Schulreformgedanken: Koedukation und lateinische Schrift

BZ, 23. November 1922

„Gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen in der Schule“ gab es schon lange in der Landherrenschaft Bergedorf, aber nur gezwungenermaßen: in manchen der kleinen Dorfschulen reichte die Schülerzahl nicht für die ansonsten übliche Trennung nach Geschlechtern (siehe hierzu die Geschichte des hamburgischen Landschulwesens (S. 174)). In Bergedorf war es 1856 sogar als Fortschritt empfunden worden, dass mit dem Bezug der neuerbauten Stadtschule am Brink endlich Mädchen und Knaben getrennt unterrichtet werden konnten (ebd., S. 207-233), 1922 verteilt auf zwei und zwei Schulen.

Zur Regel wollten die Repräsentanten der Bergedorfer Schulen die Koedukation allerdings nicht machen. Nur wenn Eltern und Lehrer dies wünschten, sollte entsprechend genehmigt werden. Immerhin, so der zweite Punkt der Entschließung, sollte die Bildung von Mädchen nicht daran scheitern, dass „Fortbildungs-, Berufs- und höhere Schulen“ nur Knaben offenstanden – das war für die Hansaschule nicht neu: dort waren 1920 einige Mädchen in die Oberstufe aufgenommen worden, weil sie sonst keine Möglichkeit gehabt hätten, in Bergedorf das Abitur zu erreichen (siehe den Beitrag zu Mädchen an der Hansaschule).

Bis zur vollen Koedukation an den staatlichen Schulen sollte es noch lange dauern; sie blieb auf Versuchsschulen wie z.B. die Hamburger Lichtwarkschule beschränkt. Dort hatte die Koedukation sogar ehestiftende Wirkung unter den Klassenkameraden Helmut Schmidt und Hannelore (Loki) Glaser.

BZ, 7. November 1922

Ein weiteres Reformvorhaben betraf die Schrift, die in der Schule gelehrt werden sollte: Käthe Alpers, laut Hamburgischem Lehrerverzeichnis 1922/23 (S. 180) Lehrerin an der Mädchenschule Birkenhain, referierte vor ihren Kolleginnen und Kollegen im Verein der Landschullehrer, wobei sie sich auf Fritz Kuhlmanns Schrift „Schreiben in neuem Geiste“ bezog: der Schulunterricht müsse mit der lateinischen Schrift beginnen und erst zuletzt die deutsche Schrift lehren, die bis dahin Standard war. Wenn der Berichterstatter schrieb, dass Frau Alpers‘ Ausführungen „die ungeteilte Aufmerksamkeit der Versammlung“ fanden, so kann man dies durchaus als höfliche Umschreibung einer Zurückweisung interpretieren.

Es dauerte noch fast zwanzig Jahre bis zur Streichung der deutschen Schrift aus dem Lehrplan (siehe den Artikel Ausgangsschrift auf Wikipedia). Kuhlmanns Konzept einer Grundschrift, aus der eine individuelle Schreibschrift sich entwickeln sollte, ist im 21. Jahrhundert als Schulversuch im Einsatz.

Überstürzt wurden die Reformen also nicht eingeführt.

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Der Ausbau des Fersenwegs

BZ, 25. November 1922

Der Senat hatte hohe Erwartungen an den Ausbau des Fersenwegs: dort sollten sich Gemüsebauern ansiedeln und Hamburg mit frischen Lebensmitteln versorgen. Das war aber recht optimistisch.

Der Fersenweg, der Kirchwärder in ost-westlicher Richtung durchzieht, existiert seit über 500 Jahren: laut Ernst Finder (S. 315) ist er bereits in der sogenannten Pfannenstielschen Karte von 1546 verzeichnet. Über die Jahrhunderte war er ein einfacher Feldweg, aber nun hatte Hamburg großes vor. Man strebte an, den „durchgehenden Verkehr aus dem Lande auf dem Fersenweg und Landscheideweg über die Ochsenwärder Landstraße und den Elbdeich in Moorfleth nach Hamburg durch Ausbau der Feldwege Fersenweg und Landscheideweg zu ermöglichen“, wie es im Wegeprogramm der Landherrenschaften hieß (BZ vom 7. August 1922).

Die Begeisterung darüber hielt sich in Grenzen: für Kirchwärders Gemeindevorsitzenden Heinrich Grube war die Pflasterung der Deiche dringender und nötiger, seine Gemeindevertretung war aber mit dem Plan einverstanden (BZ vom 27. Oktober und 6. November 1921). Auch in einem Ausschuss der Hamburger Bürgerschaft wurde kontrovers diskutiert: die Befürworter meinten, dass dort „Hunderte von Gemüsebauern sich ansiedeln“ könnten, zu beiden Seiten der Wege befinde sich ja „ausschließlich Acker- und tiefliegendes Weideland“. Die Gegner erwarteten, dass die Hamburger Marschbahn die Transportaufgaben übernehmen würde und die Wege somit „vollständig entbehrlich“ seien (BZ vom 30. März 1921).

In Kirchwärder erwartete man sogar die Schaffung einer „breiten Fahrstraße“ (BZ vom 2. April 1921), doch das war zu optimistisch: der Ausbau erfolgte in einer Breite von ca. drei Metern, sodass Begegnungen von Pferdefuhrwerken und von Lastkraftwagen nicht ohne Inanspruchnahme der Bankette möglich waren, und folglich wurde der Süderquerweg, nicht der Fersenweg, zur Ost-West-Hauptstraße Kirchwärders, mit Anschluss an den Ochsenwärder Landscheideweg.

Zu rosig hatte man auch die gartenbauliche Zukunft gesehen: wie man heute noch feststellen kann, blieb die Zahl der Gemüsebauern sehr überschaubar – offenbar war das schwere, tiefliegende Land doch nicht so gut für den Gartenbau geeignet.

Fersenweg (westlicher Teil) im September 2022

Die Straßenbreite beträgt übrigens bis heute etwa drei Meter, es sind allerdings Ausweichbuchten vorhanden. Und rechtzeitig vor dem hundertsten Geburtstag hat der westliche Teil des Fersenwegs, also zwischen Kirchwerder Landweg und Durchdeich, eine neue Asphaltdecke erhalten, unter der sich altes Pflaster verbirgt.

 

 

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Die Wärmestuben in Bergedorf und Sande

Hoffentlich nur ein Rückblick auf 1922/23 und keine Vorausschau auf 2022/23: für Menschen, die sich das Heizen ihrer Wohnung nicht leisten konnten, wurden in Sande und Bergedorf Wärmestuben eingerichtet.

BZ, 21. Oktober 1922

Der Bergedorfer Frauenverein wollte ein „Wärm- und Lesezimmer für den Mittelstand“ in Hitschers Gesellschaftshaus einrichten. Dabei konzentrierte der Verein seine wohltätigen Aktivitäten generell auf den „notleidenden Mittelstand“, zu dem diejenigen gehörten, die von einer kleinen Rente aus Kapitalvermögen o.ä. bis dahin auskömmlich gelebt hatten, aber auch Angestellte mit monatlicher Gehaltszahlung, Kriegerwitwen mit kleiner staatlicher Rente: die Wohltätigkeit richtete sich vor allem auf die eigene bürgerliche Klientel.

BZ, 16. November 1922

Anders in Sande: der dortige Frauenverein wollte (mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde) die Warteschule, über die der Verein verfügte, zur Verfügung stellen, um darin eine „Wärmehalle“ für die „bedürftigen Klein- und Sozialrentner, die sonstigen Bedürftigen und Armen“ einzurichten. Die Mittel der Gemeinde sollten durch Erträge aus Wohltätigkeitsveranstaltungen aufgestockt werden, die „Altershilfe der Gemeinde Sande“ warb um Spenden.

Nur für zwei der drei der Sander Wohltätigkeitsveranstaltungen wurde die Höhe des Überschusses angegeben, es waren knapp 30.000 Mark (BZ vom 24. und 25. November 1922), über weitere Geldeingänge berichtete die BZ nicht.

Im größeren und wohlhabenderen Bergedorf konnte der Ausschuss für die Altershilfe kurz vor Weihnachten bekanntgeben, dass man 110.000 Mark gesammelt habe: „ein Betrag, der nicht im entferntesten ausreicht, die in Bergedorf bestehende große Not der alten Leute zu lindern.“ (BZ vom 20. Dezember 1922). Hinzu kamen allerdings weitere Beträge: ein nach New York ausgewanderter Bergedorfer gab (begünstigt vom Wechselkursverfall der Mark) eine Million Mark, mehrere Bergedorfer spendeten zusammen 170.000 Mark, die Bedürftigen zugutekommen sollten (BZ vom 19., 20., 21. und 23. Dezember 1922).

Die Beträge scheinen beachtlich, doch man muss sie in Relation setzen zu den Preisen: für das Versorgungsheim der Gemeinde Kirchwärder wurden die Kostgeldsätze für einen Erwachsenen auf 200 Mark pro Tag erhöht (BZ vom 21. November 1922). Ein Bergedorfer Mittagstisch verlangte für ein Essen 140 Mark (BZ vom 9. Dezember), zehn Tage später 160 bis 180 Mark (BZ vom 19. Dezember 1922) – da reichte dann auch eine Millionenspende nicht weit.

Heizmaterial war für viele unerschwinglich: die Ortskohlenstelle Bergedorf verlangte für die 50-kg-Ration Braunkohlebriketts 1.872 Mark, das Bergedorfer Gaswerk verkaufte Gaskoks für 2.600 Mark pro 50 kg (BZ vom 9. Dezember 1922). Die Wärmestuben werden voll gewesen sein.

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Astronomische Unwägbarkeiten

BZ, 16. Januar 1907

Mehrfach begaben sich Bergedorfer Astronomen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf zum Teil wochenlange Reisen, um Sonnenfinsternis-Ereignisse von wenigen Minuten Dauer zu beobachten und fotografisch zu dokumentieren. Nicht immer war man erfolgreich: 1907 reiste man mit großem „Gepäck“ in die Nähe Samarkands, um dann zu melden, daß „leider während der ganzen Finsternis der Himmel vollständig bedeckt war und Schneefall herrschte“.

Eine Wiederholung des Misserfolgs von 1907 wollte man 1914 vermeiden: man hätte die Totalität auch in Schweden sehen können, entschied sich aber wegen der besseren Wetteraussichten für die Krim (vgl. Jochen Schramm, S. 170), kam dort an, baute alles auf – und dann brach der Erste Weltkrieg aus (siehe den Beitrag zur Expedition auf die Krim): die Teilnehmer der Expedition mussten stante pede und unverrichteter Dinge umkehren, doch die 131 Kisten (Gesamtgewicht 15.000 Kilogramm) mit Instrumenten und Ausrüstungsgegenständen blieben dort.

BZ, 21. November 1922

Acht Jahre später kam dann die gute Nachricht, dass die Rückholung der Ausstattung möglich wurde, wofür die Hamburger Bürgerschaft erst 100.000 Mark bereitstellte (BZ vom 24. Juli 1922) und dann noch einmal denselben Betrag nachbewilligte – allerdings konnten nur 75 Kisten mit 8.000 Kilogramm auf den Dampfer nach Hamburg verladen werden: manches war für den Krieg von russischer Seite requiriert worden, anderes schlicht verschwunden bzw. gestohlen, weiteres war an verschiedene Orte in Russland gelangt, und man hoffte, einiges mit Hilfe der Sternwarte Odessa zurückzuerlangen. Ob sich diese Hoffnung erfüllte, war nicht festzustellen.

Die nächste Tour des „Reisebüros Sonne“ (Jochen Schramm, S. 159ff.) sollte 1923 Mexiko zum Ziel haben.

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Keine Fahrradkarten mehr

BZ, 13. November 1922

Das war eine freudig stimmende Nachricht für alle Radfahrer: hatten sie bisher beim Radeln einen persönlichen amtlichen Ausweis benötigt und ihn im gegebenen Fall einem kontrollierenden Polizisten vorzeigen müssen, so sollte die Karte und die mit ihr verbundene „überflüssige Belästigung“ fürderhin entfallen. Das entlastete die Bergedorfer Stadtverwaltung wie alle anderen Gemeindebehörden, die die Ausweise hatten ausstellen müssen.

Die Radfahrerkarten waren 1916 eingeführt worden: im Krieg untersagte der Staat das Radfahren zu Sport- und Vergnügungszwecken (siehe den Beitrag Kein Radrennen), und alle Radfahrer mussten eine Genehmigung zum Radfahren beantragen, die nur erteilt wurde, wenn die Benutzung aus beruflichen bzw. geschäftlichen Gründen erforderlich war (BZ vom 11. August 1916).

Die Zeit der Ersatzbereifung war längst vorüber – nicht einmal einen Monat nach Kriegsende war das Radfahren generell wieder freigegeben worden, auch mit Gummibereifung (BZ vom 7. Dezember 1918) – die Ausweispflicht bestand aber offenbar weiter bis 1922.

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Oktober-November – Die Maiglöckchenzeit

BZ, 11. November 1922

Für die Vierländer Gärtner war (und ist) die eigentliche Maiblumenzeit der Herbst, vor allem in den Monaten Oktober und November, denn dann verursachen diese Pflanzen am meisten Arbeit und bringen das meiste Geld.

Die Maiblumen, wie die Maiglöckchen im Gartenbau genannt werden, müssen im Herbst aus der Erde geholt werden, um sie nach sogenannten Treibkeimen und Pflanzkeimen zu sortieren. Das ist keine einfache Arbeit, denn nur eine leichte Verdickung des Keims zeigt an, dass es sich um einen Treibkeim, auch Blühkeim genannt, handelt – fehlt die Verdickung, handelt es sich um einen Pflanzkeim, der in der kommenden Saison nur Blätter hervorbringt, aber keine Blütenstände (siehe die Abbildungen von Keimen bei Torkild Hinrichsen, Das Maiglöckchen, Husum 2006, S. 73). Durch Erwärmung können die Treibkeime schon zu Weihnachten zur Blüte gebracht werden, durch Kühlung lässt sich die Saison nahezu beliebig steuern (hierzu und zum folgenden Hinrichsen, ebd., S. 68ff.).

Während des Weltkriegs war der Export fast zum Erliegen gekommen, nahm dann aber wieder zu, vor allem in die USA, nach England und Skandinavien, aber wohl ohne das Vorkriegsniveau wieder zu erreichen – da hatten über 150 Hektar dem Maiblumenanbau gedient.

BZ, 4. Oktober 1922

BZ, 9. Oktober 1922

Eine Erschwernis beim Export in die USA war, dass die Keime von allen Erdanhaftungen befreit werden mussten (BZ vom 17. Juni 1921), deshalb wurde (feuchtes) Moos genommen, um die „Bülten“ von 25 Keimen feucht zu halten, und mit dünnen Weidentrieben wurden die Bülten zusammengehalten.

BZ, 22. November 1922

BZ, 16. November 1922

Der Umfang des Handels mit Maiblumenkeimen lässt sich aus den neunzehn verschiedenen Kleinanzeigen erahnen, die allein in den letzten drei Monaten des Jahres 1922 in der BZ zu finden waren, wobei man unterstellen darf, dass viele Gärtner ihre festen Abnehmer hatten und gar nicht zu inserieren brauchten.

BZ, 7. November 1922

Andere sparten sich einige der Arbeitsgänge, wie aus der Anzeige des Opfers eines größeren Diebstahls hervorgeht. Eine Meldung über die Wiederherbeibeschaffung war in der BZ nicht zu finden.

Bemerkenswert ist, dass neunmal nicht für Geld ge- oder verkauft werden sollte, sondern statt Geld landwirtschaftlicher Bedarf wie Heu, Stroh oder Mistbeetfenster, aber auch ein Fahrrad und ein Geldschrank als Tauschwährung genutzt werden sollte. So wollte man sich vor der Inflation schützen.

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Sparklubs in der Inflationszeit

BZ, 4. November 1922

Welchen Sinn macht es, einem Sparklub anzugehören, wenn die Inflation das von den Mitgliedern eingezahlte Geld einfach wegfrisst? So naiv können die Mitglieder doch 1922 nicht gewesen sein – oder Geldanlage und Kleinvermögensmehrung waren nicht das primäre Ziel.

Die Funktionsweise eines Sparklubs ist leicht erklärt: man zahlt gegebenenfalls die Aufnahmegebühr und verpflichtet sich, regelmäßig (wöchentlich oder monatlich) den Mindestbeitrag oder auch höhere Beträge einzuzahlen, die vom Kassierer notiert und dann auf ein zinsbringendes Konto bei einer Sparkasse transferiert werden.

In aller Regel hat so ein Sparklub ein festes Vereinslokal, was den Wirt sicher erfreut, denn die Einzahlungen erfolgen in seiner Gaststätte, und kaum jemand wird einfach nur seinen Obolus entrichten, auf dem Absatz kehrt machen und das Lokal wieder verlassen – die Sparer waren zumindest ein Teil der regelmäßigen Gäste, die dem Gastronomen sein Einkommen sicherten.

Für den Sparer war und ist das Sparen also mit zusätzlicher Geldausgabe verbunden; ökonomischer wäre vermutlich ein häusliches Sparschwein – aber das Sparen war nicht der Hauptzweck, die Mitgliedschaft im Sparklub war Mittel zum Zweck: Geselligkeit (und ein scheinbar legitimer Grund für Abwesenheit von der häuslichen Gemeinschaft).

BZ, 2. Oktober 1922

So fand man in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder Anzeigen von Sparklubs, die zu Veranstaltungen einluden (deren Erlös auch die Vereinskasse aufbesserte). Es gab „Große Sommervergnügen“ mit und ohne Kappen-Polonaise, (Tanz-)Kränzchen, Große Herbst- und Wintervergnügen mit und ohne Tombola, wie sich aus diversen Annoncen von mehr als einem Dutzend Vereinen in der BZ der Jahre 1920 bis 1922 ergibt; auch der Sparklub mit dem schönen Namen „Friede“ veranstaltete ein Preisschießen (BZ vom 18. Oktober 1919).

BZ, 30. November 1922

In den meisten Vereinen wird der Jahresabschluss ähnlich begangen worden sein wie bei dem Verein „Weihnachtsfreuden“ in Bergedorf oder dem „Häuflein, vermehre dich“ im Sander Wasserturm: mit Auszahlung der angesparten Beträge und einem Festessen, oft (teil-)finanziert aus den Zinserträgen. Dass die Sander Sparer bei freiem Eintritt auch Gäste willkommen heißen wollten, überrascht zunächst, aber wahrscheinlich war nur der Eintritt für Nichtmitglieder frei, nicht das Essen und nicht die Getränke – sonst wäre das Häuflein wohl verschwunden.

 

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Ein „Vierländer Heimatspiel“ und sein Dichter

BZ, 4. November 1922

BZ, 10. November 1922

 

 

 

 

 

Es war eine Welturaufführung, aber das Stück zog nicht um die Welt. Es blieb in der Heimat von Gustav Graveley, im Hauptberuf Gemüsebauer, im Nebenerwerb Autor und Rezitator eigener Dichtungen in Vierländer Platt, der Sprache seiner Heimat und eben auch dieses „Heimatspiels“, dessen Titel nicht despektierlich als „Altes Vierländer Zeug“ zu übersetzen ist, sondern als „Alte Vierländer Tracht“. Zwar trug im normalen Leben eigentlich niemand mehr diese Tracht, doch war man nach wie vor stolz auf dies Erkennungszeichen auf den Hamburger Gemüse- und Blumenmärkten, das für Qualität bürgen sollte.

Der Gesangverein „Harmonie“ aus Kirchwärder-Sande stellte aus seinen Reihen die Schauspieler, unter denen auch manch ein Gemüsegärtner gewesen sein dürfte – ein Beruf, den laut Adressbuch auch der Schöpfer der Musik des Stücks, H. Hünert, ausübte. Die Ausstattung der Bühne wird ein Werk des Kunstmalers Albert Graveley gewesen sein – er hatte im Vorjahr zu einem „Bayrischen Volksfest“ im Lindenhof alle Räume zu einer Alpenlandschaft umgestaltet (BZ vom 18. November 1918) und war ein Bruder des Autors.

In Kirchwärder kam das „Heimotspeel“ insgesamt sechsmal zur Aufführung, einmal in Neuengamme und sogar einmal im „Komödienhaus“ in Hamburg, und auch in Bergedorf wurde es (ebenfalls einmal) gespielt (BZ vom 5., 8. und 13. Dezember 1922).

BZ, 15. Dezember 1922

Die Handlung ließ sich leicht zusammenfassen, wie der nebenstehende Bericht des Theaterkritikers der BZ belegt. Neue dramatische Impulse für das Theater des 20. Jahrhunderts sind nicht zu erkennen, nur nostalgische Heimatverklärung.

Gedruckt wurde das Werk vermutlich nicht, und ein handgeschriebenes Exemplar konnte nicht aufgetrieben werden – Text und Musik müssen als verschollen gelten. Einige andere Produkte aus Graveleys Feder (Gedichte und Geschichtchen) sind in verschiedenen Jahrgängen des Bergedorfer Schlosskalenders zu finden, aber vieles blieb ungedruckt.

In den Jahren nach 1933 brachten der Quickborn (Jg. 28, 1934/35) und dessen Ableger Plattdütsch Land un Waterkant (Jg. 21, 22 und 23, 1935/36 bis 1937/38) je einen seiner Texte, und in der selben Zeit kam  er auch ins Radio: der „Reichssender Hamburg“ verbreitete am 15. Juni 1937 Graveleys (nicht erhalten gebliebenes) Hörspiel „Seute Erdbeeren, seute Deerns“ (Hamburger Tageblatt vom 3. Juni 1937) – es wird ihm in jenen Jahren sicher genützt haben, dass er „Pg.“, d.h. NSDAP-Mitglied war und im von den Nationalsozialisten gegründeten „Landesbauernstand Hamburg“ das Amt eines Hauptabteilungsleiters einnahm (Bergedorfer Schlosskalender für 1934, S. 28) – sein Bruder Arthur war NSDAP-Kreisleiter Vierlanden und von der NSDAP installierter Gemeindevorsitzender von Kirchwärder (Bergedorfer Schlosskalender für 1935, S. 6 und 19).

In manchen der als Typoskript in mehreren Exemplaren erhalten gebliebenen Gedichtsammlungen finden sich antisemitische Phrasen und auch Elogen auf SA, Jungvolk und Jungmädel. Nach 1945 hat er diese Gedichtsammlungen etwas „bereinigt“, indem er die NS-Lobgesänge wegließ. Der Antisemitismus blieb.

 

 

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Der in Bergedorf entdeckte Komet sowie Muschi und andere Himmelskörper

BZ, 25. Oktober 1922

BZ, 24. November 1922

 

 

 

 

1922 wurden weltweit drei Kometen entdeckt, einer davon in Bergedorf: Komet 1922c (Baade). Er war weder besonders hellstrahlend noch schön, sondern „sehr lichtschwach und unscheinbar“, aber für die Astronomie und vor allem seinen Entdecker war der Fund zweifelsohne von Bedeutung. Ein Foto aus dem Plattenarchiv der Sternwarte wird aber nur geschulten Astronomen etwas sagen, und ähnliches gilt für die Göttinger Beobachtungsdaten von 1923.

Das Auffinden dieses Himmelskörpers zeigt auch, dass die Hamburger Sternwarte in Bergedorf mit „guten Instrumenten“ ausgestattet war, obwohl sie bei der Sonnenfinsternis-Expedition 1914 große Mengen an Ausstattung eingebüßt hatte, worauf in einem weiteren Beitrag zurückzukommen sein wird.

BZ, 23. November 1920

Dr. Walter Baade, der 1920 als junger Astronom eine Assistentenstelle in Bergedorf erhalten hatte, war in den Worten des Sternwarten-Direktors Richard Schorr „einer der tüchtigsten jüngeren Astronomen“ (zitiert bei Jochen Schramm, S. 199, vgl. ebd., S. 196-201), der schon sieben Monate nach seiner Einstellung durch Schorr die Entdeckung eines Asteroiden melden konnte, der zunächst nüchtern als „1920 H Z“ bezeichnet wurde. 1923 bekam er einen „richtigen“ Namen, worauf im November 2023 einzugehen sein wird.

Baade verließ Bergedorf 1931, um eine feste Stelle am Mt. Wilson Observatorium in Kalifornien anzutreten, womit für ihn ein Traum in Erfüllung ging. In einer Darstellung der Geschichte des Observatoriums ist Baade ein eigenes Kapitel gewidmet, worin er mit den Worten „one of the most influential observational astronomers of the twentieth century“ gewürdigt wird.

Eine andere, nicht-astronomische Entdeckung hatte Baade in seiner Bergedorfer Zeit gemacht: er lernte hier Hanni Bohlmann, technische Assistentin an der Sternwarte, kennen und heiratete sie. Schon Jahre vor der Eheschließung hatte er einen von ihm entdeckten Asteroiden auf den Kosenamen Fräulein Bohlmanns getauft, siehe (966) Muschi.

 

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Geldschein beschädigt – was nun?

BZ, 26. Oktober 1922

Es war ärgerlich, wenn ein Geldschein zerrissen oder sonstwie beschädigt wurde, aber kein Grund zur Panik: die Reichsbank tauschte solche Mängelexemplare um, wenn denn mehr als die Hälfte eines solchen Scheins vorhanden war, unabhängig davon, ob die Nummer des Scheins vorhanden war oder nicht. Das galt auch für Teilstücke, wenn sie denn zu ein- und demselben Schein gehörten und „gehörig geklebt“ waren.

BZ, 5. Juli 1922

Vor hundert Jahren waren die Geldscheine empfindlicher gegen alle Arten von Beschädigungen: die Detaillistenkammer Hamburg warnte vor allem vor dem Falten, da dies die Zerstörung besonders fördere – wenn man heute Banknoten aus den 1920er Jahren in die Hand bekommt, sieht man oftmals, an welchen Stellen sie gefaltet worden waren.

 

BZ, 1. August 1922

Richtig teuer konnte es werden, wenn der „Papierlappen“ als Notizzettel benutzt worden war: „Beschriebenes Papiergeld ist ungültig“, zumindest im Verkehr mit amtlichen Kassen, und auch die Reichsbank verweigerte in diesem Fall den Ersatz. Laut BZ betraf dies vor allem die 100-Mark-Scheine, die breite unbedruckte Ränder hatten – der im Juli 1922 in den Verkehr gekommene 500-Mark-Schein lud sogar noch mehr zu derartigem Missbrauch ein: er war nur einseitig bedruckt (siehe die Abbildungen bei Wikimedia, siehe auch BZ vom 17. August 1922).

Ein Beschreiben oder Bemalen wäre heute kein Problem – das steht zumindest auf einer Sparkassenseite: die heutige Bundesbank als Nachfolgeinstitution der Reichsbank würde so einen Euro-Schein und sogar auf „Deutsche Mark“ lautende Banknoten ersetzen, auch wenn weniger als die Hälfte eingeliefert wird – dann muss man allerdings belegen, dass die fehlenden Teile vernichtet wurden, wobei die Angabe „Hat die Katz gefressen“ wohl kaum ausreichen dürfte. Selbst für die Asche verbrannter Geldscheine wird Ersatz geliefert, wie es auf der Internetseite der Bundesbank heißt. Und die Volksbanken-Raiffeisenbanken schreiben ergänzend: „Auch stark verschmutztes Bargeld sichtet das Analysezentrum der Bundesbank, wäscht es und trocknet es in Wäschetrocknern.“

Vorsätzlich beschädigte Scheine wurden und werden allerdings nicht umgetauscht.

 

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