Die Sülzeunruhen – wegen Dünger für Ochsenwärder?

Bergedorfer Zeitung, 27. Juni 1919

Bergedorfer Zeitung, 27. Juni 1919

Hamburg war wieder einmal im Belagerungszustand – und diesmal war Bergedorf explizit einbezogen. (Wer sich fragt, warum die sehr ländlichen Gebiete Hohendeich (in Ochsenwärder) und Holake (in Kirchwärder) ebenfalls genannt wurden, sollte alle in der Bekanntmachung genannten Orte auf einer Landkarte markieren: sie bildeten die Grenzen des Belagerungsgebiets.)

Bergedorfer Zeitung, 30. Juni 1919

Der Einmarsch des Militärs nach Hamburg (auch durch Bergedorf, wo aber wohl keine Truppen verblieben) erfolgte aufgrund der sogenannten Sülzeunruhen, die in der Magisterarbeit von Sven Philipski (Online-Link) detailliert und fundiert geschildert werden (besonders S. 55ff.): als in Hamburg ein Fass der Lebensmittelfabrik Heil & Co. auf der Straße platzte, ergoss sich eine übelriechende Masse auf die Straße, und als von Augenzeugen behauptet wurde, es handle sich um Sülze, die verkauft werden sollte, entlud sich die Wut der rasch wachsenden Menge vor der Fabrik erst gegen den Fabrikanten Heil und dann gegen die einschreitende Polizei. Die Unruhen weiteten sich immer mehr aus, das Rathaus wurde beschossen und gestürmt, es gab zahlreiche Tote. Schließlich befahl Reichswehrminister Noske dem Generalmajor von Lettow-Vorbeck,  mit 10.000 Soldaten in Hamburg Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, denn man befürchtete eine „zweite Revolution“.

Folgt man Philipski, so waren es Hunger und Frustration, die die Unruhen antrieben, nicht der Wille zum Umsturz – Joachim Paschen hingegen spricht davon, dass sich KPD und USPD die Unruhen zunutze machen wollten und „die zweite Revolution des Hamburger Proletariats“ (S. 174) anstrebten, kann dies aber letztlich nicht eindeutig belegen. Ursula Büttner (Online-Link) (S. 94-96) verweist zwar auf gesteigerte Agitation der KPD in den Wochen vor den Unruhen, schreibt aber auch, dass von den eingetretenen Ereignissen „die Parteileitungen [von KPD und USPD] … ebenso überrascht [wurden] wie die Sicherheitsorgane“ (S. 96).

Angesichts der Präsenz des Militärs, seiner Straßensperren und -kontrollen, Waffenrazzien, Verhaftungen etc. ist das Ausbleiben weiterer Unruhen nicht überraschend – an der Versorgungslage änderte sich aber nichts.

Heil, der auch tatsächlich Sülze herstellte, wurde im Oktober zu drei Monaten Gefängnis und 1.000 M Geldstrafe verurteilt – unter Anrechnung der Untersuchungshaft (BZ vom 27. Oktober). Das Fass mit den verdorbenen Abfällen, dessen Fall vom Wagen alles ausgelöst hatte, war „für Bauern in Ochsenwerder als Dung bestimmt“ (Philipski, ebd., S. 55) gewesen. Nach der heutigen Düngemittelverordnung wäre das sicher unzulässig.

 

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Es wurde gehol(t)zt

Bergedorfer Zeitung, 1. Juli 1919

Es war 1919 nicht der einzige Auftritt des Friedrich Carl Holtz in Bergedorf, der dort im rechten Spektrum offenbar besondere Sympathien genoss: nach dem hier wiedergegebenen Vortrag beim Deutschnationalen Jugendbund wurde der Antisemit und Antidemokrat wiederholt in die Stadt eingeladen: am 23. Juli sprach er vor den Mitgliedern des Kampfgenossen- und Militärvereins „Germania“ erneut über „Die Schäden der November-Revolution“ (Anzeige in der BZ vom 19. Juli), am 27. November zog er in einer öffentlichen Versammlung der DNVP seine „Revolutionsbilanz“ (Anzeige in der BZ vom 25. November).

Geht man nach der Berichterstattung, nahmen seine Reden in Bergedorf von Mal zu Mal an Schärfe zu: die Jugendlichen sollte „tapfere Bekenner deutschen Wesens und wahre Verfechter des nationalen Gedankens“ werden, hieß es im Juni. Einige Wochen später geißelte er „scharf das Treiben der Unabhängigen und Kommunisten“, forderte das Bürgertum und alle anderen Volksschichten zum Zusammenschluss für den „Wiederaufbau des daniederliegenden Vaterlandes“ auf: sie sollten „gemeinsam Front machen gegen die unlauteren Elemente, die den Rest unseres staatlichen und wirtschaftlichen Lebens vollends zu zertrümmern suchen“. Das Fazit des Berichts lautete: „Die Ausführungen fanden lebhaften Beifall.“ (BZ vom 24. Juli)

Im November nahm er dann auch SPD und DDP unter Feuer: „Aus allem, was die Regierung tut, spricht der Haß gegen das Bürgertum“, und für den Fall „einer zweiten Revolution von links“ kündigte er an, dass dann „das Bürgertum … sich seiner Haut wehren“ (BZ vom 28. November) werde – eine unverhohlene Drohung mit der Militärmacht der Freikorps.

Die November-Veranstaltung war öffentlich – und große Teile des Publikums protestierten gegen Holtz‘ Thesen: „Ruhe trat erst wieder ein, als die Leitung erklärte, … als zweiten (sic!) Redner dem Mehrheitssozialisten Urban (Hamburg) das Wort zu geben.“ Dieser machte dann die Deutschnationalen für den Krieg verantwortlich und verlangte (ähnlich wie Carl Seß, 1919 für die USPD in die Stadtvertretung gewählt) dass die „Sabotage des Bürgertums“ aufhören müsse. Das Fazit des Berichts lautete: „Bei der Zusammensetzung der Versammlung durften alle Redner des Abends sich lebhaften Beifalls erfreuen.“ (BZ vom 28. November)

Abschließend eine Klarstellung: Friedrich Carl Holtz (1882-1939) war Herausgeber der Wochenzeitung Hamburger Warte, und für Alfred Dreckmann (S. 53f.) war er auch der Gemeindepastor von Altengamme. – Das ist schlicht falsch: der Pastor hieß Friedrich Heinrich August Holtz und lebte von 1870 bis 1933. Dieser engagierte sich vor allem im Verein für Vierländer Kunst und Heimatkunde (Neuer Schlosskalender Folge 11 (2012), S. 31 f.) und schrieb Heimatkundliches: neben einer  Darstellung der Altengammer Kirche (S. 167-193) den kurzen Aufsatz Von Sitte und Brauch in den Vierlanden.

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Eisenbahnknoten Geesthacht?

Bergedorfer Zeitung, 20. Juni 1919

Hatten Geesthachts Nachbardörfer Düneberg und Krümmel durch Pulverfabrik und Dynamitwerke bis Kriegsende für Wachstum und Beschäftigung gesorgt, so war der wirtschaftliche Absturz nach Kriegsende viel tiefer als andernorts. Dem wollte man durch den Bau mindestens einer neuen Bahnstrecke begegnen: Geesthacht sollte ein Knotenpunkt im Eisenbahnverkehr werden.

Seit 1907 bestand die Bahnverbindung nach Bergedorf, und mit der bereits im Bau befindlichen Hamburger Marschbahn sollte eine Direktverbindung nach Hamburg-Rothenburgsort hinzukommen, wie es im Artikel hieß. Vor allem aber wollte man eine Verbindung in das Herzogtum Lauenburg hinein, denn bis dahin gab es nur den Schienenweg Richtung Hamburg und die nach Kriegsende stillgelegte Krümmelbahn. Die „Dörferbahn“ nach Schwarzenbek bzw. Büchen erschien dabei weniger attraktiv als eine Strecke nach Lauenburg, die dort eine Anbindung an die Hamburg-Berliner Bahn bekommen sollte.Da die am ehesten realisierbare Trasse eine Elbquerung bei Geesthacht erforderte, hätte es über die Kleinbahn Niedermarschacht- Winsen Anschluss ins Hannöversche gegeben sowie bei Hohnstorf-Lauenburg die Verbindung mit der Lüneburg-Lübecker Bahn. Auch hätte laut Meldung diese „Elbuferbahn“, wie man sie nennen könnte, eine Entlastungsmöglichkeit für die vorhandene Strecke Hamburg-Berlin geboten, was sehr laienhaft-optimistisch erscheint.

„Jedenfalls verdient diese Angelegenheit die größte Beachtung“, schrieb die BZ, und in den folgenden Monaten waren die Kommunalpolitiker der Lauenburgischen Gemeinden damit gut beschäftigt, wie aus zahlreichen Berichten der BZ hervorgeht, die BGE erteilte sogar einen Planungsauftrag für die Strecke nach Lauenburg (BZ vom 13. September). Letztlich war’s für die Katz: weder die „Dörferbahn“ wurde gebaut noch die „Elbuferbahn“, und auch nach Krümmel fuhren lange Jahre keine Züge mehr. (In) Geesthacht blieb das Abstellgleis.

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Bergedorfs Schule ohne Schule für die praktisch Tüchtigen

Bergedorfer Zeitung, 23. Juni 1919

Vor dem Krieg hatte nur ein Drittel der Volksschüler ohne Sitzenbleiben die Schule absolviert, bei Fürsorgezöglingen waren es sogar nur sechs Prozent – dem wollte der erfahrene Hamburger Lehrer August E. Krohn mit seinem Konzept der Heimschule begegnen: er wollte „den Sitzenbleibern Anerkennung ihrer Tüchtigkeit durch rohe, praktische Arbeit in einem ‚ländlichen Wirtschaftsbetrieb‘ vermitteln, in dem … diese Sitzengebliebenen durchaus – wenn auch als kleine Arbeiter – also ernsthaft und gewollt nach Maßgabe ihrer Kräfte und Fähigkeiten mittätig sein sollen, womöglich aufbauend. Die Erfahrung hat schon immer gezeigt, daß auch Sitzengebliebene es im Leben zu etwas bringen können. … Also Schulstube, Schultische, Schulbuch, Schularbeit, Schulfach, Lehrplan, Stundenplan, das alles gibt es in der Heimschule nicht, nur Arbeit, nichts als Arbeit. Damit ist dann die Heimschule ganz ohne Schule und nichts als Wirtschaft, und die Sitzengebliebenen stehen plötzlich mitten in dem emsigen Schaffen eines lebenswahren Wirtschaftsbetriebes“ (August E. Krohn, Meine Heimschule, S. 26 – 30).

Den Versuch war es wert, befanden der Bergedorfer Lehrerverein (BZ vom 19. Februar) sowie Magistrat und Bürgervertretung (BZ vom 1. März): am 1. April wurde die Heimschule im Bergedorfer Versorgungsheim an der Rothenhauschaussee eröffnet; auch die ehemalige Blohmsche Ziegelei (vormals Biehlsche Ziegelei, siehe Martin Pries, Die Ziegeleien im Raum Bergedorf, S. 24-27) gehörte zum Gelände der Heimschule (BZ vom 3. April).

Der schnell ausgebrochene Kompetenzstreit mit dem städtischen Verwalter des Heims führte dazu, dass Krohn und die vier anderen Lehrer sich mit den Kindern an die Grundsanierung der verfallenen „Zieglerkaserne“ auf der anderen Straßenseite machten, was ja durchaus im Sinn des pädagogischen Konzepts war, und noch 1919 erfolgte der Umzug, wohl zur Zufriedenheit aller Beteiligten.

Doch das nächste Problem ließ nicht lange auf sich warten, wie Krohn schrieb (ebd., S. 47ff.): die Stadt Bergedorf wollte sich die getätigten Ausgaben vom Staat zurückerstatten lassen, was der Senat aber verweigerte. Erst nachdem Krohn mit geliehenen 30.000 Mark die Bergedorfer Forderung erfüllt hatte, gab es einen neuen Pachtvertrag, allerdings nur für das Blohmsche Gelände – das Versorgungsheim ging wieder an die Stadt.

Von Dauer war auch die neue Konstruktion nicht: nach weiteren drei Jahren kam das endgültige Aus für die Heimschule am Standort Bergedorf – die Liebe der Stadtväter zu dem pädagogischen Experiment war längst erloschen, was auch an Krohn und seinem Umgang mit den Behörden gelegen haben mag.

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Wie weiter in Bergedorf: Eingemeindung oder nicht?

Bergedorfs Eigenständigkeit im Staate Hamburg war nicht mehr haltbar – darin waren die politischen Kräfte einig gewesen in Bergedorf, vor dem Krieg und im Krieg. Hauptgründe dafür waren das Einspruchsrecht des Landherrn, der Bergedorfer Interessen den Hamburgischen unterordnete, die steuerliche Benachteiligung gegenüber den Hamburgern und die Stadtfinanzen mit beträchtlicher Verschuldung (BZ vom 16. März 1918).

Mit der Einigkeit in dieser Frage war es nach dem Krieg vorbei, denn Bergedorfs SPD (gefolgt von der DDP) sah die Lage nun anders, was auch Magistrat und Bürgervertretung beschäftigte:

Bergedorfer Zeitung, 11. Juni 1919

Bergedorfer Zeitung, 13. Juni 1919

Sowohl vor den SPD-Mitgliedern als auch in der Stadtvertretung sprach sich  Ratmann Friedrich Frank dafür aus, die Eingemeindung noch einmal zu überdenken: die Verhältnisse hätten sich ja geändert, die Rechte des Landherrn würden eingeschränkt werden, die Groß-Hamburg-Frage sei immer noch offen und „für Bergedorf als selbständiges Gemeinwesen von Bedeutung“.

Die Mitgliederversammlung der SPD stimmte dem zu und forderte eine „einmalige größere finanzielle Beihilfe Hamburgs, um die Selbstverwaltung aufrechterhalten zu können“, was ein düsteres Bild auf Bergedorfs Finanzen wirft.

Von Interesse ist hierbei auch das SPD-Votum für eine „baldmöglichste“ Bürgermeisterwahl, was doch überrascht: ein eingemeindetes Bergedorf hätte weder Bürgermeister noch Magistrat und Bürgervertretung gehabt. So muss die „Offenhaltung“ der Eingemeindungsfrage als vorgeschoben interpretiert werden, denn es macht ja keinen Sinn, einen Bürgermeister nur für einige Wochen oder Monate zu wählen: nach dem Ausscheiden von Bürgermeister Walli (siehe den Beitrag Walli macht Karriere) sah die SPD nun die Chance, das Amt mit dem sozialdemokratischen Ratmann Wiesner zu besetzen, und diese Chance wollte man sich nicht entgehen lassen.

Die Sitzung der Stadtoberen verlief erst harmonisch: die zurückgetretenen Ratmänner Bauer (Bürgerliche), Cohn (DDP) und die Sozialdemokraten Frank, Otto und Storbeck wurden einstimmig wiedergewählt – doch dann wurde es kontrovers: der USPD-Vertreter Seß vermutete „persönliche Interessenpolitik“ hinter dem Sinneswandel der SPD, Kellinghusen als Vertreter der Bürgerlichen warnte gerade angesichts der in seinen Augen zerrütteten Finanzen vor einer Änderung der 1918 beschlossenen Position, „nachdem man bis jetzt förmlich nach der Eingemeindung geschrien habe.“

In der Sache wurde an diesem Abend nicht entschieden, aber einmütig „zur weiteren Bearbeitung der Angelegenheit ein Ausschuß … eingesetzt“.

Fortsetzung folgt.

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Mit Kegelkugeln auf Eierjagd

BZ, 13. Juni 1919

60 Eier erhielt der beste Kegler, 45 für den zweitbesten gab es bei diesem Turnier, und die ausgelobten Preise waren offenbar attraktiv, denn in den folgenden Wochen gab es zahlreiche Nachahmer in den Vierlanden, aber auch in Sande und Bergedorf (Anzeigen in der BZ vom 20. und 26. Juni, 4., 8., 10., 12. und 23. Juli). Meistens bestand der Siegespreis aus 50 oder 60 Eiern, und meist konnte sich der Gewinner des Trostpreises über zehn Eier freuen, in einem Fall gab es nur ein einziges Ei (BZ vom 10. Juli), aber immerhin …

Man kann unschwer erkennen, dass die Zeit der Zwangsbewirtschaftung von Eiern (siehe hierzu den Beitrag Neue Eierablieferungsauflagen) vorüber war; sie war zwar im Februar noch bekräftigt und in Bergedorf das Ablieferungssoll erhöht worden (BZ vom 3. und 13. Februar), doch dann durch eine Verordnung des Reichsernährungsministers vom 21. März aufgehoben worden (BZ vom 2. April).

BZ, 8. Juli 1919

Die Höchstpreise blieben allerdings in Kraft, wenn auch nur auf dem Papier: hatten Eier vorher im Schleichhandel 1,10 bis 1,20 Mark gekostet, so musste man nun im Laden 1,30 Mark zahlen, sogar 1,60 Mark pro Ei wurde gefordert (BZ vom 4. und 16. April). Da bei zwei Preiskegel-Veranstaltungen Geld zu gewinnen war (70 bzw. 80 Mark, siehe BZ vom 8. und 12. Juli), kann man schlussfolgern, dass der Wert eines Eis deutlich über einer Mark lag.

Das bereitete Probleme: der „Ausschuß für Sammel- u. Helferdienst des Kreises Stormarn“ appellierte an die Hühnerhalter, ihre Eier an in den Schulen (also auch in Sande) eingerichtete Eiersammelstellen zu verkaufen, für 50 Pfennig pro Stück zuzüglich 5 Pfennig Sammellohn für die Kinder: wegen der „unerschwinglichen Preise“ auf dem freien Markt sei sonst die Belieferung von „Kranken, Kindern und Unbemittelten“ nicht möglich (BZ vom 8. und 20. Mai). Die Preisentwicklung bot der Bergedorfer SPD Anlass, generell vor den Marktmechanismen zu warnen (BZ vom 20. Mai).

Die Lage entspannte sich nicht: aus Altengamme wurde gemeldet, dass die Gemeindeschwester „ermächtigt ist, die von der Gemeindevertretung für Kranke gesammelten Eier zu vermitteln und wolle man sich dieserhalb mit ihr in Verbindung setzen“ (BZ vom 9. September). Weitere zwei Monate später machte die Landherrenschaft bekannt, dass sie für Kranke zwei „konservierte Auslandseier“ beschafft hatte: Kleinverkaufspreis 1,50 Mark pro Stück.

 

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Die Elbvertiefung und die Folgen – damals und heute

Bergedorfer Zeitung, 4. Juni 1919

1919 war und 2019 ist der Tideeinfluss auf die Dove- und die Gose-Elbe ein Thema, und auch die Elbvertiefung spielte damals und spielt heute eine wichtige Rolle.

Gose-Elbe und Dove-Elbe sollten 1919 „reguliert“ werden: durch Wasserbaumaßnahmen wollte der Senat die Schiffbarkeit dieser beiden Seitenarme der Elbe verbessern. Damit war der Verfasser des Leserbriefs, der sich als „Halligbewohner im Gebiet der Dove und Gose-Elbe“ bezeichnete, durchaus einverstanden, denn auch Schleusen sollten gebaut werden, die einen konstanten Wasserstand ermöglichten und somit das halligtypische „Landunter“ verhinderten. Die Landwirtschaft konnte sich freuen.

Die geplante Kostenbeteiligung an den Maßnahmen lehnte der Halligbewohner allerdings ab: für ihn war die Regulierung nur eine überfällige Entschädigung für Nachteile, die durch Hamburgs Politik der Elbe hervorgerufen wurden, wie er meinte – die Vertiefung der Unterelbe, die Verlegung der Dove-Elbe-Mündung („Kaltehofe-Durchstich“) und der Ausbau des Köhlbrands in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wären ursächlich dafür, dass die Flut in Dove- und Gose-Elbe jetzt mehr als einen Meter höher aufliefe als zuvor: „Wer schädigt, muß entschädigen, ist doch ein altes Gebot.“

Die Entschädigungsfrage sei hier ausgeblendet – die Regulierung erfolgte in den 1920er Jahren vor allem durch den Bau der Reitschleuse (Gose-Elbe) und der Dove-Elbe-Schleuse, die die Oberläufe beider Flüsse dem Tideeinfluss entzogen. Die Unterläufe wurden erst 1952 in Tatenberg durch Abdämmung und Schleuse tideunabhängig.

2019 wird debattiert, ob Dove- und Gose-Elbe wieder der Tide ausgesetzt werden sollen: mittels einer Machbarkeitsstudie soll geklärt werden, ob die Verschlickung des Hauptstroms der Elbe (nach einer weiteren Fahrrinnenvertiefung) durch die (Wieder-)Öffnung der Altarme für Ebbe und Flut bei Tatenberg reduziert werden kann, wie das Hamburger Abendblatt schreibt.

Sollte dies machbar sein und auch gemacht werden, werden „Halliglagen“ wie die des Leserbriefschreibers sicher von Vorteil sein.

Exkurs:

Gose- und Dove-Elbe sind Nebenarme der Elbe; sie durchziehen die Vierlande und die Marschlande  von Südosten her und fließen unterhalb (also westlich) Reitbrooks zusammen. Bereits im 14. bzw. 15. Jahrhundert wurden beide durch den Bau von Deichen im Osten der Vierlande vom Oberwasser abgetrennt; nach Hamburg hin blieben sie offen und schiffbar – seit allerdings der Tideeinfluss im 16./17. Jahrhundert das Gebiet erreichte, fielen diese Arme zeitweise trocken (siehe hierzu den Aufsatz von Carsten Weide, S. 22-47, hier S. 31f.).

 

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Einmalig Schokolade oder Kakao

Bergedorfer Zeitung, 5. Juni 1919

„Einmalig“ sollte es für Kinder zwischen dem dritten und vierzehnten Lebensjahr Schokolade oder Kakao geben – eine seltene Delikatesse, denn während des Krieges war Deutschland ja von Importen weitgehend abgeschnitten gewesen. Nach dem Krieg konnte wieder importiert werden, aber nur gegen Devisen, und Devisen waren knapp.

Wie und wann die „einmalige Verteilung von Schokolade und Kakao“ in Bergedorf und am Brookdeich, der damals noch zu Curslack gehörte, erfolgte, schrieb die BZ leider nicht, auch über das Antragsverfahren war nichts zu finden – wahrscheinlich erfuhren die Bergedorferinnen und Bergedorfer dies alles über die in der Stadt aufgestellten Bekanntmachungskästen. Man darf aber vermuten, dass es keine prinzipiellen Unterschiede zum übrigen Gebiet der Landherrenschaft gab: die Erziehungsberechtigten der Kinder zwischen dem dritten und vierzehnten Lebensjahr dort mussten sich bei einer amtlichen Stelle melden und erhielten besondere Karten. Dann hieß es warten, denn weder der Zeitpunkt der Verteilung noch die Menge stand fest, ebenso wenig die Abgabestelle.

Bergedorfer Zeitung, 2. Juli 1919

Die Abgabe sollte laut Bekanntmachung „demnächst“ erfolgen – im heutigen Sprachgebrauch würde man darunter wohl „in den nächsten Tagen“ nach Ende der Anmeldefrist verstehen, aber so schnell ging es damals nicht: erst ab dem 6. Juli sollte die Verteilung in den angegebenen Geschäften erfolgen. Die Menge war nicht üppig: pro Kind erhielt man zu einem nicht genannten Preis 80 Gramm.

In der relativ dicht besiedelten Stadt Bergedorf wird man die eher kurzen Wege wohl gern auf sich genommen haben – in den Vierlanden hatte man kilometerweit zu laufen: da könnte der Kalorienverbrauch der Fußmärsche den Nährwert der Schokolade schon überstiegen haben. Den Kindern zuliebe wird aber kaum jemand auf die Delikatesse verzichtet haben, und das Laufen war man ja gewohnt: in Zollenspieker fand die Ausgabe von Milchkarten am 3. Juli, der Brotkarten am 5. Juli, und der besonderen Milch-, Nähr- und Säuglingskarten am 7. Juli statt (Bekanntmachung in der BZ vom 2. Juli 1919). Verwaltungstechnisch war das wohl einfacher – für die „Bezugsberechtigten“ sicher nicht.

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Kunst in und um Bergedorf, aber nicht revolutionär

Ein gutes halbes Jahr nach Kriegsende regte sich in Bergedorf wieder das Kunstleben, aber von der Avantgarde der Nachkriegszeit waren Hans Förster und Georg Greve-Lindau weit entfernt.

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1919

Anlässlich des 50. Todestages von Hans Förster widmete ihm das Altonaer Museum eine große Ausstellung, zu der eine Begleitpublikation erschienen ist, deren Abbildungen einen Überblick über sein Schaffen bieten. Im Text der Publikation schreibt die Kuratorin Verena Fink: „Als Maler folgte er nicht dem künstlerischen Zeitgeist wie Expressionismus oder Neue Sachlichkeit und war deswegen nicht sehr gefragt.“ (S. 19)

In einem Verzeichnis Hamburger Künstler von 2013 heißt es über Förster: „Er gilt als bedeutender Schilderer des Hamburger Landlebens, insbes. der Vierlande, in großformatigen farbigen Holzschnitten. … Sie zeigen weniger graphische als malerische Werke, wie ihre japanischen Vorbilder sowie Nachwirkungen des Jugendstils.“ (Der neue Rump). Nicht nur in den Vierlanden sind Försters Werke heute noch bekannt und geschätzt. Auch schriftstellerisch war Förster tätig, z.B. mit dem Buch Malerische Marschen, für das er auch die Illustrationen, u.a. Alt-Bergedorf-Motive, fertigte. Die Welt des 20. Jahrhunderts blendete er weitgehend aus.

Bergedorfer Zeitung, 2. Juni 1919

Georg Greve-Lindau, 1912/13 Träger des Villa-Romana-Preises, war im Krieg Offizier gewesen; er kam 1918 nach Bergedorf, bezog laut BZ-Artikel eine Atelier-Wohnung kurz vor der Grenze nach Wentorf. Bald verlegte er seinen Wohnsitz um wenige hundert Meter weiter an die Hamburger Landstraße in Wentorf, wie sich aus den Hamburger Adressbüchern ergibt, die ihm allerdings einige Jahre lang fälschlicherweise den Vornamen Paul zuschrieben.

Der BZ-Redakteur Theodor Krein war von der Ausstellung jedenfalls begeistert: „Rückhaltlos kann man sich hier an einer Kunst des Impressionismus und des Expressionismus laben“ (BZ vom 6. Juni), was ein wenig überrascht: sowohl Der neue Rump (S. 156) als auch das Allgemeine Künstler-Lexikon (Bd. 61, S. 521f.) sehen ihn (nur) als Impressionisten.

Greve-Lindau hatte im Raum Bergedorf in späteren Jahren weitere Ausstellungen: noch im selben Jahr präsentierte er Graphiken (BZ vom 29. November und 1. Dezember), 1925 folgte eine Ausstellung in Bergedorf, und auch lange nach seinem Wegzug (1936) blieb er für die hiesigen Kunstfreunde präsent: 1961 in Bergedorf und 2001 in Wentorf waren seine Bilder öffentlich zu sehen (Allgemeines Künstler-Lexikon, ebd.), und man kann vermuten, dass dabei auch Wentorfer Motive gezeigt wurden.

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Neue Infrastruktur für die Vierlande und die Marschlande: Ruin oder blühende Landschaften?

Auch nach Ende des Krieges war die Versorgung der Großstadt Hamburg mit Lebensmitteln unzureichend – das wollte man durch die „Aufschließung“ der Marschlande und der Vierlande ändern: die Gemüseproduktion sollte gesteigert werden.

Gemüse muss aber nicht nur erzeugt werden – es muss zum Verbraucher gelangen, und das war ein Problem: die Marsch war „arm an befestigten Straßen“, in regenreichen Zeiten waren „Wagentransporte … so gut wie unausführbar“, wie es in einer Senatsmitteilung an die Bürgerschaft hieß (S. 521), und die Seitenarme der Elbe waren nur eingeschränkt schifffahrtstauglich, weil schmal und flach:

Elbdeich in Altengamme, frühes 20. Jahrhundert

Dove-Elbe bei Curslack, frühes 20. Jahrhundert

 

Die Verkehrsinfrastruktur wollte der Senat nun ausbauen: die Hamburger Marschbahn war ja bereits im Bau; insgesamt vier neue Straßen sollten als Zuwegungen zu den Marschbahn-Haltestellen geschaffen werden. Verschiedene Straßen sollten gepflastert und neue Straßen parallel zu den vorhandenen Deichen angelegt werden, um dort Gemüsebaubetriebe anzusiedeln. Als Gemüseland waren diese Flächen aber nur durch ein ebenfalls neu zu schaffendes Be- und Entwässerungssytem (siehe hierzu den Beitrag Die Stahlwindturbinen in Warwisch) nutzbar. Den Transport auf Dove- und Gose-Elbe wollte man durch „Regulierung“ dieser Seitenarme erleichtern, was Thema eines folgenden Beitrags sein wird.

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1919

Insgesamt sollte das eine Menge Geld kosten: in einer Besprechung mit den Vorstehern der betroffenen Gemeinden schätzte der Landherr Senator Heinrich Stubbe die Kosten für alle Maßnahmen auf 85 Millionen Mark (BZ vom 24. Mai). Die Hälfte davon sollten die Grundeigentümer der Vier- und Marschlande aufbringen, und das rief parteiübergreifenden Protest der Landgemeinden auf den Plan, die nicht Wachstum und Aufschwung vorhersahen, sondern Entvölkerung und Ruin. Diesen Befürchtungen wiederum hielt ein Vertreter der Finanzbehörde entgegen, dass die Kosten ja noch gar nicht feststünden – ob das die Gemüter beruhigte, darf man bezweifeln – und alles zum Vorteil der Landbewohner geschehe: „Sie hätten in erster Linie den Nutzen.“ (BZ vom 30. Mai)

In der Bürgerschaftssitzung am 27. August wurde dann die Senatsvorlage „betreffend Straßenbauten im marschländischen Landgebiet“ beraten. Man begrüßte allseits die geplanten Baumaßnahmen, allerdings nur im Prinzip; die Kostentragung blieb umstritten. Am Ende wurden die beantragten 10.151.940 Mark für 46,639 Kilometer Straßenbau bewilligt und man „verwies den übrigen Teil der Vorlage an einen Ausschuß.“ (BZ vom 28. August) Über die finanzielle Beteiligung der Landgemeinden konnte dort wirklich in aller Ruhe beraten werden, denn die Abgabe sollte erst nach Fertigstellung der Straßen ab dem Steuerjahr 1926 erhoben werden (Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1919, S. 521-527).

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