Der Umzug des Bürgermeisters

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1921

Erstaunlich: der erste Bewohner der Neubausiedlung am Grasweg war Bergedorfs Bürgermeister Wilhelm Wiesner. Speziell für ihn sollte ein Haus vom Typ 40 hergerichtet und zum 1. Dezember fertig sein; weitere Häuser der Siedlung sollten erst 1922 bezugsfertig werden.

Für knapp die Hälfte der Wohnungen hatte die Stadt das Belegungsrecht (zu Details siehe den Beitrag Die bemerkenswerte Kooperation für den Wohnungsbau). Die städtischen Wohnungen sollten nach sozialen und wohnungspflegerischen Gesichtspunkten vergeben werden, die im nebenstehenden Artikel dargestellt sind. Ob Wiesner unter diese Kriterien fiel, scheint zumindest fraglich, denn er hatte ja eine große Wohnung in der Ernst-Mantius-Straße, aus der eine Tochter bereits ausgezogen war (siehe den Beitrag (K)eine Filzgeschichte um „Stadt Lübeck“).

Aber Wiesners Umzug half in einem Wohnungsnotfall: er zog um, weil dadurch eine ausreichend große Wohnung für den neuen Ratmann Dr. Gleitsmann frei wurde, dem die Häuser am Grasweg zu klein waren und der bis dahin keine passende Wohnung in Bergedorf hatte finden können.

Für Wiesner und seine Familie waren in dem vorgesehenen Haus noch Umbauten erforderlich, aber die gingen auf Rechnung der Stadt und dürften relativ unproblematisch gewesen sein, weil man ja noch in der Bauphase war.

Dem Einzug zum 1. Dezember stand dann nichts mehr im Wege: Strom-, Wasser- und Sielleitungen waren bereits in den Monaten vorher gelegt worden (BZ vom 18. Juni, 20. August und 3. Dezember) – anders als in der Siedlung Nettelnburg auf Kosten der Stadt Bergedorf. Auch die Straßenbeleuchtung in der Goethestraße (heute Daniel-Hinsche-Straße) sollte verbessert werden (BZ vom 8. Oktober), die Infrastruktur der Grasweg-Siedlung war also vorbildlich.

Was fehlte, war die Postanschrift, aber die folgte bald: der Senat verlieh dem neu angelegten Weg den Namen Heinrich-Heine-Weg (BZ vom 22. Dezember), und laut Hamburger Adressbuch 1923 wohnte Wiesner in Nr. 12.

Ob der Bürgermeister durch seinen Umzug ein Opfer brachte oder sich verbesserte, möge jeder selbst beurteilen.

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