Kleingeld: vom Mangel zum Überfluss und zurück

Bergedorfer Zeitung, 7. November 1923

„Kleingeld“ ist ein relativer Begriff: 1917 hatte die Stadt Bergedorf auf den Kleingeldmangel durch Kriegswechselmarken von 5, 20 und 50 Pfennigen reagiert – 1923 gab es nach Ansicht der Post zu viele „kleinwertige Scheine“, d.h. Scheine unter 200 Millionen Mark: die Post durfte deren Annahme nicht verweigern, weil sie ja gesetzliches Zahlungsmittel waren – aber sie begrenzte die Annahme auf zwei Stunden täglich. Die Kleingeldgrenze war das Drucksachenporto, ab dem 5. November 200 Millionen Mark, ab dem 12. November 2 Milliarden Mark (BZ vom 7. und 14. November). Man kann die Post verstehen, denn das Zählen von hunderten Scheinen im Millionenbereich hielt die Beamten ebenso auf wie die anderen Postkunden.

Da mochte es sinnvoller sein, kleinwertige Scheine als Altpapier zu verkaufen, wie es die BZ bereits Monate vorher geraten hatte: im August zahlten Altpapierhändler für 1 Kilogramm Geldscheine, z.B. 2.000 Einmarkscheine, mehr als 12.000 Mark (BZ vom 18. August) – im November eine Milliarde Mark. Auch als Spielzeugersatz für Kinder fand „Kleingeld“ Verwendung (BZ vom 20. Oktober), zuvor schon wurde „Kleingeld“ bei einer Festlichkeit in Neuengamme auf dem Fußboden verstreut, was die BZ naserümpfend als „eigenartigen Scherz“ einstufte (BZ vom 3. Oktober).

Als aber im November die Ausgabe wertbeständigen Notgeldes und wenig später der Rentenmark begann, war Kleingeld wieder Mangelware, denn – vereinfacht gesagt – kehrte man ja wieder zur Goldmark zurück, die an den US-Dollar gekoppelt war.

Bergedorfer Zeitung, 19. November 1923

Am 16. November kostete ein Liter Vollmilch laut BZ 192 Milliarden Mark – oder 0,32 Goldmark. Das Problem bei der Bezahlung in Goldmark war dann aber das Wechselgeld, denn fast alles wertbeständige Notgeld gab es entsprechend einer Reichsverordnung nur in Bruchteilen des Dollar (BZ vom 20. und 21. Dezember): der kleinste Schein war der zu 21 Pfennig, dann zu 42 und 84 Pfennig. Nur die „Verrechnungsmarken“ der Hamburgischen Bank von 1923 gab es in dieser Übergangsphase in kleineren Stückelungen (BZ vom 8. November). Von den Rentenpfennigen „hat man bei uns bis jetzt verschwindend wenig gesehen“, schrieb die BZ (BZ vom 17. Januar 1924): „Hätten wir nicht das Hamburger Aluminiumkleingeld und die Papiermark, so wäre die Kleingeldnot unerträglich.“

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Bergedorf überprüft Einstein

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1923

Nicht alle Expeditionen von Astronomen der Bergedorfer Sternwarte waren so erfolgreich wie diese: 1907 machten bedeckter Himmel und Schneefall die Beobachtung einer Sonnenfinsternis unmöglich, 1914 wollte man die Finsternis auf der Krim beobachten, musste aber wegen des Kriegsausbruchs vorzeitig die Rückreise antreten (siehe die Beiträge Astronomische Unwägbarkeiten und Zurück aus der Finsternis). 1923 klappte alles.

Ziel der Astronomen war, „die Einsteinsche Relativitätstheorie in Bezug auf die Ablenkung des Lichts nachzuprüfen. … Die beiden Sonnenfinsternisse vom 29. Mai 1919 und 20. September 1922 haben, wie man weiß, die Theorie Einsteins voll bestätigt.“ (BZ vom 17. August 1923). Die Berichte der BZ gehen auf das Prüfungsergebnis leider nicht ein; die Zeitung meldete zunächst nur, dass die Sonnenfinsternis am 10. September in Mexiko „bei vollkommen klarem Himmel beobachtet“ wurde (BZ vom 12. September 1923), und dann nach der Rückkehr der Expeditionsteilnehmer, dass man an dem „Beobachtungsplatz nahe bei dem Dorfe Pasaje bei Durango“ äußerst gastfreundlich empfangen wurde und dass man von allen Expeditionen „die deutlichsten Aufnahmen erzielen“ konnte (BZ vom 1. November 1923).

Bergedorfer Zeitung, 20. November 1923

Der Direktor der Bergedorfer Sternwarte, Professor Schorr, wusste sich in besonderer Weise zu bedanken: man bot dem mexikanischen Präsidenten die Patenschaft über den 1920 in Bergedorf entdeckten Asteroiden „1920 H Z“ an (siehe den Beitrag über Entdeckungen der Bergedorfer Sternwarte), und seitdem trägt dieser Asteroid (damals noch als Planet bezeichnet) den Namen „Hidalgo“ nach Miguel Hidalgo, laut Wikipedia „der geistige Vater der Insurrektion, die in den Mexikanischen Unabhängigkeitskrieg führte.“

 

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Der verfrühte Nekrolog auf die Brotkarte

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1923

„Wehmütiger Abschied von der Brotkarte“ (BZ vom 8. Oktober 1923), „Das letzte Markenbrot“ (BZ vom 13. Oktober 1923) und „Nekrolog auf die Brotkarte“ (BZ vom 16. Oktober 1923) hatte die BZ in ihrem jeweiligen Tagesbericht getitelt, denn der Reichstag hatte im Juli das Auslaufen der Markenbrotversorgung zum 15. Oktober beschlossen: es sollte keinen subventionierten Brotpreis für Bezieher kleiner Einkommen mehr geben, wobei diese Umstellung auf Marktpreise durch Zuschüsse für kinderreiche Familien sowie erhöhte Zahlungen an Rentner, Kriegsopfer und Arbeitslose abgemildert wurde (BZ vom 15. und 19. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1923

„Das letzte Markenbrot“ in Hamburg und in der Landherrenschaft Bergedorf kostete 16 Millionen Mark und wog 500 Gramm: das war laut Bekanntmachung der Rest an Mehl, den Hamburg hatte (BZ vom 13. Oktober); danach sollten die Marktpreise gezahlt werden. Eine Woche später musste man für ein Schwarzbrot von 1.600 Gramm 1,66 Milliarden Mark auf die Ladentheke legen (BZ vom 20. Oktober), was zu der überaus gereizten Stimmung in der Bevölkerung beitrug, die sich die KPD bei ihrem Umsturzversuch zu Nutze machen wollte (siehe den Beitrag über die Unruhen in Bergedorf und Sande).

 

 

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1923

Der Hamburger Senat, der im Reichsrat (vergebens) für die Beibehaltung der Brotkarte plädiert hatte (BZ vom 8. Oktober), ergriff in dieser Situation Maßnahmen: die Gültigkeit der Brotkarte wurde verlängert, der Nekrolog war also voreilig gewesen – es sollte „einmalig“ 1.600 Gramm Einheitsbrot zu 4,2 Milliarden Mark geben (etwa ein Drittel billiger als markenfreies Brot, BZ vom 24. Oktober). Da wird man in Sande neidisch nach Bergedorf geblickt haben, denn in Preußen gab es nur die allgemeinen Unterstützungen der Umstellung (s.o.), die es in Bergedorf zusätzlich zum Markenbrot gab (BZ vom 15. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1923

Einmalig war die Aktion aber doch nicht, sie wurde bis in den Dezember hinein verlängert und dann wegen fallender Mehlpreise (nach erfolgter Währungsreform) eingestellt. Allerdings trauten die amtlichen Stellen der Entwicklung nicht und empfahlen, die Brotkarten für eventuelle spätere Verteilungen „sorgfältig aufzubewahren“ (BZ vom 10. Dezember).

Totgesagte leben eben länger.

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Unruhen in Bergedorf und Sande

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

Am 23. Oktober schüttelten viele BZ-Leser sicher den Kopf über die Vorkommnisse im Eisenwerk (siehe den Beitrag Unruhen in Hamburg – Nervosität in Bergedorf), aber wirklich besorgt werden sie nicht gewesen sein. Das änderte sich mit der Lektüre der folgenden Ausgabe, die über den weiteren Verlauf des 23. und über den 24. Oktober berichtete.

Laut BZ lag zwar „ein Grund zur Beunruhigung nicht vor“, doch die Ereignisse waren schon gravierend: in den größten Betrieben von Bergedorf und Sande setzten Kommunisten mit Erwerbslosen und Arbeitern einen Streik durch, am Bahnhof wurden Arbeitswillige zurückgehalten. Der Versuch, das Schloss mit der Polizeiwache zu erstürmen, misslang allerdings.

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1923

Am 24. Oktober nachmittags und abends eskalierte die Situation, wie die BZ am 25. Oktober meldete: die Bergedorfer Polizei ging gegen die Plünderung von Waffengeschäften und eine zweite versuchte Schlossbesetzung vor, und als dann Polizeikräfte aus Hamburg eintrafen, wurde scharf geschossen: es gab Tote und Verletzte, und schließlich setzte sich die Polizei durch: es gab eine größere Zahl von Verhaftungen und „zahlreiche Waffen“ wurden beschlagnahmt. In Bergedorf wie in Hamburg und dem preußischen Schiffbek war der „abenteuerliche Putschversuch der Hamburger Kommunisten“, wie ihn Alfred Dreckmann (S. 55) charakterisierte, gescheitert.

Die Ereignisse vom 23. und 24. Oktober beschäftigten Bergedorf aber noch länger, vor allem der Polizeieinsatz: die Bergedorfer Polizei wehrte sich via Zeitung gegen „unverantwortliche Gerüchte … der geschäftigen Fama in unserer Stadt“: der Schusswaffengebrauch sei notwendig gewesen, die Ordnungskräfte seien zuerst beschossen worden. Misshandlungen von Verhafteten habe es „in keinem Falle“ gegeben und keiner der Inhaftierten sei auf dem Transport nach Hamburg zu Tode gekommen (BZ vom 29. Oktober). Die Stellungnahme der Polizei ist allerdings nicht uneingeschränkt glaubwürdig, denn die BZ hatte zuvor berichtet, dass die Beamten die Halbstarken in den Waffenläden und wohl auch Unschuldige verprügelte (BZ vom 25. Oktober) – Monate später gab es die Meldung, es werde (noch) untersucht, ob der Bergedorfer Jungnickel auf dem Gefangenentransport misshandelt und dadurch getötet worden war (BZ vom 24. Januar 1924). Und nicht nur der KPD-Bürgervertreter Hinrichs, sondern auch der SPD-Ratmann Petersen sprach in der November-Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung von Misshandlungen von Verhafteten. Die SPD habe beim Polizeisenator Beschwerde eingelegt und fordere, „die schuldigen Beamten zur Rechenschaft zu ziehen“ (BZ vom 28. November). Bergedorfs SPD-Bürgermeister Wiesner dagegen hatte im Namen des Magistrats den eingesetzten Bergedorfer und Hamburger Polizisten „für die vorzügliche und aufopfernde Tätigkeit bei der Unterdrückung der Unruhen“ schriftlich gedankt (BZ vom 8. November), ähnlich vorher der Landherr Senator Stubbe (BZ vom 30. Oktober).

Unterschiedlich wurde auch die Rolle der „proletarischen Hundertschaften“ der KPD bewertet: nach Hinrichs Ansicht hätte man sie „nicht ernst zu nehmen brauchen“, in den Augen Petersens sei der ganze „Bergedorfer Putsch nichts weiter als Hokuspokus gewesen“, Wiesner dagegen nahm die Hundertschaften durchaus ernst (BZ vom 28. November). Die Mitgliederlisten der (bewaffneten) Hundertschaften fand die Polizei übrigens in der Wohnung des örtlichen KPD-Vorstandsmitglieds Ernst Henning (BZ vom 1. Dezember), der ebenso wie der gleichfalls untergetauchte Bergedorfer KPD-Vorsitzende Dröse wegen Aufruhrs und Hochverrats polizeilich gesucht wurde (BZ vom 5. Januar 1924).

Bergedorfer Zeitung, 27. März 1924

Von den 84 vor das Hamburger Landesgericht gestellten Verhafteten sprach das Gericht nur eine Minderheit der Beihilfe zum Hochverrat bzw. der Vorbereitung desselben schuldig: diese neun Personen wurden zu Festungshaft verurteilt, 17 Angeklagte wurden freigesprochen. Die meisten Urteile ergingen wegen Land- und Hausfriedensbruchs sowie Plünderungen zu Gefängnisstrafen, weil die Täter nicht den Umsturz beabsichtigt, sondern sich wegen der „schweren wirtschaftlichen Not“ beteiligt hätten (BZ vom 27. März 1924).

Das sah Bürgermeister Wiesner wohl ähnlich: er hatte schon bald nach dem Putsch Hilfe für die Familien der Verhafteten angekündigt: „Wo Not vorhanden ist, wird das Wohlfahrtsamt ohne Ansehen der Person helfen“ (BZ vom 28. November 1923).

Für die zwei Getöteten, die laut BZ beide unbeteiligt waren, übernahm die Stadt Bergedorf die Beerdigungskosten (BZ vom 31. Oktober 1923). Einer der Verletzten starb knapp zwei Wochen später (BZ vom 6. November), womit die Zahl der Todesopfer auf drei stieg, was aber von der Geschichtsschreibung bisher nicht erfasst wurde.

Die Hamburger Unruhen sind Thema der noch bis zum 7. Januar 2024 laufenden Ausstellung Hamburg 1923 – Die bedrohte Stadt im Museum für Hamburgische Geschichte. Der dazu von Ortwin Pelc und Olaf Matthes herausgegebene Sammelband Die bedrohte Stadtrepublik. Hamburg 1923 spiegelt aus unterschiedlichsten Blickwinkeln den aktuellen Forschungsstand zu den Hintergründen und Ereignissen jener Tage. Zwar spielen Bergedorf und Sande in dem Buch nur eine Nebenrolle – aber hier war eben auch nur ein Nebenschauplatz.

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Bergedorfs Politik ohne Frauen

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1923

Da ging auch die letzte der Frauen aus dem Bergedorfer Stadtparlament – als 1919 erstmals das aktive und passive Frauenwahlrecht galt, waren immerhin vier Frauen in des 25köpfige Gremium eingezogen (BZ vom 14. April 1919).

Warum bereits nach eineinviertel Jahren Erna Schmidt ihr Mandat niederlegte, ist unbekannt (BZ vom 15. Juli 1920); Henriette Storbeck verzichtete (vielleicht nicht ganz freiwillig) „wegen Wohnungswechsel“ (BZ vom 17. Juli 1920): ihr Ehegatte Karl Storbeck, Ratmann und Leiter des Lebensmittelamtes, hatte Bergedorf einige Monate zuvor „auf Grund anderweitiger Beschäftigung“ verlassen (BZ vom 21. April 1920).

Clementine Dernehl musste aus Gesundheitsgründen ausscheiden (BZ vom 15. und 20. Juli 1920) – über ihre politischen Aktivitäten in der DDP und in der Bürgervertretung, u.a. in der Lyzeumsfrage, wurde in der BZ recht häufig berichtet. 1924, wohl nach überstandener Krankheit, kandidierte sie erneut und zog wieder ins Parlament ein.

Über Klara Bracker war nur wenig in Erfahrung zu bringen: von Beruf war sie Lehrerin, sie war verwitwet, wohnte zunächst in der Bahnstraße (heute Reetwerder) und zog 1922/23 in die Neubausiedlung Heinrich-Heine-Weg, wo sie bis zu ihrem Tod 1941 wohnte (Angaben zusammengestellt aus Adressbüchern 1919ff.). In der politischen Berichterstattung der BZ spielte sie keine Rolle (nicht einmal den Namen schrieb die BZ richtig), was sie mit ihren sozialdemokratischen Fraktionskolleginnen Erna Schmidt und Henriette Storbeck gemeinsam hatte. Für Frau Bracker rückte übrigens Erna Schmidts Ehemann Wilhelm nach.

Bei den folgenden Wahlen 1924, 1927 und 1930 wurden jeweils zwei Frauen gewählt – die Zahl von vier Frauen wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder erreicht und übertroffen.

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Unruhen in Hamburg – Nervosität in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

Als die Teuerungsdemonstrationen in Bergedorf und Sande stattfanden, kostete ein „markenfreies“ Brot 570 Millionen Mark (BZ vom 11. Oktober) – knapp vierzehn Tage später war der Preis auf 4,2 Milliarden geklettert. Die BZ konstatierte, dass „die Nervosität in allen Bevölkerungskreisen aufs höchste gestiegen“ sei, erklärte Ruhe zur ersten Bürgerpflicht und warnte davor, „Skandal zu machen oder gar Ladenscheiben einzuschlagen“. Sie spielte damit auf Vorkommnisse in Hamburg am Montag, 22. Oktober, an, bei denen „Halbstarke“ Polizeibeamte angegriffen und aus Bäckereien Brote gestohlen hätten, während in Bergedorf „Besonnenheit die Oberhand behalten“ habe.

Bereits am vorangegangenen Sonnabend (21. Oktober) hatten „in verschiedenen Straßen“ Hamburgs Teuerungsdemonstrationen stattgefunden, bei denen in Hammerbrook Waren aus zwei Brotgeschäften und einem Delikatessengeschäft gestohlen worden waren (BZ vom 22. Oktober). Ebenfalls am Sonnabend hatten die Arbeiter der Deutschen Werft die Arbeit niedergelegt, die Arbeiter fast aller anderen Werften und die Schauerleute folgten: der Hafen stand still (BZ vom 23. Oktober). Auch hier schien die Teuerung im Vordergrund zu stehen.

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

Anders dagegen am Dienstagmorgen (23. Oktober): „kommunistische Unruhen in Hamburg“, meldete die BZ: mehrere Polizeiwachen wurden gestürmt, es kam zu bewaffneten Kämpfen und Barrikadenbau. Das Ziel der KPD war laut Wikipedia „der bewaffnete Umsturz in Deutschland nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution 1917“: die demokratisch gewählten Institutionen sollten beseitigt werden.

Erfolgreich war das Vorhaben nicht, doch die Meldung der BZ, dass bereits „gegen Mittag … die Polizei überall Herr der Lage“ war, traf nicht zu, wie die Berichte über den folgenden Tag zeigen.

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

In Bergedorf-Sande schien nur das Eisenwerk von den Unruhen betroffen, als einhundert „fremde Leute“ in den Betrieb eindrangen und die Einstellung der Arbeit forderten. Laut BZ widersprach der Betriebsrat der Forderung, aber auf den Rat der Werksleitung hin verließen Arbeiter und Angestellte den Betrieb, was offenbar Auseinandersetzungen und eine längere Betriebsbesetzung verhinderte. Am Nachmittag versammelten sich Erwerbslose und ein Teil der Eisenwerks-Arbeiter und beschlossen, für alle Bergedorf-Sander Betriebe am 24.10. den Generalstreik auszurufen – SPD und ADGB forderten, dem Aufruf nicht zu folgen (BZ vom 24. Oktober).

Der weitere Verlauf des „Hamburger Putsches“ (BZ vom 25. Oktober) in Bergedorf-Sande soll in der kommenden Woche thematisiert werden.

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Der (zu) frühe Ladenschluss

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1923

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1923

Im Ton unterschiedlich – in der Sache einig: die Geschäftsinhaber von Bergedorf und Sande reduzierten die Öffnungszeiten ihrer Läden. Während die Kolonial- und Fettwarenhändler ihre Anzeige schmucklos auf die Angabe der neuen Zeiten beschränkten, nannte der Verein der Ladeninhaber „wirtschaftliche Gründe“ für die Maßnahme, die die BZ im redaktionellen Teil wiedergab, nämlich die „hohen Preise für Beleuchtung und Heizung“. Die „Ladeninhaber“ warben also um Verständnis und auch Unterstützung – letzteres kann man nur als den Appell verstehen, nach 17 Uhr keine Einkäufe in Geschäften zu tätigen, die sich nicht an die Empfehlung des Vereins hielten.

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1923

Man kann die Einzelhändler ja durchaus verstehen – aber der vorverlegte Ladenschluss stellte manche Bergedorferinnen, die die Familieneinkäufe tätigen sollten, vor Probleme: wenn ein Arbeiter erst um bzw. nach 16 Uhr seinen Lohn erhielt, blieben nur wenige Minuten für den Einkauf, und in dieser knappen Zeit herrschte in den Geschäften reger Publikumsverkehr. Doch zu dem Gedränge an den Ladentheken gab es keine Alternative, da das knappe Geld über Nacht an Kaufkraft einbüßte. Ob die Kaufleute auf das von einer Kriegshinterbliebenen hier geschilderte Problem eingingen, war der BZ nicht zu entnehmen.

 

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Die Teuerungsdemonstrationen

Bergedorfer Zeitung, 12. Oktober 1923

Im Oktober 1923 brodelte es unter den über 2.000 Arbeitslosen in und um Bergedorf: sie zogen vor das Bergedorfer Stadthaus und forderten Lebensmittel und Arbeit.

Die wirtschaftliche Lage soll kurz verdeutlicht werden: die Unterstützungssätze für ledige männliche Arbeitslose betrugen ab dem 3. Oktober 60 Millionen Mark pro Woche, für ledige arbeitslose Frauen 48 Millionen Mark – ab 10. Oktober wurden 165 bzw. 130 Millionen Mark gezahlt. Die Lebenshaltungskosten für eine fünfköpfige Familie (Index 1913/14 gleich 1) stiegen von 61.521.799 am 4. Oktober auf 443.083.000 am 11. Oktober (alle Angaben laut BZ vom 4., 5., 11. und 12. Oktober), also um ein Mehrfaches schneller. Außerdem sollte es ab dem 15. Oktober kein subventioniertes Markenbrot mehr geben.

Die Stimmung war also (verständlicherweise) äußerst angespannt, und es war dem Bergedorfer Bürgermeister Wiesner zu verdanken, dass die Demonstrationen „einen durchaus ruhigen Verlauf nahmen“: laut BZ-Bericht gelang es ihm, innerhalb kürzester Zeit nicht nur Milliardenbeträge aus Hamburg bewilligt zu bekommen, sondern auch real auszahlen zu können (möglicherweise mit den auf den 9. Oktober datierten Bergedorfer „Gutscheinen“ von 500 Millionen Mark).

Damit kehrte in Bergedorf wieder Ruhe ein, auch am nächsten Tag in Sande, wo die Geschäftsinhaber Brot und Margarine ohne Gewinn abgeben wollten – die Kosten von 700 Milliarden Mark sollten durch Spenden gedeckt werden (BZ vom 13. und 18. Oktober). In Hamburg gab es durch den Gewerkschaftsbund vermittelte Gespräche zwischen SPD, KPD und USP mit dem Ziel, gemeinsam zugunsten des Proletariats zu agieren (BZ vom 10. Oktober). Die BZ meldete einige Tage später das Scheitern dieser „Einigungsverhandlungen … zwecks Herstellung einer proletarischen Einheitsfront“, nicht aber den Grund des Scheiterns (BZ vom 16. Oktober).

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Bibliotheksprobleme 1923

Bergedorfer Zeitung, 10. Oktober 1923

Im Frühjahr hatte die Besenhorster Gemeindevertretung beschlossen, die Bibliotheksgebühren für das zweite Quartal zu verdoppeln (BZ vom 16. März), im dritten Quartal gab es eine weitere Erhöhung (BZ vom 21. Juli) – im Herbst die Kehrtwende: für die Ortsansässigen wurden die Gebühren abgeschafft. Das war sicher „beachtenswert“, wobei man nicht weiß, ob bei der Beschlussfassung nun das Prinzip der kostenfreien Bildung zum Tragen kam – oder ob es schlicht die Kapitulation vor der Geldentwertung war: kostendeckende Leihgebühren wären ja täglich anzupassen gewesen.

Andere Problemlösungsversuche gab es in Curslack und Ochsenwärder: in Curslack übernahm die Schule die Gemeindebibliothek (BZ vom 30. Mai). Den sieben „Wanderbüchereien“ (vermutlich an den Schulen stationierte Bücherkisten) verordneten Ochsenwärders Gemeindevertreter eine einjährige „Ruhepause“, da die Mittel für Bestandserhaltung und -ergänzung nicht ausreichten (BZ vom 12. September).

Bergedorfer Zeitung, 12. Juni 1923

Dem Verein Öffentliche Bücherhalle Bergedorf ging es scheinbar besser: die Zuschüsse von Staat und Stadt Bergedorf wurden auf das fünfzehnfache erhöht – das klingt sehr beachtlich, doch der Förderbetrag von 600.000 Mark muss in Relation zu anderen Preisen jener Tage gesehen werden: im Textilgeschäft P. Langhans kostete der teuerste Damen-Wintermantel 575.000 Mark (BZ vom 16. Juni), ein Pfund Röstkaffee je nach Qualität 43.800 bis 50.300 Mark (BZ vom 15. Juni).

Auch den Bergedorfer Schülerbüchereien ging es nicht gut: die Fortbildungsschule bat um Bücherspenden (BZ vom 28. April); Hansa- und Luisenschule gaben für ihre Büchereien ein Konzert (BZ vom 12. Mai) – Geld für Neubeschaffungen war offenbar nicht vorhanden.

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Der vermeintliche Brotpreis-Skandal

Der von dem BZ-Lokalredakteur aufgedeckte Skandal erwies sich schnell als Rechenfehler eines Mannes, der 1923 nie Brot gekauft hatte:

Bergedorfer Zeitung 28. September 1923

Der Skandal:

Das „Markenbrot“, das über Rationierung und staatlich subventionierten Preis die Grundversorgung der Bevölkerung sichern sollte, wurde teurer, der Brotpreis sollte 17,4 bzw. 18 Millionen Mark betragen. Dagegen kostete ein „markenfreies“, d.h. auf dem freien Markt in beliebiger Menge käufliches, Brot nur 17 Millionen Mark – ein „ganz widersinniger Zustand“, wie der Journalist konstatierte, denn die Subvention sollte ja dafür sorgen, dass der Marktpreis nach unten korrigiert würde.

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1923

Der Rechenfehler:

Der Journalist hatte nicht berücksichtigt, dass die Brote unterschiedlich schwer waren: Ein Markenbrot wog 1.900 Gramm, ein markenfreies Brot 1.200 Gramm – der Preis pro Gramm betrug also beim Marken-Schwarzbrot 9.157,90 Mark, beim Marken-Feinbrot 9.473,68 Mark, beim markenfreien Fein- und Schwarzbrot 14.166,67 Mark. Das markenfreie Brot war also bedeutend teurer, wie die BZ am folgenden Tag auch einräumte.

Hätte Hanns Lotz selbst für sich und ggf. seine Familie Brot eingekauft, wäre ihm der Unterschied zwischen 1.200 Gramm und 1.900 Gramm wohl nicht verborgen geblieben.

Der Preis für markenfreies Brot konnte sich „der Geldentwertung folgend“ (BZ vom 3. Oktober) täglich ändern; er stieg im Laufe der Woche auf 52 Millionen Mark (BZ vom 5. Oktober). Das Markenbrot erfuhr die nächste Preiserhöhung (erst) zum 6. Oktober auf 21 bzw. 21,6 Millionen Mark.

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