Universität für Hamburg! – Vorlesungen in Bergedorf?

Bergedorfer Zeitung, 17. Mai 1919

Ein „Allgemeines Vorlesungswesen“ in Bergedorf wollte der Verfasser dieses Leserbriefs – das Vorlesungsgebäude allerdings stand in Hamburg. Das bedarf der Erklärung.

Das bei dem Dammtor gelegene Gebäude, errichtet 1911 nach den Plänen des Bergedorfer Architekten Hermann Distel, beherbergte das 1895 reorganisierte Allgemeine Vorlesungswesen, das als ein Vorläufer der heutigen Universität Hamburg angesehen werden kann (hierzu in knapper Form Rainer Nicolaysen (S. 232-243). Die Veranstaltungen standen allen Interessierten offen, und es gibt sie auch heute noch, wie das aktuelle Online-Vorlesungsprogramm des Allgemeinen Vorlesungswesens zeigt.

Die Universität wurde mit Rückwirkung gegründet: am 6. Januar 1919 hatten Professoren des Vorlesungswesens mit den „Hamburgischen Universitätskursen“ begonnen, obwohl es gar keine Universität gab. Noch in ihrer letzten Sitzung hatte die alte kaiserzeitliche Hamburgische Bürgerschaft die Gründung einer Universität abgelehnt (BZ vom 19. März), doch die neue, demokratisch gewählte Bürgerschaft beschloss kurz nach ihrer Wahl das genaue Gegenteil (BZ vom 29. März) und verlieh dem Gesetz Rückwirkung zum 6. Januar 1919, wodurch die bis dahin abgehaltenen Kurse nachträglich in den Rang akademischer Lehrveranstaltungen erhoben wurden (Nicolaysen, ebd., und online Geschichte der Universität). Studieren durfte an der Universität nur, wer das Abitur hatte oder examinierter Volksschullehrer war.

Der Wunsch des Bergedorfers aber ging nicht in Erfüllung: er musste vorerst weiter nach Hamburg fahren, wenn er an Weiterbildungsveranstaltungen teilnehmen wollte, vielleicht im selben Zug wie sein Dozent. Erst ab dem Herbst 1919 gab es in Bergedorf Angebote der Erwachsenenbildung, worauf zurückzukommen sein wird.

Übrigens: das Vorlesungsgebäude wurde zum Hauptgebäude der Universität. In grafisch verfremdeter Form ziert es die Startseite zum Uni-Jubiläum, von der aus man vertiefte Informationen, auch über geplante Publikationen, anklicken kann.

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Der verzögerte Kleinwohnungsbau an der Brunnenstraße

Bergedorfer Zeitung, 10. Mai 1919

Es sollte ein Pilotprojekt werden: erstmals (abgesehen von Dienstwohnungen) sollten in Bergedorf städtische Wohnungen geschaffen werden, um die Wohnungsnot zu bekämpfen: 66 Kleinwohnungen sollten auf städtischem Grund geschaffen werden, wofür ein mit 3.000 Mark dotierter Wettbewerb ausgelobt worden war, an dem sich vier Bergedorfer Architekten beteiligten: Hermann Distel (u.a. Architekt des Pastorats der St.Petri und Pauli-Kirche (1913) und von Kleinwohnungshäusern neben dem Bahnhof Geesthacht (1917)), Hermann Schomburgk (u.a. Architekt des Bahnhofs Bergedorf-Süd (1906, 1912) und Bruno Wieck (Architekt v.a. von Häusern im Villenviertel) – verschiedene ihrer Bauten sind in der Denkmalliste verzeichnet. Bei dem vierten Teilnehmer wird es sich um Otto Ehlers gehandelt haben, der im Bergedorfer Adressbuch 1915 verzeichnet ist, in der Denkmalliste aber nicht auftaucht. Auch die Finanzierung über einen Zuschuss des Reichs und des Staates Hamburg sowie eine Anleihe schien gesichert (BZ vom 1. März 1919).

Nun also lagen die Entwürfe für die Bauten an der Brunnenstraße öffentlich aus, und die BZ versuchte sich an einer Beschreibung der Pläne, was ihr nur weitgehend nachvollziehbar gelang – ihre Bevorzugung des Distelschen Entwurfs brachte sie aber klar und deutlich zum Ausdruck, wobei sie den Mehraufwand, den die von Distel vorgeschlagene aufgelockerte Bauform verursachen würde, als „unerheblich“ bezeichnete.

Realisiert wurde keiner der Entwürfe, wie man an der heutigen Holtenklinker Straße 111 – 129 feststellen kann. Zunächst unterblieb dort jeglicher Bau: die veranschlagten Kosten waren von 1,25 Millionen auf 2 Millionen Mark gestiegen (BZ vom 29. August), zudem mangelte es an Baumaterial und die erwarteten Zuschüsse wurden nicht gewährt (BZ vom 4. Oktober). Das Ensemble wurde 1924 – 1931 errichtet, aber nicht nach den Plänen des Wettbewerbs: in der Denkmaltopographie Bergedorf-Lohbrügge (S. 129) heißt es, dass das Bergedorfer Stadtbauamt die Pläne fertigte, als geschlossene Bebauung, ohne Distels Bogengänge „mit Durchblicken auf den bewaldeten Abhang des Gojenberges“ – der einzige gebaute Bogengang in diesem Bereich (zwischen Nr. 113 und 115) liegt rechtwinklig zum Geesthang und ermöglicht primär den Blick auf die Rückseite der Häuser.

Für Hintergrundinformationen und Auskünfte bin ich dem Bergedorfer Denkmal-Gutachter Dr. Geerd Dahms sehr dankbar.

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Die letztlich filzfreien Volkskonzerte der Hasse-Gesellschaft

Bergedorfer Zeitung, 10. Mai 1919

Die Hasse-Gesellschaft E.V. war vor, im und nach dem Krieg der wichtigste und beständigste Veranstalter von Konzerten in Bergedorf (siehe die Beiträge Hassgesänge des Hasse-Chors und Das Chor- und Vereinsleben), teils mit Musikern aus Hamburg, teils mit dem eigenen Chor.

Eine nähere Betrachtung aus diesem Bericht über die Mitgliederversammlung der Gesellschaft verdient allein der folgende Satz: „Dank der von der Stadtverwaltung bereitgestellten Mittel war es möglich, drei dieser Konzerte zu mäßigen Eintrittspreisen der minderbemittelten Bevölkerung zugänglich zu machen.“

Das erste so bezeichnete Volkskonzert hatte am 15. Dezember 1918 stattgefunden; es war eine Wiederholung des zwei Tage zuvor gegebenen Weihnachtskonzerts, und die Preise unterschieden sich sehr: bei dem Weihnachtskonzert kosteten Karten für die besten Plätze drei Mark – beim Volkskonzert gab es freie Platzwahl für 50 Pfennig, Garderobe jeweils inbegriffen. Zum Osterkonzert 1919 waren die regulären Preise auf bis zu 3,50 Mark gestiegen, für das Volkskonzert mit identischem Programm (Hasse, Händel) auf einheitlich 1,20 Mark (BZ vom 29. März 1919). Die Stadt Bergedorf betrieb also Kulturförderung, indem sie über subventionierte Konzerte auch Menschen mit geringerem Einkommen den Besuch ermöglichte. Das ist eigentlich löblich.

Bergedorfer Zeitung, 7. Dezember 1918

Die Volkskonzerte waren aber ursprünglich als Genossenkonzerte geplant, wie aus der nebenstehenden Anzeige hervorgeht: nur wer das Mitgliedsbuch der SPD oder einer der im Kartell verbundenen Gewerkschaften vorweisen konnte, sollte eine Karte erwerben dürfen – es spricht einiges für die Vermutung, dass der SPD-Ratmann Wilhelm Wiesner dies für die Seinen vermittelt und im Gegenzug den Zuschuss aus der Stadtkasse besorgt hatte.

Die Privilegierung der bis dahin Unterprivilegierten brachte dann aber Bergedorf in Wallung; es gab offenbar heftige Proteste gegen diesen Genossenfilz, und es gab ein Einlenken: im Bericht über das (reguläre bürgerliche) Weihnachtskonzert hieß es am Ende, dass das Volks-Weihnachtskonzert nun doch allen Interessenten offen stünde (BZ vom 14. Dezember 1918). Ob die Korrektur auf die Proteste zurückzuführen war oder am unbefriedigenden Kartenvorkauf lag, ist nicht zu klären – jedenfalls war bei der ersten Aufführung die Aula der Stadtschulen (heute Hasse-Aula) „bis auf den letzten Platz gefüllt“, das Volkskonzert lediglich „gut besucht“ (BZ vom 14. und 16. Dezember 1918).

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Bergedorfs neues Stadtparlament und der Durchmarsch der SPD

Bergedorfer Zeitung, 30. April 1919

So wirklich ernst nahm der Autor dieses Artikels Bergedorfs neue Stadtvertretung nicht, sein Tonfall war ausgesprochen mokant – und erstaunlicherweise stammte der Bericht aus der Feder des Politikredakteurs Theodor Kreins (siehe das Kürzel „Kr.“ am Ende) und nicht aus der des für „Kommunales“ Verantwortlichen, Wilhelm Bauer. Bauer, der ja zugleich Ratmann war (siehe den Beitrag Neue Ratmänner), dürfte Krein aber entsprechend „gefüttert“ haben, und die Ablehnung der neuen, demokratischen Zeit mit einem „Damenquartett“ und einem „vollgezählten Dutzend der Mehrheitssozialdemokraten“ etc. ist deutlich erkennbar, doch Bauer konnte sich erforderlichenfalls von dem Artikel distanzieren: es war ja ein Namensartikel.

Die Wahlbeteiligung war deutlich zurückgegangen: hatte sie im Januar (Wahl zur Nationalversammlung) noch bei 95 Prozent gelegen und im März (Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft) bei 80 Prozent, so war sie bei der Wahl zur Bürgervertretung am 13. April auf rund 75 Prozent gefallen (BZ vom 14. April). Vielleicht war Wahlmüdigkeit die Ursache – aber hundert Jahre später würde man sich über eine so hohe Beteiligung an der Wahl zur Bezirksversammlung außerordentlich freuen.

Das Stadtparlament bestand nun aus 25 Abgeordneten, zehn mehr als vorher; deshalb war es „aus dem zu eng gewordenen Schloßstübchen nach dem Stadthaus“ umgezogen, und auch die „stattliche Zuhörerschaft“ fand dort Platz. Sie sahen 12 Sozialdemokraten, 6 „Vereinigte Bürgerliche“ (DVP und DNVP), 4 DDP-Vertreter, 2 der USPD und 1 Grundeigentümer (BZ vom 14. April, siehe auch den Beitrag Die Wohnungsmieten und die Parteipolitik). Die SPD hatte zwar an Stimmen wie an Sitzen die absolute Mehrheit verfehlt, doch ohne sie lief nichts: die sieben Magistratsmitglieder waren im Parlament ebenfalls stimmberechtigt, es kamen also vier weitere SPD-Stimmen hinzu (siehe den Beitrag Wandel in Bergedorf). Außerdem gab es Absprachen mit der DDP, die über zwei Sitze im Magistrat verfügte, und so war die Mehrheit bei den Ausschusswahlen komfortabel. Dabei zeigten sich die Sozialdemokraten machtbewusst und „verbannten“ die Opposition zumeist in die weniger wichtigen Ausschüsse und ohne auf Wünsche und Kompetenzen Rücksicht zu nehmen: so fand sich z.B. der Grundeigentümer Martin Biehl zwar in der Lebensmittelkommission, nicht aber im Bauausschuss (siehe die Angaben (Stand Oktober 1919) im Hamburger Adressbuch für 1920). Ein solcher „Durchmarsch“ wäre heute undenkbar.

Bei den von dem „Debütanten“ und USPD-Vertreter Hinrichs attackierten „Terrainspekulanten“ handelte es sich um eine „Baugesellschaft Bergedorf m.b.H.“, deren Werbung aber nicht in der BZ erschien und über die sonst nichts bekannt ist. Hinrichs‘ mündlich gestellter Antrag wurde aus Geschäftsordnungsgründen vertagt. Als er dann schriftlich vorlag, wurde er abgelehnt und ein Antrag der SPD, der auf das selbe hinauslief, angenommen (BZ vom 31. Mai und 13. Juni). Das auch heute geübte Verfahren, Oppositionsanträge abzulehnen und dafür eigene fast gleichlautende Anträge anzunehmen, hat also eine beachtliche Tradition.

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Die Maifeier und der Landregen

Bergedorfer Zeitung, 2. Mai 1919

Die Zeiten hatten sich geändert: der 1. Mai 1919 war gesetzlicher Feiertag, der überall mit Kundgebungen, Festzügen und Unterhaltungsprogramm begangen wurde.

In Bergedorf-Sande stand die SPD (mit dem Gewerkschaftskartell und 4.000 Teilnehmern) dabei im nachmittäglichen Regen – da hatte sich die früh gestartete USPD (350 Teilnehmer laut BZ bzw. 760 nach Zählung der USPD, siehe BZ vom 3. Mai) bereits in den angemieteten Sälen eingefunden. Für die „zahlreichen Kinder“ waren Spiele vorbereitet – bei der USPD dürften die drei Festsäle dafür ausgereicht haben; die SPD hatte auf besseres Wetter gesetzt und musste die vom Jugendbund geplanten Kinderspiele am Rande des Bergedorfer Gehölzes teilweise absagen.

SPD und USPD hatten jeweils ihre eigenen Redner, über deren Redeinhalte kürzer als knapp bzw. gar nicht berichtet wurde, und auch in Geesthacht, desgleichen Hamburg, veranstalteten die beiden Seiten getrennte Maifeiern, die „ohne Zwischenfall“ verliefen (BZ vom 2. Mai). In Altengamme und Kirchwärder hatte nur die SPD etwas organisiert und dabei nicht nur Vereine aus der Arbeiterbewegung eingebunden, sondern auch bürgerliche (BZ vom 29. April und 6. Mai). Hier stand aber wohl der Volksfestcharakter im Vordergrund, denn beide SPD-Distrikte luden ausdrücklich alle Einwohner ein. Dabei zeigten die Sozialdemokraten in Kirchwärder ein ungewerkschaftliches Verständnis für die Landwirtschaft: „Laßt die Arbeit ruhen, soweit es angängig ist!“ hieß es in ihrem Aufruf. In Hamburg waren die Straßenbahner, Hochbahner und Alsterdampfschiffer rigoroser: sie beschlossen, am 1. Mai „jeglichen Verkehr“ ruhen zu lassen (BZ vom 29. April), und auch die „großen Restaurants und Kaffeehäuser“ hatten geschlossen (soweit sie nicht für Veranstaltungen zur Maifeier geöffnet hatten).

Bergedorfer Zeitung, 2. Mai 1919

Bergedorfs Gewerkschaftsführer hatten vor der Maifeier an einer anderen Veranstaltung teilgenommen: das Bergedorfer Eisenwerk hatte für die Gefallenen des Krieges ein Denkmal errichten lassen, das nach der Verlegung des Eisenwerks nach Glinde ebenfalls nach Glinde verlegt wurde. 2019 ist es nach Sande zurückgekehrt und auf dem alten Friedhof der Erlöserkirche aufgestellt worden, gleich neben dem Mausoleum für Wilhelm Bergner, dem Gründer des Werks.

Gedenkstein des Bergedorfer Eisenwerks nach der Neuaufstellung 2019

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Neues und Altes von der Schule

Bergedorfer Zeitung, 26. April 1919

Die Schulreformen schritten im Frühjahr 1919 weiter voran, und manchmal holperte es ein wenig: Ende März hatte der Arbeiter- und Soldatenrat von Groß-Hamburg „mit Gesetzeskraft“ verkündet, dass nunmehr alle Schulleiter durch die Lehrer auf ein Jahr zu wählen seien (BZ vom 25. März), doch wenig später forderte der Lehrerrat, die Amtsperiode auf drei Jahre auszudehnen (BZ vom 4. April). Dem folgten schließlich auch Senat und Bürgerschaft, wobei die Frist für die Durchführung der Wahlen auf den 6. Mai verschoben und der Kreis der Wahlberechtigten über das Lehrerkollegium hinaus um drei Elternrats-Vertreter erweitert wurde (BZ vom 2. Mai).

In Bergedorf ging dies glatt vonstatten: alle Schulleiter wurden im Amt bestätigt, während in der Stadt Hamburg 46 von 198 Volksschulen neue Leiter erhielten, darunter drei Frauen (BZ vom 13. Mai).

BZ 30. April 1919

 

Die Abschaffung des Schulgelds hatten Bergedorfs Magistrat und Bürgervertretung bereits am 28. Februar beschlossen (BZ vom 1. März), aber nicht rückwirkend: für das erste Quartal musste gezahlt werden, wie der Magistrat bekanntmachte.

 

BZ 22. April 1919

BZ 8. April 1919

Mit dem neuen Schuljahr begann die unentgeltliche Lieferung der Lernmittel für die Stadtschulen (BZ vom 1. März) – das Schulgeld für die höheren Schulen blieb aber letzten Endes, und auch die Bücher mussten dort weiterhin privat angeschafft werden. Weitere Kosten entstanden den Hansaschul-Eltern durch die vorgeschriebenen Mützen, die es in unterschiedlichen Ausführungen gab, was zu einem regen Gebrauchthandel auf dem Schulhof und über Kleinanzeigen in der Bergedorfer Zeitung führte, worüber anschauliche Zeitzeugenberichte (S.38, S. 76f.) vorliegen.

 

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Der Nord-Süd Konflikt in Kirchwärder

Bergedorfer Zeitung, 22. April 1919

Bergedorfer Zeitung, 24. April 1919

Die Wahl zur Gemeindevertretung Kirchwärders war (am 13. April) gelaufen – jetzt brach der innergemeindliche Nord-Süd-Konflikt erst richtig aus: nach dem alten Wahlrecht von 1874 stellten die drei Bauerschaften der Nordseite (Seefeld, Holake, Kirche, alle an der Gose-Elbe) ebenso viele Vertreter wie die der Südseite (Zollenspieker, Sande/Howe, Warwisch, alle an der Stromelbe). Nach dem neuen Wahlrecht kamen nur fünf von neunzehn aus dem Norden, und zumindest ein Leserbriefschreiber aus dem Norden drohte mit Separatismus (erneut am 30. April); ein weiterer wies auf die eigenen kommunalen Interessen der Nordseite, die besonders unter feuchten Böden litte und an wasserbaulichen Maßnahmen an der Gose-Elbe ein großes Interesse hätte, hin.

Bergedorfer Zeitung, 26. April 1919 (gekürzt)

Das alte Wahlrecht, wie es im Orts-Statut von 1874 (Hamburgische Gesetzsammlung 1874, S. 367-376) niedergelegt war, war beschränkt auf „männliche volljährige Gemeinde-Angehörige, welche nicht in Anderer Kost und Lohn stehen und welche zu den Gemeindelasten beitragen.“ (§ 3 Ziff. 1) Aber auch Frauen und Kinder, die eigenständige Grundbesitzer waren, durften wählen bzw. durften durch „Bevollmächtigte“ wählen lassen (§ 3 Ziff. 2). Beides galt auch für die anderen Gemeinden der Vierlande (siehe den Beitrag Der Wahlrechtsentzug für die Kinder).

Neben der Steuerzahlung war also der Grundbesitz entscheidendes Kriterium. Der „Großgrundbesitz“ (mindestens 6 ha Land) war dabei privilegiert, denn aus jeder der sechs Bauerschaften mussten mindestens zwei Großbauern gewählt werden (insgesamt 16 von 32 Gemeindevertretern). Kätner (Hauseigentümer mit kleinerem Grundeigentum, also z.B. Gärtner oder Handwerker) und Einwohner (ohne Haus- und Grundbesitz) erhielten 12 bzw. 4 Sitze, und im Gemeindevorstand saß aus jeder Bauerschaft ein Großbauer. Das alte Wahlrecht sollte sicherstellen, dass die Interessen der Bauerschaften und des größeren Grundbesitzes sich durchsetzten – das neue Wahlrecht kannte keine Steuerzahler, Bauerschaften und Stände mehr, sondern nur noch Männer und Frauen mit gleichem Recht (wobei das Wahlrecht der grundbesitzenden Minderjährigen auf der Strecke blieb). Und da auf der Südseite Kirchwärders sehr viel mehr Wähler wohnten, fanden sich auf allen drei Listen dementsprechend sehr viel mehr Kandidaten von der Südseite, was zu der „ungleichen“ Nord-Süd-Verteilung führte, weil nur die Listenplatzierung über den Einzug in die Gemeindevertretung entschied. Das verärgerte offenbar manches Nordlicht.

Bergedorfer Zeitung, 29. April 1919

Bei der Wahl des neunköpfigen Gemeindevorstands gab es dann aber einen Kompromiss zwischen „alter“ und „neuer“ Ordnung: die Sitzverteilung im Vorstand wurde nach Bauerschaften vorgenommen, wobei nun aber die Einwohnerzahl berücksichtigt wurde, und die Großbauern bekamen nur noch drei Sitze. Bei der SPD stieß dieses Verfahren auf Protest, da ihr Spitzenkandidat Johann Schulz (Seefeld) zwar in die Gemeindevertretung gewählt worden war, nicht aber in den Vorstand, denn der Seefelder Bauerschaft stand nach Einwohnern nur ein Vorstandsposten zu, und der Kirchwärder Kommunalverein sowie der Kirchwärder Bürgerverein verständigten sich auf den Hauptlehrer Sievers von der Seefelder Schule. Die SPD hatte in Seefeld fast die Hälfte der Stimmen erhalten und fühlte sich ausgebootet, auch weil sie nur zwei Vorstandsmitglieder stellte: „Eine solche Diktatur machen wir nicht mit“, schrieb Schulz zwar erbost in einem Leserbrief (BZ vom 29. April), aber letztlich machte die SPD doch mit, und auch zur Abspaltung des Nordens kam es nicht.

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Bergedorfs Kriegsküchen: der Anfang vom Ende

Bergedorfer Zeitung, 16. April 1919

Dem Personal der Bergedorfer Kriegsküchen wurde auch 1919 „der Feiertage wegen“ ein Brückentag zugebilligt: am Karsonnabend blieben die Küchen kalt.

Die Küche am Pool schloss sogar endgültig, aber zwei Kriegsküchen blieben vorerst noch in Betrieb: die im Stadthaus in der Wentorfer Straße und die im früheren Hotel Stadt Lübeck.

Doch auch in Stadt Lübeck wurde vom 26. April an „kein Essen mehr verabfolgt“, wie es in einer Bekanntmachung vom selben Tage hieß. Im Mai wurde dann „infolge der enorm hohen Lebensmittelpreise und der gestiegenen Löhne“ der Preis für das Kriegsküchenessen erhöht (BZ vom 17. Mai). Ob es an der Preiserhöhung oder am besseren Gemüseangebot im Sommer lag, ist unklar, aber auf die weiter rückläufigen Teilnehmerzahlen reagierte der Magistrat mit der Schließung der letzten verbliebenen Kriegsküche bzw. Volksküche, wie sie nun (wieder) genannt wurde:

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1919

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1919

 

 

 

In Geesthacht wurde der Betrieb der (einzigen) Kriegsküche übrigens schon zum 1. Juli eingestellt (BZ vom 20. Juni 1919).

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Gambrinus und die Feierlichkeiten zu Ostern

BZ 19. April 1919

Der Unterhaltungsklub Gambrinus (siehe unten) war nicht der einzige Verein, der an einem der Ostertage zu einem Ball einlud: allein in dieser Ausgabe der BZ gab es über 20 weitere Vereinsanzeigen, die auf Festball, Ostervergnügen, Tanzkränzchen o.ä. hinwiesen, hinzu kam ein weiteres gutes Dutzend Veranstaltungen von Wirten der geeigneten Lokalitäten, allesamt in Bergedorf, Sande und den Vierlanden, nicht gezählt die Anzeigen aus den Sachsenwald-Gemeinden. Auffällig ist das Fehlen von Anzeigen aus Geesthacht – Gründe sind nicht ersichtlich.

Alle diese Lustbarkeiten begannen bereits am Nachmittag, denn wegen der fortbestehenden Kohlenknappheit war die Polizeistunde auf 22 Uhr festgesetzt. In Sande waren „Tanzlustbarkeiten bei künstlicher Beleuchtung ausnahmslos verboten“, in Bergedorf trat ein entsprechendes Verbot erst am Dienstag nach Ostern in Kraft (Bekanntmachungen in der BZ vom 19. April).

Wer nach dem Ostergottesdienst nicht tanzen, sondern sich anderweitig amüsieren wollte, hatte auch dazu reichlich Gelegenheit: der „Arbeiter-Sängerchor Bergedorf-Sande“ gab in der Aula der Bergedorfer Stadtschulen ein Konzert (BZ vom 18. April), auf dem Portici-Platz stand wieder Bades Auto-Karussell, man konnte den Fußballern von Spiel und Sport Bergedorf auf dem Waldschlossplatz zusehen, mit der Bergedorfer Turnerschaft von 1880 auf eine Oster-Wanderung gehen, die Zirkus-Roberti-Schau auf dem Marktplatz in Sande besuchen (BZ vom 11. April) oder sich eine Karte für das Union-Theater („Das höchste Gesetz der Natur“, Wild-West) bzw. das Neue Hansa-Kino („Die Augen der Mumie Ma“) kaufen oder das Theaterstück „Die Jagd nach dem Glück“ in Boberg anschauen (BZ vom 19. April).

Hundert Jahre später sind die allermeisten Lokalitäten verschwunden. Von den Vereinen mit so schönen Namen wie „Unverdrossen“, „Sängerlust“, „Einigkeit“ und „Vorwärts“ (allesamt Gesangvereine), „Frohsinn“ und „Lustige Brüder“ (Tanzklubs) oder „Nie verzagt“ (Musikverein) existieren nur noch wenige: der Unterhaltungsklub Flora  von 1906 aus Neuengamme, der Schießklub Seefeld von 1914 und der noch ältere Unterhaltungsklub Gambrinus von Kirchwärder-Sande mit seinem großen Osterfeuer und dem etwas speziellen Vereinsleben, wie aus Berichten der „Welt“ und der „Latücht“ (S. 14) zum 125. Jahrestag der Vereinsgründung hervorgeht.

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Der Schlussverkauf in Bergedorfs Bekleidungsstelle

Bergedorfer Zeitung, 15. April 1919

Bergedorfer Zeitung, 15. April 1919

Das wird für Freude bei Bergedorfs Textil- und Schuhgeschäftsinhabern gesorgt haben: die Verkaufsstelle der Landherrenschaft sollte zum Ende des Monats schließen: endlich würden sie die ungeliebte Konkurrenz der öffentlichen Hand loswerden, wie es der Verein der Ladeninhaber in einem „Sprechsaal“-Beitrag (BZ vom 7. März) schon Wochen vorher gefordert hatte, sogar Unterschriften für die „Ausschaltung der Kriegsgesellschaften und der Kriegszwangswirtschaft, Einschaltung des freien Handels“ waren in den Läden gesammelt worden (BZ vom 11. März). In den Augen des städtischen Fürsorgeamts war – ebenfalls laut „Sprechsaal“ – die Einrichtung notwendig, weil sie der „Erfüllung [der] behördlichen Fürsorgeverpflichtungen“ für die bedürftige Bevölkerung diene (BZ vom 11. März).

Ein Schlussverkauf mit Preisreduzierung, wie es ihn vor dem Krieg gegeben hatte, war es allerdings nicht: nur Holzstiefel gab es „zu bedeutend herabgesetzten Preisen“, und nur Inhaber von Bezugsscheinen durften die entsprechenden Waren erwerben.

Aber auch die Reichsbekleidungsstelle war dabei, ihr Lager zu räumen, und so erschien am 29. April eine weitere Anzeige, denn es war eine „neue Sendung“  eingetroffen, die auch getragene Textilien und Schürzen umfasste, und die Schließung wurde zunächst auf den 3. Mai verschoben und dann auf Ende September (BZ vom 11. September).

Obwohl die Zwangsbewirtschaftung also noch monatelang blieb und auch private Händler vieles nur auf Bezugsschein verkaufen durften, kam Bewegung in den Einzelhandel, wie die nachfolgenden Annoncen zeigen:

Bergedorfer Zeitung, 31. März 1919

Bergedorfer Zeitung, 16. April 1919

 

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