Rasende Autler

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1922

Genau wie heute: vor hundert Jahren hielt sich nicht jeder Wagenlenker an die Verkehrsregeln, also zum Beispiel: die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhalten und die Fahrweise den örtlichen Gegebenheiten und der Situation anpassen – das gab der BZ Gelegenheit, wieder einmal ein Klagelied über „Autler“ anzustimmen.

Bei gutem Wetter wirbelten schnellfahrende Autos eine Menge Staub auf, der sich dann auf die Fenster der Häuser legte – bei Regen sammelten die Autoreifen nassen Dreck und verteilten ihn großzügig und nachhaltig über die Fassaden. Wem das unglaubwürdig erscheint, dem sei ein Gang durch das heutige Sachsentor (damals Große Straße/Sachsenstraße, siehe die Karte von 1904) empfohlen: was heute zum Flanieren geeignete Fußgängerzone ist, war damals die Hauptverkehrsstraße durch Bergedorf. Das Straßenpflaster war mit Sicherheit holpriger als die jetzigen Platten und entsprechend anfälliger für Pfützenbildung, zwischen den Steinen sammelten sich Dreck und Hinterlassenschaften von Pferden.

Besonders die Auswärtigen mit ihren „Luxusautos“ waren es, die rücksichtslos fuhren – die Fahrer von Lastkraftwagen zeigten laut BZ durch ihre Fahrweise, dass manch ein Bauwerk am Rande der Bergedorfer Innenstadt in einem schlechten Zustand war: bei dem Haus in der Neuen Straße zeigten sich die Vorteile der Fachwerkbauweise, denn nur ein Teil des Mauerwerks fiel durch die Erschütterung heraus, die tragende Konstruktion blieb stehen. Anders in der Deichstraße, wo eine ganze Wand aus demselben Grund einstürzte.

So regte die BZ an, zu erwägen, ob nicht für „Hude, Specken usw.“ ein rigoroses Lkw-Verbot eingeführt werden sollte, und die Hausbesitzer aus diesen Straßen forderten ein polizeiliches Einschreiten, bis dahin vergebens (BZ vom 5. August).

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1922

Eine Woche später konnte die BZ einen Teilerfolg vermelden: für Lastwagen über 5,5 to Gesamtgewicht ordnete die Landherrenschaft im Specken eine Tempobegrenzung auf 8 km/h an (BZ vom 12. August 1922). Warum das nicht auch für die Hude gelten sollte, bleibt unerklärlich.

 

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1922

Verkehrsprobleme verursachten aber nicht nur die Autofahrer, wie der nebenstehende Leserbrief zeigt: mindestens ein Pferdekutscher verhielt sich in der Großen Straße genauso rücksichtslos. Vielleicht war der Wagen des Milchhändlers unbeladen, wenn nicht, gab’s Milkshake in reinster Form.

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Der Umbau der Reichsflagge und die Hansaschule

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1922

Zur Verfassungsfeier sollten Bergedorf und Sande im Schmuck der schwarz-rot-goldenen Reichsfahnen erstrahlen, aber nicht jeder hatte so eine Fahne. Da kam der Hinweis in der BZ gerade recht: Aus Schwarz-weiß-rot mach Schwarz-rot-gelb! Das war mit etwas Stofffarbe, ein wenig Geschick und Nähgarn leicht zu bewerkstelligen: aus der alten Reichsflagge wurde so die neue, die in der Weimarer Verfassung festgelegt worden war, wenn auch mit „gelb“ statt mit „gold“.

Es sollte also niemand sagen können, er habe ja (leider) nur die Flagge des Kaiserreichs, die am 11. August, dem Jahrestag der Weimarer Verfassung, wirklich höchst unpassend gewesen wäre, als Provokation hätte verstanden und/oder gemeint sein können.

Bergedorfer Zeitung, 7. August 1922

Ob das Bergedorfer Postamt bereits über die neue Reichspostflagge verfügte, ist unbekannt. Jedenfalls musste Flagge gezeigt werden, schwarz-rot-gold mit Posthorn auf dem roten Streifen, und gegebenenfalls musste eben eine annähernd normgerechte „Behelfsfahne“ hergestellt werden.

Alle staatlichen Gebäude und auch die städtischen Gebäude in Bergedorf mussten in den Reichsfarben geschmückt werden – das galt natürlich ebenso für die Hansaschule, deren Schulhof das Ziel des Festzugs zur Verfassungsfeier war, und es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass dort die neuen Farben gezeigt wurden, denn der Schulleiter Prof. Ohly war zwar wie alle Lehrer auf die Weimarer Verfassung vereidigt worden, aber er hing am Kaiserreich und dessen Farben. Das Zeigen der alten Schulflagge (schwarz-weiß-rot mit der Inschrift „Hansa-Schule“ auf dem weißen Streifen) war ihm im Vorjahr verboten worden, worauf er diese im „Gedächtniszimmer“ aufstellen ließ. Ohly hätte, so schilderte er es, nach der Ermordung Rathenaus die angeordnete Trauerbeflaggung gezeigt, wenn nicht (unglücklicherweise?) Wochen vorher das Seil des Flaggenmastes gerissen wäre … (siehe Ferdinand Ohly, S. 51 und 54)

Bergedorfer Zeitung, 29. Juli 1922

Nun aber gab es keine Ausrede mehr: vielleicht aufgrund dieses Vorkommnisses hatte die Oberschulbehörde dafür gesorgt, dass zum Verfassungstag alle Schulen vorschriftsmäßig beflaggt werden konnten, und die Teilnehmer am Festzug werden die schwarz-rot-goldene Flagge am Fahnenmast der Hansaschule mit besonderer Genugtuung betrachtet haben.

 

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Die Verfassungsfeier in Bergedorf und Sande

Bergedorfer Zeitung, 8. August 1922

Der dritte Jahrestag der Weimarer Verfassung sollte in Bergedorf und Sande groß gefeiert werden, mit Musik, natürlich Festreden, einem „Lebendem Bild mit bengal. Beleuchtung“ auf dem Sander Marktplatz und Festzug von dort durch Bergedorf zur Hansaschule. Die großformatige Anzeige, in der zur Teilnahme aufgerufen wurde, zeigt ein auf den ersten Blick breites Bündnis von Behörden und Organisationen, sogar die hier völlig unbedeutende Zentrumspartei (Koalitionspartner in der Reichsregierung) war dabei. Die Linksparteien KPD und USPD fehlten dagegen in der Liste ebenso wie DVP und DNVP – ob diese vier Parteien von vornherein ausgegrenzt worden waren oder ob sie sich gern selbst ausgegrenzt hatten, geht aus den Berichten nicht hervor. Eingeladen wurde letztlich „die gesamte verfassungstreue Bevölkerung“.

Auch ein Blick auf die Schulen lohnt: das Fehlen von Hansa- und Luisenschule überrascht nicht wirklich. Für die anderen Bergedorfer Schulen zeichneten mit Bensch und Matthiessen nur zwei der fünf Schulleiter, bei der „Nachmeldung“ der beiden Sander Schulen blieb Rektor Dau dem Aufruf fern (BZ vom 11. August).

SPD und DDP stellten je einen Redner, die Bergedorfer Stadtkapelle spielte Konzertweisen, der „Massenchor“ war aus den örtlichen Arbeitergesangvereinen gebildet worden, die Turner der Freien Turnerschaft Bergedorf-Sande zeigten Stabübungen bei Fackelschein und huldigten in dem lebenden Bild der Freiheitsgöttin (BZ vom 12. August 1922) – die bürgerlichen Sport- und Gesangvereine blieben der Veranstaltung fern.

Der von den Veranstaltern gewünschte Flaggenschmuck wird in dem Beitrag Der Umbau der Reichsflagge und die Hansaschule thematisiert, der gleichzeitig erscheint.

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Die PR-Tour der Landherren

Bergedorfer Zeitung, 5. August 1922

Tue Gutes und rede nicht nur darüber, sondern zeige es! Das war offenbar das Motto der zuständigen Landherrn, Senator Stubbe und Senator Dr. Matthaei, und so luden sie vor allem die Hamburger und auswärtigen Journalisten zu einer ganztägigen Fahrt durch die der Stadt Bergedorf benachbarten Dörfer ein, auf dass sie hierüber berichteten.

Welchen Niederschlag die Aktion in der überregionalen Presse fand, wurde nicht recherchiert. Die Bergedorfer Zeitung, deren Redakteur Hanns Lotz an der Fahrt teilgenommen hatte, stellte für ihren Bericht fast eine ganze Zeitungsseite zur Verfügung. Ansonsten war die BZ gegenüber den Sozialdemokraten ja höchst kritisch, aber hier bejubelte sie die vom SPD-dominierten Senat verantworteten Errungenschaften, und das waren nicht wenige.

Der Artikel ist zu ausführlich, um ihn hier wiedergeben zu können – man kann ihn unter dem Link zum Artikel vom 5. August 1922 selbst lesen. Im Zentrum standen die von Senator Stubbe genannten Ziele: „schnelle Besiedlung, Verbesserung der … im allgemeinen recht schlechten Verkehrswege, Steigerung der [Agrar-]Produktion“ in den Vierlanden und den Marschlanden. So wurden die neuen Siedlungen Bojewiese, Nettelnburg und Riepenburg besichtigt, ebenso das staatliche Versuchsfeld für Gemüsebau in Fünfhausen und eine Muster-Gärtnerei, gepflasterte Deiche und vieles mehr. Der einzig kritische Ton kam offenbar vom Kirchwärder Gemeindevorsitzenden Heinrich Grube, der bemängelte, dass der Kirchwärder Elbdeich immer noch nicht gepflastert worden war – dafür machte er allerdings die Finanzbehörde verantwortlich und nicht die Landherrenschaft.

Die meisten und längsten Strecken der Tagesreise wurden per Bahn zurückgelegt, auch auf der zwischen Geesthacht und Fünfhausen verkehrenden Hamburger Marschbahn – dass die Strecke ohne Anbindung an Hamburg nicht besonders sinnvoll war, fand im Artikel keine Erwähnung.

Von einem Vortrag des Oberbaurats Osterath  über die durchgeführten, begonnenen und geplanten Infrastrukturmaßnahmen war der Bergedorfer Journalist so angetan, dass er sich das Manuskript geben ließ und es in weiteren detailreichen Artikeln verarbeitete, auf die hier nur per Link verwiesen werden kann: Bergedorfer Zeitung vom 7. August, vom 8. August, vom 9. August,vom 10. August und vom 12. August 1922.

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Die kippende Schwimmbrücke über die Bille

Bergedorfer Zeitung, 7. August 1922

Quer über die Bille – wenn es eine der Schwimmstrecken beim Schwimmfest in der Sander Flußbadeanstalt war, war es eine Kurzstrecke. Jedenfalls wurde aus Anlass des Schwimmfests des „Kartells für Arbeiterbildung, Sport und Körperpflege“ eine Schwimmbrücke quer über die Bille geschaffen, die vielleicht ja nur für die Zuschauer des Ereignisses gedacht war.

Die Konstruktion war wohl etwas wacklig, denn die Berührung durch das Boot eines ungeschickten Paddlers führte dazu, dass ein Teil der Brücke kippte und eine Reihe von Personen ein ungeplantes Bad nahm, glücklicherweise ohne schlimme Folgen, da hinreichend Retter vor Ort waren, und auch ein Mädchen, das vor Schreck Krämpfe bekommen hatte, erholte sich wieder.

Bergedorfer Zeitung, 27. Juli 1922

Den ins Wasser Gefallenen werden die Regeln für Freibadende, die die BZ kurz zuvor aus bedauerlichem Anlass wiedergegeben hatte, nichts genützt haben, da sie sich auf beabsichtigtes Baden bezogen, nicht auf unfreiwilliges. Die aktuellen Baderegeln der DLRG nennen das Baden vom Boot aus nicht als Gefahrenquelle.

 

 

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Die Baugenossenschaft Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 26. Juli 1922

Im ersten Halbjahr 1922 entstand die „Gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf e.G.m.b.H.“, die sich nun der Beseitigung der Wohnungsnot annehmen wollte und gleich mehrere Bauvorhaben ausgeschrieben hatte – das Gesamtvolumen der Submission lag zwischen 9,6 und 12,5 Millionen Mark.

Es überrascht, dass diese Genossenschaft auch am Heinrich-Heine-Weg baute, denn eigentlich sollte dort wie schon am Grasweg die „Heimag Bergedorf“ Häuser errichten. Aber die Zusammenarbeit der örtlichen SPD mit der DNVP und dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband, die im Beitrag Die bemerkenswerte Kooperation für den Wohnungsbau geschildert wurde, war offenbar im ersten Halbjahr 1922 geplatzt – leider ist die Bergedorfer Zeitung aus diesem Zeitraum nicht erhalten, sodass über das Geschehen und die Gründe keine Presseberichte vorliegen.

Im zweiten Halbjahr 1922 schrieb die BZ, daß Ratmann Leonhardt (DDP) in einer DDP-Versammlung kritisierte, dass die Verbindung zur Heimag seitens der Stadt abgebrochen wurde, obwohl preisgünstig gebaut wurde, „sodaß keine Veranlassung bestanden habe, die ‚Heimag‘ zurückzuweisen.“ (BZ vom 11. November 1922)

Es ist zu vermuten, dass die Umorientierung politische Gründe hatte, denn die neue Genossenschaft hatte keine rechtsgewirkten Väter, wie Holmer Stahncke in der Zeitschrift der Nachfolgegenossenschaft Bergedorf-Bille „Bei uns“ Nr. 01/2022 (S. 10f.) schreibt: Die „Heimag“ war „ein Unding in den Augen der SPD-Fraktion im Bergedorfer Stadthaus und der Gewerkschaften, die daraufhin im März 1922 die Gründung einer Baugenossenschaft beschlossen.“ Die Eintragung ins Genossenschaftsregister zahlten laut Stahncke die Gewerkschaften, die Stadt erwarb zehn Genossenschaftsanteile à 500 Mark und stellte zwei von fünf Vorstands- und drei von neun Aufsichtsratsmitgliedern. Es war also eine Genossen-schaft in mehrfacher Hinsicht.

Die genannten 25 Wohnungen wurden jedenfalls im Frühjahr 1923 fertig und bezogen – die Abschlussrechnung belief sich auf 11.728.497.543,– Mark, wie ein Auszug aus dem Geschäftsbericht zeigt, der auf den Internetseiten der Bergedorf-Bille (unter Genossenschaft -> Historisches -> Beiträge zur Unternehmensgeschichte) nachzulesen ist: „Wir waren mit den Neubauten in die schwersten Inflationsjahre hineingeraten.“ (S. 3)

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Die gefährlichen Freileitungen

Curslacker Deich, ca. 1930

Die Ansichtskarte vom Curslacker Deich (um 1930) zeigt drei hölzerne Strommasten am Rande der Deichkrone, und zwischen den Masten spannten sich die (hier nicht erkennbaren) Stromleitungen. Die Ansicht lässt aber auch ein Problem erahnen: Bäume konnten in die starken Drähte hineinwachsen oder bei Sturm in sie hineinschlagen, was die Stromversorgung natürlich lahmlegte.

BZ, 27. Juli 1922

Damit das nicht passierte, forderte der Zweckverband, der eigens für die Stromversorgung der Vierlande und der Marschlande gegründet worden war, die Anlieger zur Ausästung der Bäume auf. Arbeiten auf Leitern, wie sie zum Schneiden von Ästen gebraucht werden müssen, sind immer mit Sturzgefahr verbunden –  Arbeiten auf Leitern in der Nähe stromführender Freileitungen noch gefährlicher, wie man aus einer aktuellen Publikation der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gut ersehen kann. Deshalb sollten die Leitungen zeitweise stillgelegt werden, zwei Monate lang an jeweils zwei Wochentagen von 10 bis 17 Uhr. Das war keine knapp bemessene Spanne, aber der Grund erhellt sich aus dem letzten Satz der Bekanntmachung: in diese Zeit fiel auch die Obsternte, und da man seine Grundstücke gern bis zur äußersten Grenze ausnutzte, standen manche Obstbäume in gefährlicher Nähe zu den Stromleitungen.

 

BZ, 5. August 1922

Dagegen gab es offenbar Protest, wie die nächste Bekanntmachung zeigt: die Sperrzeit für Strom wurde von sieben auf vier Stunden an den betreffenden Tagen reduziert, denn die „Kraftstromabnehmer“ verfügten offenbar über so viel Einfluss und waren so zahlreich, dass sie die Korrektur erreichten und ihre Maschinen und Geräte weniger lange lahmgelegt wurden. Für die Obsternte und die Ausästung dürfte die Zeit auch so ausgereicht haben.

 

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Der neue Brückenschlag über die Bille

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1922

Man kann den Leserbriefschreiber verstehen: wenn man wegen des Fehlens von Hinweisschildern auf eine Brückensperrung in eine Sackgasse hineinläuft, ist das schon ärgerlich. Überhaupt war diese Brückensperrung ärgerlich, denn die Anwohner und Besucher des Villenviertels mussten Umwege laufen, um zum Bahnhof zu gelangen. Die von „Kr.“ genannte „Fähre“ des an der Brücke gelegenen Schlosscafés war vermutlich ein Kahn, den der Wirt für das Übersetzen seiner Gäste bereithielt.

Der Wagenverkehr war schon 1917 von der baufälligen Billequerung verbannt worden (siehe BZ vom 8. November 1917 und den Beitrag über marode Brücken). Fußgänger mussten im Januar 1920 erfahren, dass sie nun auch nicht mehr die Brücke nutzen durften – immerhin gab es für sie ab April 1920 ein Provisorium (BZ vom 22. April 1920), das jetzt offenbar nicht mehr zur Verfügung stand; es war vermutlich im Zuge des Abrisses der alten Brücke im Frühjahr 1922 beseitigt worden.

Bergedorfer Zeitung, 28. Juli 1922

Die Stadt reagierte prompt auf diesen Leserbrief: „sobald als möglich“ sollte für Fußgänger wieder eine provisorische Brücke errichtet werden, und bis dahin sollte zumindest der Umweg durch den Schlosspark bei Dunkelheit beleuchtet werden – was nebenbei für Bürgermeister Wiesner den Vorteil hatte, dass sein täglicher Weg ins Büro im Schloss erhellt wurde.

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1922

Die Laternen kamen also – doch nicht die Behelfsbrücke, denn sie war zu teuer. Bei hinreichendem Baufortschritt sollte aber Fußgängern die Nutzung der Brücke ermöglicht werden.

Bauarbeiten können sich bekanntlich in die Länge ziehen, und so inserierte Monate später der Wirt des Schlosscafés, dass er „wegen Sperrung der Brücke“ die Öffnungszeiten reduziere (BZ vom 18. November 1922), und im Dezember scheiterten zwei Polizisten an dieser Stelle: sie waren auf dem Westufer der Bille, ein mutmaßlicher Einbrecher auf dem Ostufer. „Um dorthin zu gelangen, mußten die Beamten, da die im Bau befindliche Brücke gesperrt ist, den Weg zurück und durch den Schloßgarten nehmen. Inzwischen hatte sich aber der verdächtige Nachtwandler aus dem Staube gemacht“. (BZ vom 12. Dezember 1922).

Ende Januar 1923 dann hieß es, dass in etwa vierzehn Tagen die Freigabe für Fußgänger erfolgen solle (BZ vom 27. Januar 1923), und einige Wochen später erwies es sich als segensreich, dass die Brücke noch nicht fertig war: auf der Brücke tätige Arbeiter bemerkten, dass ein Knabe in das Eis auf der Bille eingebrochen war, und sie retteten ihn (BZ vom 17. Februar 1923).

Am 15. März 1923 meldete die BZ dann die formelle Übergabe der Brücke an die Stadtverwaltung. Eine offizielle Einweihungsfeier nach Abschluss der noch ausstehenden Pflasterungsarbeiten an der östlichen Rampe scheint es nicht gegeben zu haben.

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Bismarck oder Bebel? Der Streit um die Straßennamen

Bergedorfer Zeitung, 22. Juli 1922

Die „Umbenennung der Straßen mit monarchistischen und militaristischen Bezeichnungen“ hatten die Bergedorfer Gewerkschaften nach der Ermordung des Außenministers Rathenau verlangt, und unter anderem diese Forderung brachte der Magistrat in die Bürgervertretung ein.

Die BZ berichtete ausführlich über die Debatte (Link zum Artikel), die (erneut) die tiefen Gräben zwischen den politischen Richtungen zeigte: die Rechte sah in dem Vorhaben „eine Sünde gegen den deutschen Geist“ (Clauß), Bürgervertreter Dröse (KPD) bezeichnete die Umbenennungen zwar als „kleinliche Mittel“, hielt sie aber für nötig und unterbreitete eigene Vorschläge für die neuen Namen. Für die SPD sagte Ratmann Petersen: „Wenn man ein Haus übernehme, so müsse man alles Morsche herausbringen.“ Ratmann Cohn (DDP) bezeichnete alles als „Bilderstürmerei“ und „kindliche Maßnahmen“, und sein Parteifreund Leonhardt meinte, man solle die alten Namen unangetastet lassen und nur neue Straßen mit neuen Namen versehen.

BZ, 5. August 1922

Mit knapper Mehrheit wurde dem Magistratsantrag zugestimmt, und somit erhielten vier Straßen und der Kaiser-Wilhelm-Platz neue Namen; eine Protestversammlung des Bergedorfer Bürgervereins und eine Unmutsbekundung der DDP konnten nichts daran ändern, desgleichen die DNVP-Forderung nach einer Volksabstimmung (BZ vom 21., 28. und 29. Juli), ein Einspruch aus Hamburg, wo es keine Umbenennungen gab, blieb aus, und so folgte die offizielle Bekanntmachung.

In den Straßen des Villenviertels wird nur eine Minderheit mit den neuen Anschriften einverstanden gewesen sein, und vielleicht war es als Protest zu verstehen, dass im August alle sechs Anzeigen aus den entsprechenden Straßen die alten Anschriften angaben, doch dann setzte die Umstellung ein: wer etwas verkaufen wollte oder ein Dienstmädchen suchte, wollte ja gefunden werden, und so verwendete man ab September Kombinationen wie „Bebel-(Bismarck)-Straße“ (15 Anzeigen). Ausschließlich der neue Name wurde bis Jahresende siebenmal angegeben.

Diejenigen, die sich besonders nach früheren Zeiten zurücksehnten, hielten aber über das Jahresende hinaus an ihren gewohnten und geschätzten Adressen fest.

Anmerkung:

Obwohl die „Denkmalsfrage“ im Zusammenhang mit der Straßenbenennung stand, wurde sie hier ausgeblendet – sie hat einen eigenen Beitrag verdient, der im Februar 2023 erscheinen soll.

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Der lange Weg zur Zwergschule

Bergedorfer Zeitung, 17. Juli 1922

Wenn eine Schule acht Jahrgänge, aber nur drei Klassenräume hat, von denen zwei zeitweise von der Fortbildungsschule benötigt werden, war die Unterrichtsorganisation für die acht Jahrgänge in fünf Klassen sicher schwierig. Eine Baracke mit zwei weiteren Klassenräumen sollte die Zwergschule in Billwärder (etwas) entlasten.

Für die Bedürfnisse der ländlichen Gemeinde Billwärder hätte das vorhandene Schulgebäude nach damaligen Maßstäben wohl ausgereicht, und „jahrgangsübergreifender Unterricht“ war in den kleinen Dorfschulen der Vierlande wie der Marschlande seit langem die Regel. Die Kinder der Neubausiedlungen Bojewiese und Nettelnburg hätten nun die Billwärder Dorfschule aus allen Nähten platzen lassen, und so musste eben die Baracke her.

Besonders für die Nettelnburger Kinder war der Schulweg aber beschwerlich: etwa 5,3 Kilometer waren zu Fuß zurückzulegen, auf ungepflasterten und großenteils unbeleuchteten Straßen bzw. Wegen – vor allem die Erstklässler werden schon erschöpft in der Schule angekommen sein. Der Weg zur Stadtschule in Bergedorf (Am Brink bzw. Brauerstraße) wäre nicht einmal halb so lang gewesen, doch Bergedorf war nicht zuständig: die Nettelnburg gehörte damals zu Billwärder. Laut Jochim Trede (S. 184) gingen Kinder „der ersten Siedler“ auch nach Allermöhe (Schule Allermöhe-Oberwärts, ca. 2,2 Kilometer) oder fuhren per Bahn ab Bergedorf nach Hamburg.

Im Artikel heißt es, dass „in absehbarer Zeit ein neues Schulhaus auf dem Gelände der Siedlung Nettelnburg“ errichtet werden sollte, doch erst Mitte 1928 konnte dieses Gebäude bezogen werden, wie Jochim Trede (ebd.) schreibt. Wie die weiter steigende Schülerzahl bis dahin bewältigt wurde, ist unerforscht.

 

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