Neue Infrastruktur für die Vierlande und die Marschlande: Ruin oder blühende Landschaften?

Auch nach Ende des Krieges war die Versorgung der Großstadt Hamburg mit Lebensmitteln unzureichend – das wollte man durch die „Aufschließung“ der Marschlande und der Vierlande ändern: die Gemüseproduktion sollte gesteigert werden.

Gemüse muss aber nicht nur erzeugt werden – es muss zum Verbraucher gelangen, und das war ein Problem: die Marsch war „arm an befestigten Straßen“, in regenreichen Zeiten waren „Wagentransporte … so gut wie unausführbar“, wie es in einer Senatsmitteilung an die Bürgerschaft hieß (S. 521), und die Seitenarme der Elbe waren nur eingeschränkt schifffahrtstauglich, weil schmal und flach:

Elbdeich in Altengamme, frühes 20. Jahrhundert

Dove-Elbe bei Curslack, frühes 20. Jahrhundert

 

Die Verkehrsinfrastruktur wollte der Senat nun ausbauen: die Hamburger Marschbahn war ja bereits im Bau; insgesamt vier neue Straßen sollten als Zuwegungen zu den Marschbahn-Haltestellen geschaffen werden. Verschiedene Straßen sollten gepflastert und neue Straßen parallel zu den vorhandenen Deichen angelegt werden, um dort Gemüsebaubetriebe anzusiedeln. Als Gemüseland waren diese Flächen aber nur durch ein ebenfalls neu zu schaffendes Be- und Entwässerungssytem (siehe hierzu den Beitrag Die Stahlwindturbinen in Warwisch) nutzbar. Den Transport auf Dove- und Gose-Elbe wollte man durch „Regulierung“ dieser Seitenarme erleichtern, was Thema eines folgenden Beitrags sein wird.

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1919

Insgesamt sollte das eine Menge Geld kosten: in einer Besprechung mit den Vorstehern der betroffenen Gemeinden schätzte der Landherr Senator Heinrich Stubbe die Kosten für alle Maßnahmen auf 85 Millionen Mark (BZ vom 24. Mai). Die Hälfte davon sollten die Grundeigentümer der Vier- und Marschlande aufbringen, und das rief parteiübergreifenden Protest der Landgemeinden auf den Plan, die nicht Wachstum und Aufschwung vorhersahen, sondern Entvölkerung und Ruin. Diesen Befürchtungen wiederum hielt ein Vertreter der Finanzbehörde entgegen, dass die Kosten ja noch gar nicht feststünden – ob das die Gemüter beruhigte, darf man bezweifeln – und alles zum Vorteil der Landbewohner geschehe: „Sie hätten in erster Linie den Nutzen.“ (BZ vom 30. Mai)

In der Bürgerschaftssitzung am 27. August wurde dann die Senatsvorlage „betreffend Straßenbauten im marschländischen Landgebiet“ beraten. Man begrüßte allseits die geplanten Baumaßnahmen, allerdings nur im Prinzip; die Kostentragung blieb umstritten. Am Ende wurden die beantragten 10.151.940 Mark für 46,639 Kilometer Straßenbau bewilligt und man „verwies den übrigen Teil der Vorlage an einen Ausschuß.“ (BZ vom 28. August) Über die finanzielle Beteiligung der Landgemeinden konnte dort wirklich in aller Ruhe beraten werden, denn die Abgabe sollte erst nach Fertigstellung der Straßen ab dem Steuerjahr 1926 erhoben werden (Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1919, S. 521-527).

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