Die neue Lokalzeitung: Das Bergedorf-Sander Volksblatt

Bergedorfer Zeitung, 10. November 1919

Da hatte die Bergedorfer Zeitung auf einmal einen Wettbewerber auf dem lokalen Zeitungsmarkt: „ein kürzlich ins Leben gerufenes neues Parteiblatt“ der SPD Bergedorf und Sande, vollständige Bezeichnung laut ZDB-Katalog  „Bergedorf-Sander Volksblatt: amtliches Organ; sozialdemokratische Zeitung für das hamburgische Landgebiet und die Kreise Lauenburg und Stormarn“.

Es wäre schön, wenn man von nun an die Berichterstattung kontrastierend und ergänzend betrachten könnte, doch von dem 1933 durch die Nationalsozialisten verbotenen Volksblatt sind aus den Jahren bis 1929 nur ganz wenige Exemplare erhalten geblieben, sodass der Vergleich für das erste Jahrzehnt des Erscheinens leider nicht möglich ist.

Eigentlich hatte die SPD die Zeitung schon 1914 ins Leben rufen wollen, doch „der Ausbruch des ersten Weltkriegs im August 1914 setzte diesem Bestreben ein vorzeitiges Ende“, heißt es in der knappen Festschrift „60 Jahre Verein der Anteilinhaber des ‚Bergedorf-Sander Volksblatt‘ e.V. von 1919-1979“ (S. 4), die sich im Bestand des Museums für Bergedorf und die Vierlande befindet. Nach Kriegsende wurden die Vorarbeiten wieder aufgenommen: seit dem Sommer 1919 befassten sich die örtlichen SPD-Gliederungen mit einem „zu gründenden Parteiorgan für das Hamburger Landgebiet und die angrenzenden preußischen Kreise“ (Bericht über eine Mitgliederversammlung in Bergedorf, BZ vom 29. August; ferner Ankündigungen von Mitgliederversammlungen der SPD in Curslack und Altengamme, BZ vom 4. und 16. September) und gaben grünes Licht: am 1. Oktober 1919 erschien die erste Ausgabe (Festschrift, ebd.) – diese Information ließ die BZ ihren Lesern allerdings nicht zukommen.

Die Bergedorf-Sander Initiatoren des Volksblatts wollten über den hiesigen Rahmen hinaus wirken, was schließlich auch gelang, wie aus dem oben zitierten Untertitel zu erkennen ist, doch war das ganze Vorhaben  nicht unumstritten, wie aus dem BZ-Artikel hervorgeht: die Alt-Rahlstedter Genossen befürchteten eine Schwächung der Parteizeitung „Hamburger Echo“, und vielleicht war auch das „Echo“ nicht glücklich, denn bisherige Abonnenten könnten ja zum Volksblatt abwandern – und wenn die BZ ansonsten sehr zurückhaltend war, Meldungen aus dem „Echo“ zu übernehmen: über diese SPD-interne Kritik mit der Prognose, das Vorhaben könne „kaum bestehen“, berichtete sie vermutlich gern. Das neue Blatt wird aber die Zustimmung der Hamburger SPD-Führung gefunden haben, sonst wäre es nicht „in Hamburg bei dem Parteigeschäft Auer & Co. gedruckt“ worden (Festschrift, ebd.).

In Sande waren Teile der Bevölkerung geradezu erbost über das neue Blatt, denn die amtlichen Bekanntmachungen sollten nach einem Beschluss der Gemeindevertretung (über den die BZ übrigens auch nicht berichtet hatte) nur im Volksblatt publiziert werden und nicht mehr in der BZ: das sei „parteipolitische Gewaltherrschaft“, man wolle die Bürger zwingen, das Blatt zu abonnieren „um so den Leserkreis … zu vergrößern“, meinte der Sander Bürgerverein (BZ vom 7. November 1919).

Bergedorfer Zeitung, 10. November 1919

Bergedorfer Zeitung, 16. November 1919 (gekürzt)

 

 

 

 

 

Offenbar schrieb auch das Volksblatt mindestens einen Artikel zu diesem Thema, wie aus einem weiteren Sprechsaal-Beitrag in der BZ hervorgeht (BZ vom 18. November) – der Volksblatt-Artikel liegt nicht vor, doch scheint er die neue Exklusivität der Bekanntmachungen nicht grundsätzlich in Abrede gestellt zu haben: die wöchentlichen Inserate der Bekanntmachungen der Versorgungsstelle IX über die Lebensmittelrationen für Sande erschienen bis zum 29. Oktober in der BZ, danach nicht mehr – weil diese für ihre Leserinnen und Leser aber besonders wichtig waren, brachte die BZ sie jetzt kurz im redaktionellen Teil. Andere Bekanntmachungen der Gemeinde Sande erschienen auch weiterhin in der BZ, so der Hinweis auf den Termin der Steuerzahlung (BZ vom 10. November), auf die „Personenstandsaufnahme“ (BZ vom 18. November) oder eine Jagdversteigerung (BZ vom 16. Dezember) – wenn’s um Geld ging, standen Bedenken gegenüber der BZ offenbar zurück.

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1919

Der oben wiedergegebene Artikel führte offenbar zu einer „spaltenlangen“ Entgegnung im Bergedorf-Sander Volksblatt, worauf wiederum die BZ eher süffisant reagierte.

Die Finanzierung des Volksblatts erfolgte über den genannten Verein der Anteilinhaber. Er wurde zwar erst am 19. Oktober 1919 gegründet, aber vermutlich hatten die Zeichner der Anteile das Geld schon vorher zur Verfügung gestellt – es sei denn, dass die SPD-Parteikassen es vorgeschossen hatten. Der Verein hatte jedenfalls genügend Mittel, noch 1919 das Grundstück der Brauerei Peters (Am hohen Stege, heute Vierlandenstraße 27) zu erwerben, um dort im folgenden Jahr eine eigene Druckerei für die Zeitung einzurichten; Gebäude und Einrichtungen wurden dann an die Gesellschaft Bergedorf-Sander Volksblatt GmbH vermietet, die zur Hälfte dem Verein gehörte und zu je einem Viertel der Firma Auer & Co. und der SPD Landesorganisation Hamburg (Festschrift, S. 5-6). Die erste Anschrift der Zeitung war nach den Hamburger Adressbüchern für 1920 bis 1925 in der Großen Straße 4, einer der Stadt Bergedorf gehörenden Immobilie, womit wir wieder bei dem Thema (K)eine Filzgeschichte um „Stadt Lübeck“ wären.

 

 

 

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Acht Jahre sind genug! Bergedorf gegen längere Schulzeit

Bergedorfer Zeitung, 14. November 1919

In Bergedorf war man sich einig: ein neuntes Pflichtschuljahr war abzulehnen, doch die Bürgerschaft hatte genau das beschlossen (Gesetzsammlung der Freien und Hansestadt Hamburg (1919), S. 363), und so sollte Protest eingelegt werden.

Zwar war die bis dahin achtjährige Schulpflicht per Gesetz schon im Frühjahr 1919 um ein Jahr verlängert worden (Gesetzsammlung der Freien und Hansestadt Hamburg (1919), S. 67), doch waren die Jugendlichen ausgenommen, die eine feste Lehrstelle angenommen hatten (etwa ein Drittel) – diese Regelung hatte allerdings zu zahlreichen Schein-Lehrverträgen und Befreiungen geführt, sodass in Hamburg nur ein Viertel der Schulentlassenen in den „Genuss“ des neunten Pflichtschuljahrs, für das es gar keinen Lehrplan gab, gekommen war, wie Sabine Reh (S. 111-115) schreibt.

Wohl deshalb wurde nach nur einem halben Jahr das Gesetz für den folgenden Jahrgang geändert: Ausnahmen sollte es 1920 nicht mehr geben worden, und Bergedorf fühlte sich davon aufgrund seiner „Insellage“ besonders betroffen, denn in den preußischen Nachbarorten und auch in den Dörfern der Vierlande und der Marschlande sollte es bei acht Jahren bleiben.

Für die Ausdehnung der Schulpflicht waren in Hamburg neben jugendpflegerischen vor allem arbeitsmarktpolitische Gründe ins Feld geführt worden (vgl. Reh, ebd.). Das erklärt, warum die Dorfschulen bei acht Jahren bleiben sollten: außer in Bergedorf und Geesthacht werden die meisten Schulentlassenen  landwirtschaftliche Tätigkeiten aufgenommen haben, und angesichts der immer noch sehr kritischen Versorgungslage wollten Senat und Bürgerschaft den Bauern und Gärtnern keine (potentiellen) Arbeitskräfte entziehen.

Ob es wirklich stimmt, dass es in Bergedorf kaum arbeitslose Unterachtzehnjährige beiderlei Geschlechts gab, muss bezweifelt werden – so viel besser als in Hamburg kann die Wirtschaftslage kaum gewesen sein, trotz „Insellage“.

Der Protest der Bergedorfer blieb übrigens erfolglos.

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Eine üble Entgleisung – oder eine ausgesuchte Gemeinheit?

BZ, 5. November 1919

Was mag Karl König geritten haben, diese geschmacklose Anzeige zu platzieren? Ob er das groß- und fettgedruckte Wort „Katzenfleisch“ als Blickfang nutzen wollte, um auf seinen Handel mit Fellen aufmerksam zu machen? Ob er wirklich lebenden Katzen das Fell über die Ohren zog? Diese Tierquälerei muss doch potentielle Kunden abgestoßen (und nicht angelockt) haben!

 

BZ, 5. November 1919

Aber genau das Abstoßen von Kunden war wohl der Sinn dieser Anzeige, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von Karl König veranlasst worden war – mehrfach hatte er in den Wochen zuvor mit schlichten und knappen Worten inseriert, immer mit demselben Text „König kauft Felle“, sogar in derselben Ausgabe wie die Anzeige oben.

BZ, 15. November 1919

Was genau auf dem Grundstück Brauerstraße 82 passierte, weiß man nicht: ob König wegen des Fells womöglich  Katzen schlachtete und der Gestank der Kadaver die Nachbarn störte, die daraufhin die rufschädigende Anzeige schalteten? Wenn der Zweck der Anzeige war, König das Geschäft zu vermiesen und ihn womöglich zu vergraulen, so war sie nur in einer Hinsicht erfolgreich: König verlegte wenig später seine Fellhandlung ins Bergedorfer Zentrum an den Kuhberg (siehe die Karte 1904).

BZ, 22. November 1919

Der Fellhandel florierte zu dieser Zeit: im November/Dezember inserierten Händler aus Hamburg, Altona, Sande und Kirchwärder; der Geesthachter Kürschner August Kaiser kaufte ausdrücklich auch Katzenfelle (BZ vom 20. Dezember), ebenso Karl König – eben „alle Arten Felle“, daneben Schweineborsten, Kuhhaare und Pferdestutzhaare (BZ vom 11.Dezember).

 

Die Nachfrage war offenbar groß, denn die Anzeigen wurden größer und die Preise stiegen, besonders für Maulwurffelle:

 

 

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Die Feiern zum Jahrestag der Revolution: mit Musik und Tanz, ohne nennenswerte Zwischenfälle

Bergedorfer Zeitung, 10. November 1919

Ein Jahr nach der Revolution wurde dieselbe von der SPD in Bergedorf und Sande gefeiert, mit einem musikalisch begleiteten Demonstrationszug, mit einer Freiluft-Kundgebung (mit Musik), mit Ball (natürlich mit Musik) in fünf Sälen und mit der abendlichen Hauptfeier (mit Orgel und Violine sowie Gesangsvorträgen). Auch Reden wurden gehalten: Ratmann (Friedrich) Frank gedachte kurz der Bedeutung des Tages, und der Vorsitzende der SPD-Landesorganisation (Max Leuteritz) hielt die Festansprache am Abend – was mögen sie gesagt haben? Redeinhalte gab die BZ leider nicht wieder, aber man darf vermuten, dass eine Art Bilanz gezogen wurde: Vieles wurde erreicht, viel bleibt noch zu tun.

Die USP wird kritischere Töne angeschlagen haben – man kann sich schwer vorstellen, dass sie einen reinen „Unterhaltungsabend“ veranstaltete.

Bergedorfer Zeitung, 10. November 1919 (gekürzt)

Natürlich verlief in Bergedorf und Sande alles in geordneten Bahnen, und in ihrem Bericht über die Feiern in Berlin, Hamburg und anderen Städten (die bei der SPD überall nach ähnlichem Muster abliefen) betonte die BZ mehrfach, dass alles „ohne nennenswerten Zwischenfall“, „ruhig“, „ohne Störungen und Zwischenfälle“ verlief – das war dem Redakteur offenbar wichtiger als alles andere und so verzichtete die BZ auch auf einen Leitartikel mit ihrer Revolutionsbilanz.

Einige Wochen später konnten die Leserinnen und Leser der BZ dann doch einen inhaltlichen Bericht zum Thema finden, was auch zeigt, wo die politischen Sympathien der Bergedorfer Zeitung lagen: bei einer DNVP-Veranstaltung sprach der Herausgeber der „Hamburger Warte“ Friedrich Carl Holtz – diese Veranstaltung verlief weder ruhig noch ohne Zwischenfälle, was bereits im Beitrag Es wurde gehol(t)zt geschildert wurde.

Bergedorfer Zeitung, 25. November 1919

Bergedorfer Zeitung, 28. November 1919 (Wiedergabe der Rede von F. C. Holtz)

 

 

 

 

 

 

 

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Die Holzfällungen in und um Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 31. Oktober 1919

Die 500 Kubikmeter Torf aus dem Horster Moor reichten nicht, und auch der städtische Zukauf von Torf aus Bremervörde (BZ vom 23. und 29. September) konnte neben den spärlichen Kohlenrationen den Bedarf an Heizmaterial nicht decken. Deshalb kam ab Ende September in großem Stil frisch geschlagenes Holz zum Verkauf – mit der auch für den Torf ausgesprochenen Empfehlung, den Tagesbedarf „schon am Tage vor der Verwendung am Herd oder Ofen vorzutrocknen“ (BZ vom 13. September). Gequalmt haben wird es trotzdem.

Die nötigen Fällarbeiten wurden als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme durchgeführt, und die Arbeiter hatten angesichts der Mengen reichlich zu tun: allein aus den der Bismarckschen Forstverwaltung unterstehenden „Sandwiesen“ sollten 2.500 Raummeter Tannenholz kommen (BZ vom 26. August) – die Sandwiesen lagen „gegenüber dem neuen Friedhof“ bzw. „gegenüber dem Selma-Anna-Otto-Heim“ (BZ vom 26. September bzw. 11. November), aus heutiger Sicht also u.a. die Erweiterungsflächen des Bergedorfer Friedhofs auf Wentorfer Gebiet. Aber auch in städtischen Beständen wurde kräftig abgeholzt: an der Rothenhauschaussee hinter der früheren Ziegelei (siehe Martin Pries, Die Ziegeleien im Raum Bergedorf, S. 24-27) waren es mehrere hundert Raummeter – genauere Angaben waren der BZ nicht zu entnehmen, da einige Bekanntmachungen ohne Mengenangaben erfolgten (z.B. BZ vom 25. Oktober), aber Geest und Hang dürften erheblich kahler geworden sein.

Um Holz zu erhalten, mussten die Bergedorfer ihre „Feuerungskarten“ im Stadtbauamt vorlegen und sie erhielten dann einen „Bezugsschein“, der nach quittierter Bezahlung zur Abholung aus den Schlägen berechtigte – wer nicht bis zum 4. Dezember mittags 12 Uhr bezahlte, ging leer aus; es wurde danach „sofort anderweitig über das Holz verfügt“ (BZ vom 3. Dezember). Und wer bezahlt, aber nicht abgeholt hatte, musste damit rechnen, dass seine Ration geklaut würde, denn nach dem 4. Dezember, 5 Uhr nachmittags sollte „die Wache zurückgezogen“ werden (BZ vom 28. November).

Man kann wohl unterstellen, dass die genannten ehemaligen Waldflächen spätestens am Nikolaustag holzfrei waren. Das Bergedorfer Gehölz hingegen (mit der Erweiterung um Petersens Park, siehe den Beitrag Wachstum und Infrastruktur Bergedorfs) wurde offenbar von offiziellen Fällungen verschont. Trotzdem wird auch dort manche Axt im Walde gehaust haben.

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Die Geesthachter Lichtspiele und der Kinoschund

BZ, 1. November 1919

BZ, 8. November 1919

Theodor Hellmann wird nicht erfreut gewesen sein: seine „Viktoria-Lichtspiele“ bekamen mit den „Geesthachter Lichtspielen“, Inhaber Walther Hoffmann, Konkurrenz. Beide Kinos verfügten nicht über einen eigenen Kinosaal: Hellmann zeigte seine Filme im Saal von „Stadt Hamburg“, Hoffmann im „Geesthachter Hof“. (Im Gegensatz zu Hoffmann verzichtete Hellmann auf Zeitungsannoncen.)

Nicht jeder war begeistert: in Bergedorf, Sande und vor allem Geesthacht regte sich Unmut über die Filmtheater und ihre Programme. Der Geesthachter Lehrerverein bezeichnete das Kino als „ein Grundübel unserer Zeit“ – eine ähnliche Einschätzung hatte die BZ schon 1916 abgegeben, siehe den Beitrag Wallensteins Lager und die Kientöpperei, und dabei den Kinobetreibern die Hauptschuld zugewiesen: sie würden ihre Geldbeutelinteressen über alles stellen. Von einem kapitalistischen Kino sei eben nichts anderes zu erwarten, befand 1919 der Geesthachter Lehrerverein und forderte die „Kommunalisierung des Kinos“ (BZ vom 2. Oktober). Zwar war Hellmann gutwillig und hatte in seinen Viktoria-Lichtspielen eine „Probeveranstaltung“ mit „Lichtbildern wissenschaftlichen und belehrenden Charakters“ gezeigt (BZ vom 25. September), doch befand der Lehrerverein, dass er die Vorführung „als Ganzes ohne Einschränkung ablehnen“ musste (BZ vom 2. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 15. November 1919

Daraufhin wurde auch der Geesthachter Elternrat aktiv und lud den „bekannten Vorkämpfer auf dem Gebiete guter Kinovorführungen“, den Lehrer Ferdinand Frohböse aus Hamburg, ein, der im Saal der Viktoria-Lichtspiele über „Das Kino als Volksbildner und Volksverderber“ referieren und dabei Beispiele „für guten und für minderwertigen Film“ zeigen wollte (BZ vom 15. November). Die Veranstaltung war nur mäßig besucht (BZ vom 18. November) und wurde wiederholt, diesmal in den Geesthachter Lichtspielen (BZ vom 20. Dezember).

Bergedorfer Zeitung, 4. November 1919

Übrigens: bei der Rückkehr von der Eröffnungsvorstellung der Geesthachter Lichtspiele musste die Familie des Inhabers eine unliebsame Feststellung machen: während der Vorstellung war in ihr Haus eingebrochen worden.

 

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Kein Sonnenland in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1919

Das klang verheißungsvoll: in Bergedorf wurde die Siedlungsgenossenschaft „Sonnenland“ beim Amtsgericht Bergedorf registriert: „Gegenstand des Unternehmens ist die Landbesiedelung, sowie die Errichtung von Wohnhäusern für die Besiedler.“

Die städtischen Bauvorhaben kamen nicht voran (siehe den Beitrag Der verzögerte Kleinwohnungsbau an der Brunnenstraße), Wohnungen fehlten (siehe den Beitrag Wohnungsnot und kein Ende) – nun wollten Privatpersonen mit einem genossenschaftlichen Projekt die Initiative ergreifen.

Zwar wurde das Vorstandsmitglied Franz Giersig hier als „Beamter“ bezeichnet, aber er war „Privatbeamter“, d.h. Angestellter einer Firma, der seit 1916 als Nebentätigkeit „Rat und Hülfe“ in Rechts-, Militär- und behördlichen Angelegenheiten anbot und sich in seinen Anzeigen als „Bureauvorsteher“ bezeichnete (siehe den Beitrag Reklamationen). Er wechselte später als Abteilungsvorsteher zur Hamburger Handelskammer (laut Hamburger Adressbuch für 1926). Sein Vorstandskollege Hermann Preussner war offenbar selbstständiger Innendekorateur (laut Hamburger Adressbuch für 1920). Über die Bankbeamtin Martha Michaelsen, die den Vorstand komplettierte, war den Adressbüchern, die immer nur den Haushaltsvorstand nannten, nichts zu entnehmen, da es mehrere Einträge des Nachnamens gab.

Als Anschrift der Genossenschaft nennt das Hamburger Adressbuch für 1920 die Privatadresse Giersigs, Kampchaussee 78 – im Hamburger Adressbuch für 1922 wird Brauerstraße 149 angegeben.

Jedenfalls spricht viel dafür, dass es sich um ein seriöses Vorhaben handelte – allein, es wurde nichts daraus. Welche Gründe es für das Scheitern gab, war nicht klar auszumachen: es gab 1919 keine Berichte über versuchte Grundstücksankäufe von der Stadt Bergedorf, und 1922 tauchte das „Sonnenland“ zum letzten Mal im Adressbuch auf.

Etwas unterhalb dieses letzten Sonnenland-Eintrags findet man die Angaben einer „Siedlung Gut Hinschendorf (Gemeinde Reinbek)“, die ihre Geschäftsstelle ebenfalls in der Brauerstraße 149 betrieb – vermutlich gab es Verbindungen zwischen diesen Einrichtungen, da die Zwecke ja zumindest ähnlich waren.

Bergedorfer Zeitung, 7. November 1919

Der Verein „Siedlung Gut Hinschendorf“ hatte schon 1919 einen Erfolg verkündet: man habe sich mit dem Gutsbesitzer geeinigt, etwa 100 Siedler sollten „voraussichtlich schon in nächster Zeit“ mit dem Bau beginnen können. Das allerdings war zu optimistisch: erst nach der Weltwirtschaftskrise begann der Eigentümer mit der Parzellierung, und 1931 erfolgten die ersten Grundstücksverkäufe, wie auf der Seite Siedlung Hinschendorf des Geschichts- und Museumsvereins Reinbek nachzulesen ist – von einer Genossenschaft oder einem Siedlungsverein ist dort nicht die Rede.

Man kann also schlussfolgern, dass die Sonne nie über dem „Sonnenland“ schien. Die  Siedlung Sonnenland in Hamburg-Billstedt entstand erst in den 1960er Jahren und hat mit der Genossenschaft von 1919 nichts zu tun.

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Von Gehältern und Teuerungszulagen in Kirchwärder, Bergedorf und Sande

BZ, 20. Oktober 1919

Die Gemeinde Kirchwärder brauchte einen neuen Gemeindeschriftführer, denn der bisherige Amtsinhaber Heinrich Grube war zum Gemeindevorsitzenden gewählt worden (siehe den Beitrag Der Nord-Süd Konflikt in Kirchwärder). Gemäß Beschluss der Gemeindevertretung sollte der (nebenamtliche) Vorsitzende eine jährliche Entschädigung von 2.000 Mark plus 1.000 Mark Teuerungszulage erhalten, der ebenfalls nebenamtliche Schriftführer 1.600 Mark plus 500 Mark (BZ vom 23. September 1919). Auf die jetzige Ausschreibung hin bewarb sich unter anderem der Gemeindevertreter Carl Förstler (SPD) – er wurde allerdings nicht gewählt, wofür zwei Gründe genannt werden können: zum einen wollte die bürgerliche Mehrheit diese Schlüsselposition wohl nicht an einen Sozialdemokraten geben, zum anderen hatte Förstler ein höheres Gehalt gefordert (BZ vom 3. Dezember 1919), was durchaus zu verstehen ist, denn der „Ortsbote“ der Gemeinde bekam 2.000 Mark plus 800 Mark Teuerungszulage (BZ vom 16. August 1919).

BZ, 9. August 1919

Über Löhne und Gehälter war ansonsten in der BZ nur wenig zu finden: Bergedorf suchte geprüfte Hilfslehrerinnen für die Haushaltungsschule, denen ein Jahresanfangsgehalt von 1.200 zzgl. monatlich 220 Mark Inflationszulage geboten wurde (BZ vom 9. August), die Gemeinde Sande wollte einem Schuldiener für 2.400 Mark plus 60%, also 1.440 Mark, Teuerungszuschlag zahlen (BZ vom 16. August), und die Stadt Bergedorf benötigte eine Stenotypistin für das Arbeits-Fürsorgeamt, der insgesamt 300 Mark monatlich gezahlt werden sollten (BZ vom 15. Dezember 1919). Arbeitslose Männer erhielten in Bergedorf 6,00 Mark pro Arbeitstag, aufs Jahr gerechnet also 1.872 Mark, Frauen 3,50 Mark, d.h. 1.092 Mark im Jahr (BZ vom 2. September).

Daraus lassen sich nicht viele Erkenntnisse ziehen; aus der Zahlung von Teuerungszulagen, die bei den Hilfslehrerinnen sogar das Gehalt weit überstiegen, kann man aber auf die fortschreitende bzw. schon leicht trabende Geldentwertung schließen, ebenso aus dem Beschluss der Ochsenwärder Gemeindevertretung, für den Handarbeitsunterricht die Jahresstunde mit 150 Mark statt wie bisher mit 50 Mark zu vergüten (BZ vom 31. Oktober).

 

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Der Bau der Hamburger Marschbahn und die Lohnschiebungen

Bergedorfer Zeitung, 16. Oktober 1919

Der Bau der Hamburger Marschbahn diente der Arbeitsplatzbeschaffung, und die Arbeiten schritten zügig voran: die Durchquerung Kirchwärders (ca. 7 km) war geschafft. Im Abschnitt zwischen Düneberg und Altengamme ging es ebenfalls vorwärts, wobei einer der Bauübernehmer den Bau als große Chance zur Bereicherung sah.

Durchschnittlich 850 Arbeiter waren im ersten Quartal 1919 mit der Aufschüttung des Bahndamms beschäftigt, wie es im Jahresbericht der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn A.-G. über das 14. Geschäftsjahr vom 01.04.1918 bis 31.03.1919 (eingesehen im Privatarchiv des Vierländer Eisenbahn-Historikers Rolf Wobbe) hieß: die „Notstandsmaßnahme“ erfüllte also ihren Zweck der Arbeitsbeschaffung. Wenn der Zeitungsbericht von „fremden und vielen hiesigen Arbeitern“ sprach, so meinte der Autor mit den „hiesigen“ vermutlich die aus Kirchwärder – alle anderen konnte man damals unter „fremd“ subsumieren. Anderenorts war man weniger zufrieden mit der Zusammenstellung der Bahnarbeiterschaft: die Gemeinde Geesthacht protestierte, dass zu wenige Geesthachter eingesetzt würden; man habe doch wegen der örtlichen Beschäftigung einen Baukostenzuschuss von 20.000 Mark gezahlt (BZ vom 17. März).

Bergedorfer Zeitung, 23. September 1919

Aber ob es wirklich 850 Arbeiter waren, die den Damm aufschütteten, ist fraglich: der Curslacker Steinsetzer Jans hatte den Auftrag erhalten und war auch für die Zahlung der Löhne verantwortlich. Die gezahlten Beträge bekam er vom Staat Hamburg erstattet, und offenbar vereinnahmte er diese Gelder sogar für „erfundene“ und wieder ausgeschiedene Arbeiter und ebenso für solche, die er beim Straßenbau fern der Marschbahn einsetzte.

Er dachte wohl, dass bei solchen Arbeitermassen eine Kontrolle unmöglich wäre, zumal er „Beamte der B.G.E. sowie der hiesigen Baudeputation“ mit Lebensmitteln belieferte, was diese offenbar in ihrem Aufsichts- und Inspektionseifer beeinträchtigte, denn monatelang blieben die Schiebungen unentdeckt – als sie aufflogen, entzog der BGE-Vorstand dem betrügerischen Unternehmer Jans sofort den Auftrag und entließ die unzuverlässigen BGE-Mitarbeiter, wies aber darauf hin, dass der finanzielle Schaden von Jans gedeckt sei (BZ vom 25. September).

 

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Bezahlt, aber nicht geliefert: Probleme der Paketzustellung

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1919

Wenn der Absender eines Pakets neben dem Porto auch eine „Bestellgebühr“ bezahlen muss, sollte man erwarten können, dass dem Empfänger die Sendung auch zugestellt wird. Das war in Bergedorf nicht so: seit dem 16. August 1917 mussten Pakete in der Ortspackkammer II (Zugang Kampstraße durch die Einfahrt über den Hof) im Keller des Bergedorfer Postamts abgeholt werden (BZ vom 11. August 1917).

Der Leserbriefschreiber Otto, eventuell der Ratmann Otto, empfahl daher, sich von der Post die Zustellgebühr zurückerstatten zu lassen, solange die Pakete nicht ins Haus geliefert wurden, denn die Handlungsweise der Post sei gesetzwidrig.

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1919

Das Bergedorfer Postamt reagierte umgehend – mit einer Stellungnahme: seit Anfang 1919 verhandle es selbst bzw. eine höhere Stelle mit örtlichen Fuhrunternehmen, „um dem hiesigen Publikum wie vor dem Kriege die Annehmlichkeiten der Paketbestellung zu sichern“ und erklärte eine „aushilfsweise Bestellung … mittels offener Handwagen“ angesichts der topographischen Besonderheiten, des Straßenzustands und des Ladungsschutzes bei schlechtem Wetter und im Winter für ungeeignet. Aber „bald“ solle es wieder Paketfahrten geben.

Bergedorfer Zeitung, 15. Oktober 1919

Herr Otto stellte daraufhin in einem weiteren Sprechsaalbeitrag zu recht fest, dass die Post zu der Frage der Zustellgebühr sich so verhalte wie die Katze zum heißen Brei – sie mache einen weiten Bogen darum. Er erneuerte seinen Appell, sich das Bestellgeld von der Post erstatten zu lassen – ob das viele Empfänger in Bergedorf und Sande taten, schrieb die BZ nicht. Am 1. November meldete die BZ, dass nunmehr Pakete wieder ins Haus kämen, offenbar per posteigenem Wagen geliefert. So wurde die Post, die schon zum 1. Oktober ihre Mittagspause von drei auf zwei Stunden verkürzt hatte, ein wenig kundenfreundlicher, und kurz vor Weihnachten hieß es dann, dass die Mittagsschließung nur noch eine Stunde andauere (BZ vom 22. Dezember 1919).

Bergedorfer Zeitung, 1. November 1919

 

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