Der Aufruf zum zivilen Ungehorsam

Bergedorfer Zeitung, 12. Dezember 1919, angeblich Zitat aus dem Bergedorf-Sander Volksblatt

Man muss dem Vorsitzende des Sander Bürgervereins, einem Herrn Elberding, zugleich Vorsitzender der DNVP in Sande (BZ vom 29. Januar), dankbar sein, dass er sich in einem „Sprechsaal“-Artikel erneute über das Bergedorf-Sander Volksblatt echauffierte und als Beleg für seine Kritik diesen ganzen Absatz aus der Volksblatt-Ausgabe vom 4. Dezember zitierte – kaum ein Exemplar dieser Zeitung ist erhalten geblieben, aber via BZ gibt es immerhin diesen Ausschnitt.

Das Thema waren die Gas-Sperrzeiten: die Entnahme war nur zu bestimmten Zeiten gestattet, morgens und mittags je eine Stunde, am Abend sechs Stunden – der Bekanntmachung nach (BZ vom 2. Dezember) galt dies für alle, ob Privathaushalt oder Betrieb; Ladengeschäfte mussten bereits zu den festgelegten Ladenschlusszeiten ihre Gaslampen löschen. Wahrscheinlich standen während der Sperrstunden am Tage die Leitungen weiter unter Druck; nachts jedenfalls wurde kein Gas produziert, und deshalb wurde davor gewarnt, die Gashähne über Nacht offen zu lassen: „wenn morgens der Gasdruck einsetzt, strömt durch die offenen Hähne Gas aus und wird für die Bewohner zur Gefahr.“ (BZ vom 16. Dezember)

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1919

Das Bergedorf-Sander Volksblatt forderte nun seine Leser auf, die Sperrzeiten zu ignorieren, weil die Gasanstalt ihrerseits das neue Blatt ignoriert hatte und die Bekanntmachung nur in der Bergedorfer Zeitung erfolgt war. Die Gasanstalt mit ihrem Direktor Worbs hatte angedroht, Verstöße gegen die Vorschrift mit Absperrung der Zufuhr zu ahnden, was das Volksblatt mit einer offenen, aber nicht spezifizierten Drohung beantwortete: „Sollte die Gasanstalt die Gasleitungen abschneiden, werden wir mit Gegenmaßnahmen antworten.“

Ob der Aufruf zum zivilen Ungehorsam Erfolg hatte, ob es zur Stilllegung von Anschlüssen kam, ob die Beschäftigung der SPD-Mitgliederversammlung mit dem Direktor und Vertrauensmann des Reichskommissars für die Kohlenverteilung Worbs irgendwelche Folgen hatte – darüber schrieb die BZ nichts. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Gasanstalt von nun an auch im Volksblatt inserierte, und damit wäre zumindest zwei Ziele des Volksblatts erreicht gewesen, nämlich dass die Anzeigeneinnahmen stiegen und dass die Bevölkerung einen Grund weniger hatte, die BZ zu abonnieren.

 

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