Fortschritt 1919: Vom „Dienstmädchen“ zur „Hausangestellten“

Einen Tarifvertrag für Hausangestellte hielt „eine Bergedorfer Hausfrau“ wohl eigentlich für unnötig, sogar schädlich für die Hausangestellten. Dem widersprach Anna Standhardt: Fabrikarbeiterinnen hätten ein besseres Los als die in bürgerlichen Haushalten Beschäftigten.

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1919

Bergedorfer Zeitung, 6. September 1919

Anna Standhardt sprach für die Ortsgruppe Bergedorf des Verbands der Hausangestellten, die erstmals im April 1919 in der BZ aufgetaucht war: per Anzeige hatte sie alle Hausangestellten aufgefordert, am 1. Mai, dem „Feiertag der Hausangestellten“, die Arbeit ruhen zu lassen und sich in den Demonstrationszug von SPD und Gewerkschaftskartell („unter Nr. 9“) einzureihen (BZ vom 30. April 1919). Nun wurde die Forderung nach einem Tarifvertrag erhoben, auch ein Schlichtungsausschuss für „Streitigkeiten zwischen Herrschaft und Dienstboten“ sollte wegen sich überhäufender Streitfragen geschaffen werden.

Die „Bergedorfer Hausfrau“ war durchaus dafür, eine Hausfrauen-Organisation als Widerpart zum Verband der Hausangestellten zu schaffen, aber sie sah nicht den Verband, sondern die verantwortungsbewussten Hausfrauen als die „wahren Freunde“ der Hausangestellten, da der Verband „das in die Hausgemeinschaft aufgenommene Mädchen in Arbeitszeit und Freiheit zur Fabrikarbeiterin machen“ wolle – die Mädchen verzichteten doch freiwillig auf einen Teil ihrer Freiheit, wie sie in einem weiteren Leserbrief schrieb (BZ vom 11. September 1919). Anna Standhardt wies dies zurück: das Los einer Fabrikarbeiterin sei „ein weit besseres“ als das einer Hausangestellten, und diese Argumentation ist durchaus einleuchtend: für Arbeiterinnen (und Arbeiter) in Industrie, Handel und Gewerbe war der Achtstundentag längst eingeführt, und außerhalb der Arbeitszeit war man frei.

Für Hausangestellte, summarisch Dienstboten genannt, hatte es bis Dezember 1918 die Dienstbotenordnung (online) gegeben, nach der der Ausgang der Bediensteten fast uneingeschränkt im Belieben der Herrschaft stand (§ 11). Regelungen zur Arbeitszeit gab es keine, und bei Streitigkeiten wurde die „Gesindepolizei“ als erste Instanz eingeschaltet – doch die Dienstbotenordnung war vom Arbeiter- und Soldatenrat außer Kraft gesetzt worden (BZ vom 3. Dezember 1918), sodass der danach bestehende Zustand geradezu nach Tarifvertrag und Schlichtungsausschuss schrie.

Der Schlichtungsausschuss kam recht bald: das städtische Arbeitsamt richtete „aufgrund einer Anregung“ eine Schlichtungsstelle mit neutralem Vorsitz und Beisitzern der Hausangestellten- und Arbeitgeberseite ein (BZ vom 11. November 1919); über ihr Wirken berichtete die BZ nicht.

Die bürgerlichen Frauen organisierten sich am 15. Dezember im Hausfrauenverein Bergedorf, der sich neben der „Lösung der Angestelltenfrage“ in Kursen und Veranstaltungen auch mit hauswirtschaftlichen Fragen befassen sollte (BZ vom 11. und 19. Dezember 1919).

 

 

 

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