Vom gekränkten Flügel und dem Klavierspiel in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 24. März 1921

Ganz in Moll gehalten war der Abschiedsbrief des Konzertflügels der Hasse-Gesellschaft. Er hatte miterleben müssen, wie bei den Konzerten im Januar und März andere seiner Art zum Einsatz kamen: zunächst hatte Ilse Fromm-Michaels bei ihrem Klavier-Abend ein Instrument aus dem Hause Steinway & Sons zur Verfügung gehabt, im März dann Wilhelm Ammermann einen Blüthner-Flügel (BZ vom 24. Januar und 7. März). Das verdross das bisherige Tasteninstrument unbekannter Abstammung, das laut Selbstauskunft bereits ein „überbiblisches Alter“ erreicht hatte.

Das am Ende des Briefes wiedergegebene Kavalleriesignal zeigt das Problem, vor dem die Hasse-Gesellschaft stand: der alte Flügel genügte nicht mehr den Ansprüchen – für einen neuen musste gesammelt werden, denn auch ohne Neubeschaffung war das vergangene Jahr bei Einnahmen von 27.220 Mark mit einem Defizit von 486 Mark in der Vereinskasse ausgeklungen (BZ vom 14. Mai).

Ob die Preise des Hamburger Pianohauses F.R. Trübger repräsentativ waren, entzieht sich der Kenntnis; als dort umgebaut werden sollte, gab es reduzierte Preise von 13.000 bis 24.000 Mark für einen Flügel erster Hersteller (BZ vom 30. April), doch die Bergedorfer ließen dieses Angebot verstreichen und sondierten den Markt. Für ein weiteres Konzert Ilse Fromm-Michaels‘ stellte Steinway & Sons einen „prächtig klingenden“ Flügel bereit (BZ vom 18. und 20. Oktober), doch eine Kaufentscheidung meldete die BZ in jenem Jahr nicht.

Nicht nur in der Aula der Stadtschulen, wo die Hasse-Gesellschaft zumeist ihre Konzerte veranstaltete, wurde Klavier gespielt, sondern auch in vielen bürgerlichen Haushalten; Unterricht gaben u.a. Lehrer Saggau, Ilse Fromm-Michaels, Herma Teutmann, Elisabeth Siemers und Luise v.d. Lund (BZ vom 26. September, 1., 3. und 5. Oktober und 22. Dezember). Welcher Art und welchen Alters die Instrumente in manchen Privathaushalten waren, kann man daraus erschließen, dass in mehreren Verkaufsanzeigen noch Tafelklaviere angeboten wurden (z.B. BZ vom 17. und 18. März sowie 18. Juni), eine Bauform, die nach 1870/1875 kaum noch hergestellt und durch das „aufrechte“ kreuzsaitige Klavier abgelöst wurde.

BZ, 26. Februar 1921

Sogar einen Klavierbauer hatte Bergedorf: Hans Sahlmann bot hier seine Dienste an. Näheres war jedoch nicht zu erfahren; die Hamburger Adressbücher jener Jahre verzeichnen ihn nur mit der Berufsangabe Tischler. Er war im Klavierbau jedenfalls weniger erfolgreich als sein Tischlerkollege Heinrich Engelhard Steinweg, der Gründer von Steinway & Sons.

BZ, 24. März 1921

Sahlmann inserierte mehrfach als Kaufinteressent für gebrauchte Klaviere – zufällig auch an demselben Tag, an dem der alte Flügel sein Klagelied sang.

 

 

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