Die trockenstehende und andere Ziegen

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1918

Ist es gut, wenn eine Ziege trockensteht? Der Geesthachter Lehrer Otto Müller wollte eine solche, fünf Jahre alt, für 80 Mark verkaufen. War das nun ein hoher oder ein günstiger Preis? Klären wir eins nach dem anderen und thematisieren die Ziegenhaltung im Ersten Weltkrieg generell.

Das Trockenstehen ist nach Stanislaus von Korn/Ulrich Jaudas/Hermann Trautwein (S. 54) normal für eine Milchziege: „Wenn sich die Laktationsleistung nach 250 bis 300 Tagen deutlich vermindert hat, sollten die Milchziegen trockengestellt werden. Die Trockenstehphase ist für die Ziege eine wichtige Regenerationsphase sowie Vorbereitung auf die nächste Geburt und die neue Laktation. In dieser Zeit soll die Ziege wieder einen optimalen Konditionszustand erlangen. Bei einigen Tieren versiegt die Milch 6 bis 8 Wochen vor der Ablammung von selbst.“

Die Ziegenpreise wiesen eine beträchtliche Spannweite auf: laut BZ vom 11. Juni 1918 musste man für gute Tiere bis 300 Mark bezahlen, in Anzeigen wurden 230 bis 260 Mark, für eine Ziege mit halbjährigem Lamm 280 Mark verlangt (BZ vom 1. und 3. Oktober 1918) – da war Müllers Forderung sehr zurückhaltend, wobei man berücksichtigen muss, dass seine Ziege bereits in vorgerücktem Alter war, in dem die (Milch-)Leistung deutlich nachlässt (von Korn et.al., ebd., S. 60).

Die Ziegenhaltung war in dieser Zeit durchaus beliebt: die Viehzählung 1916 verzeichnete allein in der Stadt Bergedorf 138 Ziegen (BZ vom 12. Dezember 1916, die Ergebnisse der weiteren Zählungen wurden nicht publiziert). Den zahlreichen Verkaufsanzeigen nach zu urteilen, wohnten die meisten Halter im Osten der Stadt (Brunnenstraße, Brookdeich), aber auch aus dem Villenviertel (Moltkestraße, Grüner Weg) gab es im September/Oktober 1918 Inserate.

Bergedorfer Zeitung, 9. Oktober 1918

Das Interesse an Ziegen beruhte vor allem darauf, dass sie Milch lieferten und geschlachtete Lämmer die Fleischration aufbesserten. Die Landherrenschaften förderten die Haltung, indem sie Ziegen aus dem Ausland beschafften und an Interessenten verkauften, die Bergedorfer Zeitung unterstützte dies durch Tipps zur Ziegenhaltung und sprach von der „Kuh des kleinen Mannes“ (BZ vom 17. August 1916 und 19. Juli 1917 und 11. Juni 1918). Die Gemeinsamkeit mit der Kuh lag vor allem in der Milchabgabe, und an Kuhmilch war ja kaum heranzukommen (siehe den Beitrag 55 Paragraphen zum Milchverbrauch).

Das „Decken fremder Ziegen“ war übrigens streng reguliert: diese Aufgabe durften nur von der „Körungs-Kommission“ zugelassene Böcke (geboren vor dem 1. April, frei von Erbfehlern, mit Abstammungsnachweis) übernehmen, die dem Zuchtziel der „der  weißen, hornlosen, kurzhaarigen Saanenziege“ entsprachen. Von den 1918 in Hamburg angekörten 46 Tieren standen 28 im Gebiet der Landherrenschaft Bergedorf, darunter zwei in der Stadt Bergedorf (BZ vom 9. September 1918).

Bergedorfer Zeitung, 20. August 1918

 

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Der schwierige Start des Sander Lichtspielhauses

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1918

In Bergedorf gab es seit Jahren zwei Kinos: das „Kino-Varieté“ am Mohnhof, das im Sommer 1918 in „Bergedorfer Lichtspiel-Haus“ umbenannt worden war (BZ vom 1. August 1918), und das „Neue Hansa-Kino“ am Brink, die auch beide regelmäßig in der Bergedorfer Zeitung inserierten. Nun sollte auch Sande ein Kino bekommen.

Mit dieser großen Anzeige warb Walter Pönicke für sein Sander Lichtspielhaus, das er am 29. Oktober 1918 im Holsteinischen Hof, gleich hinter den Bahnschranken der Strecke Hamburg-Berlin, eröffnen wollte, doch sein Vorhaben stand unter keinem guten Stern.

Bergedorfer Zeitung, 28. Oktober 1918

Er musste den Beginn um fast zwei Wochen verschieben: wegen der „Verhältnisse des Krieges“, wie er annoncierte (BZ vom 28. Oktober 1918), oder weil „technische Schwierigkeiten … die Filmvorführungen unmöglich“ machten, wie es in einer redaktionellen Meldung hieß (BZ vom 2. November), aber am 9. November waren die Probleme überwunden, die Eröffnung fand statt, das Haus war ausverkauft, „sämtliche Bilder … klar und flimmerfrei“, wie die Zeitung schrieb (BZ vom 11. November 1918). Die Vorführungen fanden offenbar im Saal des Holsteinischen Hofs statt, denn wenn dort ein Ball stattfand, blieben die Lichtspiele geschlossen (BZ vom 21. und 28. November 1918). Ansonsten wurden täglich (außer Montag) Filme vorgeführt, u.a. mit dem jungen Hans Albers, der familiäre Wurzeln in Kirchwärder hatte (z.B. BZ vom 11. und 15. November).

Bergedorfer Zeitung, 19. Dezember 1918

Dann aber spielte die Technik wieder nicht mit: „Infolge Motordefekts findet diese Woche keine Vorstellung statt“, musste er am 13. Dezember inserieren, und Pönicke gab auf: sein Kino wurde von Alfred Roth, dem Betreiber des Bergedorfer „Union-Theaters“, vormals „Bergedorfer Lichtspiel-Haus“, davor „Kino-Varieté“, übernommen.

Der Kino-Standort hielt sich aber – älteren Bergedorfern dürfte das „Filmeck“ noch bekannt sein, das als Anbau am Holsteinischen Hof in den 1950er Jahren auch einen eigenen Saal erhielt. Von diesem Saal gibt es Fotos, die den Aufsatz von Christian Römmer über Kinos in Bergedorf im Lichtwarkheft Nr. 76 (2015) illustrieren.

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Reichsmarmelade statt Kriegsmus

Bergedorfer Zeitung, 22. Oktober 1918

1917 hatte es noch geheißen „Die Marmelade ist tot – Es lebe das Kriegsmus!“ (BZ vom 20. Januar 1917), 1918 sollte sie als „neue Reichsmarmelade“ wieder auferstehen.

Alle diejenigen, die Beeren und anderes Obst im eigenen Garten hatten oder kaufen konnten, die zudem „Einmachezucker“ bestellt hatten (BZ vom 3. Juni 1918) sowie die Marmeladenherstellung beherrschten, konnten sich glücklich schätzen, denn sie kannten die Zutaten genau. Bei der Reichsmarmelade wussten nur die Reichsstelle für Obst und Gemüse und die Marmeladenindustrie, was im Einzelnen mit welchen Anteilen enthalten war.

Wie in den Vorjahren wurde die industriell hergestellte Marmelade gestreckt – und die „Reichsstelle“ hatte sogar gelernt: das Kriegsmus (aus Zucker, Obst und Steckrüben) war in vielen Gemeinden nicht loszuwerden (BZ vom 11. Juli 1917), und nach diesen „früheren Erfahrungen“ kamen Steckrüben nicht zum Einsatz, sondern vor allem Mohrrüben und Obsttrester sowie „in ganz geringem Umfange“ Runkelrüben. Zucker und Obstmark sollten zwar die Hauptbestandteile sein, aber der Anteil der Streckungsmittel etwa ein Drittel betragen. Im Vorjahr hatten diese Mittel „etwa ein bis zwei Zehntel der Marmelade“ ausgemacht, und „noch niemals haben die Streckungsmittel vier Zehntel überschritten“ (BZ vom 3. Oktober 1918).

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1918

So sollte die Marmeladenversorgung gesichert sein, zumindest von November 1918 bis Juli 1919, denn drei Monate lang sollten wie 1917/18 gar keine „Brotaufstrichmittel“ ausgegeben werden. Das wurde in Bergedorf aber etwas anders umgesetzt: Marmelade gab es 1918 in 27 Wochen, mit Rationen von 125 bis 500g (Jahresgesamtmenge 6.475g), mehrfach wurde sie durch Kunsthonig (zehnmal) oder Sirup (sechsmal) ersetzt, und „nur“ in neun Wochen gab es trocken Brot (diverse Ausgaben der BZ 1918).

Die Bergedorfer konnten die „neue Reichsmarmelade“ für eine Mark pro Pfund kaufen (BZ vom 23. November 1918). 1917 hatte das Kriegsmus 55 Pfennig gekostet, Apfel- und Pflaumenmarmelade 65 Pfennig (BZ vom 21. Mai und 25. August 1917). Die Qualität der Ware wird nicht im selben Maße gestiegen sein wie der Preis, und auch der Kunsthonig war deutlich teurer geworden, von 55 Pfennig (BZ vom 9. Dezember 1916) auf 78 Pfennig (BZ vom 16. November 1918).

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Kranke Strümpfe

Ähnlich schwierig wie die Beschaffung von Lebensmitteln war die Beschaffung von Strümpfen, wie schon in den Beiträgen Strumpflos in Holzsandalen, Die staatsbürgerlichen Rechte und die Strümpfe der Frauen sowie Präventive Maßnahmen gegen Strumpflöcher zu lesen war.

Bergedorfer Zeitung, 20. April 1918

Schon im Frühjahr 1918 hatte die „Strumpf-Reparatur-Zentrale“ mit Sitz in Itzehoe das Problem erkannt: sie versprach, aus sechs Paar zerrissenen Strümpfen vier Paar „fast neue“ herzustellen. Pro Paar war 1,60 Mark zu zahlen – nicht wenig, aber wenn ein Paar (vermutlich einwandfreier) Herrenstrümpfe einen Wert von 20 Mark hatte, wie die BZ am 19. Oktober anlässlich eines Diebstahls berichtete, vielleicht vertretbar. Auch der Bergedorfer Textilhändler Eyler bot solches an – bei ihm konnte man auch Sweater und Wolljacken einliefern (BZ vom 27. August).

Im zweiten Halbjahr dann tauchte wiederholt eine Anzeige auf, in der die „Heilung“ von Strümpfen  versprochen wurde: der Strumpf war zum Patienten geworden, und wenn Mutters Hausmittelchen (vielleicht wegen Mangel an Stopfwolle) nicht funktionierten, musste eben die Einlieferung in die „Strumpf-Klinik“ zur stationären Behandlung erfolgen.

Nähere Angaben zur Art von Reparatur bzw. Therapie waren in der BZ nicht zu finden, aber wahrscheinlich kam „Kunstwolle“ zum Einsatz: Nach Hermann Grothe (S. 209f) gab es schon seit dem 18. Jahrhundert Verfahren, Strümpfe, Garnabfälle etc. zu zerzupfen, mit neuer Wolle zu vermischen, das Gemisch neu zu verspinnen und daraus „Recycling“-Strümpfe herzustellen. Nach Grothe waren „die Fabrikate … sehr mangelhafte und unsolide“, wurden aber mit dem schönen Namen „Kunstwolle“ versehen (siehe auch Brockhaus Kleines Konversations-Lexikon von 1911 (S. 1035)).

In diesem Lichte muss man auch die Ankündigungen sehen, dass die bedürftige Bevölkerung für den Herbst und Winter Strümpfe aus Kunstwolle erhalten sollte (BZ vom 27. März und 3. April). Die Ausgabe erfolgte im Juli und Oktober (BZ vom 20. Juli und 28. Oktober). Obwohl nur Inhaber eines Berechtigungsausweises und eines Bezugsscheins diese Ware(n) erhielten, verdarb dies offenbar den Reparateuren, Heilern und Klinikbetreibern das Geschäft, denn im November schalteten sie keine Anzeigen mehr.

Die wirklich gute Nachricht kam dann ca. einen Monat nach Kriegsende: Heeresstrümpfe sowie die Woll- und Baumwollvorräte des Heeres sollten in den Handel kommen, Strümpfe auf die „Freiliste“ gesetzt werden (BZ vom 7. Dezember). In Curslack gab es dann noch einmal eine Verteilung an „Unbemittelte“ (BZ vom 11. Dezember) – da hatte das Kaufhaus Schwarz  (Zollenspieker) schon längst „Strümpfe in reiner Wolle und Halbwolle“ zu verkaufen (BZ vom 7. Dezember).

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Die Rückkehr der Grippe

Bergedorfer Zeitung, 12. Oktober 1918

Da war sie wieder, die Grippe-Pandemie, deutlich heftiger als im Sommer (siehe den Beitrag Die rätselhafte Spanische Krankheit), wie auch die Grippekommission des Reichsgesundheitsrats einräumte: „Die Krankheit ist diesmal mit schwereren Erscheinungen verbunden als vordem. Besonders bei jüngeren Personen verläuft die Krankheit ziemlich heftig. Treten Komplikationen, namentlich Lungenentzündung hinzu, so endet sie nicht selten tödlich.“ (BZ vom 21. Oktober)

Der Erreger war immer noch nicht identifiziert – das gelang erst 1933, und erste wirksame Impfstoffe wurden 1943 eingesetzt (siehe Wilfried Witte (S. 73f.)). So musste man hoffen, nicht zu erkranken – und wer erkrankt war, musste auf die „üblichen Hausmittel“ wie Bettruhe, Brust- und Wadenwickel setzen, die zwar kaum halfen, aber ja zumindest keinen Schaden anrichteten. Die Grippekommission empfahl Mundspülungen („könnten beruhigend wirken“), die Hände sauber- und sich von Kranken und Menschenansammlungen überhaupt fernzuhalten: „Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche versprechen nach der übereinstimmenden Ansicht der Versammlung wenig Erfolg.“ (zitiert bei Marc Hieronimus, S. 65, siehe auch BZ vom 18. Juli.)

Wie in Hamburg war laut BZ in Bergedorf vor allem die Fernsprechvermittlung betroffen, aber es spricht viel dafür, dass auch andere Bevölkerungskreise in großer Zahl erkrankt waren: überall, wo sich viele Menschen in geschlossenen Räumen aufhielten, war dies der Fall (siehe Eckhard Koenen (S. 72)), so auch in Kirchwärder-Seefeld, wo 38 von 46 russischen Kriegsgefangenen im dortigen Lager erkrankten (BZ vom 14. Oktober).

Beruhigend schrieb die BZ, dass im Raum Bergedorf wiederum nur „leichte Fälle“ zu verzeichnen waren (BZ vom 15. Oktober), aber das erwies sich eindeutig als falsch: eine Auswertung der 1918 erschienenen 552 Todesanzeigen mit Traueranschrift im Gebiet der Landherrenschaft Bergedorf ergab, dass 120 Personen „nach kurzer schwerer Krankheit“ verstorben waren, davon rund die Hälfte in den zwei Monaten Oktober und November, überwiegend Menschen unter 29 Jahren. Nicht in jedem dieser Fälle wird die Grippe bzw. die oft folgende Lungenentzündung die Todesursache gewesen sein, doch man kann das Ausmaß erahnen – in Deutschland starben ca. 200.000 (Koenen, S. 69) bis 350.000 Menschen (Eckard Michels, S. 2) daran, weltweit 27 Millionen (Witte, S. 22) bis 75 Millionen (Michels, S. 2) an der Grippe bzw. ihren Folgen; das Hamburger Abendblatt nennt sogar noch höhere Zahlen.

Bergedorfer Zeitung, 17. Oktober 1918

Für Schüler, die von der Krankheit verschont blieben, hatte die Grippe die angenehme Begleiterscheinung, dass die Herbstferien verlängert wurden – letztlich sogar bis zum 6. November (BZ vom 2. November), in Sande noch länger: dort wurde am 7. November ein „Zählappell“ der gesunden Kinder vorgenommen (BZ vom 5. November). Offenbar war die Zahl groß genug, denn ab dem 11. November mussten bzw. durften die Gesunden wieder zum Unterricht (BZ vom 9. November).

Im Dezember nahmen die Erkrankungen wieder zu, und allen Lehrern und Kindern aus Grippe-Familien wurde der Schulbesuch untersagt (BZ vom 13. Dezember), aber die eigentliche „dritte Welle“ folgte erst im Frühjahr 1920.

UPDATE Oktober 2021:
Bis September 1922 ist im Medizinhistorischen Museum Hamburg die Ausstellung „Pandemie. Rückblicke in die Gegenwart“ zu sehen, die mit Pest und Cholera sowie der „Spanischen Grippe“ historische Pandemien ebenso thematisiert wie die aktuelle Corona-Pandemie, jeweils mit besonderem Fokus auf Hamburg.

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Kein Tango auf dem Lande

Bergedorfer Zeitung, 15. Oktober 1918

Jahrelang durfte gar nicht getanzt werden (außer vielleicht in Privaträumen) – nun wurde das Verbot ein ganz klein bisschen gelockert, aber der Tango stand ebenso wie der Schieber auf der schwarzen Liste.

Das Tanzverbot war fast vier Jahre zuvor ergangen: „Die polizeiliche Erlaubnis zur Abhaltung von öffentlichen Tanzlustbarkeiten ist fortan zu versagen. Die Abhaltung von Vereinslustbarkeiten ist ebenfalls zu verbieten und nötigenfalls durch polizeiliche Zwangsmittel zu verhindern“, hatte das stellvertretende Generalkommando verfügt (BZ vom 24. November 1914). Bis das in der Landherrenschaft Bergedorf umgesetzt wurde, sollte es aber noch dauern: hier wurde zunächst weiter nach einer Verordnung von 1909 verfahren, nach der Tanzveranstaltungen genehmigungspflichtig waren – erst ein knappes Jahr später verkündeten die Landherren, dass die zitierte Verordnung auch für das Landgebiet gelte (BZ vom 16. September und 2. Oktober 1915). Die Höhe der Strafe änderte sich offenbar nicht: zwei Wirtinnen wurden wegen Duldung je einer Tanzlustbarkeit zu  36 Mark Geldstrafe verurteilt, eine andere kam mit 10 Mark davon. (BZ vom 12. August und 2. Oktober 1915 sowie 27. Oktober 1916). Ausgenommen von diesen Untersagungen waren offenbar der künstlerische Tanz und Tanzunterricht, wie im Beitrag Ausdruckstanz in Bergedorf nachzulesen ist.

Hatte das stellvertretende Generalkommando 1915 sein Verbot „aus ethischen Gründen“ noch einmal bekräftigt (BZ vom 17. Mai 1915), so wollte es nun besonders den landwirtschaftlichen Arbeitern entgegenkommen und ihnen durch Tanz mehr Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in den Wintermonaten eröffnen. Vor engem Körperkontakt mit dem anderen Geschlecht sollten sie aber bewahrt werden, alles sollte ländlich-sittlich zugehen, mit den „althergebrachten Tänzen“.

Ob die Gastwirte in den Vierlanden nun Anträge auf Genehmigung solcher Veranstaltungen stellten? Entsprechende Ankündigungs-Anzeigen gab es in der Bergedorfer Zeitung in den folgenden Wochen jedenfalls nicht. Unabhängig davon: dass das Tanzverbot bis dahin strikt eingehalten worden war, muss bezweifelt werden, wie aus dem Beitrag (Un)erlaubter Verkehr mit (Kriegs-)Gefangenen in Sande hervorgeht.

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Die Hansaschüler und der huldvolle Kronprinz

Bergedorfer Zeitung, 4. Oktober 1918

Der Kronprinz war höchst zufrieden mit den hamburgischen Jungmannen, die im Bereich der 1. Armee einen Ernteeinsatz in Frankreich absolviert hatten und telegraphierte dem Präsidenten des Senats von Hamburg seine Anerkennung: „die Jungens“ hätten fleißig und treu gearbeitet und famose Haltung gezeigt. Unter diesen 280 Jungmannen waren auch 25 Schüler der Hansaschule, was die BZ erstaunlicherweise nicht erwähnte.

Man findet die Information aber im Bericht des Direktors der Hansaschule, Prof. Dr. Ferdinand Ohly, der auch Details dieses Aufenthalts „in Feindesland“ schilderte: es konnte nur wenig geerntet werden, die Ernährung war mangelhaft, „Fußleiden, kleinere Verletzungen, Grippe, Dysenterie kamen oft vor“, doch es gab auch schöne Tage wie beim Ausflug nach Sedan. Und dann:

aus: Prof. Dr. (Ferdinand) Ohly: Die Hansa-Schule während des ersten Jahrzehnts 1914/15 – 1924/25 im neuen Schulgebäude, Bergedorf 1925, S. 34

Wahrscheinlich werden den Jugendlichen die vergänglichen Zigaretten (vermutlich nicht aus Buchenlaubtabak) länger und besser in Erinnerung geblieben sein als die Worte des Thronfolgers.

Schall und Rauch eben, doch ein Erinnerungsstück war eher auf Dauer angelegt: das Abzeichen „Kriegsarbeit fürs Vaterland“ erhielten alle Teilnehmer, auch diejenigen, die „schon vorher dem Ruf zur Landarbeit … auf heimischer Flur“ gefolgt waren. Den Dienst in der Heimat sah Ohly positiv – zum Frankreich-Einsatz äußerte er sich kritisch: „Es war ein zu großer Apparat in Bewegung gesetzt, die Organisation hatte sich, wie zumeist, wohl bewährt, aber erreicht wurde wenig.“ Auch die Sinnhaftigkeit der Pflanzung von Sonnenblumen und die Laubheu-Sammlung, zu der die Hansaschüler 21.310 Pfund beisteuerten, stellte er in Frage (ebd., S. 34f.).

Seine Kritik machte Ohly aber erst nach Kriegsende öffentlich; im Krieg beteiligte sich die Hansaschule an allen „patriotischen“ Aktionen und Sammlungen.

 

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Orden und Ehrenzeichen

Bergedorfer Zeitung, 3. Oktober 1918

Viel Aufhebens machte die Bergedorfer Zeitung wahrlich nicht von der Verleihung der Rote-Kreuz-Medaille (3. Klasse) an den Mittelschullehrer Hermann Berndt. Vermutlich war er, der hier die „Hilfe für deutsche Kriegsgefangene“ organisierte, der letzte Bergedorfer Empfänger dieser Auszeichnung: bald nach der Revolution verkündete die preußische Regierung, dass ab sofort keine Orden und Ehrenzeichen mehr vergeben würden (BZ vom 24. Dezember 1918). Das betraf auch die vom deutschen Kaiser und preußischen König gestiftete Rote-Kreuz-Medaille.

Nur wenige Bergedorfer hatten 1918 diese Medaille erhalten: der Führer der örtlichen Kolonne des Roten Kreuzes, A. Morgenbesser, die Leiterin der Luisenschule, Erna Martens, und der in Bergedorf wohnhafte Pastor Ditlevsen von der deutschen Seemannsmission, dazu aus Sande der dortige Zugführer der Kolonne des Roten Kreuzes sowie die Witwe des Amts- und Gemeindevorstehers Gustav Maik und die Kochschwester Marta Ohl (BZ vom 15. und 19. Februar, 20. März, 3. September und 2. Oktober).

Andere Orden wurden sehr viel häufiger vergeben: das Eiserne Kreuz (1. und 2. Klasse), das es nicht nur für Soldaten, sondern auch für Zivilisten gab. Das Ende 1916 gestiftete Verdienstkreuz für Kriegshilfe (BZ vom 7. Dezember 1916) erhielten 1917 alle Direktoren der Pulverfabrik Düneberg und der Dynamitwerke Krümmel sowie einige langjährige Arbeiter dort, insgesamt über dreißig Personen (BZ vom 1. Oktober 1917). 1918 gingen zwanzig Exemplare dieses Verdienstkreuzes allein in die Stadt Bergedorf, u.a. an den Schriftleiter Wilhelm Bauer der Bergedorfer Zeitung, den Bankdirektor Ludwig E. Bausewein und (natürlich) an Erna Martens, aber auch an weniger prominente Personen wie die Telegraphengehilfin Bertram oder den Gerichtsschreiber Hoppe. Weitere zehn gingen nach Sande, u.a. an sechs Werkmeister bzw. Arbeiter der Munitionsfabrik Weiffenbach in Sande (BZ vom 22. März, 13. Juni, 17. August, 6. und 27. September).

Warum wurde Berndt nicht schon früher für seinen unermüdlichen Einsatz geehrt? Vielleicht hatte er sich das falsche Tätigkeitsfeld gesucht: in den Augen der Regierenden war es verdienstvoller, für die Finanzierung des Kriegs, die Unterstützung der heldenhaften Kämpfer, zu werben als Geld zu sammeln für deutsche Kriegsgefangene, unter denen womöglich Feiglinge oder gar Deserteure waren (siehe hierzu den Aufsatz von Annette Becker im von Jochen Oltmer herausgegebenen Sammelband über Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs).

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Marode Brücken über Brookwetterung und Bille

Bergedorfer Zeitung, 26. September 1918

Gleich zwei für Bergedorfs Verkehr wichtige Brücken waren gesperrt: die Brücke über die Brookwetterung im Zuge der Neuen Straße (jetzt: Neuer Weg) mag heute nicht sehr bedeutend erscheinen, aber vor einhundert Jahren war die Neue Straße eine Hauptverbindung in die Vierlande. An den Reparaturkosten mussten sich die Vierländer Gemeinden Curslack und Altengamme beteiligen. Wie lange die Arbeiten dauerten, war der BZ nicht zu entnehmen: weder im redaktionellen Teil noch in den Bekanntmachungen war hierzu etwas zu finden.

Die 1900 erbaute Brücke, Blickrichtung billeabwärts

Ernst-Mantius-Brücke (1906), Blickrichtung billeaufwärts

 

 

 

 

 

 

Die im Jahr 1900 erbaute hölzerne Ernst-Mantius-Brücke über die Bille (Abbildung rechts mit freundlicher Genehmigung des Kultur- und Geschichtskontors Bergedorf), die Hauptverbindung zwischen Villenviertel und Bahnhof, war schon seit über 10 Monaten für den Wagenverkehr gesperrt (Bekanntmachung in der BZ vom 8. November 1917). Das Geld für den Neubau, 25.000 Mark, war im städtischen Haushalt bereitgestellt (BZ vom 8. Januar 1918), doch der Realisierung stand der Krieg im Wege.

Die 1923 erbaute Brücke, Blickrichtung billeaufwärts (Aufnahme 1929 oder später)

Erst 1923 war der Neubau fertiggestellt, und er erwies sich als deutlich dauerhafter als der Vorgänger. Ob aber die nun 95jährige Brücke ihren hundertsten Geburtstag feiern kann, ist nicht sicher, denn in der Antwort auf die Anfrage eines Bürgerschaftsabgeordneten von 2016 gibt der Senat die „theoretische Nutzungsdauer“ mit 70 Jahren an. Allerdings sind die Haushaltsmittel für Baumaßnahmen an Brücken so gering, dass die Bergedorfer Zeitung am 2. August 2018 titelte: „Dutzende Bergedorfer Brücken sind Sanierungsfälle“. Zum Glück ist die Ernst-Mantius-Brücke praktisch länger nutzbar als theoretisch.

Die Karte von 1904 zeigt übrigens beide genannten Brücken – auf der Karte von 1875 fehlt (natürlich) die Ernst-Mantius-Brücke, ebenso die 1891 errichtete Friedrichsbrücke über den Schleusengraben, deren Unterbau 1917 hatte erneuert werden müssen (BZ vom 2. Juni 1917).

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Geld verdienen mit Bucheckern?

Bergedorfer Zeitung, 28. September 1918

Alle sollten sammeln: Schüler und Schülerinnen, die vaterländischen Vereinigungen, Lazarette, Erholungsheime und Privatpersonen, und sie sollten Geld erhalten: 1,65 Mark pro Kilo Bucheckern, wovon allerdings „ein gewisser Prozentsatz für die Aufsicht beim Sammeln, die Abgabevermittlung usw. in Abzug“ zu bringen war (BZ vom 12. Oktober). Über den pekuniären Anreiz hinaus sollte es einen kulinarischen geben: man erhielt einen Bezugsschein für Öl auf sechs Gewichtsprozent der abgelieferten Baumfrüchte. Das „vorzügliche Speiseöl“ sollte die Fettration „erheblich aufbessern“.

Reich konnte man damit aber nicht werden: das stellvertretende Generalkommando, das sich mit Offizieren, Mannschaften, männlichen und weiblichen Angestellten drei Tage lang beteiligte, brachte pro Tag 50 Pfund nach Hause (BZ vom 12. Oktober), erwirtschaftete also 41,25 Mark täglich – doch man weiß nicht, wie viele Personen daran beteiligt waren (und ob der Betrag überhaupt ausbezahlt oder ob patriotisch gespendet wurde).

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1918

Der Sammelappell wurde erhört: die Bergedorfer wie die Sander Schulen beteiligten sich, auch in den wegen der zweiten Welle der Grippeepidemie mehrfach verlängerten Herbstferien. Warum die Elisabethschule nicht mitmachte, war der Zeitung nicht zu entnehmen; möglicherweise waren zu viele Lehrerinnen, die die Aufsicht führen sollten, erkrankt.

Das Sammeln von Bucheckern ist eine mühsame Tätigkeit, auch in einem guten Bucheckern-Jahr. Umso erstaunlicher die Mengen, die abgeliefert wurden: die Bergedorfer Schulen brachten 4.602 kg zusammen, die Privat-Sammlungen in Bergedorf und Umgegend ergaben rund 8.500 kg, die Sander Schulen kamen auf reichlich 8.000 kg (BZ vom 19. und 27. November sowie 2. Dezember), obwohl dort nur 1,60 Mark pro Kilogramm gezahlt wurden (BZ vom 1. Oktober). Ob die aus dem Krieg zurückgekehrten arbeitslosen Soldaten, denen die BZ das Bucheckern-Sammeln als „sehr lohnende Beschäftigung“ empfahl (BZ vom 23. November), überhaupt noch etwas fanden?

Jedenfalls werden sich viele Familie über die zusätzliche Einnahme gefreut haben – und auch über das Anrecht auf Bucheckernöl (60 Gramm Öl für ein Kilogramm Bucheckern), das allerdings nicht billig war: ein Pfund sollte 7,70 Mark kosten (BZ vom 2. Dezember). Als Bratfett konnte (und kann) man es allerdings nicht verwenden – heute wird es als Salatsauce und zu Pilzgerichten empfohlen, wie verschiedene Internetseiten zeigen.

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