Der Überfall auf das Bergedorfer Auktionshaus

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1920

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1920

 

 

 

 

In dem kurzen redaktionellen Bericht zum Überfall auf das Bergedorfer Auktionshaus war von den „Eheleuten K.“ als Übeltätern die Rede – der Überfallene nannte in seinem Inserat „Gastwirt Kahl und Ehefrau“, und man fragt sich, warum es zu diesem Konflikt zwischen Waldemar Schwaia (und seiner Mutter) und dem Gastwirtspaar (verstärkt durch einen Kellner) gekommen war.

Erst Anfang des Jahres war Franz Kahl als Partner aus dem Bergedorfer Auktionshaus Schwaia & Kahl ausgeschieden (BZ vom 7. Januar 1920), aber das gemeinsame Geschäft wirkte monatelang nach: die Zusammenarbeit war offenbar nicht harmonisch gewesen, wie die folgenden Ausschnitte zeigen:

Bergedorfer Zeitung, 23. November 1920

Bergedorfer Zeitung, 24. November 1920

Alle Anschuldigungen seien erlogen, erklärte Herr Kahl, er habe lediglich die in seinen Augen dubiosen Geschäftspraktiken des Herrn Schwaia beanstanden wollen, weil er (Kahl) für diese haften sollte, von einem Überfall könne man nicht sprechen.

War es nun ein Überfall oder ein zu rechtmäßigem Handeln mahnender Besuch?  War Schwaias Mutter Opfer schwerer Körperverletzung oder war sie als erste „tätlich beleidigend“, aber nicht verletzt worden? Gab es den von Schwaia behaupteten Diebstahlsversuch? Wer war Unschuldslamm, wer schwarzes Schaf?

All diese Fragen sollten vor Gericht geklärt werden, und tatsächlich gab es später eine vierzeilige Meldung hierzu: Kahl und seine Frau wurden vom Schöffengericht Bergedorf wegen „gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs“ zu je 50 Mark Geldstrafe verdonnert (BZ vom 19. Februar 1921).

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Die Beiträge zur Krankenkasse, die gesunden und die kranken Versicherten

Bergedorfer Zeitung, 23. November 1920

Trotz gestiegener Ausgaben für Arzthonorare (siehe den Beitrag zum Ärztestreik), Medikamente und Verwaltung sowie für eine „wesentliche Erhöhung der Kassenleistungen“: die AOK Bergedorf wollte für 1921 die Beitragssätze senken, von 7,5 % auf 7,0 %, denn auch bei den Einnahmen hatte es Zuwächse gegeben: zum einen durch erhöhte Beiträge, zum anderen durch Ausdehnung der Versicherungspflicht (BZ vom 21. Juni 1920), die „Besserverdienende“ erfasste und in neugeschaffene Spitzenbeitragsstufen steckte.

Hatte zu Jahresanfang der geringste Beitrag bei 0,68 Mark pro Woche gelegen, so war dieser im Juni auf 0,90 Mark gestiegen; die höchsten Einkommen zahlten zunächst 4,50 Mark und dann (in den neuen Stufen XI und XII) 12,15 Mark bzw. 13,50 Mark pro Woche (BZ vom 3. Januar und 4. Juni 1920). Für 1921 sollten diese Werte auf 0,80 Mark, 11,35 Mark und 12,60 Mark gesenkt werden (BZ vom 23. Dezember 1920) – die Absenkung geschah allerdings nur „mit geringer Mehrheit“ im Beschlussgremium; über die Motive der Minderheit war nichts im Bericht enthalten.

Bergedorfer Zeitung, 27. November 1920

Die Zahl der Versicherten war von 7.071 am Jahresende 1919 auf nun 7.840 gestiegen, wobei die Zahl der männlichen Mitglieder von 4.058 auf 5.009 zunahm, die der weiblichen hingegen von 3.013 auf 2.831 zurückging. Krankschreibungen erfolgten offenbar sehr restriktiv. Die deutlich überproportionalen Zahlen der erkrankten und der erwerbsunfähig geschriebenen Frauen können sicher auch auf deren hohe Belastungen zurückgeführt werden.

 

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Die Verstaatlichung der Bergedorfer Polizei

Bergedorfer Zeitung, 15. November 1920

Es kam nicht ganz so wie der von der Bürgerschaft eingesetzte Ausschuss empfohlen hatte, aber Bergedorfs Polizei wurde jedenfalls verstaatlicht.

Bis dahin hatte es ein Nebeneinander von Staats- und Gemeindepolizei gegeben, was nicht unproblematisch war: Unklare Zuständigkeiten hätten „vielfach“ zum Nicht-Einschreiten geführt, und: „Bei dem jetzigen Aufbau der Polizei ist es weder der Landherrenschaft noch der Stadt Bergedorf immer möglich, voll wirksam in allen Lagen die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung zu verbürgen.“ Das war nicht etwa die Meinung der BZ, sondern die Überzeugung des Hamburger Senats, aus dessen Antrag an die Bürgerschaft die BZ am 23. August zitiert hatte.

Die folgenden Beratungen des Ausschusses waren langwierig, über zwei Monate – möglicherweise, weil es zu der Einbeziehung Geesthachts unterschiedliche Auffassungen gab: „Über die Neuregelung des Polizeiwesens in der Gemeinde Geesthacht behält sich die Bürgerschaft ihre Beschlüsse noch vor“, hieß es im Beschluss, den das Parlament am 26. November traf (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1920, S. 1791).

Bergedorfs Politik war’s zufrieden: Magistrat und Bürgervertretung stimmten kurz vor Weihnachten der Neuorganisation zu. Alle Schutzleute und einer der Hilfspolizisten wurden vom Staat übernommen, und insgesamt wurde der Bergedorfer Etat um 300.000 Mark jährlich entlastet, das Loch in der Kasse wurde also kleiner (BZ vom 20. Dezember).

Bergedorfer Zeitung, 30. Oktober 1920

Bergedorfs Bürgermeister dürfte übrigens mit der Reform die Polizeigewalt verloren haben, die ihm unter dem alten Recht noch im Oktober das Landgericht Hamburg bescheinigt hatte. Wiesner wird es verschmerzt haben.

 

 

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Der Brotverteilungsverein Bergedorf e.V.

Bergedorfer Zeitung, 11. November 1920

Bergedorfer Zeitung, 11. November 1920

Der Brotverteilungsverein Bergedorf versorgte Bedürftige mit Brot. Er war nicht etwa in bzw. aus der Not der Kriegs- oder Nachkriegsjahre entstanden, sondern hatte eine lange Historie: im Museum für Bergedorf und die Vierlande liegen Unterlagen des Vereins ab dem Jahr 1830 vor. Die Einrichtung stand also in der Tradition bürgerlicher Wohltätigkeit, und so begrüßenswert diese war und ist, so zeigt sie zugleich die schlechten Lebensverhältnisse jener Jahre, siehe den Beitrag Das Elend in Bergedorf.

Das finanzielle Engagement der Bergedorferinnen und Bergedorfer für den Verein war gering: im Berichtsjahr 1919/1920 ergab die Haussammlung gerade einmal 725 Mark – bei einer Haussammlung für das Projekt „Kinder in Not“ im November 1920 kamen in der Stadt fast 20.000 Mark zusammen (BZ vom 29. November 1920). In den Jahren zuvor hatte der Verein sogar noch geringere Einnahmen, konnte aber wohl mehr „bedürftige alte Frauen“ unterstützen: 1914/1915 konnten für 637,10 Mark 1.414 Brote gekauft werden (BZ vom 16. November 1915), im aktuellen Jahr kosteten die 940 verteilten Brote 1.761,76 Mark – der Brotpreis hatte sich also mehr als vervierfacht.

Bis zu seinem Weggang aus Bergedorf hatte Bürgermeister Dr. Walli an der Spitze des Vereins gestanden, ihm folgte Ratmann Bauer (BZ vom 3. Dezember 1918 und 3. Dezember 1919), doch für beide scheint der Vorsitz nur eine lästige Pflichtaufgabe gewesen zu sein, für die keine besonderen Aktivitäten entfaltet wurden – eine Herzensangelegenheit war ihnen der Verein nicht.

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Das Elend in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 4. November 1920

Viele Teilnehmer der Erwerbslosen-Kundgebung werden wegen der Kartoffel- und Kohlenpreise mit zum Stadthaus gezogen sein und preisgünstige Belieferung gefordert haben. Das Entgegenkommen Bürgermeister Wiesners war allerdings begrenzt: nur wenn es gelinge, billigere Kartoffeln aus der Umgegend zu erhalten, könne der Preis gesenkt werden, doch diese Hoffnung zerschlug sich nach wenigen Tagen – da erklärten die benachbarten Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg, dass sie selbst „Bedarfskreise“ seien und nicht liefern könnten (BZ vom 18. November). Wiesner hatte auch angeboten, aus den Beständen der Stadt Kartoffeln „zum Selbstkostenpreis“ abzugeben – dieser lag aber bei 36 Mark pro Zentner, wie Wiesner in einer dringlichen Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung darlegte (BZ vom 8. November), und das war weit entfernt von der Forderung.

Bergedorfer Zeitung, 8. November 1920

Es war ein Dilemma für die Stadt: an billige Kartoffeln kam sie nicht heran, auch nicht an Kohlen, die amtlichen Unterstützungssätze für Erwerbslose durfte sie nicht erhöhen, und anderen gehe es nicht besser, wie der Sozialdemokrat Tonn in der Sitzung darlegte. Nach seinen Worten sei „ein Elend“ festzustellen, das nicht nur die Lage der 1.012 Erwerbslosen mit Familienangehörigen, sondern  doppelt so vieler Menschen („Rentner, Pensionäre, Kriegsbeschädigte, Kriegerwitwen usw.“) kennzeichne. Bei knapp 17.000 Einwohnern der Stadt Bergedorf heißt das, dass fast jeder fünfte Not litt – eine erschreckende Zahl.

Tonn zeigte aber auch einen Ausweg auf: das Wohlfahrtsamt sollte auf Antrag Zuschüsse zur „Bestreitung des notdürftigen Lebensunterhalts“ zahlen, und diesem Vorschlag folgte das Beschlussgremium mit großer Mehrheit – nur die USP-Vertreter stimmten dagegen, weil die Forderungen der Erwerbslosen berechtigt seien (BZ vom 8. November).

Wie viele Bedürftige dann solche Zuschüsse erhielten und in welcher Höhe sie gezahlt wurden, ob das Elend verringert wurde, stand nicht in der BZ. Das Gewerkschaftskartell jedenfalls forderte von der Stadtverwaltung, „der Forderung der Erwerbslosen nicht nachzugeben“, da dies die Versorgung der Bevölkerung gefährden würde (BZ vom 12. November).

Bergedorfer Zeitung, 13. November 1920

Das wiederum führte zu einem Sprechsaal-Beitrag „mehrerer Erwerbsloser“: den „Herren vom Gewerkschaftskartell“ fehle es an menschlichem Gefühl, und die Briefschreiber drohten: „Bekommen wir keine Unterstützung vom Kartell, dann sind wir gezwungen, dahin zu gehen, wo wir unterstützt werden.“ Laut Bürgermeister Wiesner hatten sie sogar „Selbsthilfe“ angekündigt (BZ vom 8. November), aber so weit ist es wohl nicht gekommen.

Der „Erwerbslosenrat“ übrigens, der im Artikel oben erstmals Erwähnung fand und in der Bergedorf-Literatur gar nicht auftaucht, schien einen offiziellen Status zu haben: das Arbeitsamt zahlte ihm offenbar eine Vergütung, die der Rat als zu gering ansah. Ob er einen Sitz im (Miete-(?))Schlichtungsausschuss erhielt, wurde nicht berichtet; es ist aber eher unwahrscheinlich.

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Das Großfeuer in Zollenspieker und seine Folgen

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1920

Ausführlich hatte die Bergedorfer Zeitung am 2. und 3. November über das Großfeuer in Zollenspieker berichtet (siehe die Ausschnitte am Ende dieses Beitrags), und sofort begann eine große Hilfsaktion in ganz Hamburg, denn der Schaden ging in die Millionen: Bürgermeister Diestel, Bürgerschaftspräsident Ross wie auch der Landherr Senator Stubbe riefen zu Sachspenden aller Art und Geldgaben auf; in der Landherrenschaft Bergedorf bildeten Bürgermeister Wiesner und die Gemeindevorsitzenden der Vierlande, Geesthachts, Preußisch-Kirchwärders und des Ost-Krauels einen „Hauptausschuss“, der ebenso wie die Bergedorfer Bank zu Spenden aufrief (BZ vom 5. November).

Sechzehn Häuser mit Stallungen und vier große Nebengebäude fielen dem Feuer zum Opfer, das am Zollenspieker Hafen ausgebrochen war. Auslöser waren Funken aus einem Schornstein, die ein nahes Reetdach erfassten. Der scharfe Ostwind trug Funken und brennende Reetbüschel zu weiteren Häusern, die dann ebenfalls in Brand gerieten. Das Ausmaß des Feuers ist auch daran zu erkennen, dass nicht nur die Feuerwehren von Kirchwärder, von Neuengamme und Curslack sowie vom Krauel im Einsatz waren, sondern auch die aus Bergedorf, aus Hamburg kamen mehrere Feuerwehrzüge und sogar ein Feuerlöschboot, doch wenn der Wind nicht in Richtung Elbe gedreht hätte, hätten sie wohl eine weitere Ausdehnung der Brände nicht verhindern können.

Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden, auch das Vieh konnte aus den Ställen herausgetrieben werden, aber in den meisten Fällen war alles, was sich sonst in den Häusern befand, vernichtet. Die Not war also groß; zwar fanden die obdachlos gewordenen Menschen bei Nachbarn oder Verwandten provisorische Unterbringung, doch hatten die meisten nur das Leben und die gerade getragene Kleidung gerettet. Die Hilfsaktion war also dringend nötig – und sie war erfolgreich: bereits am 23. November veröffentlichte die BZ das Gabenverzeichnis des Hamburger Aufrufs mit 80.148,21 Mark sowie (unspezifiziert) „Mobilien, Kleidungsstücke, Wäsche und dergl.“; der Appell der Bergedorfer Bank erbrachte 2.605 Mark (BZ vom 17. Dezember), aus dem „überelbischen“ Kreis Winsen kamen 43.361,75 Mark (BZ vom 20. Dezember) – eine Abrechnung wurde erst 1921 veröffentlicht, nach der 268.000 Mark zur Verteilung gelangten, darunter 11.000 Mark vom Lübecker Drägerwerk (BZ vom 14. Mai 1921). Für den Wiederaufbau der Häuser gab es Reichsdarlehen, zu denen die Gemeinde Kirchwärder 70.000 Mark als Kofinanzierung beisteuerte (BZ vom 17. Dezember).

Die erforderlichen Neubauten konnten die Betroffenen in aller Regel nur auf Kredit finanzieren: die meisten Feuerversicherungen waren auf „Friedenspreise“ ausgelegt, die nur etwa ein Zehntel der aktuellen Baukosten deckten (BZ vom 9. Oktober) – die Erfahrungen vom Zollenspieker dürften zumindest der Auslöser für eine Reform des Feuerkassengesetzes gewesen sein, die der Senat noch im selben Jahr  in die Wege leitete, nach der künftig „der Grundsatz der vollen Entschädigung die alleinige Richtlinie“ bilden sollte (BZ vom 6. Dezember), d.h. dass zu den „Friedenspreisen“ von 1914 ein Zuschlag für gestiegene Baupreise addiert wurde und so im Schadensfall ein gleichwertiger Neubau errichtet werden konnte.

Bergedorfer Zeitung, 11. November 1920

Ob das Vorhandensein von Feuerlöschern in den Häusern gegen ein brennendes Reetdach viel geholfen hätte, kann man bezweifeln – aber es dauerte nicht lange, bis ein auch heute noch aktiver Hersteller solcher Geräte „Löschvorführungen“ in den Vierlanden anbot (BZ vom 6. und auch 16. November).

 

BZ, 1. Dezember 1920

Löscheimer aus Kirchwärder mit den Initialen des Hausbesitzers und der Hausnummer

Die traditionellen Löschgeräte jedenfalls, über die jedes Haus verfügen musste, hatten offenbar wenig bis nichts bewirkt – dennoch wurde von der Gemeinde Kirchwärder eine entsprechende „Revision“ durchgeführt. (Unter den in der Bekanntmachung genannten „Dachstühlen“ sind kurze Leitern, die auf das Reetdach gelegt und mittels eines Dorns darin eingehängt werden konnten, zu verstehen. Die Löscheimer waren aus Leder.)

 

BZ, 6. November 1920

BZ, 16. November 1920

Am Einsatz der örtlichen Feuerwehren bei diesem Brand hatte es offenbar laut Kritik gegeben – diesen Anzeigen nach unberechtigt. An der Gemeinde hingegen wurde in der BZ keine Kritik geübt, obwohl sie diese verdient gehabt hätte: sie beschloss erst jetzt, eine Überfahrt über den Elbdeich zu schaffen, um „bei ähnlichen Fällen die Heranschaffung von Spritzen an die Elbe zu ermöglichen“ (BZ vom 10. November).

Erst muss ja das Kind in den Brunnen fallen, vorher kommt kein Deckel drauf …

Bergedorfer Zeitung, 3. November 1920

Bergedorfer Zeitung, 2. November 1920

 

 

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Bergedorfs Wandermuseum

Bergedorfer Zeitung, 30. Oktober 1920

Museen sind eigentlich ziemlich ortsfeste Einrichtungen – nicht so in Bergedorf, wo die „Heimatsammlung“ fast sechzig Jahre lang ihre Heimat suchte und von Notbehelf zu Notbehelf zog.

Begonnen hatte alles 1893: damals veranstaltete der Bergedorfer Bürgerverein im Portici eine „kulturhistorische Ausstellung für Bergedorf und Umgegend“. Die Ausstellung mit etwa 1200 Objekten bestand aus Leihgaben, und daraus entwickelte sich die „Heimatsammlung“ des Vereins, aus der das Bergedorfer Museum hervorging. Diese Jahrzehnte dauernde Entwicklung wird detailliert geschildert in der von Olaf Matthes herausgegebenen Aufsatzsammlung  Vom Portici zum Schloß. Die Geschichte des Museums für Bergedorf und die Vierlande, auf die auch im folgenden Bezug genommen wird. Dort ist angegeben, dass die Sammlung noch im Jahr 1893 ihr Quartier in einem „Nebenraum“ der Mädchenschule Brauerstraße erhielt. 1901 kamen zwei Räume hinzu – doch schon 1902 mussten alle Räume aufgegeben und die Gegenstände auf dem Dachboden des rückwärtigen Anbaus eingelagert werden, wo sich Motten und Holzwürmer über die Objekte hermachten. Ende 1915 gab es eine deutliche Verbesserung: das zweite Obergeschoss des Stadthauses, der ehemaligen Hansaschule, wurde von der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dort konnte die Ausstellung wieder aufgebaut und in bescheidenem Maße zugänglich gemacht werden (BZ vom 7. Oktober 1915), aber nur für wenige Jahre, denn Bergedorfs neuer Magistrat des Jahres 1919 war dem Projekt der bürgerlichen Geschichtspräsentation nicht wohlgesonnen: zunächst reklamierte er zwei der Sammlungsräume für sich, und im November 1919 verfügte er, dass das neuerrichtete Finanzamt die gesamte Etage übernehmen sollte (BZ vom 18. Dezember 1919) – das Museum zog auf den nächsten Dachboden in der Birkenhainschule, Ausstellung unmöglich.

Unterstützung fand der Bürgerverein dann beim Hamburger Senat, der ihm das Obergeschoss des Gasthofs Stadt Hamburg überließ, wie es im Artikel heißt, aber die Stadt Bergedorf mit der treuhänderischen Verwaltung beauftragte – und letzteres sorgte für jahrelange Konflikte von Magistrat und Verein.

„Bereits Anfang nächsten Jahres“, also 1921, sollte laut BZ die Besichtigung wieder möglich sein – aber es zog sich hin: im März wurden erste Räume übergeben, weitere im Laufe des Jahres, doch ein Teil der Exponate blieb auf dem Dachboden am Birkenhain, kam zu Privatpersonen oder in die Kellerräume der Bergedorfer Bank.

Die Wanderung ging weiter: von „Stadt Hamburg“ ins Schloss, vom Schloss wieder zurück in den historischen Gasthof zur Einlagerung. Der jetzige Standort ist erstaunlicherweise seit über siebzig Jahren unverändert: das Bergedorfer Schloss.

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Streit um die Gefallenenehrung

Es war ein Konflikt zwischen den „alten“ Kräften des Kaiserreichs und den „neuen“ der Republik: wer durfte an die Kriegstoten erinnern, in welcher Form und mit welchen Worten: die (evangelische) Kirche oder die Stadt? Sollte der „Helden“ gedacht werden oder der „Opfer“? Wer hatte die Deutungshoheit?

Bergedorfer Zeitung, 27. Oktober 1920

Bergedorfer Zeitung, 27. Oktober 1920

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Neuengamme, Curslack und Altengamme waren bereits Kriegerdenkmale errichtet worden (BZ vom 9. Februar, 1. April, 23. September und 8. Oktober), in Kirchwärder liefen die Vorbereitungen (BZ vom 23. September), jeweils gemeinsam getragen von der politischen Gemeinde und von der evangelischen Kirche. Man kann also nachvollziehen, dass in Bergedorf „die von vielen Kreisen unserer Bevölkerung schon lange gewünschte Ehrung“  vorangebracht werden sollte, und so griff die evangelische Gemeinde St. Petri und Pauli dieses Anliegen auf: sie warb um Spenden für ein Erinnerungsmal, das außen an der Kirche geschaffen werden sollte, dazu ein Ehrenbuch mit den Namen der „nahezu 500 gefallenen oder gestorbenen Kämpfer“ im Innenraum der Kirche, in dem offenbar z.B. auch Katholiken und Konfessionslose aufgeführt werden sollten.

Bergedorfer Zeitung, 3. November 1920

Die Stadt hatte ebenso die Absicht, ein Ehrenmal zu schaffen; allerdings wurde das Thema offenbar nur zögerlich bearbeitet: im Sommer des Jahres hatten Magistrat und Bürgervertretung die Friedhofskommission erweitert und ihr den Auftrag erteilt, sich der Gefallenenehrung anzunehmen – doch erst nachdem der Kirchenvorstand seine Initiative gestartet hatte, wurde gemeldet, dass Vorentwürfe in Vorbereitung seien (BZ vom 30. Oktober, 3. und 26. November), und auf dieser Grundlage äußerte der Magistrat schriftlich und offiziell seine Kritik am „evangelischen“ Vorhaben: es störe „die Gemeinsamkeit des Handelns für die Schaffung eines allgemeinen Ehrenmales“. Das Ehrenbuch wollte die Friedhofskommission sogar selbst übernehmen und in der Kirche auslegen.

Bergedorfer Zeitung, 3. November 1920

Der Kirchenvorstand gab in einem Punkte nach und verzichtete auf das Ehrenmal an der Kirche, aber an der Idee des Ehrenbuches hielt er fest und warb dafür weiter Spenden ein.

Unterdes ging die Arbeit der städtischen Kommission weiter: sie folgte dem Vorschlag des Architekten Distel, das Ehrenmal in den „Knickgärten“ aufzustellen, also in der Parkanlage zwischen Blickgraben und Brauerstraße (auf der Karte von 1904 nördlich des Elektrizitätswerks (Nr. 17)). Die Inschrift sollte aller Kriegsteilnehmer gedenken, allerdings: „Die Auswahl des Steines und die Abfassung der Inschrift bleiben späterer Beschlußfassung vorbehalten.“ (BZ vom 26. November). Nicht alle der im ersten Absatz gestellten Fragen waren also geklärt.

Manches kam aber anders als von der Kommission gedacht, vor allem der Standort, wie in einem späteren Beitrag darzulegen sein wird. Auch hatte der Gedanke des „allgemeinen“ Ehrenmals die katholische Gemeinde Bergedorf-Sande offenbar nicht überzeugen können, denn sie ließ „zum Andenken an ihre 22 gefallenen Krieger“ auf dem Bergedorfer Friedhof ein Kreuz mit den Namen der Gefallenen errichten (BZ vom 15. November). Dieses Kreuz – im Gegensatz zum „Ehrenbuch“ in St. Petri und Pauli – ist heute nicht mehr vorhanden.

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Die Maul- und Klauenseuche und das Kussverbot

Bergedorfer Zeitung, 20. Oktober 1920

Im Gegensatz zu anderen Viren war und ist der Erreger der Maul- und Klauenseuche für die Menschen keine Bedrohung – für Klauentiere, d.h. Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen, aber sehr gefährlich: die hochansteckende Krankheit führt oft zum Tode.

Das Virus war 1898 von Friedrich Loeffler und Paul Frosch entdeckt und beschrieben worden, wie anschaulich auf einer Seite des Robert-Koch-Instituts nachzulesen ist (die Darstellungen auf den Seiten des Friedrich-Loeffler-Instituts haben andere Schwerpunkte): den Forschern gelang damit der erste Nachweis eines tierischen Virus, und sie gelten heute als (Mit-)Begründer der Virologie.

1920 breitete sich die Seuche rasant aus: die erste Meldung der BZ dazu gab an, dass in der Provinz Schleswig-Holstein 1967 Gehöfte betroffen waren; Ende September war diese Zahl auf 16.109 gestiegen – erst im Oktober gab es dort sinkende Zahlen (BZ vom 10. August und 18. November).

BZ, 24. August 1920

Vorsichtige Landwirte werden auf die Anzeige, die der Curslacker Ernst Rieck platzierte, mit großem Interesse geblickt haben, und wer eine Versicherung – „ehe es zu spät!“ – abschloss, konnte die weitere Ausbreitung etwas entspannter betrachten: der Raum Bergedorf verzeichnete die ersten Fälle im August (je ein Gehöft in Sande/Lohbrügge und Allermöhe, BZ vom 13. und 30. August), im September gab es zahlreiche Meldungen aus allen Vierländer und Marschländer Gemeinden, und so wurde über weite Teile dieser Gebiete eine „Sperre“ verhängt, d.h. dass Tiere eines betroffenen Viehhalters auf dem Gehöft verbleiben mussten. Schon vorher hatten die Landherrenschaften verfügt, dass Unbefugte Weiden mit Klauentieren nicht betreten durften, um eine Verschleppung der Seuche zu verhüten, und sie verboten die Abhaltung von Viehmärkten „bis auf weiteres“: erst am 21. Februar 1921 fand der Bergedorfer Schweinemarkt wieder statt (BZ vom 18. und 21. Februar 1921), am 2. März 1921 dann meldete die BZ, dass die Landherrenschaft alle Absperr- und anderen Schutzmaßnahmen aufgehoben hatte.

Im Kreis Herzogtum Lauenburg waren sogar alle Tanzlustbarkeiten in den betroffenen Gemeinden untersagt worden (BZ vom 9., 14. und 23. September) – so weit gingen die Einschränkungen auf Hamburger Gebiet nicht: es wurde weiter fröhlich gefeiert, sogar der Ziegenzuchtverein Neuengamme Oberwärts veranstaltete am 24. Oktober einen „Großen Ball verbunden mit Preiskegeln“ (BZ vom 2. und 20. Oktober) und schuf so eine gute Gelegenheit zur weiteren Verbreitung des Virus.

BZ, 12. November 1920

Bergedorfer Zeitung, 10. November 1920

Von der heiteren Seite betrachtete der Inhaber des Hansa-Kinos in Bergedorf, wo es auch zwei Seuchen-Meldungen gegeben hatte (BZ vom 21. und 28. Oktober), die ganze Sache, wobei nicht geklärt ist, ob er auch der Knittelpoet war: dass „Das Kußverbot“ eine Biedermeier-Filmoperette war, enthüllte er erst in einer weiteren Anzeige am folgenden Tag. Nicht jeder wird das alles lustig gefunden haben.

Bergedorfer Zeitung, 28. Oktober 1920

Was konnte man gegen das Virus tun? Man kann davon ausgehen, dass die Waschungen mit „Contrastosa“ den Tieren nicht geholfen haben, aber vielleicht haben sie ja auch nicht geschadet. Die vom Tierseucheninstitut der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein empfohlene „Blutimpfung“ (BZ vom 11. November) wird ebenso wirkungslos gewesen sein. Immerhin: das Reichsgesundheitsamt wollte „unter der Beteiligung möglichst vieler hierzu geeigneter Institute im Reiche eine gesteigerte Forschungstätigkeit“ zur Bekämpfung der Seuche finanzieren (BZ vom 1. November). Besser wäre das Forschungsgeld wohl auf das von Loeffler gegründete Institut konzentriert worden – nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts zur Vita Loefflers gelang es dem 1915 verstorbenen Loeffler selbst, „das erste Schutzserum gegen die Maul- und Klauenseuche herzustellen, das jedoch aus Kostengründen nicht zur Anwendung kam.“ Im Gegensatz dazu heißt es auf der oben bereits angeführten Seite des Robert-Koch-Instituts: „Doch erst 1938 wird es den Wissenschaftlern dort [i.e. an Loefflers Institut] gelingen, einen Impfstoff gegen die Tierseuche zu entwickeln.“ Der Widerspruch ist hier nicht aufzulösen; vielleicht gelingt es anderen.

Der letzte Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Deutschland wurde 1988 registriert. UPDATE 2025: 1988 war der vorletzte Ausbruch, der (vorerst?) letzte liegt nur wenige Tage zurück.

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Der Grundstückstausch für das Amtsgericht und das Schillerufer

Bergedorfer Zeitung, 20. Oktober 1920

Endlich! Bergedorf sollte für das Amtsgericht, das bis dahin im Schloss beengt untergebracht war, ein eigenes Gebäude erhalten, das auch das Gefängnis aufnehmen sollte. Seit 1905 hatte es diverse Standortvorschläge gegeben, wie Hans Böhrnsen im Lichtwarkheft Nr. 43 (1980) (S. 31-34) schreibt, 1912 hatte der Staat Hamburg dafür auch eine Fläche in Bergedorf gekauft, die er nun aber gegen eine andere, die der Stadt Bergedorf gehörte, eintauschen wollte.

Auf den ersten Blick war das kein gutes Geschäft für Hamburg: man gab 9.433 qm hin und erhielt im Gegenzug nur 3.747 qm – der Tausch sollte „schlicht um schlicht“, also ohne irgendwelche Zahlungen, erfolgen. Aber der Blick auf alte Karten erklärt einiges: die „Hamburger“ Fläche lag zwischen Ernst-Mantius-Straße, Brauerstraße und Bille, und auf der Karte von 1875 ist der ganze Bereich mit der Bezeichnung „Im Brook“ als feuchte Wiese eingezeichnet, die Karte von 1904 zeigt die hinzugekommene Ernst-Mantius-Straße, deren Anlieger sich mehrfach über hohe Wasserstände der Bille beschwerten (siehe den Beitrag zum Überschwemmungsgebiet). Hier also lag die große Fläche, die Hamburg an Bergedorf abtrat (siehe die Karte von 1904: vermutlich die Fläche ohne Flurstücknummer hinter der Bebauung an der Ernst-Mantius-Straße): im Gegensatz dazu war die „Biehlsche Insel“ baureif, und darin lag der Vorteil für Hamburg (dass der Baubeginn erst 1925 erfolgte, ist wohl auf die Inflation zurückzuführen).

Die Bille vor der Umgestaltung, Blickrichtung stromauf (Ansicht 1917 oder früher)

Die Stadt Bergedorf hatte eine große Entwicklungsfläche erhalten, das war ihr Vorteil. Sie hatte auch Pläne: es sollte durch Aufhöhung eine „Uferstraße“ geschaffen werden, wofür Hamburg 200.000 Mark Zuschuss zahlte (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1920, Senatsantrag Nr. 656). Außerdem wollte der Magistrat zwei „Wohnwege“ anlegen und mit einem Siel ausstatten (BZ vom 16. Oktober), was vermuten lässt, dass eine Bebauung des Gebiets beabsichtigt war. Letztlich wurde beschlossen, nur einen Wohnweg anzulegen, doch man muss fragen, ob er überhaupt ausgeführt wurde, denn heute scheint er nicht vorhanden zu sein, und auch zur Wohnbebauung des Bereichs kam es nicht.

Die Uferstraße (nach 1926), Blickrichtung stromab

Die Uferstraße jedenfalls wurde geschaffen und bekam Jahre später den Namen Schillerufer. Das gesamte Gebiet zwischen dem Hauptarm der Bille und dem östlich abzweigenden Nebenarm, der in den Schlossgraben mündete, ist heute eine zentrumsnahe Grünanlage mit Minigolfplatz und baumbestandener Uferpromenade; der Nebenarm ist verschwunden.

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