Ein „Vierländer Heimatspiel“ und sein Dichter

BZ, 4. November 1922

BZ, 10. November 1922

 

 

 

 

 

Es war eine Welturaufführung, aber das Stück zog nicht um die Welt. Es blieb in der Heimat von Gustav Graveley, im Hauptberuf Gemüsebauer, im Nebenerwerb Autor und Rezitator eigener Dichtungen in Vierländer Platt, der Sprache seiner Heimat und eben auch dieses „Heimatspiels“, dessen Titel nicht despektierlich als „Altes Vierländer Zeug“ zu übersetzen ist, sondern als „Alte Vierländer Tracht“. Zwar trug im normalen Leben eigentlich niemand mehr diese Tracht, doch war man nach wie vor stolz auf dies Erkennungszeichen auf den Hamburger Gemüse- und Blumenmärkten, das für Qualität bürgen sollte.

Der Gesangverein „Harmonie“ aus Kirchwärder-Sande stellte aus seinen Reihen die Schauspieler, unter denen auch manch ein Gemüsegärtner gewesen sein dürfte – ein Beruf, den laut Adressbuch auch der Schöpfer der Musik des Stücks, H. Hünert, ausübte. Die Ausstattung der Bühne wird ein Werk des Kunstmalers Albert Graveley gewesen sein – er hatte im Vorjahr zu einem „Bayrischen Volksfest“ im Lindenhof alle Räume zu einer Alpenlandschaft umgestaltet (BZ vom 18. November 1918) und war ein Bruder des Autors.

In Kirchwärder kam das „Heimotspeel“ insgesamt sechsmal zur Aufführung, einmal in Neuengamme und sogar einmal im „Komödienhaus“ in Hamburg, und auch in Bergedorf wurde es (ebenfalls einmal) gespielt (BZ vom 5., 8. und 13. Dezember 1922).

BZ, 15. Dezember 1922

Die Handlung ließ sich leicht zusammenfassen, wie der nebenstehende Bericht des Theaterkritikers der BZ belegt. Neue dramatische Impulse für das Theater des 20. Jahrhunderts sind nicht zu erkennen, nur nostalgische Heimatverklärung.

Gedruckt wurde das Werk vermutlich nicht, und ein handgeschriebenes Exemplar konnte nicht aufgetrieben werden – Text und Musik müssen als verschollen gelten. Einige andere Produkte aus Graveleys Feder (Gedichte und Geschichtchen) sind in verschiedenen Jahrgängen des Bergedorfer Schlosskalenders zu finden, aber vieles blieb ungedruckt.

In den Jahren nach 1933 brachten der Quickborn (Jg. 28, 1934/35) und dessen Ableger Plattdütsch Land un Waterkant (Jg. 21, 22 und 23, 1935/36 bis 1937/38) je einen seiner Texte, und in der selben Zeit kam  er auch ins Radio: der „Reichssender Hamburg“ verbreitete am 15. Juni 1937 Graveleys (nicht erhalten gebliebenes) Hörspiel „Seute Erdbeeren, seute Deerns“ (Hamburger Tageblatt vom 3. Juni 1937) – es wird ihm in jenen Jahren sicher genützt haben, dass er „Pg.“, d.h. NSDAP-Mitglied war und im von den Nationalsozialisten gegründeten „Landesbauernstand Hamburg“ das Amt eines Hauptabteilungsleiters einnahm (Bergedorfer Schlosskalender für 1934, S. 28) – sein Bruder Arthur war NSDAP-Kreisleiter Vierlanden und von der NSDAP installierter Gemeindevorsitzender von Kirchwärder (Bergedorfer Schlosskalender für 1935, S. 6 und 19).

In manchen der als Typoskript in mehreren Exemplaren erhalten gebliebenen Gedichtsammlungen finden sich antisemitische Phrasen und auch Elogen auf SA, Jungvolk und Jungmädel. Nach 1945 hat er diese Gedichtsammlungen etwas „bereinigt“, indem er die NS-Lobgesänge wegließ. Der Antisemitismus blieb.

 

 

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