Bauland für Siedlungslustige

Bergedorfer Zeitung, 14. März 1921

Eine Hamburger Genossenschaft kaufte groß ein: sie hatte das Gut Nettelnburg, dicht bei Bergedorf gelegen (siehe die Karte 1875, dort ganz im Südwesten), erworben, um dort ein Bauvorhaben zu realisieren: die Siedlung Nettelnburg.

 

BZ, 28. April 1921

Wie schon der Name der Genossenschaft erkennen lässt, stand sie in enger Beziehung zum Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen, dessen Hamburger Gauleiter Ernst Born dem Gründungsvorstand der Genossenschaft angehörte (siehe hierzu und zum folgenden das vom Kultur- und Geschichtskontor herausgegebene Buch Nettelnburg: Ritter – Bauern – Siedler, S. 83 und passim). Ein weiteres Vorstandsmitglied und Reichsbund-Kamerad, der Lehrer Hans Podeyn aus Altengamme (siehe Hamburgisches Lehrerverzeichnis 1920/1921 und Hamburger Adressbuch für 1920), referierte in Sande über die Planungen.

Die Siedlung sollte „hauptsächlich [für] minderbemittelte erwerbstätige Kriegsopfer“  entstehen, obwohl gerade für diesen Personenkreis die Finanzierung schwierig war , auch für die zum Beitritt eingeladenen „Siedlungslustigen aus Bergedorf und Umgegend“: zum Hausbau ausreichende Ersparnisse wird keiner der Angesprochenen gehabt haben. Deshalb setzte die Genossenschaft auf staatliche bzw. staatlich abgesicherte Kredite, aber auch auf Eigenleistung und Eigenhilfe, die verpflichtend neben der 48-Stunden-Arbeitswoche zu leisten war.

Neben einer Aufnahmegebühr von 10 Mark wurden von den Mitgliedern zehn monatliche Beiträge à 50 Mark gefordert – so konnte zumindest etwas Eigenkapital aufgebracht werden, und vielleicht war es deshalb den Gründern durchaus recht, dass die Flächen erst zum 1. Oktober 1921 übergeben werden sollten: zum einen konnte so der Pächter des Gutes noch die Ernte einbringen, für die er sonst hätte entschädigt werden müssen, zum anderen konnten einige tausend Mark auf dem Siedlungskonto angesammelt werden.

BZ, 20. Oktober 1921

Der Übergabezeitpunkt hatte aber den Nachteil, dass die Bauvorbereitungen erst im nassen und kalten letzten Quartal begonnen werden konnten. Doch es ging zügig los, wie aus einer Anzeige der Genossenschaft hervorgeht: offenbar holten sich hier einige Bergedorfer Holz für die Winterfeuerung, und andere nutzten (wofür auch immer) die Feldbahn der Genossenschaft, die beim Ausheben der Entwässerungsgräben und der Anlegung von Straßen zum Einsatz kam.

BZ, 2. November 1921

An einen Baubeginn noch 1921 war also nicht zu denken, an die Nutzung der großen Grundstücke schon – wohl deshalb wollte die Genossenschaft das Umpflügen des Siedlungsgeländes vergeben, damit die Mitglieder es beim Gemüseanbau im Frühjahr leichter hätten.

Baubeginn war dann Anfang 1922: die ersten Neu-Nettelnburger waren die Bewohner der Notwohnungen, die man in ehemaligen Gutsgebäuden schuf; Ende des Jahres konnten die ersten fünf Doppelhäuser an der Randersweide bezogen werden.

Weder der Staat (Hamburg) noch die Stadt (Bergedorf) scheint sich besonders für die entstehende Siedlung eingesetzt zu haben: es gab keine Kanalisation, kein Leitungswasser, kein Gas, die Straßenunterhaltung einschließlich Beleuchtung wurde den Siedlern zur Auflage gemacht. Immerhin half der Staat über die „Beleihungskasse“ bei der Finanzierung und baute nach einigen Jahren die Schule Nettelnburg.

Andere Bauvorhaben trafen in Bergedorf auf mehr Wohlwollen und Unterstützung, wie in einem späteren Beitrag zur Siedlung am Grasweg aufgezeigt werden soll. Ob die Zurückhaltung auch an dem Zerwürfnis zwischen Bürgermeister Wiesner und dem Reichsbund-Leiter Born lag, bleibt Spekulation.

 

 

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