Unruhen in Hamburg – Nervosität in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

Als die Teuerungsdemonstrationen in Bergedorf und Sande stattfanden, kostete ein „markenfreies“ Brot 570 Millionen Mark (BZ vom 11. Oktober) – knapp vierzehn Tage später war der Preis auf 4,2 Milliarden geklettert. Die BZ konstatierte, dass „die Nervosität in allen Bevölkerungskreisen aufs höchste gestiegen“ sei, erklärte Ruhe zur ersten Bürgerpflicht und warnte davor, „Skandal zu machen oder gar Ladenscheiben einzuschlagen“. Sie spielte damit auf Vorkommnisse in Hamburg am Montag, 22. Oktober, an, bei denen „Halbstarke“ Polizeibeamte angegriffen und aus Bäckereien Brote gestohlen hätten, während in Bergedorf „Besonnenheit die Oberhand behalten“ habe.

Bereits am vorangegangenen Sonnabend (21. Oktober) hatten „in verschiedenen Straßen“ Hamburgs Teuerungsdemonstrationen stattgefunden, bei denen in Hammerbrook Waren aus zwei Brotgeschäften und einem Delikatessengeschäft gestohlen worden waren (BZ vom 22. Oktober). Ebenfalls am Sonnabend hatten die Arbeiter der Deutschen Werft die Arbeit niedergelegt, die Arbeiter fast aller anderen Werften und die Schauerleute folgten: der Hafen stand still (BZ vom 23. Oktober). Auch hier schien die Teuerung im Vordergrund zu stehen.

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

Anders dagegen am Dienstagmorgen (23. Oktober): „kommunistische Unruhen in Hamburg“, meldete die BZ: mehrere Polizeiwachen wurden gestürmt, es kam zu bewaffneten Kämpfen und Barrikadenbau. Das Ziel der KPD war laut Wikipedia „der bewaffnete Umsturz in Deutschland nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution 1917“: die demokratisch gewählten Institutionen sollten beseitigt werden.

Erfolgreich war das Vorhaben nicht, doch die Meldung der BZ, dass bereits „gegen Mittag … die Polizei überall Herr der Lage“ war, traf nicht zu, wie die Berichte über den folgenden Tag zeigen.

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

In Bergedorf-Sande schien nur das Eisenwerk von den Unruhen betroffen, als einhundert „fremde Leute“ in den Betrieb eindrangen und die Einstellung der Arbeit forderten. Laut BZ widersprach der Betriebsrat der Forderung, aber auf den Rat der Werksleitung hin verließen Arbeiter und Angestellte den Betrieb, was offenbar Auseinandersetzungen und eine längere Betriebsbesetzung verhinderte. Am Nachmittag versammelten sich Erwerbslose und ein Teil der Eisenwerks-Arbeiter und beschlossen, für alle Bergedorf-Sander Betriebe am 24.10. den Generalstreik auszurufen – SPD und ADGB forderten, dem Aufruf nicht zu folgen (BZ vom 24. Oktober).

Der weitere Verlauf des „Hamburger Putsches“ (BZ vom 25. Oktober) in Bergedorf-Sande soll in der kommenden Woche thematisiert werden.

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