Es sträuben sich die Nackenhaare …

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1921

BZ, 18. August 1921

Die Bergedorfer Zeitung glaubte nicht an Wunderheiler, sonst hätte sie wohl nicht in einem so mokanten Ton über den neuen Wunderdoktor vom Neuengammer Hinterdeich berichtet, der per Anzeige seine Dienste anbot.

Ohdes Rat folgte der Methode des kürzlich verstorbenen „Schäfer Ast“, der auf der anderen Elbseite (in Radbruch bei Winsen an der Luhe) lange Jahre erfolgreich gewirkt hatte – jedenfalls wirtschaftlich erfolgreich, und Ohde hoffte als Epigone sicher auf ähnlichen Wohlstand.

Bergedorfer Zeitung, 16. August 1921

Philipp Heinrich Ast hatte die „Nackenhaardiagnose“ praktiziert: ihm hatte die Betrachtung abgeschnittener Nackenhaare unter der Lupe genügt, um Krankheiten zu identifizieren, und er hatte einen Katalog von Tropfen, Salben etc., die Heilung herbeiführen sollten, wie auf chronik-ramelsloh.de nachzulesen ist. (Die BZ-Beschreibung des „herrschaftlichen Hauses“ Asts dürfte eher auf die Winsener Apotheke zutreffen, in der Asts Mischungen hergestellt und verkauft wurden – und nach wie vor werden. Das Wohnhaus Asts war ländlicher Art, wie verschiedene Abbildungen zeigen.)

Bergedorfer Zeitung, 25. August 1921

Als der Neuengammer Gemüsebauer eine Woche später seine Annonce erneut erscheinen ließ, wurde sie von einer größeren begleitet, in der zwei Söhne Asts sich als die einzigen legitimen Erben der Heilkunst des Schäfers von Radbruch deklarierten: „keinem Fremden ist das Geheimnis anvertraut worden“, nur sie hätten es. Wie sich das auf die Geschäfte Ohdes auswirkte, ist unbekannt. Er war jedenfalls nicht der einzige, der mit der „Methode Ast“ Geld verdienen wollte: Ernst Julius Buchholz praktizierte einige Jahre später in Hamburg, wo er 1927 wegen (nackenhaarsträubenden) Betrugs zu einer Geldstrafe von 30.000 Mark verurteilt wurde, wie es im Blog von Uwe Ruprecht heißt.

Hinweis: Von August bis Oktober 2021 soll im Winsener Museum im Marstall eine Sonderausstellung stattfinden: „Wunderheilung im Akkord“.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Verkaufe Göpel – Suche Mädchen

BZ, 26. August 1921

BZ, 26. August 1921

Die beiden Anzeigen Wilhelm Bahns standen wahrscheinlich (hoffentlich!) nicht in einem Zusammenhang, auch wenn sie am selben Tag in der Zeitung erschienen.

Ein Göpel war eine Kraftmaschine, die Wilhelm Bahn nun verkaufen wollte – wahrscheinlich war es Zufall, dass er am selben Tag via BZ ein (Dienst-)Mädchen suchte, denn man kann sich kaum vorstellen, dass er den Göpel durch ein – wenn auch kräftiges – Mädchen ersetzen wollte.

Göpel wurden vielfach durch Pferde angetrieben und in der Landwirtschaft vor allem als Kraftquelle für Dreschkästen oder Dreschmaschinen eingesetzt – eine Abbildung des Freilichtmuseums Kiekeberg zeigt die Funktionsweise: je nach Größe des Göpels waren ein bis vier Pferde in der Weise angeschirrt, dass sie im Kreis laufend ein Räderwerk antrieben, das die Rotation auf eine Maschine übertrug, was für die Pferde stark belastend war, wie bei Wikipedia nachzulesen ist.

BZ, 20. Januar 1921

Für seinen Göpel hatte Bahn keine Verwendung mehr, denn das Landgebiet hatte ja Elektrizität erhalten – ein (Elektro-)Motor trat bei ihm an die Stelle von Muskelkraft. Das war auch bei anderen der Fall: im Anzeigenteil der BZ fanden sich 1921 vier Annoncen, die gebrauchte Göpel zum Verkauf stellten, dagegen nur eine, die solche suchte, und man darf vermuten, dass die in Bergedorf ansässige Landwirtschaftliche Maschinenzentrale diese in ländliche Gegenden ohne Elektrizität „exportieren“ wollte.

BZ, 14. Dezember 1920

Bemerkenswert ist eine Anzeige aus Allermöhe, die nicht nur den Grund des Verkaufs, die Motorisierung, nannte, sondern einen „Bergedorfer Göpel“ anbot. Damit meinte er sicher ein Produkt des Bergedorfer Eisenwerks: der Unternehmensgründer Wilhelm Bergner war mit der Produktion landwirtschaftlicher Maschinen gestartet und stellte u.a. „Göpel- oder Rosswerke“ (für bis zu acht Pferde) und Dreschmaschinen her (Bergedorfer Industrie Band I, S. 21ff., mit Abbildungen, auch eines Hundegöpels), gab diesen Produktionszweig aber 1901 auf (ebd., S. 42). Wie „gut erhalten“ mag der Göpel des Allermöher Bauern nach also (mindestens) zwanzig Jahren noch gewesen sein?

Hinweis: ein Relikt der Göpel-Zeit steht noch am Curslacker Deich: eine überdachte Göpel-Anlage von 1848, noch im 19. Jahrhundert zum Wohnhaus umgebaut, im 20. Jahrhundert restauriert und mit Dachgauben versehen, wie auf ochsenwerder.de zu lesen und zu sehen ist.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Das sich vervollkommnen wollende Mädchen

BZ, 17. August 1921

Sich vervollkommnen und dabei auch noch ein Taschengeld beziehen, mit Familienanschluss – welches junge Mädchen wird das in dem schwierigen Jahr 1921 rundweg abgelehnt haben?

Aber: es war eine Stellenanzeige, und die hätte die Ehefrau des Domänenpächters Plass von der Riepenburg auch anders formulieren können: „Dienstmädchen mit Grundkenntnissen in allen Haushaltsarbeiten/Hausfrauentätigkeiten gesucht. Muss im Hause wohnen. Kein Gehalt, nur Taschengeld.“ Das hätte weniger attraktiv geklungen, aber wäre ehrlicher gewesen.

Immerhin: „Keine Leutebeköstigung“ wurde zugesichert – das Mädchen sollte also nicht bei der Essensversorgung der Landarbeiter eingesetzt werden. Was es sonst zu tun hatte (Kochen, Waschen, Bügeln, Nähen, Hausreinigung …), wurde nicht genannt, ebensowenig die Arbeitszeiten und -bedingungen. Untergebracht war sie vermutlich gemeinsam mit dem anderen Mädchen im Souterrain, wo sich laut der bei Simone Vollstädt (S. 39) abgebildeten Bauzeichnung das Mädchenzimmer befand.

Welche Rechte so ein „Mädchen“ hatte, war nicht präzise zu eruieren: die alte Gesindeordnung war Ende 1918 aufgehoben worden, eine neue Rechtsgrundlage gab es bisher nicht. Im Herbst 1921 dann legte die Reichsregierung den Entwurf eines Hausangestelltengesetzes vor, der aber höchst umstritten war: der Bergedorfer Hausfrauenverein lehnte ihn ebenso ab (BZ vom 15. November 1921) wie der Verband der Hausangestellten Deutschlands, dessen Vorsitzende ihn im Zentralorgan des Verbands detailliert geißelte: „Hier haben bei der Bearbeitung Männer und Frauen der neuen Zeit gefehlt. Es riecht nach Moder.“ Angesichts der vorgesehenen „Arbeitsbereitschaft“ von dreizehn Stunden täglich bei einer Sieben-Tage-Woche (mit an zwei Tagen verkürzter Arbeitsbereitschaft), der Gewährung von einer Woche Jahresurlaub erst nach neunmonatiger Beschäftigung im selben Haushalt, um nur einige Punkte aus der Stellungnahme herauszugreifen, dürfte eine Beschäftigung als Mädchen eher der Abhärtung als der Vervollkommnung genützt haben.

Das Gesetz kam offenbar nicht zustande – zumindest war es im Reichsgesetzblatt von 1921 und 1922 nicht auffindbar.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Neues vom Auto-Omnibus

Bergedorfer Zeitung, 20. August 1921

Von nun an konnten die Bergedorfer per Bus nach Schiffbek (heute: Billstedt) gelangen, und auch in die umgekehrte Richtung gab es täglich zwei Verbindungen. Damit wurde den an der Strecke liegenden Gemeinden Sande, Boberg, Kirchsteinbek und Schiffbek ein Wunsch erfüllt, der ihnen immerhin 5.000 Mark Ausfallbürgschaft wert war (BZ vom 9. Februar und 7. März 1921). Die 1920 eingerichtete Autobusverbindung von Mölln bis Bergedorf war also verlängert worden, und es kam ein zweiter Bus zum Einsatz.

Bergedorfer Zeitung, 20. August 1921

Wie der neue Fahrplan zeigt, waren Bus und Eisenbahn sogar (in Schwarzenbek und Bergedorf sowie von Lübeck nach Mölln) vertaktet, allerdings ohne Gewähr für die Innehaltung der Fahrzeiten, wie es in der Anmerkung zum Fahrplan heißt. Vielleicht war die Vertaktung also eher theoretischer Art.

Die „Stammlinie“ Mölln – Schwarzenbek – Bergedorf war offenbar nicht wirtschaftlich zu betreiben: erst wurde das Teilstück nach Bergedorf eingestellt, dann auch die verbliebene Strecke Mölln – Schwarzenbek (BZ vom 23. September und 24. November 1921). Meldungen über die Stilllegung der Linie Bergedorf – Schiffbek gab es 1921 nicht, aber auch keine Mitteilung, dass man vom Versuchs- in den Regelbetrieb übergegangen war.

Eine Verbindung Geesthacht – Lauenburg – Büchen war ausgesprochen kurzlebig: sie wurde (von demselben Betreiber) am 22. Oktober eingerichtet und am 8. November wegen Unrentabilität wieder eingestellt (BZ vom 15. Oktober und 8. November 1921). Es war offenbar keine gute Zeit für diese Art von öffentlichem Personennahverkehr.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Das Stadtexperiment von Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1921

Musste man Gedankenleser sein, um zu erkennen, was Herr José Sibian bei seinem Gastauftritt im Union-Theater präsentieren wollte? Nein – es genügte, zu den Lesern der Bergedorfer Zeitung zu gehören, denn diesen waren der Name und die Kunst des Herrn seit knapp einer Woche bekannt: José Sibian war Telepath. Also er war es, der Gedanken lesen musste und – glaubt man dem Bericht vom Vortag – dieses auch konnte.

Bergedorfer Zeitung, 8. August 1921

An diesem Sonntag vor seiner Präsentation im Union-Theater hatte Sibian mit seinem „Stadtexperiment“ für einen großen Auflauf gesorgt, der Markt war „schwarz voll Menschen“, die allerdings wenig zu sehen bekamen. Der Redakteur der BZ war mächtig beeindruckt von dem Experiment, an dem er als Beobachter teilgenommen zu haben scheint: Sibian musste auf einer Rundtour durch Bergedorf eine Reihe von Aufgaben erledigen, von denen Skeptiker sagen würden, dass wohl geschummelt wurde dabei: vermutlich hätte alles nicht geklappt, wenn zur angeblichen Telepathie nicht noch der Handgelenks-Kontakt zu den drei „Unparteiischen“ gekommen wäre, und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass gerade das Union-Kino (und nicht etwa das Hansa-Kino) für eine Reihe telepathischer Höchstleistungen aufzusuchen war, darunter der fingierte Diebstahl von Kinokarten.

BZ, 13. August 1921

Die Werbeanzeigen in der BZ für José Sibian waren zunächst groß, aber die erhoffte Teilnehmerzahl bei den Vorführungen wohl nicht, denn die Annonce, die seinen letzten Bergedorfer Auftritt fünf Tage später ankündigten, war eher zu einer Kleinanzeige geschrumpft. Vielleicht hatte der Künstler aber die Gedanken der Bergedorfer gelesen und gefolgert, dass auch das kostensparendere Format ihm und dem Kinobetreiber ausreichend Besuch bescheren würde.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Markenbrot und markenfreies Brot

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1921

Das Markenbrot wurde teurer, erstmals seit mehr als einem Jahr. Dafür fiel die Steigerung um so heftiger aus, und es folgten bis Jahresende sogar noch mehr Erhöhungen.

Es gab weiterhin Brotrationen auf Marken, für einen Erwachsenen 1.900 Gramm pro Woche. Die preisgünstigste Sorte „Markenbrot“, das (Roggen-)Grobbrot, das im Mai 1920 noch 2,20 Mark für 1.000 Gramm gekostet hatte, wurde nun auf 3,40 verteuert. Nach zwei weiteren Preisrunden waren 3,90 Mark zu zahlen, also zehnmal mehr als noch Mitte 1918: da waren es 38 Pfennige gewesen. Die Preise für die anderen Brotsorten stiegen zwischen 625 und 894 Prozent in diesen dreieinhalb Jahren (BZ vom 8. Juni 1918, 3. Mai 1920, 8. August, 27. Oktober und 23. Dezember 1921, Preise hier ggf. umgerechnet auf 1.000 Gramm).

Immerhin, die Qualität der Backwaren könnte besser geworden sein: hieß es noch 1920, dass mindestens 10 Prozent Streckungsmittel enthalten sein müssten (BZ: „die gewagtesten Streckungsmittel“, BZ vom 14. August 1920), so durfte ab Mitte August 1921 nur noch Gerstenmehl dem Markenbrot beigemischt werden, und ab diesem Zeitpunkt gab es sogar Brot ohne Beimischungen: es kam „markenfreies“ Brot in den Handel, das gemäß einer Festlegung der Bäckerinnung Hamburg weder Kartoffel- noch Hafer- oder Maismehl oder andere „Beigaben“ enthielt. Das hatte jedoch seinen Preis: für ein „Wittenberger Brot“ wurden im August 1921 bereits 8,00 Mark für tausend Gramm gefordert; ein Roggen-Landbrot gab es für 4,00 Mark pro Kilogramm (BZ vom 8., 12. und 24. August 1921). Die etwas Zahlungskräftigeren konnten sich nun besseres Brot gönnen und verzehrten vielleicht auch mehr.

Der Preis für das Markenbrot war und blieb subventioniert: die Landwirte mussten den größeren Teil des von ihnen geernteten Brotgetreides zu einem festgesetzten Höchstpreis abliefern. Der Brotpreis wurde dadurch stabilisiert, wofür das Reich über 10 Milliarden Mark aufwandte – das Geld kam aus der Notenpresse. Die angekündigte Subventionskürzung wiederum führte zur Forderung der Gewerkschaften nach höheren Löhnen (BZ vom 19. Juli 1921), und mit höheren Lohn- und gestiegenen anderen Kosten wurden dann die weiteren Preiserhöhungen begründet (BZ vom 27. Oktober, 11. November und 2. Dezember 1921) …

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Eierkochen im Sande?

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1921

War es wirklich so heiß gewesen in Bergedorf, dass man Eier im Sand kochen konnte? Immerhin, es hatte einen Hitzerekord von 32 Grad Lufttemperatur gegeben, die Bodentemperatur an der Sternwarte hatte sogar 42 Grad betragen. Da schrieb die Bergedorfer Zeitung: „Es bewahrheitete sich also das Sprichwort, daß man Eier im Sande kochen kann, denn bei 42 Grad wird das Eiweiß tatsächlich fest.“

Tatsächlich? Wurde das Experiment wirklich durchgeführt, und wenn ja, von wem? Hat diese Person anschließend das Ei verzehrt, und wie hat es ihr geschmeckt?

Wenn sich die Eigenschaften von Eiweiß in den letzten hundert Jahren nicht grundlegend geändert haben, sind die Angaben zu bezweifeln, selbst wenn es 42 Grad Réaumur, entsprechend 52,5 Grad Celsius, gewesen sein sollten: Eiweiß, auch Eiklar genannt, benötigt 70 Grad Celsius um zu „denaturieren“, d.h. fest zu werden, wie auf einer vertrauenswürdig erscheinenden Eierkochseite des Westdeutschen Rundfunks nachzulesen ist: „Wer also ein Ei bei 68° C kocht kann sicher sein, dass das Eiklar flüssig bleibt. Ob es sich [sic!] dann jedoch als Frühstücksei taugt, wage ich zu bezweifeln.“

Über eventuelle Wiederholungen des Kochversuchs im Sande konnte die BZ 1921 nicht berichten, denn die Temperaturen wurden in jenem Jahr nicht wieder erreicht. Bei 42° C übrigens denaturieren „einige Proteine der roten Blutkörperchen“, wie es bei Wikipedia heißt.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Die Modernisierung der ländlichen Feuerwehren

Bergedorfer Zeitung, 3. August 1921

In allen Dörfern des Landgebiets wurde die Einführung von Motorspritzen für die Feuerwehr beschlossen, so wie hier Kirchwärder – das waren aber keine Motorfahrzeuge: lediglich die Druckpumpen hatten Verbrennungsmotoren, gezogen wurden sie von Pferden.

Heutzutage liegen in jeder Straße Hydranten, aus denen die Feuerwehr bei Bränden ihr Löschwasser erhält – vor hundert Jahren gab es in den Dörfern der Landherrenschaften noch keine Wasserleitungen, und die Feuerwehr musste sehen, wie sie an Wasser kam. Das konnte höchst problematisch sein, wie man bei dem Großfeuer in Zollenspieker bitter erfahren musste. Die örtlichen Wehren verfügten meist nur über von Hand betriebene Spritzen (siehe die Abbildung bei den Hamburger Feuerwehr-Historikern), die nur wenig leistungsfähig waren und viel Personal benötigten, das immer schwieriger zu beschaffen war, wie die Gemeindevertretung von Curslack beklagte (BZ vom 30. Mai 1921).

Kurz vorher hatte die Hamburger Feuerwehr eine Motorspritze vorgeführt, und die anwesenden Löschvorstände der Vierländer Wehren waren beeindruckt: der acht PS starke Vierzylindermotor (BZ vom 23. Mai 1921) machte es möglich, „das Wasser bis zur [Curslacker] Kirchturmsspitze hinaufzubringen“, wie es in der Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Curslack heißt. Davon waren die Gemeindevertretungen ebenfalls angetan; sowohl Curslack als auch Kirchwärder beschlossen den Kauf einer solchen Einrichtung, die immerhin 60.000 Mark kosten sollte.

Offenbar blieb die vorgeführte Motorspritze in Curslack, wie die FF Curslack (ebd.) schreibt – sie war damit die modernste in den Vierlanden. Bis die anderen Wehren ihre Motorspritzen erhielten, dauerte es noch – die im Internet verfügbaren Informationen sind z.T. widersprüchlich: folgt man der durchaus informativen Darstellung der Feuerwehrhistoriker Hamburg, so bekamen die Wehren Curslack und Kirchwärder Süden Seite die neuen Geräte 1924 – folgt man den Chroniken der Wehren, die wohl verlässlicher sein dürften, erhielten die Kirchwärder Wehren im April 1923 (Südseite) bzw. 1925 (Nordseite) die von Pferden zu ziehenden Anhänger mit Motorspritzen, Curslack 1924 bereits eine neue. 1926 kam dann die FF Neuengamme an die Spitze des Fortschritts: sie erhielt das erste Feuerwehr-Motorfahrzeug des Landgebiets.

Die Motorspritze der FF Kirchwärder Süden Seite vor dem Zollenspieker Fährhaus (Sammlung Söhnke Marquardt)

Löschvorführung der Motorspritze der FF Kirchwärder Süden Seite (Sammlung Söhnke Marquardt)

 

 

 

 

 

 

Bergedorfer Zeitung, 3. Januar 1921

Aber wahrscheinlich wäre in dem nebenstehend geschilderten Fall auch die allermodernste Feuerwehr machtlos gewesen, denn das Spritzenhaus lag zu weit entfernt. Dietrich Timm ließ den Nachfolgebau in Massivbauweise mit Hartbedachung errichten, und dieser hat die Zeiten überdauert.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Der erbitterte Streit um die Flaggenfarben

BZ, 28. Juli 1921

Hinter der scheinbar unschuldigen Kleinanzeige stand ein erbitterter Streit: die neuen Farben des Reichs waren schwarz-rot-gold – Herr Michaelsen aus Bergedorf suchte aber eine schwarz-weiß-rote Flagge.

Dahinter stand ein mit harten Bandagen geführter Streit, denn es gab neben der Reichsflagge auch die von Seeschiffen zu führende „Handelsflagge“ – im Kaiserreich war sie identisch mit der Reichsflagge gewesen.

Die Weimarer Nationalversammlung hatte dies bereits 1919 entschieden und in Artikel 3 festgelegt: „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.“ Man kann fragen, warum es so lange dauerte, aber im Frühjahr 1921 hatte der Reichspräsident bekanntgemacht, dass die „alte“ Handelsflagge nur bis Ende des Jahres gehisst werden durfte (BZ vom 27. April 1921), und das rief die Freunde von Schwarz-weiß-rot auf den Plan: „Unter diesen Farben habe Deutschland sich entwickelt und sich Achtung bei allen Völkern erworben“, gab die BZ aus einer Rede des Hansaschul-Direktors Prof. Ohly vor dem Bergedorfer Militärverein Germania wieder: „Die Rede fand rauschenden Beifall, und stehend sang die Versammlung des Flaggenlied.“ (BZ vom 11. Juli 1921)

Ohly sagte zwar, dass die Flaggenfrage keine politische sei, aber das Flaggenlied war ein politisches, unter anderem wegen der Zeilen: „Es tönet hell durch Deutschlands Gau’n – Heil! Kaiser Wilhelm dir! – Du kannst auf uns’re Treue bau’n – Wir folgen mutig dir!“ Und so liegt die Vermutung nahe, dass die Frage der Handelsflagge nur vorgeschoben war: man wollte zurück in die angeblich goldene Vergangenheit.

Natürlich war dies keine Bergedorfensie: die Senate der drei Hansestädte hatten sich für die alte Handelsflagge ausgesprochen (BZ vom 24. Juni), ein entsprechender Antrag im Reichstag hatte nicht die nötige verfassungsändernde Mehrheit erreicht (BZ vom 28. Juni), bei einer Debatte in der Hamburger Bürgerschaft hatten die „Tumultszenen“ zu einer zweistündigen Sitzungsunterbrechung geführt (BZ vom 9. Juli), und ein „Bürgerbund Hamburg-Altona-Wandsbek“ führt eine Protestversammlung und einen Flaggenkorso auf der Außenalster durch (BZ vom 30. Juli und 1. August) – und vielleicht dafür suchte der Bergedorfer Michaelis seine Flagge. Am Tage dieses Bootskorsos demonstrierten andere (nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland und den Entente-Ländern) unter dem Motto „Nie wieder Krieg“. Über diese Kundgebung berichtete die BZ, die die Bürgerbund-Veranstaltungen detailliert und überschwänglich gefeiert hatte, mit deutlicher Kritik: „in Hamburg wurde sie leider bewußt zur Gegendemonstration gegen die Schwarz-weiß-rot-Kundgebung am Tage vorher gemacht.“ (BZ vom 1. August)

In Bergedorf zeigte sich der Flaggenstreit in Form von Diebstählen:

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1921

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1921

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Der Geschäftsbericht der Produktiven Erwerbslosenfürsorge Bergedorf-Sande

Bergedorfer Zeitung, 27. Juli 1921

Die Ende 1920 beschlossene Produktive Erwerbslosenfürsorge hatte eine Menge bewegt, vor allem Erde – insofern war dieses Bergedorf-Sander Gemeinschaftsvorhaben erfolgreich. Das Finanzierungskonzept über eine freiwillige Selbstbesteuerung war dagegen nur in Ansätzen aufgegangen: freiwillige Beiträge der Geschäftsleute, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sollten ja die Beschäftigung von Arbeitslosen bei gemeinnützigen Projekten ermöglichen. Die Bergedorfer Kommunisten lehnten dies als Unfug ab; sie verlangten u.a. die Einstellung aller Arbeitslosen in die vorhandenen Betriebe; stillgelegte Betriebe sollten reaktiviert werden (BZ vom 6. Januar und 31. März 1921).

63.000 Mark waren im ersten Halbjahr von den potentiellen Zahlern eingegangen, offenbar weit weniger als erwartet, und so wurde am Ende des hier von der BZ wiedergegebenen Geschäftsberichts der Appell wiederholt, sich solidarisch an den Zahlungen zu beteiligen. Die Freiwilligkeit hielt sich also in Grenzen – über den Daumen gepeilt wurde wohl nicht einmal eine Mark monatlich pro Beschäftigtem gespendet –, und die öffentlichen Zuschüsse vor allem aus den (klammen) Stadtkassen von Bergedorf und Sande mussten den größten Teil der Ausgaben decken, die Reichszuschüsse machten weit weniger als zehn Prozent aus.

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1921

Die freiwilligen Beiträge von Firmen und Bevölkerung nahmen im zweiten Halbjahr des Jahres deutlich zu, auf gut 110.000 Mark, doch die Aktion wurde nach zehn Monaten „vorläufig aufgehoben“, obwohl die Projektliste längst nicht abgearbeitet war (BZ vom 17. Dezember 1920) – offenbar standen für die schwere körperliche Arbeit geeignete Arbeitslose nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar