Der verfrühte Nekrolog auf die Brotkarte

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1923

„Wehmütiger Abschied von der Brotkarte“ (BZ vom 8. Oktober 1923), „Das letzte Markenbrot“ (BZ vom 13. Oktober 1923) und „Nekrolog auf die Brotkarte“ (BZ vom 16. Oktober 1923) hatte die BZ in ihrem jeweiligen Tagesbericht getitelt, denn der Reichstag hatte im Juli das Auslaufen der Markenbrotversorgung zum 15. Oktober beschlossen: es sollte keinen subventionierten Brotpreis für Bezieher kleiner Einkommen mehr geben, wobei diese Umstellung auf Marktpreise durch Zuschüsse für kinderreiche Familien sowie erhöhte Zahlungen an Rentner, Kriegsopfer und Arbeitslose abgemildert wurde (BZ vom 15. und 19. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1923

„Das letzte Markenbrot“ in Hamburg und in der Landherrenschaft Bergedorf kostete 16 Millionen Mark und wog 500 Gramm: das war laut Bekanntmachung der Rest an Mehl, den Hamburg hatte (BZ vom 13. Oktober); danach sollten die Marktpreise gezahlt werden. Eine Woche später musste man für ein Schwarzbrot von 1.600 Gramm 1,66 Milliarden Mark auf die Ladentheke legen (BZ vom 20. Oktober), was zu der überaus gereizten Stimmung in der Bevölkerung beitrug, die sich die KPD bei ihrem Umsturzversuch zu Nutze machen wollte (siehe den Beitrag über die Unruhen in Bergedorf und Sande).

 

 

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1923

Der Hamburger Senat, der im Reichsrat (vergebens) für die Beibehaltung der Brotkarte plädiert hatte (BZ vom 8. Oktober), ergriff in dieser Situation Maßnahmen: die Gültigkeit der Brotkarte wurde verlängert, der Nekrolog war also voreilig gewesen – es sollte „einmalig“ 1.600 Gramm Einheitsbrot zu 4,2 Milliarden Mark geben (etwa ein Drittel billiger als markenfreies Brot, BZ vom 24. Oktober). Da wird man in Sande neidisch nach Bergedorf geblickt haben, denn in Preußen gab es nur die allgemeinen Unterstützungen der Umstellung (s.o.), die es in Bergedorf zusätzlich zum Markenbrot gab (BZ vom 15. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1923

Einmalig war die Aktion aber doch nicht, sie wurde bis in den Dezember hinein verlängert und dann wegen fallender Mehlpreise (nach erfolgter Währungsreform) eingestellt. Allerdings trauten die amtlichen Stellen der Entwicklung nicht und empfahlen, die Brotkarten für eventuelle spätere Verteilungen „sorgfältig aufzubewahren“ (BZ vom 10. Dezember).

Totgesagte leben eben länger.

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