Die Treibereien und die Rhabarber-Lobby

Wenn von Treibereien gesprochen wird, denkt man wohl zumeist an Hetze, z.B. Kriegstreiberei. Im Gartenbau ist damit aber anderes gemeint, nämlich das Hervorrufen vorzeitigen Pflanzenwachstums durch Wärme.

BZ, 26. Februar 1920

Diese gärtnerische Art von Treibereien mit Kohlen und Koks hatten die Landherrenschaften einige Wochen zuvor „auf Grund der Bekanntmachung des Reichskommissars für die Kohlenverteilung über die Brennstoffversorgung der Haushaltungen usw. vom 30. März 1918 … zwecks Sicherstellung der Hausbrandversorgung“ untersagt (BZ vom 10. Januar 1920), was angesichts der Kohlennot (mit z.B. ungeheizten Schulen) mehr als verständlich ist: besser, die Pflanzen überwintern unbeheizt als die Menschen.

Bergedorfer Zeitung, 28. Februar 1920

Die nun erfolgte Aufhebung des Verbots kann als Erfolg der Vierländer Rhabarber-Lobby angesehen werden: getriebene Ware kommt früher auf den Markt und bringt die besten Preise, wie bereits im Beitrag Kein Zucker für Rhabarber ausgeführt wurde. Und bei einer Vorjahrsproduktion von „100.000 Zentnern vergeilten Treibrhabarbers“ (BZ vom 2. Februar 1920) kann man sich ausmalen, wie verbreitet und wirtschaftlich wichtig die Treiberei für viele Gartenbaubetriebe war. Was die Gärtner in den hamburgischen Gemeinden Kirchwärder und Curslack besonders auf die Palme getrieben hatte war der Blick über den Graben auf die preußischen Enklaven in diesen Orten (siehe die online verfügbare Karte Die Vierlande und Umgebung; die Enklaven sind mit Strich-Punkt-Linien umrandet), wo ebenfalls Rhabarber angebaut wurde: in Preußen galt das Heiz-Verbot nicht, was auch die Curslacker Gemeindevertretung zum Protest veranlasste (BZ vom 2. Februar). Der Erfolg der Rhabarber-Lobby war sicher ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken – und der Meldung, dass in Berlin sogar die Stadt selbst ihre Treibhäuser mit Kohlen und Koks belieferte.

Als in den folgenden Wochen der Treibrhabarber erntereif war, zeigte sich ein neues Problem: in den Vorjahren war die Ware zu den Bahnhöfen der Vierländer Bahn geliefert und per Bahn weiter zum Berliner Zentralmarkt versandt worden – 1920 musste sie wegen „großer Transportschwierigkeiten“ der Staatsbahn erst per Schiff nach Hamburg gebracht und dann „auf dem Wasserwege“ zum Bestimmungsort gebracht werden (BZ vom 27. März). Die erzielten Preise (auch im April für Freilandrhabarber) waren allerdings „bedeutend“ zurückgegangen (BZ vom 22. April).

Über den Rhabarberanbau in den Vierlanden gibt es fundierte Darstellungen von Werner Schröder (S. 78-83) und Torkild Hinrichsen (passim), auch mit Fotografien zum Anbau in Rhabarberkuhlen und -kästen, zur Bearbeitung und zur Verladung.

 

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