Kleyer A.-G., Filiale Berlin.
Mit dieser Fahrt hatte es sein Bewenden. Dem Beispiele des Bundes folgten zwar einige kleine Vereine, aber eine die Allgemeinheit interessierende Fahrt kam im Jahre 1917 nicht mehr zustande.“
Das nebenstehende Amateurfoto wurde in der Fahrradausstellung des Hamburger Museums der Arbeit aufgenommen. Die Fahrradausstellung des Deutschen-Technik-Museums Berlin, aus der das Fahrrad stammt, ist derzeit geschlossen. Im Deutschen Museum Verkehrszentrum München sind zwei Systeme von Stahlfeder-Bereifungen ausgestellt (Fotos bei Wikipedia). Ob hierunter die „Siegertypen“ des genannten Radrennens waren, ist unbekannt.