Die Verstaatlichung der Dampfziegelei Reitbrook

Bergedorfer Zeitung, 6. März 1920

Sie war im frühen 20. Jahrhundert die größte im Raum Bergedorf: die Aktien-Dampf-Ziegelei Reitbrook bei Hamburg mit einer Jahreskapazität von über 5 Millionen Ziegeln, wie Martin Pries (S. 49) schreibt, doch hatte sie während des Krieges den Betrieb mangels Kohlen eingestellt, und als auch nach Kriegsende die Lage nicht besser wurde, entschlossen sich die Aktionäre zum Verkauf „mit dem gesamten Grundbesitz, Inventar und Maschinen“ und anschließender Auflösung der Gesellschaft.

Es kam aber anders, denn Ziegel wurden für den Bau von Wohnhäusern dringend benötigt – die u.a. vom Bergedorfer Stadtbaumeister Rück immer wieder empfohlene Lehmbauweise (siehe z.B. BZ vom 25. Februar 1920) wäre nur ein Notbehelf gewesen – und in Reitbrook lagerten 1,5 Millionen Ziegel, allerdings ungebrannt (hierzu und zum folgenden siehe Reitbrook. Ein Hamburger Dorf (S. 60-63)). Das brachte den Hamburger Senat auf die Idee, die Ziegelei in staatliche Hand zu übernehmen, was nach einigem Hin und Her (vor allem über die zu zahlende Entschädigung) geschah.

Bereits im Sommer konnte der vorläufige Betrieb (mit Kohlenversorgung durch den Staat) aufgenommen werden; bis Mitte Oktober waren 700.000 Ziegel hergestellt worden, und wenn auch der Senat den Zustand der Anlagen zu positiv bewertet hatte und mehrfach Geld für Instandsetzungen und Änderungen nachschießen musste: die Produktion kam auf Touren (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1920, S. 439-440, S. 1032-1033 und S. 1600-1601 sowie 1921, S. 20, S. 374 und S. 665).

Bergedorfer Zeitung, 3. Juli 1920

Die Aktiengesellschaft löste sich auf (BZ vom 13. und 15. Oktober 1920), aber nicht ohne zum Abschluss eine schöne Dividende von 30 Prozent gezahlt zu haben. Der Verkaufserlös von 942.000 Mark zuzüglich 150.000 Mark für die ungebrannten Ziegel (Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1920, S. 1600-1601) kam noch hinzu. Die Aktionäre wird’s gefreut haben.

Die Lage der Ziegelei ist auf einer online verfügbaren Karte der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg aus den 1920er Jahren zu erkennen. Die dort eingezeichneten Baulichkeiten existieren nicht mehr – das gesamte Gelände gehört heute zum Naturschutzgebiet Die Reit.

 

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Die Abrundung nach oben – oder: Das Ende des Pfennigs

Bergedorfer Zeitung, 1. März 1920

Bergedorfer Zeitung, 20. März 1920

Seit den frühen Kriegsjahren waren Pfennig- und andere kleine Münzen knapp, siehe den Beitrag Bargeldlos zum siegreichen Kriegsende – nun hatte sich das Reichsfinanzministerium eine originelle Lösung einfallen lassen: bei Einzahlungen an staatliche Kassen waren die jeweiligen Beträge „nach oben abzurunden“. Der Aufrichtigkeit halber hätte man besser von „Aufrundung“ gesprochen, doch das hätte in den Ohren der Zahlungspflichtigen bestimmt nicht so gut geklungen.

Die Regeln der kaufmännischen Rundung wurden also gröblich missachtet, eine echte Abrundung, d.h. auch nach unten, gab es nicht. Das wird der Staatskasse gutgetan haben, wenn nicht ebenso bei den Auszahlungen nach oben gerundet wurde. Jedenfalls konnten die Reichsfinanzen durch die Pfennigbeträge nicht saniert werden, aber die praktizierte Rundung war ein kleiner Beitrag zur Inflation.

Auch aus den von der BZ wiedergegebenen Preisen für die rationierten Lebensmittel in Bergedorf und Sande verschwanden im Laufe des Jahres die „krummen“ Beträge zusehends, einhergehend mit den Preissteigerungen: hatte z.B. im März ein Pfund Nudeln 1,18 Mark gekostet, so waren am Jahresende genau 2,00 Mark dafür zu bezahlen (BZ vom 13. März und 10. Dezember).

Immerhin wurden noch Münzen zu 5, 10 und 50 Pfennig hergestellt, womit die „staatliche Münzstätte … vollauf beschäftigt“ war, wie das Reichsfinanzministerium im Juni erklärte (BZ vom 4. Juni), aber der Kleingeldmangel erledigte sich ja vor allem durch die Inflation der folgenden Jahre.

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Die Treibereien und die Rhabarber-Lobby

Wenn von Treibereien gesprochen wird, denkt man wohl zumeist an Hetze, z.B. Kriegstreiberei. Im Gartenbau ist damit aber anderes gemeint, nämlich das Hervorrufen vorzeitigen Pflanzenwachstums durch Wärme.

BZ, 26. Februar 1920

Diese gärtnerische Art von Treibereien mit Kohlen und Koks hatten die Landherrenschaften einige Wochen zuvor „auf Grund der Bekanntmachung des Reichskommissars für die Kohlenverteilung über die Brennstoffversorgung der Haushaltungen usw. vom 30. März 1918 … zwecks Sicherstellung der Hausbrandversorgung“ untersagt (BZ vom 10. Januar 1920), was angesichts der Kohlennot (mit z.B. ungeheizten Schulen) mehr als verständlich ist: besser, die Pflanzen überwintern unbeheizt als die Menschen.

Bergedorfer Zeitung, 28. Februar 1920

Die nun erfolgte Aufhebung des Verbots kann als Erfolg der Vierländer Rhabarber-Lobby angesehen werden: getriebene Ware kommt früher auf den Markt und bringt die besten Preise, wie bereits im Beitrag Kein Zucker für Rhabarber ausgeführt wurde. Und bei einer Vorjahrsproduktion von „100.000 Zentnern vergeilten Treibrhabarbers“ (BZ vom 2. Februar 1920) kann man sich ausmalen, wie verbreitet und wirtschaftlich wichtig die Treiberei für viele Gartenbaubetriebe war. Was die Gärtner in den hamburgischen Gemeinden Kirchwärder und Curslack besonders auf die Palme getrieben hatte war der Blick über den Graben auf die preußischen Enklaven in diesen Orten (siehe die online verfügbare Karte Die Vierlande und Umgebung; die Enklaven sind mit Strich-Punkt-Linien umrandet), wo ebenfalls Rhabarber angebaut wurde: in Preußen galt das Heiz-Verbot nicht, was auch die Curslacker Gemeindevertretung zum Protest veranlasste (BZ vom 2. Februar). Der Erfolg der Rhabarber-Lobby war sicher ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken – und der Meldung, dass in Berlin sogar die Stadt selbst ihre Treibhäuser mit Kohlen und Koks belieferte.

Als in den folgenden Wochen der Treibrhabarber erntereif war, zeigte sich ein neues Problem: in den Vorjahren war die Ware zu den Bahnhöfen der Vierländer Bahn geliefert und per Bahn weiter zum Berliner Zentralmarkt versandt worden – 1920 musste sie wegen „großer Transportschwierigkeiten“ der Staatsbahn erst per Schiff nach Hamburg gebracht und dann „auf dem Wasserwege“ zum Bestimmungsort gebracht werden (BZ vom 27. März). Die erzielten Preise (auch im April für Freilandrhabarber) waren allerdings „bedeutend“ zurückgegangen (BZ vom 22. April).

Über den Rhabarberanbau in den Vierlanden gibt es fundierte Darstellungen von Werner Schröder (S. 78-83) und Torkild Hinrichsen (passim), auch mit Fotografien zum Anbau in Rhabarberkuhlen und -kästen, zur Bearbeitung und zur Verladung.

 

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Mit Torten und Tanz gegen die verschämte Armut

Bergedorfer Zeitung, 19. Februar 1920

Der Bergedorfer Frauenverein wollte etwas für „verschämte Arme“ unternehmen, von denen es sicher viele in Bergedorf gab, und insofern war dies eine begrüßenswerte Initiative.

Die Öffentlichkeitsarbeit via Bergedorfer Zeitung lässt dabei deutlich erkennen, wie groß der Abstand zwischen Arm und Reich und wie wenig Einfühlungsvermögen seitens der Wohlhabenden damit verbunden war: der Wohltätigkeitstee fand im besten Haus am Platze statt, im Hotel Bellevue, laut Inserat kostete der Eintritt 2 Mark (BZ vom 7. Februar), und es gab bei vollem Saal nicht nur ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm mit plattdeutschen Geschichten und mit Gesangsvorträgen – es gab zunächst einmal etwas für das leibliche Wohl: eine „reiche Fülle … leckerer Torten und Kuchen, die gütige Spenderinnen zu dem Fest gestiftet hatten“, und hinterher „blieb die Jugend zum fröhlichen Tanz beisammen“ (BZ vom 23. Februar).

BZ, 24. Februar 1920

Das war doch schön: man tat etwas Gutes, jedes Stück Torte konnte man mit gutem Gewissen essen, weil es ja zum Besten der verschämten Armen war. Der Frauenverein dürfte einiges an Geld eingenommen haben, und er bedankte sich per Annonce bei den Kuchen-Stifterinnen.

Tue Gutes und rede darüber – das scheint das Motto gewesen zu sein. Ob das zur sozialen Verständigung in der Stadt beitrug?

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Mehr Bildung für alle fähigen Mädchen!

Bergedorfer Zeitung, 21. Februar 1920

Höhere Bildung gab es für Mädchen in Bergedorf nur am privaten Lyzeum Luisenschule (Schulgeld 100 bis 110 Mark pro Quartal, je nach Klassenstufe) und an der ebenfalls privaten Elisabethschule (Schulgeld 66 bis 81 Mark pro Quartal). Das wollten die politisch Verantwortlichen in Bergedorf nun ändern. Die Debatte angestoßen hatte die DDP-Bürgervertreterin (Clementine) Dernehl, die in einem Antrag gefordert hatte, dass die beiden privaten Einrichtungen „auf den Staat übernommen werden“ (BZ vom 24. Januar und 14. Februar 1920).

So fiele es manchen Eltern leichter, ihre Töchter dorthin zu geben, denn in der Stadt Hamburg waren für die (beiden übervollen) staatlichen Lyzeen nur 36 Mark im Quartal zu bezahlen, wie der Lehrer und DDP-Bürgervertreter Leonhardt vor dem Bergedorfer Lehrerverein erklärte (BZ vom 21. Februar 1920). Da ab dem (Ostern beginnenden) Schuljahr 1920 in ganz Hamburg „aus allen Volksschulen die fähigen Schüler und Schülerinnen den Quinten der höheren Knabenschulen und den gleichliegenden Klassen der Lyzeen zugeführt werden“ sollten (BZ vom 24. Januar 1920), war mit verstärktem Andrang zu rechnen.

Nach Angaben des Schulleiters Wesch von der Mädchenschule am Birkenhain gab es am Ort 25 Mädchen, die nach der vierjährigen Grundschule geeignet waren, zu Ostern auf eine höhere Bildungsanstalt zu wechseln, und er forderte „ein vollwertiges Lyzeum“ (BZ vom 12. März 1920).

Die Stadtvertretung beschloss einen Kompromiss: sie votierte für die Schaffung eines „lyzeumsartigen Unterrichts“ ab dem neuen Schuljahr. Auch forderte sie generell die Einrichtung eines staatlichen Lyzeums in Bergedorf, womit die Verstaatlichungsfrage ungeklärt blieb.

Hamburgs Senat und Bürgerschaft zeigten sich etwas zögerlich: die Entscheidung über ein staatliches Lyzeum in Bergedorf solle zurückgestellt werden, aber eine Lyzealklasse solle im Mai den Unterricht aufnehmen, und das Schulgeld sollte den Hamburger Sätzen entsprechen (Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1920, S. 623f. und 668). Die Bergedorfer werden zufrieden gewesen sein: der Anfang war gemacht, Mädchen bekamen bessere Bildungschancen, und aufgrund von „Freistellen“ (BZ vom 12. März 1920) mussten nicht alle dafür bezahlen.

Die Lyzealklasse wurde übrigens an der Mädchenschule Brauerstraße eingerichtet – die von der Stadtvertretung ins Auge gefasste Hansa-Schule hatte angesichts stark steigender Schülerzahlen (1918: 691, 1919: 710, 1920: 723, BZ vom 13. Mai 1919 und 22. April 1920) keine Raumkapazitäten für eine weitere Klasse.

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Die luxussteuerpflichtigen Gold- und Silbermünzen

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1920

Mit silbernen Münzen, auch mit goldenen 20-Mark-Stücken, wurden schon länger keine Einkäufe mehr bezahlt, da ihr Metallwert weit höher lag als der Nennwert (siehe den Beitrag zum Münzsammler Hermann Boothby), aber sie wurden ge- und verkauft. Nicht nur Gold- und Silberschmiede sowie Spekulanten beteiligten sich an diesem Handel, sondern auch die Reichsbank: das Reich brauchte Edelmetall zur Bezahlung von Importen, denn an  der „Papiermark“ zeigten ausländische Handelspartner wenig Interesse. Der Wechselkurs der Mark verschlechterte sich also weiter, und hatte die Reichsbank im Januar das sechsfache bezahlt (BZ vom 24. Januar), so war sie nun bereit, Silbermünzen zum achtfachen Nennwert zu kaufen, wobei allerdings zumindest theoretisch die fünfzehnprozentige Luxussteuer, auf die in der Meldung hingewiesen wurde, in Abzug gebracht werden musste.

Auch so stieß die Reichsbank auf große Verkaufsbereitschaft: in Hamburg gab es „ein großes Gedränge vor dem Reichsbankgebäude“, und manch einer, der nicht lange warten wollte, verkaufte seine Gold- oder Silbermünzen steuerfrei auf der Straße an fliegende Händler, die aber „in zahlreichen Fällen … mit falschen Banknoten beglichen“ (BZ vom 24. Januar). Private Münzhändler mit fester Adresse waren da vielleicht eine Alternative, denn sie boten deutlich mehr, wie die Anzeigen unten belegen.

Bergedorfer Zeitung, 19. April 1920

An der Devisenknappheit änderte sich nichts, und so mutet die Mitteilung aus dem April des Jahres eher komisch an, dass Silbermünzen nicht mehr als gesetzliches Zahlungsmittel gelten, aber noch bis zum 1. Januar 1921 zum Nennwert eingetauscht werden konnten.

Bergedorfer Zeitung, 9. Februar 1920

Bergedorfer Zeitung, 9. Februar 1920

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Derartige Anzeigen wurden übrigens kurz danach untersagt (BZ vom 11. Februar).

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Die sozialisierte Torfgewinnung im Horster Moor

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1920

Der Torfabbau im Horster Moor war im Vorjahr reichlich spät begonnen worden – in  diesem Jahr war die Stadt Bergedorf besser vorbereitet: Anfang Februar hatten Magistrat und Bürgervertretung beschlossen, 150.000 M in die technische Ausrüstung für die Torfgewinnung zu stecken und 300.000 M als Betriebskapital zur Verfügung zu stellen (BZ vom 7. Februar 1920). Den Abbau sollte die „Arbeitsgemeinschaft Horster Moor“ übernehmen, an der sich „Arbeitslose und sonstige interessierte Kreise“ beteiligen sollten, und einen Vorstand hatte die noch zu bildende Genossenschaft bereits. Zwar war der BZ nicht zu entnehmen, wie viele Erwerbslose sich meldeten, aber es waren auf jeden Fall genug, um erhebliche Mengen zu fördern, wie aus späteren Meldungen hervorgeht. Die in der Stadtvertretung vorgebrachte Kritik, dass es 1919 keine Torf-Transporte in die Stadt gegeben hatte (BZ vom 24. Januar), wurde vom Magistrat aufgegriffen: er schrieb das Liefern „frei Haus“ aus (BZ vom 21. Mai) und erteilte den Zuschlag der Firma Carl Harden (BZ vom 11.Juni).

Bergedorfer Zeitung, 11. Juni 1920

Bergedorfer Zeitung, 12. Juni 1920

 

 

 

 

 

 

Doch auch die „Gemeinnützige Arbeitergenossenschaft Bergedorf und Umgegend“, zu der der umtriebige Bergedorfer Fellhändler Karl König gehörte, annoncierte ihre Fuhrdienste „ab Horster Moor bis ins Haus“, sogar für 15 M statt der an Harden zu zahlenden 25 M (BZ vom 12. Juni). Hier scheint die Sozialisierung aber nicht zum Zuge gekommen zu sein, denn in den weiteren Bekanntmachungen der Ortskohlenstelle wurde immer nur Harden als Spediteur genannt, während die Genossenschaft auf weitere Anzeigen verzichtete.

Bergedorfer Zeitung, 3. Februar 1920

Die widersprüchliche Konstellation, dass eine gemeinnützige Arbeitergenossenschaft Mitglied eines reichsweiten Finanzsyndikats werden sollte, trat übrigens nicht ein, da das angekündigte Reichstorfgesetz nicht zustande kam, wie aus einer Buchbesprechung in der Deutschen Wirtschaftszeitung vom 1. März 1921 hervorging.

 

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Bergedorf maskiert und kostümiert

BZ, 4. Februar 1920

BZ, 4. Februar 1920

Auch wenn die Zeiten schwierig waren – auf Amüsement wollte man in Bergedorf und Umgebung nicht verzichten, schon gar nicht in der Zeit auf Fastnacht zu. Eine Form dieser Abendunterhaltung waren Maskeraden, für die man nicht nur eine Narrenkappe oder Faschingsmaske benötigte, sondern auch entsprechende Kleidung. In jener Woche gab es aus Bergedorf und Sande acht verschiedene Kleinanzeigen, in denen der Verleih derartiger Kostüme angeboten wurde. Zusätzlich gab es meist die Möglichkeit, sich im Veranstaltungslokal dem Anlass entsprechend mit Leihtextilien auszustatten.

BZ, 7. Februar 1920

Nicht nur Vereine veranstalteten Maskeraden, sondern z. B. auch der Textilarbeiter-Verband. Aber auch diejenigen, die nicht zu einer Maskerade gingen, hatten Möglichkeiten der Abendgestaltung in Lokalitäten, z.B. bei Tanzkränzchen oder Bällen – für diese wurde allerdings in der BZ kein textiler Mietservice offeriert. Das Problem der frühen Polizeistunde (laut BZ vom 20. Januar: 22:00 Uhr)  traf alle Veranstaltungen in gleichem Maße.

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Die Bergedorfer Zeitung zum Tode Richard Dehmels

Bergedorfer Zeitung, 9. Februar 1920

Der Nachruf der BZ auf den Dichter Richard Dehmel war knapp und außerordentlich schmucklos – dennoch: dass die Zeitung ihn überhaupt druckte, noch dazu im „Tagesbericht“, der üblicherweise lokalen und allgemein-interessierenden Themen vorbehalten war, ist bemerkenswert, denn Dehmel hatte in Blankenese gelebt – zum sonstigen Umgang der BZ mit Nachrufen unten mehr.

Bergedorfer Zeitung, 10. Februar 1920

Dehmel war ein für die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende 1900 bedeutender Literat: „Der Neuansatz der deutschen Lyrik zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist in hohem Maße ihm zu verdanken“, wie es in der Deutschen Biographie heißt. Auch das Beileidstelegramm des Reichskanzlers an Ida Dehmel zeigt, welchen Stellenwert er besaß, und ungewöhnlicherweise gab es sogar Kurzmeldungen zu den Trauerfeierlichkeiten in der BZ:

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1920

Bergedorfer Zeitung, 13. Februar 1920

 

 

 

 

 

Die Ausstellung „Zwei Menschen, Richard und Ida Dehmel in Hamburg“ im Ausstellungsraum der Staats- und Universitätsbibliothek zum 100. Todestag des Dichters und 150. Geburtstag seiner Frau (bis 22. März 2020, täglich geöffnet, Eintritt frei) gibt einen sorgfältig kuratierten Einblick in das von ihnen errichtete „Gesamtkunstwerk“ – der fein gewählte Ausstellungstitel „Zwei Menschen“ weist nicht nur auf die beiden Persönlichkeiten, sondern ebenso auf den gleichlautenden Titel von Dehmels erstem Roman, für den der Autor auch die Einbandgestaltung übernahm. Wie sorgsam und präzise Dehmel auch dabei zu Werke ging, ist anhand seiner eigenen Entwürfe nachvollziehbar, die die Stabi aus ihrem „Dehmel-Archiv“ mit dem Nachlass des Dichters nun präsentiert.

Im Februar 1920 veröffentlichte die BZ ansonsten nur Nachrufe von lokaler Bedeutung: auf Wilhelm Oldhaver, über 40 Jahre Lehrer an der Stadtschule, der das Schauspiel „Dietrich Schreyge“ verfasst hatte (BZ vom 2. Februar), den Rektor und Vikar Stephan Tegeler von der katholischen Waisenhausschule in Bergedorf (BZ vom 3. Februar), den Hufner Tiete Hars aus Kirchwärder, langjähriges Gemeinde- und Kirchenvorstandsmitglied (BZ vom 3. Februar), Dr. Johann Friedrich Voigt, Verfasser von Büchern über die Geschichte Bergedorfs und des Landgebiets sowie langjähriger Rat bei den Landherrenschaften (BZ vom 13. Februar) und schließlich auf den Gastwirt Heinrich Pahlen aus Sande, der die örtliche Feuerwehr, den Bürgerverein, die Liedertafel „Hoffnung“ sowie den Krieger- und Kampfgenossenverein Sande mitgegründet hatte (BZ vom 26. Februar 1920).

Sie gab den Nachrufen auf Oldhaver, Voigt und Pahlen deutlich mehr Raum als dem auf Dehmel. Sie war eben eine Lokalzeitung.

 

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Reichsbehörde sucht Büroräume

BZ, 5. Februar 1920

Welche Reichsbehörde hatte im Raum Bergedorf/Sande Raumbedarf, wollte sich aber nicht zu erkennen geben und schaltete eine Chiffre-Anzeige? Wäre es ein Geheimdienst gewesen, so hätte er sich aus Tarnungsgründen wohl nicht als Reichsbehörde bezeichnet (oder gerade deshalb doch?).

 

BZ, 13. Januar 1920

Dieser Annonce war eine andere vorausgegangen, in der das Stadtbauamt Bergedorf für eine Abteilung einer Reichsbehörde 150 Quadratmeter Büroräume suchte – die Vermutung scheint nicht abwegig, dass es sich um ein- und dieselbe Reichsbehörde handelte.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit ging es um ein Finanzamt bzw. eine Abteilung desselben. Mit der Erzbergerschen Finanz- und Steuerreform wurde 1919/1920 ein völlig neues Steuer- und Steuerverwaltungssystem mit Landesfinanzämtern und untergeordneten Finanzämtern eingeführt, und beinahe wären Bergedorf, Geesthacht, die Vierlande und andere Teile des Hamburger Staatsgebiets dem Landesfinanzamt Kiel unterstellt worden (Moorburg wäre zu Hannover gekommen): das Reichsfinanzministerium hatte bei der Abgrenzung der Landesfinanzämter offenbar die Stadt Hamburg als geschlossenes Gebiet anerkannt, aber alle nicht eingemeindeten Teile, worunter sich (wie z.B. Geesthacht) Exklaven befanden, per Federstrich anderen Finanzregionen zugewiesen. Ein Antrag Otto Stoltens in der Nationalversammlung konnte dies aber noch verhindern: das gesamte Gebiet des Staates Hamburg wurde dem Hamburger Landesfinanzamt „Unterelbe“ zugeschlagen, also auch Bergedorf, Geesthacht, die Gemeinde Ost-Krauel usw. (BZ vom 14. und 26. November 1919).

So bekam Bergedorf also ein Finanzamt und blieb steuerlich bei Hamburg. Den ersten Eintrag gab es im Hamburger Adressbuch für 1921, im Hamburger Adressbuch für 1922 wurden sogar fünfzehn Namen von Mitarbeitern aufgeführt. Der Sitz war in der Wentorfer Straße 13 – das war die Anschrift des Bergedorfer Stadthauses, das also eine Reichsbehörde als Mieter begrüßte, woraus man wiederum schließen kann, dass die Versuche, per Kleinanzeige eine „externe“ Lösung zu finden, gescheitert waren.

Seit November 2016 gibt es kein Finanzamt Hamburg-Bergedorf mehr; es ist im Finanzamt Hamburg-Ost aufgegangen, sodass weiterhin Steuern erhoben werden können.

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