Hinter der scheinbar unschuldigen Kleinanzeige stand ein erbitterter Streit: die neuen Farben des Reichs waren schwarz-rot-gold – Herr Michaelsen aus Bergedorf suchte aber eine schwarz-weiß-rote Flagge.
Dahinter stand ein mit harten Bandagen geführter Streit, denn es gab neben der Reichsflagge auch die von Seeschiffen zu führende „Handelsflagge“ – im Kaiserreich war sie identisch mit der Reichsflagge gewesen.
Die Weimarer Nationalversammlung hatte dies bereits 1919 entschieden und in Artikel 3 festgelegt: „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.“ Man kann fragen, warum es so lange dauerte, aber im Frühjahr 1921 hatte der Reichspräsident bekanntgemacht, dass die „alte“ Handelsflagge nur bis Ende des Jahres gehisst werden durfte (BZ vom 27. April 1921), und das rief die Freunde von Schwarz-weiß-rot auf den Plan: „Unter diesen Farben habe Deutschland sich entwickelt und sich Achtung bei allen Völkern erworben“, gab die BZ aus einer Rede des Hansaschul-Direktors Prof. Ohly vor dem Bergedorfer Militärverein Germania wieder: „Die Rede fand rauschenden Beifall, und stehend sang die Versammlung des Flaggenlied.“ (BZ vom 11. Juli 1921)
Ohly sagte zwar, dass die Flaggenfrage keine politische sei, aber das Flaggenlied war ein politisches, unter anderem wegen der Zeilen: „Es tönet hell durch Deutschlands Gau’n – Heil! Kaiser Wilhelm dir! – Du kannst auf uns’re Treue bau’n – Wir folgen mutig dir!“ Und so liegt die Vermutung nahe, dass die Frage der Handelsflagge nur vorgeschoben war: man wollte zurück in die angeblich goldene Vergangenheit.
Natürlich war dies keine Bergedorfensie: die Senate der drei Hansestädte hatten sich für die alte Handelsflagge ausgesprochen (BZ vom 24. Juni), ein entsprechender Antrag im Reichstag hatte nicht die nötige verfassungsändernde Mehrheit erreicht (BZ vom 28. Juni), bei einer Debatte in der Hamburger Bürgerschaft hatten die „Tumultszenen“ zu einer zweistündigen Sitzungsunterbrechung geführt (BZ vom 9. Juli), und ein „Bürgerbund Hamburg-Altona-Wandsbek“ führt eine Protestversammlung und einen Flaggenkorso auf der Außenalster durch (BZ vom 30. Juli und 1. August) – und vielleicht dafür suchte der Bergedorfer Michaelis seine Flagge. Am Tage dieses Bootskorsos demonstrierten andere (nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland und den Entente-Ländern) unter dem Motto „Nie wieder Krieg“. Über diese Kundgebung berichtete die BZ, die die Bürgerbund-Veranstaltungen detailliert und überschwänglich gefeiert hatte, mit deutlicher Kritik: „in Hamburg wurde sie leider bewußt zur Gegendemonstration gegen die Schwarz-weiß-rot-Kundgebung am Tage vorher gemacht.“ (BZ vom 1. August)
In Bergedorf zeigte sich der Flaggenstreit in Form von Diebstählen: