Eine Lobby für goldenen Boden

Bergedorfer Zeitung, 9. September 1921

Bergedorfs Handwerksbetriebe schlossen sich zusammen: sie gründeten den „Bergedorfer Handwerkerbund“, den man angesichts der genannten Tätigkeitsfelder als eine Lobby bezeichnen könnte – das Wort Lobby war 1921 allerdings höchst ungebräuchlich (siehe die Wortverlaufskurve im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache), und so ist die Bezeichnung Interessenverband angebrachter.

Assessor Nebelsiek von der Gewerbekammer Hamburg erwartete von der Gründung, dass die Bündelung der Interessen dem Handwerk „wieder einen ‚goldenen Boden‘ … verschaffen“ würde (BZ vom 8. August 1921), was angesichts der wirtschaftlichen Gesamtlage etwas vermessen anmutet – die meisten Handwerker wären mit einem festen Boden unter den Füßen sicher schon zufrieden gewesen, doch das Terrain blieb schwankend.

Dies war natürlich nicht der erste Zusammenschluss der Bergedorfer Handwerker, die bis 1864 in Zünften organisiert waren: bereits 1447 war das Amt der Schneider gegründet worden, dem erstaunlicherweise auch die Schmiede und Schuhmacher angehörten, weitere Zünfte folgten. Nach der Einführung der Gewerbefreiheit 1864 entfielen der Zunftzwang und jede Regelung der Handwerksausbildung. Es entstanden aber bald Innungen als Vereinigungen der Betriebe, die ab 1884 die Kontrolle über die Lehrlingsausbildung wiedererlangten (siehe hierzu Das Bergedorfer Handwerk, S. 13-42), und obwohl nach dem Weltkrieg die staatliche Fortbildungsschulpflicht eingeführt worden war, wurde in den Versammlungen der Handwerker mehrfach die Wichtigkeit von Ausbildungsfragen betont – ob es allerdings gelang, in Bergedorf „selbständige Einrichtungen zur Ablegung von Meister- und Gehilfenprüfungen usw.“ zu etablieren, ist unerforscht.

Der Handwerkerbund wurde 1934 im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung aufgelöst, nahm aber als „Bezirksmeisterversammlung“ schon im Oktober 1945 die Arbeit wieder auf (ebd., S. 29-30), und wenn sich die heutige Bezirkshandwerkerschaft Bergedorf in der Kontinuität des 1921 gegründeten Verbands sieht, könnte sie in diesem Jahr eine große Jubiläumsfeier veranstalten – wenn da nicht das Corona-Virus wäre …

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