Spendenaufrufe und Sprachwandel

Bergedorfer Zeitung, 12. Dezember 1921

BZ, 17. Dezember 1921

 

 

 

 

Würde heute mit solchen Worten zu Spenden aufgerufen, so wäre Entrüstung und nicht Geldeingang die Folge. Die im 21. Jahrhundert als diskriminierend empfundenen Worte waren aber bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus üblicher Sprachgebrauch, wie z.B. aus der Wortverlaufskurve zu dem Begriff „Idiotenanstalt“ des Deutschen Digitalen Wörterbuchs hervorgeht.

Über die Einrichtung in Angerburg war nichts Näheres in Erfahrung zu bringen, wohl aber über die in Hamburg gelegenen Alsterdorfer Anstalten:

Die Wurzeln der Alsterdorfer Anstalten lagen im hamburgischen Moorfleet, wo im Jahr 1850 Pastor Heinrich Matthias Sengelmann eine kleine Christliche Arbeitsschule für sozial benachteiligte Kinder gegründet hatte, über die er in seiner Schrift Das Nicolai-Stift zu Moorfleth (online-Link) berichtete. Die Verlegung nach Alsterdorf (1860) und den weiteren Ausbau schilderte er in seinem Buch Die Alsterdorfer Anstalten – Ein Lebensbild (online-Link); die heutige Evangelische Stiftung Alsterdorf liefert einen geschichtlichen Überblick bis in die Jetztzeit, der auch die dunklen Phasen beleuchtet und nicht nur die Ruhmesblätter der Institution enthält.

Sengelmann benutzte in seinen Schriften den Begriff „Idiot“ häufig, aber nicht als Schimpfwort oder im diskriminierenden Sinne für einen bildungsunfähigen Menschen, sondern deskriptiv. Seine Bemühungen um diese Personen waren für seine Zeit fortschrittlich.

Die in den Anzeigen benutzten Begriffe sind auf den Seiten der Einrichtung nur noch im historischen Teil zu finden.

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Der aufschlussreiche PR-Artikel für die Fortbildungsschule

Bergedorfer Zeitung, 9. Dezember 1921

An der Fortbildungsschule gab es offenbar heftige Kritik, der dieser PR-Artikel entgegenwirken sollte: er stellte die neue Einrichtung in ein rosiges Licht.

Der Kritik an der Fortbildungsschulpflicht für Mädchen begegnete der Verfasser des Artikels zielgruppengerecht: gegenüber den „Hausmüttern“, also den Chefinnen der jugendlichen Hausangestellten, argumentierte er mit dem Eigennutz der Hausfrauen: sie hätten doch unmittelbare Vorteile davon, dass ihr „Mädchen“ eine umfassende Ausbildung in den Haushaltstätigkeiten erhielte. Die Chefs der Industriebetriebe wurden zunächst darauf hingewiesen, dass sie an die „unabänderliche“ Pflicht zur Unterstützung der Fortbildungsschule gebunden seien. Es folgte der Appell an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung: nur durch gut ausgebildete „tüchtige Hausfrauen“ sei der Wiederaufbau möglich.

Wenn es neben diesen Hauswirtschaftsklassen noch andere gab, die einen Lehrberuf für Mädchen begleiteten, würdigte der Autor sie nicht mit einer einzigen Zeile, und man kann davon ausgehen, dass die allermeisten Mädchen in privaten Haushalten „in Stellung“ standen oder als Industriearbeiterin Beschäftigung fanden.

Die männlichen Jugendlichen dagegen hatten weit überwiegend das Ziel eines Berufsabschlusses nach der Lehrzeit: sie verteilten sich auf 22 „gewerbliche“ und sieben „kaufmännische“ Klassen, zwei weitere Klassen bestanden für ungelernte jugendliche Arbeiter – die Differenzierung schien dem Autor „–b.“ also wichtig. Er beschrieb das Verhältnis von Schule und Betrieb sogar als ein „glückliches Zusammenarbeiten“, also rundum Zufriedenheit.

Lob gab es auch für Bürgermeister Wiesner, der die Raumsituation der Fortbildungsschule durch den Umbau eines der Schulgebäude der Stadtschule am Brink entscheidend verbessert hatte, und erfreut stellte der Verfasser fest, dass sich das Lehrerkollegium „einer ziemlichen Wandlung unterzogen“ hatte, sodass der Fachunterricht „fast ausnahmslos“ durch Personen vom Fach erteilt werden konnte und die Lehrer der Stadtschule nur in den übergreifenden Fächern eingesetzt wurden. Es war eben ein PR-Artikel.

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Die enthüllte Wundergeige und ihr spiritistischer Erfinder

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1921

Mehrere Wochen mussten die Bergedorfer und Sander auf die vom Bücherrevisor Alexander Pichinot hier angekündigte Enthüllungsschrift warten: der „Revalo-Bund“ sollte ins rechte Licht gerückt werden, es sollte Enthüllungen über die „Revalo-Geige“ geben, und auf die Bücher des Geigenerfinders sollte entgegnet werden.

Ein Wort vorweg: weder das dreiteilige Werk Hinrich Ohlhavers „Die Toten leben“, das in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorhanden ist, noch die Schrift Pichinots, die nicht im GVK-Verbundkatalog verzeichnet ist, wurde gelesen – manches lässt sich der Buchvorstellung in der BZ entnehmen.

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1921

Die BZ wollte es offenbar weder mit dem einen noch mit dem anderen verderben und enthielt sich einer Stellungnahme. Sie gab aber durch längere Zitate Pichinot Gelegenheit, seine Ansichten über Ohlhaver und seinen Revalo-Bund zu verbreiten (während Meldungen über die Ohlhaverschen Schriften auch in den Vorjahren nicht gefunden wurden). „Aufsehen erregen“, so die BZ, sollten Pichinots Enthüllungen über die geheimnisvolle Revalo-Geige.

Eine Teilenthüllung war bereits 1920 in der Zeitschrift für Instrumentenbau zu finden gewesen: demnach war das Streichinstrument Ergebnis einer „okkultistischen Offenbarung“, wie Ohlhaver bereits im Vorjahr dem Berliner Tageblatt (Ausgabe vom 22. Januar 1920) erklärt hatte. Aufklärung über die exakten Grundlagen seiner Erfindung hatte er der Zeitschrift aber nicht geben wollen.

Diese Aufklärung lieferte – neben Angriffen auf den Okkultismus – nun Pichinot, und was in der BZ nicht enthüllt wurde, schrieb das Fachblatt der Instrumentenbauer, indem es der gerade erschienenen Schrift breiten Raum widmete: laut Pichinot hatte Ohlhaver neben geigenbaulichen Änderungen (Stellung von Steg und Stimmstock) das Instrument mit Fußbodenlack überzogen. Erst nachdem dieser gerissen war, konnte die Violine „Tragweite“ entwickeln.  „Diese Erfindung hätte sich ohne Tischklopfen ebensogut machen lassen“ (Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 42/1921, S. 400).

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Die gefährliche Winterlust

Bergedorfer Zeitung, 30. November 1921

Der Winter hatte 1921 früh und heftig eingesetzt: wie im Jahr zuvor musste wegen der Kälte und des Eisgangs die Elbschifffahrt eingestellt werden (BZ vom 30. November 1920 und 29. November 1921). Bergedorfs Jugend freute sich, denn auch die Bille war fest zugefroren, natürlich ebenso die „Flußarme im Schlosspark“ (siehe die Karte 1904) und alle weiteren Gewässer mit Ausnahme des Elbstroms.

Kinder und Jugendliche konnten also intensiv der Winterlust auf dem Eis frönen, mit Glitschbahnen und als Schlittschuhläufer, und sie taten es mit großem Eifer und sicher auch großer Freude. Aber ihr Vergnügen war gefährlich, wie die BZ mit Recht schrieb: Natureis, besonders auf Fließgewässern, ist immer riskant. „Die Bille hat in früheren Jahren zur Winterszeit schon manches Opfer gefordert“, und anderenorts waren in diesen Tagen mehrere Jugendliche und Kinder eingebrochen und ertrunken. Die Warnungen und Empfehlungen für eine Verbesserung der Sicherheit auf dem Eis der Bille waren also berechtigt und sinnvoll.

Vielleicht betonte die BZ die Gefahren so sehr, weil sie einige Tage vorher die Bitte der Schlittschuhläufer wiedergegeben hatte, eine „künstliche Eisbahn“ auf dem Frascatiplatz zu schaffen, wie es sie vor dem Krieg gegeben hatte: „Sehr ins Gewicht fallend ist unserer Meinung auch der Hinweis auf die absolute Ungefährlichkeit dieser Bahn.“ Zumindest in diesem Winter folgten die Stadtväter und -mütter dem Appell nicht (BZ vom 26. November), vielleicht wegen der Schlammwüste, die bei Tauwetter entstanden wäre und die Nutzung des Frascatiplatzes als Sportplatz stark beeinträchtigt hätte.

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Das Paradies und der Schaffner

Bergedorfer Zeitung, 5. Dezember 1921

Es soll ja auch früher vorgekommen sein, dass jemand aus dem Paradies vertrieben wurde, aber wohl nicht von einem Eisenbahnschaffner. Doch wer bei Kälte die Wahl hat, bevorzugt ein geheiztes Bahnabteil (= Paradies, wie es im Leserbrief heißt) einem ungeheizten, was im hier geschilderten Fall aber eine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit erforderte.

Die Rollen waren bei den zwei Bergedorfer Ehepaaren klar verteilt: die Männer waren nicht nur im Hause die Herren, sondern auch in der überfüllten Eisenbahn: die Frauen hätten im leeren Frauenabteil eines beheizten Wagens der 2. Klasse bequem und gemütlich Platz nehmen können, ihre Ehemänner hätten wohl oder übel in den angehängten ungeheizten Wagen steigen müssen – wenn sie Anstand besessen hätten, hätten sie die Damen gedrängt, im Warmen zu sitzen statt mit ihnen zu frieren.

Aber der Verfasser des Leserbriefs fühlte sich ungerecht behandelt, als der Wechsel der „vor Frost klappernden Damen“, begleitet von ihren Eheherren, in das immer noch leere Frauenabteil erfolgte und der Schaffner die Männer wegen rechtswidrigen Aufenthalts in diesem Compartement desselben verweisen wollte, obwohl die Ehefrauen die Mitnutzung genehmigt hatten. Am Zielbahnhof mussten die Fremdnutzer dann sogar „als arme Sünder den Weg zur Kriminalstation antreten“, weil der Bahnbeamte nicht Gnade vor Recht ergehen ließ.

Bergedorfer Zeitung, 12. Mai 1921

Die Wiedereinführung separater Frauenabteile bei der Reichsbahn war erst wenige Monate vorher erfolgt, zusammen mit Nichtraucherbereichen in der 4. Klasse. Obwohl der im Leserbrief genannte Zug überfüllt war, kann man aus dieser Reservierung von Zugbereichen schließen, dass generell die Überbelegung der Züge zurückgegangen war.

Frauenabteile gibt es bei der Deutschen Bahn heute nicht mehr, und die Nichtraucherbereiche wurden auf einhundert Prozent der Plätze ausgedehnt.

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Die Mittagsschließung der Geschäftslokalitäten

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1921 (verkleinert)

Zahlreichen Geschäftsinhabern lag das Interesse des Personals ebenso am Herzen wie die sorgsame Bedienung der Kunden, weshalb sie eine mittägliche Schließzeit von zweieinhalb Stunden einführten – das war jedenfalls die hier gegebene Begründung.

Die Entscheidung könnte auch andere Gründe gehabt haben: waren die Umsätze zu gering und wollte man so Lohnkosten sparen? Die Inserenten waren primär Textil- und Schuhhändler – die Lebensmittelgeschäfte griffen jedenfalls nicht zu so einer Maßnahme, und folglich könnte man die These aufstellen, dass viele Kunden genug Probleme hatten, angesichts der steigenden Preise ihren täglichen Grundbedarf zu decken und dafür an neuem Textil- und Schuhwerk sparten.

Bergedorfer Zeitung, 15. November 1921

Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass schlicht nicht genug Angebot vorhanden war: schon eine Woche früher hatte P. Langhans bekanntgemacht, dass er wegen Warenmangels seine Öffnungszeiten reduzierte und nur noch an Stammkunden und andere Einheimische verkaufen wollte. Langhans beteiligte sich übrigens nicht an der Mittagspausen-Aktion – vielleicht machte er bald um den Mittag herum die besten Umsätze.

Bergedorfer Zeitung, 14. Dezember 1921 (verkleinert)

Bergedorfer Zeitung, 16. Dezember 1921

Immerhin: in der Hochsaison der Weihnachtseinkäufe stand wieder mehr Einkaufszeit zur Verfügung. Die früher üblichen Geschäftsöffnungen an den letzten drei Sonntagen vor Weihnachten wurden von der Landherrenschaft auf eine reduziert, der abendliche Ladenschluss wurde in der letzten Woche vor dem Fest auf spätestens 20 Uhr festgesetzt (BZ vom 12. Dezember).

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Der Kleinkrieg der Lokalpresse

Bergedorfer Zeitung, 26. November 1921

Es war heftig, wie die Bergedorfer Zeitung ihren örtlichen Konkurrenten, das Bergedorf-Sander Volksblatt, hier anging – ob es berechtigt war und die BZ sich nur zur Wehr setzte, lässt sich nicht klären, denn vom Volksblatt sind leider nur sehr wenige Ausgaben erhalten geblieben; lediglich aus den Jahren 1929 bis 1932 liegt die Zeitung in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg als Mikroverfilmung vor, davor gibt es nur Einzelexemplare.

Wie im Beitrag Die neue Lokalzeitung zu lesen ist, war das Volksblatt eine Parteizeitung der SPD. Kritik an der konservativ-bürgerlichen BZ und eine andere inhaltliche Ausrichtung können da nicht überraschen – überraschend ist eher, dass die BZ nicht die Berichterstattung bemängelte: die Art der Meinungsäußerung wurde hier mit derben Worten („wütender kleiner Kläffer“, „konfuses Gewäsch“, „Mätzchen“) in Grund und Boden verdammt, aber verzerrte Darstellung von Fakten, die die BZ sicher gern und süffisant aufgegriffen hätte, wurde dem BSV – zumindest in diesen ersten Jahren seines Bestehens – nicht vorgehalten.

Obwohl die BZ die wirtschaftliche Perspektive ihres Konkurrenzblattes in düsteren Farben malte und auf einen „chronischen Abonnentenschwund“ verwies, bestand das Volksblatt bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten 1933 weiter. Mehr noch: laut der knappen Festschrift zum sechzigjährigen Bestehen des Trägervereins hatte sich die Lage im Herbst 1921 verbessert: seit mehr als einem Jahr waren keine Zuschüsse der Parteiorganisation mehr erforderlich (S. 9). Man kann davon ausgehen, dass die BZ in einer der nächsten Ausgaben des BSV für ihre falsche Darstellung gerüffelt wurde.

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Die Brandkatastrophe im Kino

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1921

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1921,  Rubrik „Letzte Telegramme“

Das furchtbare Kino-Unglück in Harburg rief auch in Bergedorf und Sande große Besorgnis hervor.

Das Harburger „Weltkino“ entsprach nicht den Vorschriften, es gab nur einen einzigen Ausgang aus dem Saal, und als die hochentzündlichen Filme in Brand gerieten und den Saal verqualmten, brach unter den 300 jungen Besuchern Panik aus: elf von ihnen verloren ihr Leben, neun mussten ins Krankenhaus gebracht werden, wo das Leben eines Kindes nicht zu retten war. Die Verhaftungen des verantwortlichen Kino-Personals waren die Folge – eine Meldung über Verhaftungen verantwortlicher Angehöriger der Harburger Verwaltung gab es nicht.

Bergedorfer Zeitung, 25. November 1921

Wie aus einem weiteren Bericht hervorgeht, hatten die Betreiber alles getan, um den Saal zu füllen: Kinder wurden auf der Straße angelockt, wer nicht den vollen Eintrittspreis zahlen konnte, kam für weniger Geld hinein. Nicht alle Besucher erhielten Eintrittskarten – die BZ vermutete, dass so die „Kartensteuer“ hinterzogen werden sollte.

Konnte sich eine solche Katastrophe hier wiederholen? In Bergedorf gab es das „Union-Theater“, das „Hansa-Kino“ und in Sande das „Thalia-Theater“. Die beiden erstgenannten waren recht klein, während das Thalia über 400 Sitzplätze verfügte, wie Christian Römmer im Lichtwarkheft Nr. 76 (2015) auf S. 11 schreibt. Es war also noch deutlich größer als das Harburger Kino, und es fanden dort auch Schulvorführungen statt, hinter denen der Bergedorf-Sander Lichtspielausschuss stand, in dem „alle Vereine der Jugendbewegung“ vertreten waren (BZ vom 23. Januar 1920).

Bergedorfer Zeitung, 25. November 1921

Bergedorfer Zeitung, 25. November 1921 (Ausschnitt aus der Anzeige des Thalia-Theaters)

 

 

 

 

 

Dieser Ausschuss konnte die Eltern beruhigen: ein Filmbrand könne nicht auf den Zuschauerbereich übergreifen, es gebe sieben Ausgänge, Lehrer beaufsichtigten die Kinder, und der Saal könne in drei Minuten evakuiert werden. Und auch das Thalia-Theater selbst schrieb unter seine aktuelle Programmanzeige, dass alles vorschriftsmäßig, geprüft und sicher sei. Etwas misstrauisch stimmt zwar, dass nur sechs Ausgänge und nicht sieben genannt werden, aber eine Brandkatastrophe trat nicht ein.

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Teures Telefonieren und eine explodierende Wärmflasche

Bergedorfer Zeitung, 17. November 1921

Mal eben nach Hamburg telefonieren – das wurde für Bergedorfer jetzt zu einem teuren Vergnügen: jedes Gespräch kostete 1,25 Mark für drei Minuten, denn eine Verbindung zwischen Bergedorf und Hamburg war seit dem 1. Oktober ein Ferngespräch; der bis dahin gültige „Vorortstarif“ war mit der neuen Fernsprechordnung beseitigt worden (siehe den Beitrag zur Telekommunikation), die Höhe der Gebühr richtete sich schlicht nach der Entfernung von einem Ortsnetz zum anderen. Die Bergedorfer werden nicht begeistert gewesen sein, dass sie fernsprechgebührentechnisch nun keine Hamburger mehr waren.

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1921

Es ist wohl selten, dass Wärmflaschen explodieren – eher kommt es vor, dass ein solcher Bettwärmer tropft oder leckt, was unangenehm genug ist. In Sande ging eine aus Schusseligkeit im Ofen vergessene gefüllte Wärmflasche in die Luft und sorgte für erhebliche Schäden: der eiserne Ofen wurde gesprengt und Fenster wie Wohnung ziemlich demoliert. Da hätte man ein vorgewärmtes Bett besonders gut gebrauchen können.

Aus welchem Material die Bettheizung bestand, ist nicht klar, aber es wird keine Gummi-Wärmflasche gewesen sein, denn solche tauchten erst in den 1920er Jahren auf dem Markt auf – mehr dazu gibt es bei Wikipedia und unter http://koerper-waermespender.de/ . Das Bocholter Handwerksmuseum verfügt über eine Sammlung historischer Wärmespender unterschiedlichster Art, hergestellt aus diversen Materialien.

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Der Umzug des Bürgermeisters

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1921

Erstaunlich: der erste Bewohner der Neubausiedlung am Grasweg war Bergedorfs Bürgermeister Wilhelm Wiesner. Speziell für ihn sollte ein Haus vom Typ 40 hergerichtet und zum 1. Dezember fertig sein; weitere Häuser der Siedlung sollten erst 1922 bezugsfertig werden.

Für knapp die Hälfte der Wohnungen hatte die Stadt das Belegungsrecht (zu Details siehe den Beitrag Die bemerkenswerte Kooperation für den Wohnungsbau). Die städtischen Wohnungen sollten nach sozialen und wohnungspflegerischen Gesichtspunkten vergeben werden, die im nebenstehenden Artikel dargestellt sind. Ob Wiesner unter diese Kriterien fiel, scheint zumindest fraglich, denn er hatte ja eine große Wohnung in der Ernst-Mantius-Straße, aus der eine Tochter bereits ausgezogen war (siehe den Beitrag (K)eine Filzgeschichte um „Stadt Lübeck“).

Aber Wiesners Umzug half in einem Wohnungsnotfall: er zog um, weil dadurch eine ausreichend große Wohnung für den neuen Ratmann Dr. Gleitsmann frei wurde, dem die Häuser am Grasweg zu klein waren und der bis dahin keine passende Wohnung in Bergedorf hatte finden können.

Für Wiesner und seine Familie waren in dem vorgesehenen Haus noch Umbauten erforderlich, aber die gingen auf Rechnung der Stadt und dürften relativ unproblematisch gewesen sein, weil man ja noch in der Bauphase war.

Dem Einzug zum 1. Dezember stand dann nichts mehr im Wege: Strom-, Wasser- und Sielleitungen waren bereits in den Monaten vorher gelegt worden (BZ vom 18. Juni, 20. August und 3. Dezember) – anders als in der Siedlung Nettelnburg auf Kosten der Stadt Bergedorf. Auch die Straßenbeleuchtung in der Goethestraße (heute Daniel-Hinsche-Straße) sollte verbessert werden (BZ vom 8. Oktober), die Infrastruktur der Grasweg-Siedlung war also vorbildlich.

Was fehlte, war die Postanschrift, aber die folgte bald: der Senat verlieh dem neu angelegten Weg den Namen Heinrich-Heine-Weg (BZ vom 22. Dezember), und laut Hamburger Adressbuch 1923 wohnte Wiesner in Nr. 12.

Ob der Bürgermeister durch seinen Umzug ein Opfer brachte oder sich verbesserte, möge jeder selbst beurteilen.

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