Sport nach Vorschrift (des Kriegsministeriums)

Bergedorfer Zeitung, 19. Januar 1918

Warum der Bergedorfer Fußballklub von 1902 eine außerordentliche Mitgliederversammlung abhielt, erhellt sich aus dem Bericht der Bergedorfer Zeitung nicht: es klingt alles nach einer turnusmäßigen Sitzung, bei der der Jahresbericht über das Vorjahr behandelt wurde.

Die Zahl der jugendlichen Mitglieder (50) war beachtlich – ein erheblicher Teil dürfte der „Wehrabteilung“ angehört haben, die „gemäß den Richtlinien des Kriegsministeriums“ ihre allwöchentlichen Übungen abhielt, also nicht nach fußballerischen Gesichtspunkten (siehe hierzu auch den Beitrag Sport fürs Vaterland). Inwieweit sich dieses Programm von dem der Bergedorfer Jugendkompagnie unterschied, war nicht zu klären: hatten bei den Jugendkompagnien in der ersten Kriegshälfte noch Exerzieren, Gelände- und auch Schießübungen im Vordergrund gestanden, so ging es danach primär um körperliche Ertüchtigung und um Ernteeinsätze, wie in einem Aufsatz von Dietmar Scholz: Zur vormilitärischen Ausbildung Jugendlicher in Westfalen 1914-1917 nachzulesen ist. In Bergedorf wird es im Grundsatz nicht anders gewesen sein als in Westfalen.

Obwohl 90 Prozent der erwachsenen Vereinsmitglieder einberufen worden waren, wollte man den Spielbetrieb aufrechterhalten, sich sowohl mit der Herren- als auch mit der Schülermannschaft an den offiziellen Hamburger Verbandsspielen beteiligen und weitere „die Durchbildung des Körpers fördernde Spiele“ aufnehmen, doch da hatte der Vorstand den Mund wohl etwas zu voll genommen: gut zwei Monate später wurde erstmals über den bevorstehenden Zusammenschluss (der Devise „Einigkeit macht stark“ folgend) mit dem Spielverein Bergedorf berichtet, obwohl es zwischen den Vereinen „an Anfeindungen … nicht gefehlt“ habe (BZ vom 27. März 1918). Die BZ meldete dann im Sommer den Vollzug der Fusion zu „Spiel und Sport Bergedorf“ (BZ vom 17. August 1918); nach einer Darstellung im Lichtwark-Heft (Nr., 48, 1984, S. 15) war dies aber nur eine „Kriegsgemeinschaft“, die der 1919 erfolgten formellen Vereinigung vorausging.

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Das Friedensgeschrei

Bergedorfer Zeitung, 10. Januar 1918

Zumindest in der Online-Ausgabe des Duden sucht man das Wort „Friedensgeschrei“ vergeblich, das hier in diesem Brief „aus dem Felde“ an den Vaterländischen Frauenverein für Geesthacht und Umgegend auftauchte – das gebräuchlichere „Kriegsgeschrei“ ist dagegen verzeichnet. Der Verfasser des Briefes bedankte sich zunächst artig für die übersandten Liebesgaben und gab dann seiner Hoffnung Ausdruck, dass „der große Frieden, der nur nach einem deutschen Sieg kommen kann, endlich erblühe.“

Er sah den militärischen Sieg aber gefährdet, und dafür machte er nicht etwa die militärischen Führer  Hindenburg und Ludendorff verantwortlich, sondern die Heimat: sie habe Schuld auf sich geladen, die schwerer wöge als die entgegengebrachte Liebe zu Weihnachten: die Heimat habe „erste Unzufriedenheit“ unter die Soldaten gebracht „durch ihre Zwistigkeiten, Murren und Friedensgeschrei“.

Den „Besserwissern“ wollte er also das Handwerk gelegt sehen, was eindeutig auf die Befürworter der Friedensresolution des Reichstags zielte (siehe den Beitrag Große Politik in Bergedorf). Diese Haltung fand sich auch in anderen Artikeln der BZ aus diesen Wochen: so wurde ausführlich ein in der Schweiz lebender Geistlicher aus Neumünster zitiert, „daß nur der von allen guten Geistern verlassene Wahnsinn dem Verzichtfrieden in irgend einer Form das Wort reden kann“ (BZ vom 6. Januar 1918), und ein ungenannter Leitartikler sah die inneren Feinde am Werk: „im Rücken unseres tapferen Heeres wühlen böse Geister“ (BZ vom 7. Januar 1918).

War in diesem „Dankbrief aus dem Felde“ eine Vorwegnahme der Dolchstoßlegende enthalten, also der Behauptung Hindenburgs, Ludendorffs und anderer, dem deutschen Heer sei die Heimat in den Rücken gefallen und habe so die Niederlage verursacht?

 

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Betriebsstörungen und tödliche Unfälle in der Pulverfabrik

Bergedorfer Zeitung, 11. Januar 1918

Auf den ersten Blick sind diese Anzeigen der Pulverfabrik Düneberg geradezu kryptisch: „Düneberg-West“ dürfte eine der Werkserweiterungen bezeichnet haben, aber die Betriebsnamen Gorn, Appel, Koth und Thesenvitz erschließen sich erst nach einem Blick in das Bergedorfer Adressbuch 1915: diese vier sind dort als „Inspektoren“, alle wohnhaft im Gutsbezirk Düneberg, aufgeführt.

Bergedorfer Zeitung, 9. Januar 1918

Den Anzeigen zufolge sollte in mehreren Bereichen der Fabrik jeweils von einem bestimmten Tag an „in alter Weise“, „voll in gewohnter Weise“ gearbeitet werden bzw. „wieder voller Betrieb“ herrschen, was logisch eine vorangegangene Einschränkung der Produktion voraussetzt. Den Grund nannten die Inserate nicht, und im redaktionellen Teil der Bergedorfer Zeitung gab es gar keine Hinweise hierzu.

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1917

Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass es in Teilbereichen Zerstörungen durch Explosionen gegeben hatte, worüber wohl nicht berichtet werden durfte. Über das Ausmaß kann man ebenfalls nur Vermutungen anstellen, aber betroffen waren nur einzelne „Betriebe“ der kleinteilig strukturierten Fabrik, es gab keine Totalzerstörung wie in Quickborn (siehe den Beitrag Explosion in Sander Fabrik). Folgt man der Darstellung des Enkels eines Düneberger Arbeiters bei Karl Gruber (S. 26f.), gab es „ab und zu“ beim Pulverwalzen Explosionen, die „meistens nicht tragisch“ waren und gelegentlich sogar absichtlich herbeigeführt wurden, „um zu einer möglichst vollen Mittagspause oder zu einem pünktlichen Feierabend zu kommen.“ Volker Ullrich (S. 73f.) hingegen zitiert eine Meldung aus dem „Hamburger Echo“ vom 16. September 1917, die solche Ereignisse sehr viel kritischer erscheinen lässt: „Es vergeht kein Tag, an dem nicht eine Anzahl mehr oder weniger schwer verbrannt aus dem Betrieb geschafft werden müssen.“ Das Foto einer zerstörten Presse bei Gruber (a.a.O., S. 31) verdeutlicht die Wucht, die eine solche Explosion haben konnte.

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1918

Bergedorfer Zeitung, 18. Januar 1918

Es gibt Grund zu der Annahme, dass mindestens eine der Explosionen, die es in Düneberg binnen weniger Wochen gegeben hatte, nicht glimpflich ausging, sondern tödlich: „nach kurzem schweren Leiden“ verstarb laut Traueranzeige der Familie am 15. Januar die Bergedorferin Johanna Dinkel. Eine weitere Annonce folgte: „die Arbeiter und Arbeiterinnen der Neuen Fabrik Düneberg, Abt. Röhrenpressen“ hatten diese für ihre Kollegin in die Zeitung setzen lassen.

Eine ähnliche Anzeige der Arbeiterinnen und Arbeiter der Neuen Fabrik, Reibwerke I – III, erschien in der Bergedorfer Zeitung vom 6. März 1918 für einen „plötzlich verstorbenen“ Arbeiter. Auch hier kann man vermuten, dass eine Explosion oder ein anderer Arbeitsunfall zum Tode führte und die Kolleginnen und Kollegen durch diese öffentlichen Bekundungen zugleich gegen unzureichende Sicherheitsvorkehrungen bei ihrer gefährlichen Arbeit protestieren wollten.

Entsprechende Inserate der Werksleitung gab es nicht – sie beschränkte sich im Herbst 1917 auf zwei Sammelanzeigen für „den Heldentod für das Vaterland“ gestorbene Werksangehörige (BZ vom 27. Oktober und 2. November 1917), in denen sie versicherte: „Ein ehrendes Andenken wird den Gefallenen allzeit bewahrt werden.“ Todesopfer im eigenen Betrieb wollte das Direktorium wohl lieber vergessen.

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Wenig Arbeit für den Arbeitsnachweis

Bergedorfer Zeitung, 7. Januar 1918

Überlaufen war die weibliche Abteilung des öffentlichen Arbeitsnachweises in Bergedorf mit 109 Fällen in sieben Monaten sicher nicht, und leider wird nicht klar, in wie vielen Fällen tatsächlich vermittelt werden konnte. Über die Tätigkeit der männlichen Abteilung wurde – ebenso leider – gar nicht berichtet, aber ältere Männer waren ohnehin meist vom Vaterländischen Hilfsdienst requiriert, und jüngere waren beim Militär.

Die Arbeitgeber aus „Handwerk, Handel und Fabrik“ suchten ihre Mitarbeiterinnen offenbar lieber selbst und ggf. über Annoncen in der Bergedorfer Zeitung, aber auch die waren im letzten Quartal 1917 rar geworden: die Munitionsfabrik Weiffenbach suchte „Arbeiterinnen für Pressen“ und „kräftige Erdarbeiterinnen“ (BZ vom 2. Oktober und 15. Dezember 1917), die Dynamitfabrik Krümmel brauchte „kräftige Frauen und Mädchen“ (BZ vom 5. November 1917), die „Trockenanlage Schleusendeich“ wollte „Arbeiterinnen“ einstellen (BZ vom 28. Dezember 1917). Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass vor allem Betriebe der Rüstungswirtschaft größeren Bedarf an Arbeiterinnen hatten – die übrige Wirtschaft lag weitgehend darnieder.

Die „Trockenanlage Schleusendeich“ (wohl der heutige Kurfürstendeich), über die aus der BZ sonst nichts zu erfahren war, wird sich mit der Haltbarmachung von Lebensmitteln wie Rüben und Kartoffeln befasst haben – auch eine „Kriegserrungenschaft“.

Bergedorfer Zeitung, 14. Dezember 1917

Bergedorfer Zeitung, 5. Januar 1918

Andere Anzeigen aus Bergedorf im Dezember 1917 bezogen sich fast ausschließlich auf Hauspersonal. Haushalte aus den besseren Wohnlagen suchten: eine (einfache) Stütze, eine Waschfrau, eine Morgenfrau, ein Tag- oder Morgenmädchen, ein besseres Mädchen, ein Haus-, Klein-, Allein- oder Dienstmädchen – soweit der Lohn genannt wurde, lag er zwischen 30 und 40 Mark im Monat. Attraktiv war das sicher nicht: die Rüstungsbetriebe zahlten besser.

Nur wenige boten eine Alternative: eine „hiesige Firma“ suchte eine bilanzsichere Buchhalterin, der Textileinzelhändler Heinrich Wenck brauchte eine Verkäuferin und der Kartonagenhersteller Max Armbruster & Co. wollte eine Vorarbeiterin einstellen. Der Schneidermeister Otto Brockmann wollte sogar weibliche Lehrlinge für die feine Schneiderei annehmen und Vergütung zahlen (BZ vom 5. Januar 1917) – das war das einzige Lehrstellenangebot für Mädchen in diesem Zeitraum.

Trotz allem fanden in der Aula der Stadtschule „Vorträge über die Berufswahl der Knaben und Mädchen“ statt (BZ vom 12. Januar 1918), und es gab im Frühjahr auch einzelne Lehrstellenangebote für beide Geschlechter. Die Klage von Handwerksbetrieben, dass die höheren Löhne der „Kriegswerkstätten“ zur Abwanderung von Lehrlingen dorthin führten (BZ vom 31. Dezember 1917), zeigt andererseits, dass in vielen Fällen das Geld der Ausbildung vorgezogen wurde.

Den Arbeits- und Ausbildungsmarkt nach Kriegsende (nicht nur) in Bergedorf kann man sich vorstellen.

 

 

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Wieder ein kalter Winter

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1917

Vor kurzem hatte sich die BZ noch an der leichten Schneedecke über Flur und Hain erfreut (BZ vom 27. Dezember 1917), aber es hatte nicht nur Schnee gegeben, sondern auch reichlich Frost: die Elbe „stand“ bei Geesthacht, und erste Wagemutige querten das Eis; für den Hamburger Hafen wurde „schwerer Eisgang“ gemeldet (BZ vom 28. Dezember 1917).

Bergedorfer Zeitung, 31. Dezember 1917

Es war ähnlich wie im Jahr zuvor (siehe den Beitrag Keine Kohle, kein Gas, aber große Kälte): über Wochen blieb es kalt, auch zwischen Ochsenwärder und Moorwärder herrschte reger Verkehr über das Eis der Elbe und ihrer Nebenarme. Aber dies war keine Variante des „Alstereisvergnügens“, es war ein Problem, denn der Warentransport nach Hamburg, der sonst mit Dampfern und zahllosen Ewern (siehe den Beitrag Teure Fracht) bestellt wurde, musste nun auf den schlecht ausgebauten Deichen und Wegen erfolgen. Als dann noch gefährliche Glätte hinzukam, war für mehrere Wochen „die Gemüsezufuhr nach Hamburg fast völlig unterbunden.“  Zwar gelang es Eisbrechern bald, die Süderelbe aufzubrechen, sodass wieder Transporte möglich wurden, doch die für die Versorgung der Stadt wichtigen Lauenburger Dampfer konnten erst am 30. Januar den Verkehr wieder aufnehmen (BZ vom 14. und 29. Januar 1918).

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Luxus Leuchtgas

Bergedorfer Zeitung, 29. Dezember 1917

Es entsprach dem Wunsch der Gemeindevertretung Geesthacht, dass „Leuchtgas“ mehr kostete als „Kochgas“ (BZ vom 21. Juni 1917): Gas zum Kochen war ihnen wichtiger als zur Beleuchtung – den Gaswerken wäre ein Einheitstarif (wie in Bergedorf und Sande) lieber gewesen, denn so mussten ggf. zwei Zähler in einem Haus installiert werden.

Die angekündigte Preiserhöhung war bereits die dritte während des Krieges: für das Kochgas waren erst 12, dann 14, dann 16, dann 18 Pfennig pro Kubikmeter zu zahlen (BZ vom 19. September 1916 und 21. Juni 1917), und nun sollte der Preis auf 20 Pfennig steigen, für Leuchtgas auf 22 Pfennig – allen Klagen über die schlechte Qualität des Gases (z.B. BZ vom 8. Dezember 1917) zum Trotz. (Die Bergedorfer und Sander Haushalte waren etwas besser dran, denn hier sollte der „Einheitspreis“ auf 20 Pfennig steigen, BZ vom 29. Dezember 1917.) Auch die Lieferschwierigkeiten (siehe den Beitrag Keine Kohle, kein Gas, aber große Kälte) bestanden fort, sodass „im Interesse der Gasversorgung“ die Geesthachter Gemeindevertretung bereit war, die Straßenbeleuchtung einzustellen, was ja auch Geld sparte. (In Bergedorf war schon 1916 die Straßenbeleuchtung eingeschränkt worden, siehe den Beitrag Die Morgen-, Abend- und Nachtbeleuchtung, aber eine Abschaltung dort meldete die BZ nicht.)

Auch Privatpersonen mit ausreichend Geld zur Bezahlung der neuen Tarife werden ihre Gaslampen erst später entflammt und früher gelöscht haben, denn alle mussten ihren Gasverbrauch um zehn Prozent senken. Man kann nur hoffen, dass die Geesthachter, die den Luxus Leuchtgas nicht mehr bezahlen konnten, nun in ausreichendem Maß Kerzen erwerben konnten, denn elektrischen Strom hatte nur die Pulverfabrik.

 

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Silvester ohne Papierschlangen

Bergedorfer Zeitung, 29. Dezember 1917

Silvester konnte fröhlich gefeiert werden, obwohl die Polizeistunde nur auf 1 Uhr verlängert wurde (BZ vom 29. Dezember 1917): das Bergedorfer Stadttheater brachte im Colosseum die Operetten-Posse „Robert und Bertram, die lustigen Vagabunden“ auf die Bühne, in Baumanns Gesellschaftshaus wurde Unterhaltungsmusik gespielt, im Schloß-Café gab es ein Künstlerkonzert, im Hansa-Kino „Die Hochzeit im Exzentrik-Klub“, das Kino-Varieté am Mohnhof bot ein „großes Sensationsprogramm“ (Anzeigen in der BZ vom 24., 28., 29. und 31. Dezember 1917).

Eine Papierschlacht wird es aber bei diesen oder anderen Festivitäten nicht gegeben haben, denn Papier war knapp – zu knapp, um daraus Konfetti oder Papierschlangen herzustellen.

Der Mangel an Papier betraf auch die Bergedorfer Zeitung: sie musste ihren Umfang reduzieren, und da trotz des Anstiegs der Abonnentenzahl die Papierzuteilung nicht erhöht wurde, bat sie sogar um Abbestellung von „Feldabonnements“ – die Familien könnten das Blatt ja nach der häuslichen Lektüre an ihre Soldaten senden (BZ vom 6. Juni und 30. November 1917). Auch den in den Vorjahren der Zeitung beigelegten Wand- und Notizkalender sollte es 1918 wegen der Papierknappheit nicht geben, dafür aber zum Preis von 15 Pfennig einen Wand- und Notizkalender „in anderer Form … auf Postkartenkarton“ (BZ vom 23. Januar 1918). Offenbar war nicht alles Papier knapp.

In allen Bereichen ging es um die Einsparung von Papier. Die BZ rief dazu auf, keine „Respektbögen“ (Doppelbögen) zu verwenden, wenn es auch ein einfaches Blatt täte. Der Gastronomie wurde sogar die Verwendung von Papierservietten untersagt, die Fleischkarte wurde verkleinert und Papierkragen wurden bezugsscheinpflichtig (BZ vom 14. Juni, 10. August, 6. und 18. Dezember 1917). Da kann es nicht verwundern, dass auch die Postkarten kleiner werden sollten:  traditionell maßen sie 5,5 x 3,5 Zoll – nun sollten sie auf 12 x 8 cm schrumpfen.

Bergedorfer Zeitung, 29. Dezember 1917

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Die vierte Kriegsweihnacht

Bergedorfer Zeitung, 24. Dezember 1917

Nach Ansicht des Verfassers dieses Artikels konnte man mit den Kindern „frohgemut wieder singen von der fröhlichen, seligen, gnadenbringenden Weihnachtszeit“, denn aus der seit 1914 anhaltenden Siegeszuversicht war „inzwischen Siegesgewißheit geworden“! Dafür hatte er eine Quelle ersten Ranges: den Generalquartiermeister Erich Ludendorff. Skeptiker wird er damit nicht überzeugt haben.

Die folgenden Meldungen des Tages strahlten weniger Zuversicht aus, sie verdeutlichten die Probleme, die die Leserinnen und Leser der BZ im Alltag hatten: Unter der Überschrift „Die Abgabe getragener Kleidung“ wurde heftige Kritik an den „Angehörigen der wohlhabenden Stände“ geübt, die nicht benötigte Textilien und Schuhe nicht zur Sammelstelle brachten, wodurch sie nicht nur ihre Pflicht gegenüber der „minderbemittelten Bevölkerung“ missachteten, sondern „unser wirtschaftliches Durchhalten in diesem Kriege“ gefährdeten.

Mit der „Bekämpfung des Schleichhandels“ befasste sich ein weiterer Artikel – siehe hierzu den Beitrag Der Schleichhandel und die Sonderversorgung der Industrie.

„Kohlrüben als Gemüseersatz“ war der nächste Bericht betitelt, woraus man unschwer folgern kann, dass es nicht ausreichend Wintergemüse gab. Das hamburgische Kriegsversorgungsamt ordnete nicht nur eine Bestandserfassung an, sondern machte Rübentransporte genehmigungspflichtig und hoffte wohl, damit den Schleichhandel unterbinden zu können.

Die einzigen positiven Meldungen (für die von ihnen Betroffenen) waren „Einmalige Kriegsteuerungszulagen an Beamte“ (z.B. 200 Mark für Verheiratete) und „Erhöhung der Kartoffelration bei den Schwer- und Werftarbeitern“ aus vorhandenen Reservemengen, von denen auch die Massenspeisungen (siehe den Beitrag Die Gleichheit der Volksküchen) profitieren sollten. Allerdings: „Der Staatssekretär des Kriegsernährungsamtes sagte zu, der Erfüllung dieses Wunsches näher zu treten, sobald die Witterung und die Transportlage [dies] gestatten“.
Thetje mit de Utsichten, sagt man in Hamburg dazu: außer Hoffnungen hat man nichts.

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Der Schleichhandel und die Sonderversorgung der Industrie

Bergedorfer Zeitung, 24. Dezember 1917

Der Schleichhandel, d.h. die Überschreitung von Höchstpreisen oder der Verkauf von Waren, die gar nicht frei gehandelt werden durften, war Dauerthema jener Zeit (siehe z.B. den Beitrag Himmelfahrt = Hamsterfahrt). Dabei ging es nicht nur um ein paar Zentner Kartoffeln oder ein paar Eier, wie aus diesem Artikel deutlich wird, sondern um andere Dimensionen, die die Gemeinden vor große Probleme stellten: der heutige Berliner Bezirk Neukölln war damals eine selbständige Stadt und musste sich „des wucherischen Schleichhandels bedienen“, um seine Bevölkerung zu versorgen, denn die Großindustrie machte „zu jedem Preis die umfangreichsten Aufkäufe“.

Ein solcher Großeinkäufer im Hamburger Raum war die Pulverfabrik Düneberg: nach einem bei Karl Gruber (S. 43f.) wiedergegebenen Bericht der Fabrik über das Jahr 1917 kaufte diese neben den „behördlichen Zuweisungen“ weitere angeblich „beschlagnahmefreie Waren“ wie Mehl, Nudeln, Speisefette, die sie dann verbilligt an ihre Arbeiter und Arbeiterinnen abgab und dafür 3,8 Millionen Mark aufwendete.

Die für Düneberg beschafften Waren hatten ein Gesamtgewicht von 16.431 Zentnern. Bei angenommenen 15.000 Beschäftigten einschließlich Bauarbeitern ergeben sich daraus 54,8 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf und Jahr, die diese in der „Konsumanstalt“ (Link zu einem Foto) erwerben konnten. Von den insgesamt beschafften 1.460 Zentnern „Butter, Fett, Speck“ entfielen rechnerisch auf jede Person wöchentlich 94 Gramm – das klingt nicht viel, war aber mehr als in Sande (50g Butter und 40g Margarine), dem Landgebiet mit Geesthacht (25g Butter und 55g Margarine) und Bergedorf (30g Butter und 50g Margarine), und diese „Fettwarenmenge der versorgungsberechtigten Bevölkerung“ sollte sich ab dem 1. Januar nur noch auf 62,5g belaufen (BZ vom 17., 20., 22. und 29. Dezember 1917). Aber die „Sonderversorgung durch die industriellen Werke“ sollte ja nun aufhören – das war die frohe Weihnachtsbotschaft für alle, die von den Extrarationen nichts abbekamen.

Am 14. Januar 1918 berichtete die BZ über eine Besprechung zwischen Vertretern der zuständigen Zivil-und Militärbehörden und der Industrie, die zu folgendem (wenig überraschenden) Ergebnis kam: „Allseitig war man sich darin einig, daß die Bereitstellung der zur legalen Belieferung notwendigen Lebensmittel die sofortige Unterdrückung des Schleichhandels zur Voraussetzung hat.“  Mit anderen Worten: wenn der Staat es nicht schafft, den Schwarzmarkt zu beseitigen, wird die Industrie weiterhin auf diesem kaufen und dabei auch Wucherpreise zahlen, was übrigens nach einem kurze Zeit später gefällten Urteil des Reichsgerichts für den Käufer nicht strafbar war (BZ vom 14. Februar 1918). Für den Händler bzw. Verkäufer im „gewerbsmäßigen Schleichhandel“ wurden die Strafen verschärft: die Verhängung einer Freiheitsstrafe wurde zwingend vorgeschrieben, und die ebenfalls festzusetzende Geldstrafe konnte bis zu 500.000 Mark betragen (BZ vom 11. März 1918). Ein Verbot der Sonderversorgung gab es aber nicht.

 

 

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Bürgermeister Walli geht fremd

Bergedorfer Zeitung, 11. Dezember 1917

Als ob Bürgermeister Walli mit seinen Bergedorfer Angelegenheiten nicht genug zu tun gehabt hätte – jetzt hatte er noch eine (unbezahlte) Nebentätigkeit übernommen: er war ohne Gegenkandidaten in einem Hamburger Vororts-Wahlkreis zum Bürgerschaftsabgeordneten gewählt worden.

Der „Wahlkampf“ war kurz gewesen: erst am 20. November hatte die Bergedorfer Zeitung die Meldung von Wallis einstimmiger Nominierung im Wahlkreis Alsterdorf/Groß-Borstel/Ohlsdorf durch die „Vereinigten Liberalen“ und mehrere örtliche Bürger- und Grundeigentümervereine gebracht, und obwohl Walli keinen Gegenkandidaten zu fürchten gehabt hatte, hielt er (mindestens) eine Wahlrede, vermutlich zur Mobilisierung potentieller Wähler, aus der hier ein Auszug zu lesen ist.

Bergedorfer Zeitung, 6. Dezember 1917

Zwar unterschied sich die Rechtsstellung der genannten „Vororte“ von der der Stadt Bergedorf, aber die Probleme waren Walli nicht fremd: fehlende Bebauungspläne, unzureichende Ver- und Entsorgung und Erschließung hemmten hier wie dort die Entwicklung, nötig sei eine „vorbeugend wirkende Verwaltungsreform“, und dann wurde er richtig derb: manchem in Hamburg erscheine „körperliche und geistige Inzucht“ als „der Gipfel der Erkenntnis“, man müsse aber aus den Erfahrungen anderer Bundesstaaten lernen – und diese Erfahrungen bringe er ja aus Baden und Preußen mit.

[Kleiner Exkurs: Wer Wallis Kritik nachvollziehen will, braucht nur in die Verfassung der freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Oktober 1879 zu schauen: Artikel 7 gab vor, dass von den achtzehn Senatsmitgliedern neun ein Studium der „Rechts- oder Cameralwissenschaften“ absolviert haben mussten; unter den anderen neun mussten „mindestens sieben dem Kaufmannsstande“ angehören. Bei der Wahl der Senatoren (auf Lebenszeit) durch die Bürgerschaft (Artikel 9) gab es ein hochkompliziertes Verfahren, das dem Senat ein gewichtiges Mitspracherecht gab. Die Gesetzgebung war gemeinsame Aufgabe von Senat und Bürgerschaft (Artikel 6). Nach Artikel 30 gab es bei der Bürgerschaftswahl drei Gruppen von Wählern: die Grundeigentümer wählten 40 Abgeordnete, die Notablen (d.h. diejenigen, „welche Richter, Handelsrichter, Mitglieder der Vormundschaftsbehörde, bürgerliche Mitglieder der Verwaltungsbehörden, der Handels- oder Gewerbekammer sind oder gewesen sind“) ebenfalls 40, in allgemeiner Wahl (in der nur eine Minderheit der Männer wahlberechtigt war, Frauen gar nicht) wurden 80 Abgeordnete bestimmt – siehe hierzu auch Hans Wilhelm Eckardt und Peter Borowsky.]

Vor allem die Politik seiner badischen Heimat  scheint ihn geprägt zu haben: schon 1905 hatte es dort Stichwahlabkommen zwischen Sozialdemokraten und Liberalen gegeben, die dann gemeinsam im Landtag eine Reihe von Reformen durchsetzten, unter anderem die Abschaffung des kommunalen Dreiklassenwahlrechts (siehe Geschichte der SPD Baden-Württemberg und einen Aufsatz des Historikers Gerhard A. Ritter). Auch seine Forderung, dass niemandem „wegen der Parteizugehörigkeit die gleichberechtigte Mitarbeit am und im Staate erschwert“ werden dürfe, ist in diesem Zusammenhang zu sehen, denn bei (preußischen) Staatsbediensteten führte die Mitgliedschaft in der SPD regelhaft zur Entlassung (siehe z.B. Klaus Sühl). Dass Walli diese Politik der Ausgrenzung nicht mittrug, hatte er bereits durch sein Eintreten für die Wahl des Bergedorfer Sozialdemokraten Wilhelm Wiesner zum Ratmann unter Beweis gestellt, siehe den Beitrag Neue Ratmänner und Wahlen zur Bürgervertretung.

Obwohl Walli also dezidiert die Positionen der Hamburger Vereinigten Liberalen vertrat, wurde ihm in der Neuen Hamburger Zeitung vorgehalten, dass er gar kein Liberaler sei, was nicht nur er zurückwies, sondern auch der BZ-Redakteur (vermutlich der Ratmann Wilhelm Bauer), der dies berichtete (BZ vom 18. Dezember 1917). Damit nicht genug: es gab eine förmliche Beschwerde gegen seine Wahl, die der Wahlprüfungsausschuss der Bürgerschaft nach Studium der Unterlagen aber zurückwies (BZ vom 12. März 1918).

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