Die schwierige Kalkulation der Konzertkarten-Preise

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1923

BZ, 19. September 1923

Konzertveranstalter und Theatergesell-schaften freuen sich im allgemeinen, wenn sie möglichst viele Eintrittskarten im Vorverkauf absetzen können – aber in Inflationszeiten kann der Vorverkauf zum Problem werden, wie nicht nur die Hasse-Gesellschaft erfahren musste: zehn Tage vor ihrem Kammermusik-Abend am 22. September 1923 stellte sie Karten für zwischen einer und eineinhalb Millionen Mark zum Verkauf – doch einige Tage später sah sie sich genötigt, eine Nachzahlung in Höhe von 100 Prozent zu verlangen (Ähnlich erging es der Theater-Direktion Moebius, BZ vom 4. Oktober). Die BZ appellierte im redaktionellen Teil an „das Verständnis und den oft bewiesenen Opfersinn der Bergedorfer Musikfreunde“ (BZ vom 19. September) und war damit offenbar erfolgreich: die Stadtschulaula war gut gefüllt, und der BZ-Kritiker lobte neben den Musikern den überraschenderweise endlich restaurierten Bechstein-Flügel ebenso wie die farbliche Gestaltung des Saals nach einem Entwurf des Bergedorfer Kunstmalers Franz Liebisch (BZ vom 24. September).

Bergedorfer Zeitung, 14. September 1923

BZ, 21. September 1923

Einen anderen Weg schlugen die Veranstalter beim Bachfest in Curslack ein: sie koppelten den Eintrittspreis an den Buchhandelsindex, also den Preis-Multiplikator für Bücher – ob damit der Indexwert am Karten-Kauftag oder am Konzerttag gelten sollte, war der Zeitung nicht zu entnehmen. Der Vorverkauf lief aber anscheinend nicht wie gewünscht, und so wurde eine alternative Bezahlmöglichkeit ergänzt: Kartoffeln, Obst, Eier oder andere Lebensmittel. Für die ländliche Bevölkerung Curslacks war dieser zweite Weg bestimmt kalkulierbarer.

 

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Sprachmurks bei Stellenangeboten

BZ, 14. September 1923

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1923

Wahrscheinlich werden beide Inserenten gewusst haben, dass ihre Anzeige sprachlich vermurkst war: es hätte ja eigentlich „Stenotypisten bzw. Stenotypistinnen“ und „Junger Kontorist bzw. junge Kontoristin“ heißen müssen – aber Zeitungsanzeigen kosten Geld, und so entschied man sich für die nicht korrekte Sparversion, die aber eben die Zusatzausgaben aufgrund einer weiteren Druckzeile verhinderte. Ob das Binnen-I geholfen hätte, soll hier nicht diskutiert werden; es war ja auch noch nicht erfunden.

BZ, 27. September 1923

BZ, 7. September 1923

Die Betriebswerke der Stadt Bergedorf zielten anscheinend nur auf männliche Bewerber, ebenso die Gemeinde Geesthacht, die einen „in allen Verwaltungszweigen erfahrenen, selbständig arbeitenden Verwaltungs-gehilfen“ suchte (BZ vom 28. September) – ob die Bergedorfer Maschinenfabrik die Stelle in ihrem Kontor bewusst nur für Frauen ausschrieb, weil sie einen Beitrag zur Emanzipation der Frau leisten wollte oder einfach weil Frauen schlechter bezahlt wurden, muss offenbleiben.

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Wege aus der Inflation

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1923

Wie entkommt man der Inflation? Bergedorfs Schuhmacher probierten es mit der „Festmark“, und schon blieben die Preise stabil, denn die Festmark war an den Dollarkurs gekoppelt. Allerdings gab es keine Festmark-Münzen oder -Scheine, und so musste beim Bezahlen umgerechnet werden: Festmarkpreis geteilt durch vier ergab den Dollarpreis, der Wechselkurs des Dollar ergab dann den Papiermarkpreis, z. B.: Sohlen und Ansätze für Herrenschuhe kosteten 4 Festmark, entsprechend 1,00 $, und an diesem Tag notierte der Dollar laut BZ an der Hamburger Börse bei 60 Millionen Papiermark. So sparten sich die Flickschuster die laufenden Aktualisierungen ihrer Preisaushänge – dafür mussten sie täglich zur Bank laufen, um den aktuellen Wechselkurs zu erfragen und dann ihre Mark-Preise auszurechnen.

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1923

Auch das Reich bot einen Ausweg aus der Geldentwertung und legte Ende August eine „Wertbeständige Anleihe“ auf, die ebenfalls an den Dollar gekoppelt war. Man konnte in Papiermark einzahlen und bekam zum Tageskurs Dollar gutgeschrieben, Mindestanlagebetrag 0,10 $. Das war auf jeden Fall sinnvoller als die Markscheine in das Kopfkissen zu stopfen oder auf ein in Mark geführtes Konto einzuzahlen, wie die Entwicklung des Wechselkurses zeigt: innerhalb einer Woche stieg der Dollar von 18 bis 20 Millionen Mark auf gut 66 Millionen (BZ vom 5. und 11. September 1923), aber man musste immerhin Millionenbeträge verfügbar haben, und die werden große Teile der Bevölkerung nicht gehabt haben.

BZ, 5. September 1923

BZ, 6. September 1923

Eine weitere Alternative war die Naturalwirtschaft, bei der es aber genauso Wertermittlungsprobleme geben konnte (z.B. bei frischen oder eben nicht frischen Lebensmitteln) oder der Tausch von Gütern, wie diverse Kleinanzeigen belegen – ob der potentielle Hauskäufer tatsächlich in Goldmark zahlen wollte und konnte oder in „wertbeständigen“ Alternativen, weiß man nicht.

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1923

Einige Wochen später zeigte die Bergedorfer Firma Kufeke einen weiteren Ausweg auf, den Menschen mit geringen Einkommen wohl eher als zynisch empfunden haben.

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Geheime Beziehungen zwischen Bergedorf und Japan?

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1923

Der „Tagesbericht“ war das Herzstück der Bergedorfer Zeitung: in diesem Teil gab es eine Vielzahl von Meldungen, die für das Leben der Leserinnen und Leser relevant waren, was auf Lebensmitteltransporte per Bahn zweifellos zutraf. Die Bevorzugung von Lebensmitteltransporten, „ähnlich … wie im Kriegswinter 1916/17“, zeugt von der Überlastung der Gütertransportkapazitäten.

Am 10. September 1923 gab es in diesem „Tagesbericht“ zwanzig Artikel unterschiedlicher Länge; das Spektrum umfasste Erhöhungen der Postgebühren und der Fahrpreise auf der Vorortsbahn zwischen Bergedorf und Hamburg, Fragen von Grundsteuer und Gnadenrenten, Berichte über den Jahrmarkt sowie den Schweine- und Pferdemarkt, das Ende der Schonzeit für Rebhühner, um nur einige Beispiele anzuführen.

Bergedorfer Zeitung, 10. September 1923

Warum in diesem Teil der BZ an diesem Tag auch das unbefristete Verbot von in einer Geheimsprache verfassten Privattelegrammen nach Japan auftauchte, erschließt sich allerdings nicht. Über Auswirkungen des Verbots auf das Leben in Bergedorf wurde nichts berichtet.

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Neues vom Notgeld

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1923

„Notgeldscheine der verschiedenen Art haben wir ja nun allerdings urplötzlich wieder in Hülle und Fülle. Sie schießen über Nacht wie Pilze aus der Erde“, schrieb der BZ-Redakteur Hanns Lotz (BZ vom 18. August). Das war zwar übertrieben, aber in Bergedorf dürften außer den eigenen „Gutscheinen“ mindestens auch die der Gemeinde Sande und die der Stadt Hamburg im Umlauf gewesen sein, und seit einigen Tagen wohl auch die Krümmel-Gutscheine der Dynamit-AG, also Zahlungsmittel eines Privatunternehmens.

 

Bergedorfer Zeitung, 30. August 1923

Gegen derartiges Firmengeld wollte das Reich nun aber „mit allem Nachdruck“ vorgehen, denn mittlerweile seien Zahlungsmittel in hinreichender Menge vorhanden: Reichsbanknoten und Notgeld von Ländern und Kommunen. Bis dahin war das Privatgeld offenbar toleriert worden, damit die Firmen Löhne und Gehälter zahlen konnten.

Meldungen über dieses Einschreiten waren in der BZ nicht zu finden, was auch nicht überrascht: mit fortschreitender bzw. -galoppierender Inflation dürfte der Altpapierwert der Krümmeler Scheine bald höher gewesen sein als der Nennwert.

Bergedorf verlängerte übrigens nicht nur die Gültigkeit seiner Gutscheine um einen Monat (BZ vom 31. August), sondern begab die neu ausgegebenen Fünf-Millionen-Scheine mit „vorläufig unbegrenzter Geltungsdauer“. Sande verfuhr mit seinen neuen Zahlungsmitteln genauso.

 

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Bergedorf Weltmeister! (?)

Bergedorfer Zeitung, 29. August 1923

Vor hundert Jahren war Bergedorf die Radsport-Hochburg in Hamburg, mit sehr beachtlichen Erfolgen: der RV Sport errang nicht nur die deutsche Meisterschaft im Zweier-Radball (BZ vom 8. und 10. August 1923), sondern sogar den Weltmeistertitel in dieser Sportart, die heute in Hamburg nicht mehr praktiziert wird: der Radsport-Verband Hamburg e.V. beschreibt zwar auf seiner Internetseite den Zweier-Radball, kann aber keine Vereine nennen, in denen Radball gespielt wird.

Bergedorfer Zeitung, 12. Juni 1923

Nicht nur im Saal war der „R.-V. ‚Sport‘ von 1893 Bergedorf-Hamburg“ aktiv, sondern auch auf der Straße, und dort gab es ebenfalls beachtliche Erfolge zu vermelden: bereits zweimal war die Rennmannschaft über 100 Kilometer Deutscher Meister geworden, zuletzt 1922. Das Ergebnis von 1923 wird mit großer Enttäuschung aufgenommen worden sein: 12. Platz unter 42 Vereinen.

So mussten die Bergedorfer sich mit dem Weltmeistertitel im Radball begnügen, wobei fraglich ist, ob die Spieler Koeping und Holst Bergedorfer oder doch eher Hamburger waren: im Hamburger Adressbuch jedenfalls taucht der Name Köping nicht in der Abteilung Bergedorf auf. Auch den WM-Titel kann man in Frage stellen: der Welt-Radsport-Verband UCI führt Weltmeister im Radball laut Wikipedia erst seit 1930.

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Die Eingabe und der intime Charakter des Gehölzes

BZ, 24. August 1923

Der Inserent war sich seiner Sache sicher: jeder vernünftige Mensch würde die „wichtige Eingabe“ an den Magistrat unterzeichnen, die in verschiedenen Geschäften auslag – den Inhalt der Eingabe erfuhr man offenbar nur dort, aber nicht aus der Zeitung. So viel allerdings konnte der Zeitungsleser erschließen: es ging nicht um Parteipolitik, denn sowohl bei der sozialdemokratischen Volksbuchhandlung als auch bei der bürgerlichen Buch- und Papierwarenhandlung von Kirchner lag die Eingabe im Schaufenster, und die Angelegenheit betraf nicht nur Bergedorf, sondern auch Reinbek.

Bergedorfer Zeitung, 27. August 1923

Da half ein Leserbrief: Inhalt der Eingabe war es offenbar, einen „Fahrweg quer durch das Gehölz“ von Bergedorf nach Reinbek zu fordern, und dem widersprach der Verfasser des Leserbriefs (Albert Zimmermann) vehement: es gelte, „eine Verschandelung unseres Waldbesitzes“ zu verhindern und den „intimen Charakter unseres Gehölzes“ zu bewahren. Ein „Weg für leichtes Gefährt“ würde zu dem Versuch führen, ihn „schließlich auch für Automobile frei zu bekommen.“

Ob hinter der Straßenplanung wirklich Herr Schinkel steckte und er für die ihm gehörenden Grundstücke in Wentorf eine bessere Anbindung (und damit Wertsteigerung) nach Bergedorf erreichen wollte – es klingt zumindest plausibel.

Aus der Eingabe wurde nichts – der „Reinbeker Weg“ in Bergedorf und der „Bergedorfer Weg“ in Wentorf sind zwar „Fahrwege“ im Sinne der Eingabe (auch für schweres Gefährt, Automobile aller Art, darunter Omnibusse etc.), aber durch das Gehölz geht’s bis heute nur unmotorisiert.

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Der Zucker zwischen Festpreis und Marktpreis

Im Herbst 1921 war die Zwangsbewirtschaftung des Zuckers eingestellt worden, weil sie nicht funktioniert hatte. Die freie Wirtschaft hatte aber auch nicht funktioniert, und so war man im Herbst 1922 zur Rationierung und behördlichen Preisfestsetzung zurückgekehrt (BZ vom 13. Oktober 1923). Ergebnis: es funktionierte nicht.

Bergedorfer Zeitung, 27. Juni 1923

Deutlich wurde dies durch die Beschwerde einer Leserbriefschreiberin: seit zwei Wochen hatte es keinen Zucker gegeben, auch keinen  Einmachzucker, und das in den Wochen, in denen man Erd-, Him-, Johannis- und dergleichen Beeren erntete und (mit entsprechend viel Zucker) zu Marmelade einkochte. Erst im Juli konnte die Landherrenschaft wieder Zucker, darunter ein Pfund Einmachzucker, liefern.

Bergedorfer Zeitung, 20. August 1923

Im August stockte es wieder: die Ernährungsminister von Reich und Ländern berieten (wieder) über die Freigabe der Zuckerwirtschaft bei gleichzeitiger Sicherung der „Zuführung des Mundzuckers an die Bevölkerung“ (BZ vom 20. August 1923). In Hamburg warnte die Landherrenschaft vor dem Ausbleiben von Lieferungen: bei den behördlich festgesetzten Zuckerpreisen sei die Herstellung von Zucker wirtschaftlich nicht möglich.

Die Versorgungslage besserte sich nach Änderung der Preise: „Endlich gibt’s Zucker“ jubelte die BZ, wenn auch nur „in bescheidenen Dosen“ von 250 Gramm pro Woche, Pfundpreis 8 Millionen Mark gegenüber 3.000 Mark Anfang Juli (BZ vom 2. Juli, 31. August und 22. September 1922).

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Die Preisschilderverordnung und die Inflation

Bergedorfer Zeitung, 16. August 1923

Bergedorfer Zeitung, 16. August 1923

 

 

 

 

 

 

Die Einzelhändler stöhnten – der Verlag der Bergedorfer Zeitung freute sich: eine neue Verordnung schrieb vor, dass Waren nur mit Preisangabe zum Verkauf ausgestellt werden durften, und für die über vierzig Kolonialwarenhandlungen der Stadt hatte die BZ die „behördlich vorgeschriebenen Preislisten“ im Angebot.

Für die Händler bedeutete die Regelung eine Menge Arbeit, da sich die Preise ja nahezu täglich änderten – der Verein der Ladeninhaber von Bergedorf und Sande hielt die Verordnung schon deshalb für „technisch gar nicht durchführbar“ und drohte damit, die „Schaufenster vollständig auszuräumen und gar nichts mehr auszustellen“, wenn die Behörden auf strikte Einhaltung der Vorschrift dringen sollten (BZ vom 28. August 1923).

Nicht nur die „Verordnung über die äußere Kennzeichnung von Waren“, sondern auch die anderen am selben Tag in Kraft getretenen Vorschriften, darunter eine „Preistreibereiverordnung“, dürften keine große Wirkung erzielt haben – die Inflation konnten sie jedenfalls nicht stoppen.

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Die ländlichen Genossenschaften und die Bank im Zigarrenladen

Bergedorfer Zeitung, 15. August 1923

Warum es in Kirchwärder (Südseite) so lange gedauert hatte, ist unklar. In den meisten Gemeinden der Vierlande und der Marschlande waren Raiffeisengenossenschaften schon im Frühjahr gegründet worden (siehe z.B. die BZ vom 21. März und 14. April 1923), um Waren, vor allem gärtnerischen und landwirtschaftlichen Bedarf, durch Ausschaltung des Zwischenhandels günstiger beziehen zu können. Ersparnisse beim Einkauf von Brennmaterial waren natürlich für breiteste Kreise von Interesse, und so hatten diese Genossenschaften einen regen Zulauf auch von Nicht-Landwirten. In der Kampchaussee (heute Kurt-A.-Körber-Chaussee) wurde ein zentrales Warenlager für den Raum Bergedorf eingerichtet (BZ vom 28. Mai 1923).

Bergedorfer Zeitung, 24. August 1923

Auch in der Finanzwirtschaft wurden die neuen Genossenschaften aktiv und wollten den Zahlungsverkehr über eigene bankähnliche Einrichtungen abwickeln – der Anfang war zumindest in Bergedorf bescheiden: die dortige „Zweig-Geschäftsstelle für den Geldverkehr“ befand sich in einem Zigarrengeschäft.

Mehrfach gab es Meldungen, dass Mitglieder der Genossenschaften Waren (z.B. Viehsalz, Kali, Torf, Kartoffeln, Steckrüben) beziehen konnten – ob das für sie wirtschaftlich sinnvoll war, kann nicht beurteilt werden. Die eingezahlten Genossenschaftsanteile jedenfalls wurden von der Inflation aufgefressen.

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