Strahlende Regenmäntel

Bergedorfer Zeitung, 23. November 1923

Es war ein Sonderangebot, hoffentlich ein einmaliges in kleiner Menge: Die Bergedorfer Regenmantel-Fabrik von Rudolf Burau bot Herren-Regenmäntel „mit prima Radium-Gummierung“ zu 24 Goldmark an. Der Vorteil eines solchen Mantels war, dass er in der Dunkelheit leuchtete und ein damit gekleideter Mann besser gesehen wurde – der sehr viel größere Nachteil war, dass er radioaktiv strahlte, was damals offenbar nicht interessierte (siehe hierzu auch die Radium-Creme und-Kissen im Beitrag über Das Verbot hypnotischer Vorführungen).

Bergedorfer Zeitung, 3. Dezember 1923

Der Verkauf ging offenbar schnell und glatt, denn schon Anfang Dezember warb Burau nicht mehr hierfür, sondern für Mäntel mit einer wasserdichten Gummierung, vermutlich radiumfrei und auf Wunsch nach Maß gearbeitet.

 

 

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Die Schulen, die Heizung und die Ferien

Bergedorfer Zeitung, 24.11.1923

Das Prinzip kannte man in Bergedorf seit 1919: wenn man vier Schulen in zwei Gebäude steckt und die tägliche Unterrichtszeit reduziert, kann man Heizmaterial sparen (siehe den Beitrag Aus vier mach zwei). 1919 waren die Kohlen knapp – 1923 die Kohle, d.h. der Magistrat wollte aus finanziellen Gründen zum selben Mittel greifen, wie es auch für die Stadt Hamburg „in Aussicht“ genommen war.

Bergedorfer Zeitung, 28. November 1923

Das war umstritten – in der Bürgervertretung ging es hoch her, aus der bildungspolitischen Debatte wurde schnell eine sozialpolitische und gesellschaftspolitische, und sie endete mit der Rücküberweisung des Vorhabens an die Schulkommission.

Die Schulkommission lehnte die Zusammenlegung erneut ab: man könne einfach durch späteren Heizungsbeginn morgens und Unterrichtsverkürzung einen „bedeutend geringeren Verbrauch“ von Kohlen erreichen (BZ vom 1. Dezember) – dem widersprach die „heiztechnische Abteilung des hamburgischen Staates“: „Bei Zusammenlegung der Schulen werden die schon angeheizten Räume weiter benutzt, wofür verhältnismäßig weniger Brennstoff erforderlich ist.“ (BZ vom 4. Dezember)

Diese Erkenntnis aus Hamburg kam gerade noch rechtzeitig zur nächsten Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung, in der Bürgermeister Wiesner den Druck noch erhöhte: die Alternative zur Zusammenlegung sei „die [unvermeidliche] Schließung der Schulen in kurzer Zeit“, und mit 12 gegen 10 Stimmen wurde die Maßnahme beschlossen (BZ vom 5. Dezember).

Wie sich herausstellen sollte, ging Bergedorf seinen ganz eigenen Weg: in Hamburg blieben alle Schulgebäude in Betrieb, allerdings wurden dort die Weihnachtsferien um zehn Tage verlängert. Damit drohten innerhalb Bergedorfs unterschiedliche Ferienregelungen: Hansa- und Luisenschule, von Hamburg administriert, ließen ihre Schüler bzw. Schülerinnen bis zum 13. Januar zu Hause, die der Stadt Bergedorf unterstellten Stadtschüler und -schülerinnen sollten am 4. Januar wieder zum Unterricht erscheinen. Zwischen Weihnachten und Neujahr fiel dann dem Magistrat auf, dass durch längere Ferien ja der Kohlenverbrauch der Stadtschulen reduziert werden könnte, zumal „in Anbetracht der herrschenden Kälte“ sonst besonders viel geheizt werden müsste, und so wurde die Stadtvertretung zu einer „Eilsitzung“ am 2. Januar einberufen, um das Ferienende hinauszuschieben (BZ vom 29. und 31. Dezember).

Die Bürgervertreter beschlossen dementsprechend, aber sie übten heftige Kritik am Magistrat: in den Ferien waren in den (ungeheizten) Schulen Wasserleitungen und zahlreiche „Porzellanbecken“ durch den Frost zersprungen, weil man die Frostschutzhinweise der BZ (Unter anderem: „Besonders frostgefährdete Klosettanlagen können mittels einer Petroleumlampe erwärmt werden,“ BZ vom 28. Dezember) ignoriert und auch Leitungen nicht entleert hatte – so hatte man zwar Kohlen gespart, musste nun aber die kostspieligen Schäden beseitigen (BZ vom 3. Januar 1924).

Bergedorfer Zeitung, 18. Januar 1924

Kurz nach dem verschobenen Ferienende verkündete der unter starken Druck geratene Bürgermeister Wiesner, dass man nun doch genug Kohlen für den Betrieb aller vier Schulen kaufen könne, weil der Senat das nötige Geld als Vorschuss zur Verfügung stelle (BZ vom 18. Januar 1924), und so kehrten die Schulen am 21. Januar zum Normalbetrieb zurück (BZ vom 19. Januar 1924).

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Wucher und Wirrwarr bei der Währungsumstellung

Bergedorfer Zeitung, 19. November 1923

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1923

 

 

 

 

 

 

Es war wirklich verwirrend: in einigen Geschäften wurde „wertbeständiges“ Geld, auch die neu eingeführte Rentenmark, nur wertgemindert in Zahlung genommen – andere Läden verlangten Zuschläge bei der Bezahlung mit Papiergeld.

Auf den ersten Blick scheint beides unzulässig: es gab einen festen Umrechnungskurs (seit dem 20. November: 1 Goldmark gleich 1 Billion Papiermark), und die Preise sollten dem Vorkriegsniveau entsprechen, doch so einfach war es nicht: Preissteigerungen auf dem Weltmarkt hatten wie neue Steuern und Sozialabgaben im Deutschen Reich praktisch alle Waren verteuert (BZ vom 12. Dezember). Ob es deshalb gerechtfertigt war, dass die Grundpreise für Fleisch von einem Tag auf den nächsten verdoppelt wurden (BZ vom 8. und 9. November), muss bezweifelt werden – es dürfte sich um Wucher gehandelt haben.

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1923

Aber Wucher sollte unterbunden werden, und so erhielten Bergedorf und Geesthacht eigene Preisprüfungsstellen, die die Angemessenheit von Preisen begutachten und Fälle von Wucherverdacht an die Staatsanwaltschaft übergeben sollten (BZ vom 24. Dezember). Allerdings dauerte es bis zur konstituierenden Sitzung der Ausschüsse vier Wochen (BZ vom 13. Dezember) und weitere zwei Wochen bis zur offiziellen Einweisung in die Aufgaben (BZ vom 29. Dezember) – da waren die Preise bereits im Rückgang begriffen. Sie lagen aber immer noch über dem Friedensstand, und da die Löhne und Gehälter im Zuge der Währungsumstellung halbiert worden waren (BZ vom 12. und 21. Dezember), fehlte es den meisten Menschen weiterhin an allen Ecken und Enden.

Immerhin: die anfänglichen Höher- bzw. Minderbewertungen einzelner Arten von Zahlungsmitteln verschwanden (BZ vom 6. Dezember).

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Der lateinische Bauer

Bergedorfer Zeitung, 16. November 1923

Ein „fesselnder neuer Roman“, Ort der Handlung die „hiesige Gegend“, ein „gehaltvolles Werk“ des „tiefschürfenden Heimatschriftstellers“ Johann Brüdt – die BZ war überzeugt, dass der Abdruck „das lebhafteste Interesse unserer Leserschaft“ hervorrufen würde.

In der Bergedorfer Zeitung war Brüdt, im Hauptberuf Rektor der Mädchenschule in Sande, bisher durch seine Gedichte in Erscheinung getreten; sein Roman Karsten Holm war von der BZ positiv rezensiert worden (siehe den Beitrag Zweimal „Literarisches“), und nun sollte, so die Ankündigung, Brüdts neuer Roman folgen.

Allerdings ließ sich wohl kein Verlag finden, der den Roman als eigenständiges Buch veröffentlichen wollte – jedenfalls ist unter diesem Titel keine Publikation Brüdts im Gemeinsamen Verbundkatalog von über 1.000 Bibliotheken zu finden.

Der Titel war aber zum Zeitpunkt der Brüdtschen Veröffentlichung 1923 schon lange belegt: ob Maximilian Schmidt (1832-1919) der Schöpfer war oder Berthold Auerbach (1812-1882), ließ sich nicht klären. Im späten 19. Jahrhundert fanden Anna Wohlgemuth und Adolf Pichler keinen schöneren Titel. Das Sujet reichte auch nach dem Zweiten Weltkrieg für weitere Schöpfungen von Siegmund Guggenberger und Josef Weingartner. Während all diese dem süddeutschen bzw. österreichischem Sprachraum zuzurechnen sind, ist Brüdt der einzige norddeutsche Verfasser eines lateinischen Bauern.

Wie viele BZ-Leser bis zur letzten der fünfzig Folgen am 21. Januar 1924 durchhielten, ist nicht bekannt.

Noch ein Hinweis für alle, die das Werk lesen wollen: die erste Folge findet man nicht in der digitalen Ausgabe vom 17. November, sondern fälschlicherweise in der BZ vom 16. November 1923, Seite 5, die auf den 17. November datiert ist. Vermutlich ist der Sortierfehler aus der gebundenen Papierausgabe übernommen.

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Die Goldmark aus Aluminium

Bergedorfer Zeitung, 8. November 1923

Bergedorfer Zeitung, 13. November 1923

Gleich zwei neue Sorten Notgeld wurden innerhalb einer Woche vom Staate Hamburg eingeführt – es war aber Notgeld, das Hoffnung machte, der Inflation zu entkommen, denn der entscheidende Unterschied zu den Papiermark-Notgeldscheinen war die Deckung: Gold bzw. Dollar, und da störte es nicht, dass die „Goldpfennig“-Verrechnungsmarken aus Aluminium und die „Notgoldscheine“ aus Papier waren: sie waren wichtige Marken auf dem Weg zu einer Währungsreform.

Eigentlich sollte die „Rentenmark“ Notgeld und Papiermark überflüssig machen, doch der Buchdruckerstreik in Berlin verzögerte die Herstellung der neuen Zahlungsmittel (BZ vom 13. November) – zur Überbrückung gab es also „wertbeständiges Notgeld“, das auch nach dem Start der Ausgabe der Rentenmark vorerst seine Gültigkeit behielt. Die Papiermark-Notenpresse, die zuletzt 10-Billionen-Mark-Scheine produziert hatte, wurde mit der Einführung der Rentenmark gestoppt (BZ vom 8. November) und der Inflation somit der Garaus gemacht (ausführlichere Darstellung in den Artikeln Inflation und Währungsreform des Lebendigen Museums Online oder auch Rentenmark bei Wikipedia).

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Kleingeld: vom Mangel zum Überfluss und zurück

Bergedorfer Zeitung, 7. November 1923

„Kleingeld“ ist ein relativer Begriff: 1917 hatte die Stadt Bergedorf auf den Kleingeldmangel durch Kriegswechselmarken von 5, 20 und 50 Pfennigen reagiert – 1923 gab es nach Ansicht der Post zu viele „kleinwertige Scheine“, d.h. Scheine unter 200 Millionen Mark: die Post durfte deren Annahme nicht verweigern, weil sie ja gesetzliches Zahlungsmittel waren – aber sie begrenzte die Annahme auf zwei Stunden täglich. Die Kleingeldgrenze war das Drucksachenporto, ab dem 5. November 200 Millionen Mark, ab dem 12. November 2 Milliarden Mark (BZ vom 7. und 14. November). Man kann die Post verstehen, denn das Zählen von hunderten Scheinen im Millionenbereich hielt die Beamten ebenso auf wie die anderen Postkunden.

Da mochte es sinnvoller sein, kleinwertige Scheine als Altpapier zu verkaufen, wie es die BZ bereits Monate vorher geraten hatte: im August zahlten Altpapierhändler für 1 Kilogramm Geldscheine, z.B. 2.000 Einmarkscheine, mehr als 12.000 Mark (BZ vom 18. August) – im November eine Milliarde Mark. Auch als Spielzeugersatz für Kinder fand „Kleingeld“ Verwendung (BZ vom 20. Oktober), zuvor schon wurde „Kleingeld“ bei einer Festlichkeit in Neuengamme auf dem Fußboden verstreut, was die BZ naserümpfend als „eigenartigen Scherz“ einstufte (BZ vom 3. Oktober).

Als aber im November die Ausgabe wertbeständigen Notgeldes und wenig später der Rentenmark begann, war Kleingeld wieder Mangelware, denn – vereinfacht gesagt – kehrte man ja wieder zur Goldmark zurück, die an den US-Dollar gekoppelt war.

Bergedorfer Zeitung, 19. November 1923

Am 16. November kostete ein Liter Vollmilch laut BZ 192 Milliarden Mark – oder 0,32 Goldmark. Das Problem bei der Bezahlung in Goldmark war dann aber das Wechselgeld, denn fast alles wertbeständige Notgeld gab es entsprechend einer Reichsverordnung nur in Bruchteilen des Dollar (BZ vom 20. und 21. Dezember): der kleinste Schein war der zu 21 Pfennig, dann zu 42 und 84 Pfennig. Nur die „Verrechnungsmarken“ der Hamburgischen Bank von 1923 gab es in dieser Übergangsphase in kleineren Stückelungen (BZ vom 8. November). Von den Rentenpfennigen „hat man bei uns bis jetzt verschwindend wenig gesehen“, schrieb die BZ (BZ vom 17. Januar 1924): „Hätten wir nicht das Hamburger Aluminiumkleingeld und die Papiermark, so wäre die Kleingeldnot unerträglich.“

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Bergedorf überprüft Einstein

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1923

Nicht alle Expeditionen von Astronomen der Bergedorfer Sternwarte waren so erfolgreich wie diese: 1907 machten bedeckter Himmel und Schneefall die Beobachtung einer Sonnenfinsternis unmöglich, 1914 wollte man die Finsternis auf der Krim beobachten, musste aber wegen des Kriegsausbruchs vorzeitig die Rückreise antreten (siehe die Beiträge Astronomische Unwägbarkeiten und Zurück aus der Finsternis). 1923 klappte alles.

Ziel der Astronomen war, „die Einsteinsche Relativitätstheorie in Bezug auf die Ablenkung des Lichts nachzuprüfen. … Die beiden Sonnenfinsternisse vom 29. Mai 1919 und 20. September 1922 haben, wie man weiß, die Theorie Einsteins voll bestätigt.“ (BZ vom 17. August 1923). Die Berichte der BZ gehen auf das Prüfungsergebnis leider nicht ein; die Zeitung meldete zunächst nur, dass die Sonnenfinsternis am 10. September in Mexiko „bei vollkommen klarem Himmel beobachtet“ wurde (BZ vom 12. September 1923), und dann nach der Rückkehr der Expeditionsteilnehmer, dass man an dem „Beobachtungsplatz nahe bei dem Dorfe Pasaje bei Durango“ äußerst gastfreundlich empfangen wurde und dass man von allen Expeditionen „die deutlichsten Aufnahmen erzielen“ konnte (BZ vom 1. November 1923).

Bergedorfer Zeitung, 20. November 1923

Der Direktor der Bergedorfer Sternwarte, Professor Schorr, wusste sich in besonderer Weise zu bedanken: man bot dem mexikanischen Präsidenten die Patenschaft über den 1920 in Bergedorf entdeckten Asteroiden „1920 H Z“ an (siehe den Beitrag über Entdeckungen der Bergedorfer Sternwarte), und seitdem trägt dieser Asteroid (damals noch als Planet bezeichnet) den Namen „Hidalgo“ nach Miguel Hidalgo, laut Wikipedia „der geistige Vater der Insurrektion, die in den Mexikanischen Unabhängigkeitskrieg führte.“

 

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Der verfrühte Nekrolog auf die Brotkarte

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1923

„Wehmütiger Abschied von der Brotkarte“ (BZ vom 8. Oktober 1923), „Das letzte Markenbrot“ (BZ vom 13. Oktober 1923) und „Nekrolog auf die Brotkarte“ (BZ vom 16. Oktober 1923) hatte die BZ in ihrem jeweiligen Tagesbericht getitelt, denn der Reichstag hatte im Juli das Auslaufen der Markenbrotversorgung zum 15. Oktober beschlossen: es sollte keinen subventionierten Brotpreis für Bezieher kleiner Einkommen mehr geben, wobei diese Umstellung auf Marktpreise durch Zuschüsse für kinderreiche Familien sowie erhöhte Zahlungen an Rentner, Kriegsopfer und Arbeitslose abgemildert wurde (BZ vom 15. und 19. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1923

„Das letzte Markenbrot“ in Hamburg und in der Landherrenschaft Bergedorf kostete 16 Millionen Mark und wog 500 Gramm: das war laut Bekanntmachung der Rest an Mehl, den Hamburg hatte (BZ vom 13. Oktober); danach sollten die Marktpreise gezahlt werden. Eine Woche später musste man für ein Schwarzbrot von 1.600 Gramm 1,66 Milliarden Mark auf die Ladentheke legen (BZ vom 20. Oktober), was zu der überaus gereizten Stimmung in der Bevölkerung beitrug, die sich die KPD bei ihrem Umsturzversuch zu Nutze machen wollte (siehe den Beitrag über die Unruhen in Bergedorf und Sande).

 

 

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1923

Der Hamburger Senat, der im Reichsrat (vergebens) für die Beibehaltung der Brotkarte plädiert hatte (BZ vom 8. Oktober), ergriff in dieser Situation Maßnahmen: die Gültigkeit der Brotkarte wurde verlängert, der Nekrolog war also voreilig gewesen – es sollte „einmalig“ 1.600 Gramm Einheitsbrot zu 4,2 Milliarden Mark geben (etwa ein Drittel billiger als markenfreies Brot, BZ vom 24. Oktober). Da wird man in Sande neidisch nach Bergedorf geblickt haben, denn in Preußen gab es nur die allgemeinen Unterstützungen der Umstellung (s.o.), die es in Bergedorf zusätzlich zum Markenbrot gab (BZ vom 15. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1923

Einmalig war die Aktion aber doch nicht, sie wurde bis in den Dezember hinein verlängert und dann wegen fallender Mehlpreise (nach erfolgter Währungsreform) eingestellt. Allerdings trauten die amtlichen Stellen der Entwicklung nicht und empfahlen, die Brotkarten für eventuelle spätere Verteilungen „sorgfältig aufzubewahren“ (BZ vom 10. Dezember).

Totgesagte leben eben länger.

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Unruhen in Bergedorf und Sande

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1923

Am 23. Oktober schüttelten viele BZ-Leser sicher den Kopf über die Vorkommnisse im Eisenwerk (siehe den Beitrag Unruhen in Hamburg – Nervosität in Bergedorf), aber wirklich besorgt werden sie nicht gewesen sein. Das änderte sich mit der Lektüre der folgenden Ausgabe, die über den weiteren Verlauf des 23. und über den 24. Oktober berichtete.

Laut BZ lag zwar „ein Grund zur Beunruhigung nicht vor“, doch die Ereignisse waren schon gravierend: in den größten Betrieben von Bergedorf und Sande setzten Kommunisten mit Erwerbslosen und Arbeitern einen Streik durch, am Bahnhof wurden Arbeitswillige zurückgehalten. Der Versuch, das Schloss mit der Polizeiwache zu erstürmen, misslang allerdings.

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1923

Am 24. Oktober nachmittags und abends eskalierte die Situation, wie die BZ am 25. Oktober meldete: die Bergedorfer Polizei ging gegen die Plünderung von Waffengeschäften und eine zweite versuchte Schlossbesetzung vor, und als dann Polizeikräfte aus Hamburg eintrafen, wurde scharf geschossen: es gab Tote und Verletzte, und schließlich setzte sich die Polizei durch: es gab eine größere Zahl von Verhaftungen und „zahlreiche Waffen“ wurden beschlagnahmt. In Bergedorf wie in Hamburg und dem preußischen Schiffbek war der „abenteuerliche Putschversuch der Hamburger Kommunisten“, wie ihn Alfred Dreckmann (S. 55) charakterisierte, gescheitert.

Die Ereignisse vom 23. und 24. Oktober beschäftigten Bergedorf aber noch länger, vor allem der Polizeieinsatz: die Bergedorfer Polizei wehrte sich via Zeitung gegen „unverantwortliche Gerüchte … der geschäftigen Fama in unserer Stadt“: der Schusswaffengebrauch sei notwendig gewesen, die Ordnungskräfte seien zuerst beschossen worden. Misshandlungen von Verhafteten habe es „in keinem Falle“ gegeben und keiner der Inhaftierten sei auf dem Transport nach Hamburg zu Tode gekommen (BZ vom 29. Oktober). Die Stellungnahme der Polizei ist allerdings nicht uneingeschränkt glaubwürdig, denn die BZ hatte zuvor berichtet, dass die Beamten die Halbstarken in den Waffenläden und wohl auch Unschuldige verprügelte (BZ vom 25. Oktober) – Monate später gab es die Meldung, es werde (noch) untersucht, ob der Bergedorfer Jungnickel auf dem Gefangenentransport misshandelt und dadurch getötet worden war (BZ vom 24. Januar 1924). Und nicht nur der KPD-Bürgervertreter Hinrichs, sondern auch der SPD-Ratmann Petersen sprach in der November-Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung von Misshandlungen von Verhafteten. Die SPD habe beim Polizeisenator Beschwerde eingelegt und fordere, „die schuldigen Beamten zur Rechenschaft zu ziehen“ (BZ vom 28. November). Bergedorfs SPD-Bürgermeister Wiesner dagegen hatte im Namen des Magistrats den eingesetzten Bergedorfer und Hamburger Polizisten „für die vorzügliche und aufopfernde Tätigkeit bei der Unterdrückung der Unruhen“ schriftlich gedankt (BZ vom 8. November), ähnlich vorher der Landherr Senator Stubbe (BZ vom 30. Oktober).

Unterschiedlich wurde auch die Rolle der „proletarischen Hundertschaften“ der KPD bewertet: nach Hinrichs Ansicht hätte man sie „nicht ernst zu nehmen brauchen“, in den Augen Petersens sei der ganze „Bergedorfer Putsch nichts weiter als Hokuspokus gewesen“, Wiesner dagegen nahm die Hundertschaften durchaus ernst (BZ vom 28. November). Die Mitgliederlisten der (bewaffneten) Hundertschaften fand die Polizei übrigens in der Wohnung des örtlichen KPD-Vorstandsmitglieds Ernst Henning (BZ vom 1. Dezember), der ebenso wie der gleichfalls untergetauchte Bergedorfer KPD-Vorsitzende Dröse wegen Aufruhrs und Hochverrats polizeilich gesucht wurde (BZ vom 5. Januar 1924).

Bergedorfer Zeitung, 27. März 1924

Von den 84 vor das Hamburger Landesgericht gestellten Verhafteten sprach das Gericht nur eine Minderheit der Beihilfe zum Hochverrat bzw. der Vorbereitung desselben schuldig: diese neun Personen wurden zu Festungshaft verurteilt, 17 Angeklagte wurden freigesprochen. Die meisten Urteile ergingen wegen Land- und Hausfriedensbruchs sowie Plünderungen zu Gefängnisstrafen, weil die Täter nicht den Umsturz beabsichtigt, sondern sich wegen der „schweren wirtschaftlichen Not“ beteiligt hätten (BZ vom 27. März 1924).

Das sah Bürgermeister Wiesner wohl ähnlich: er hatte schon bald nach dem Putsch Hilfe für die Familien der Verhafteten angekündigt: „Wo Not vorhanden ist, wird das Wohlfahrtsamt ohne Ansehen der Person helfen“ (BZ vom 28. November 1923).

Für die zwei Getöteten, die laut BZ beide unbeteiligt waren, übernahm die Stadt Bergedorf die Beerdigungskosten (BZ vom 31. Oktober 1923). Einer der Verletzten starb knapp zwei Wochen später (BZ vom 6. November), womit die Zahl der Todesopfer auf drei stieg, was aber von der Geschichtsschreibung bisher nicht erfasst wurde.

Die Hamburger Unruhen sind Thema der noch bis zum 7. Januar 2024 laufenden Ausstellung Hamburg 1923 – Die bedrohte Stadt im Museum für Hamburgische Geschichte. Der dazu von Ortwin Pelc und Olaf Matthes herausgegebene Sammelband Die bedrohte Stadtrepublik. Hamburg 1923 spiegelt aus unterschiedlichsten Blickwinkeln den aktuellen Forschungsstand zu den Hintergründen und Ereignissen jener Tage. Zwar spielen Bergedorf und Sande in dem Buch nur eine Nebenrolle – aber hier war eben auch nur ein Nebenschauplatz.

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Bergedorfs Politik ohne Frauen

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1923

Da ging auch die letzte der Frauen aus dem Bergedorfer Stadtparlament – als 1919 erstmals das aktive und passive Frauenwahlrecht galt, waren immerhin vier Frauen in des 25köpfige Gremium eingezogen (BZ vom 14. April 1919).

Warum bereits nach eineinviertel Jahren Erna Schmidt ihr Mandat niederlegte, ist unbekannt (BZ vom 15. Juli 1920); Henriette Storbeck verzichtete (vielleicht nicht ganz freiwillig) „wegen Wohnungswechsel“ (BZ vom 17. Juli 1920): ihr Ehegatte Karl Storbeck, Ratmann und Leiter des Lebensmittelamtes, hatte Bergedorf einige Monate zuvor „auf Grund anderweitiger Beschäftigung“ verlassen (BZ vom 21. April 1920).

Clementine Dernehl musste aus Gesundheitsgründen ausscheiden (BZ vom 15. und 20. Juli 1920) – über ihre politischen Aktivitäten in der DDP und in der Bürgervertretung, u.a. in der Lyzeumsfrage, wurde in der BZ recht häufig berichtet. 1924, wohl nach überstandener Krankheit, kandidierte sie erneut und zog wieder ins Parlament ein.

Über Klara Bracker war nur wenig in Erfahrung zu bringen: von Beruf war sie Lehrerin, sie war verwitwet, wohnte zunächst in der Bahnstraße (heute Reetwerder) und zog 1922/23 in die Neubausiedlung Heinrich-Heine-Weg, wo sie bis zu ihrem Tod 1941 wohnte (Angaben zusammengestellt aus Adressbüchern 1919ff.). In der politischen Berichterstattung der BZ spielte sie keine Rolle (nicht einmal den Namen schrieb die BZ richtig), was sie mit ihren sozialdemokratischen Fraktionskolleginnen Erna Schmidt und Henriette Storbeck gemeinsam hatte. Für Frau Bracker rückte übrigens Erna Schmidts Ehemann Wilhelm nach.

Bei den folgenden Wahlen 1924, 1927 und 1930 wurden jeweils zwei Frauen gewählt – die Zahl von vier Frauen wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder erreicht und übertroffen.

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