Sorgenvolle Weihnachten mit teuren Beleuchtungsmitteln und ohne

Bergedorfer Zeitung, 27. Dezember 1919

Wirkliche Weihnachtsfreude herrschte nicht in Bergedorf – es fehlte an vielem. Hunderttausende waren noch in Kriegsgefangenschaft, was die BZ erstaunlicherweise nur in den letzten zwei Sätzen ihres Weihnachts-Artikels aufgriff. „Spärlicher Lichterglanz“ war wohl das primäre Thema.

Der Lichterglanz wird angesichts der Kerzenpreise wirklich nicht üppig gewesen sein: Weihnachtskerzen wurden in der BZ zu 35 Pfennig pro Stück (12 cm lang) angeboten (BZ vom 22. Dezember). Die „sparsame Beleuchtung der Wohnräume“ hatte, soweit elektrisch, die rigiden Verbrauchsbeschränkungen als Ursache: in Privathaushalten durfte pro Raum nur eine Glühbirne brennen (BZ vom 27. November), an den Weihnachtstagen und zum Jahreswechsel immerhin bis 24 Uhr, während vor Weihnachten das Licht nur bis 22:30 Uhr hatte brennen dürfen (BZ vom 16. und 23. Dezember). Der daraus resultierende Mehrverbrauch an Kohlen für die Stromerzeugung wurde zunächst durch ein Verbot der Kraftstromnutzung durch Betriebe kompensiert, und ab Neujahr mussten auch die Haushalte einen weiteren Beitrag leisten: es durfte nur noch die Küche und ein weiteres Zimmer elektrisch beleuchtet werden (BZ vom 20. und 31. Dezember); die Nutzung elektrischer Koch- und Heizvorrichtungen war schon vorher untersagt worden (BZ vom 3. November).

Bergedorfer Zeitung, 23. Dezember 1919

Aber wer elektrisches Licht hatte, war immer noch weit besser dran als die Menschen, die auf Gaslampen und Gasherd gesetzt hatten: rechtzeitig zu Weihnachten machte die Gasanstalt bekannt, dass es ab dem ersten Weihnachtsfeiertag „bis auf weiteres“ überhaupt kein Gas geben würde – deshalb fiel in Sande die Straßenbeleuchtung komplett aus, und wer mit Gas gekocht hatte, musste sich nun um eine andere Lösung kümmern. Der einzige Trost für die Gaskunden war, dass die erneut gestiegenen Preise (Oktober 1915: 14 Pfg/cbm, Oktober 1918: 26 Pfg/cbm, ab Dezember 1919: 65 Pfg/cbm; BZ vom 14. August 1915, 26. September 1918 und 31.Dezember 1919) die Haushaltskasse zum Jahresende nicht voll belasteten, weil man ja eine Woche lang nichts verbrauchen konnte.

Bergedorfer Zeitung, 31. Dezember 1919

Ob die Kunden des Elektrizitätswerks in preislicher Hinsicht besser daran waren, muss bezweifelt werden. Während der Kriegsjahre war der Preis vermutlich von der Stadt künstlich stabil gehalten worden, doch vom Juni 1919 bis Dezember 1919 gab es fast eine Verdopplung, von 76 Pfg/kwh auf 1,44 Mark/kwh für Lichtstrom (BZ vom 7. Juni und 15. Dezember).

 

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Die Krankenkost und die Milchversorgung

Bergedorfer Zeitung, 23. Dezember 1919

Neun Prozent der Bergedorfer bezogen „Krankenvollmilch“, d.h. einen viertel Liter Vollmilch täglich (siehe die Verordnung im Beitrag 55 Paragraphen zum Milchverbrauch), was ein weiteres Schlaglicht auf die miserable Versorgungslage wirft. In den Augen des Magistrats war das eine „überaus große Inanspruchnahme“, auf die nun mit „scharfer Prüfung“ von Anträgen reagiert werden sollte, denn Milch war Mangelware, wie auch zwei „Sprechsaal“-Beiträge zeigen:

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1919

Bergedorfer Zeitung, 3. Dezember 1919

 

 

 

 

 

 

Die Milchproduktion war gegenüber der Vorkriegszeit gewaltig zurückgegangen: erhielten Hamburg und seine Nachbarstädte früher 300.000 Liter täglich, so waren es nun nur noch 40.000 Liter (BZ vom 20. Dezember). Als (einleuchtende) Gründe für den Rückgang der Erzeugung nannten die Bauern, dass den Kühen nur ein „minderwertiges, sogenanntes Ersatzkraftfuttermittel“, aber kein wirkliches Kraftfutter vorgesetzt wurde; auch sei die Menge an Raufutter (Heu und Gras) wegen nicht ausreichender Düngemittel stark zurückgegangen (BZ vom 31. März). Da waren die 20.000 kg Milch, die seit Oktober aus Dänemark importiert wurden (für ganz Deutschland, BZ vom 10. Oktober), eine geradezu lächerlich geringe Menge.

Die Knappheit der Milch spiegelte sich auch in den behördlich festgesetzten Höchstpreisen: ein Liter Vollmilch kostete 1916 (Jahresanfang) 28 Pfennig. Nach weiteren Erhöhungen (u.a. November 1917: 40 Pfennig) waren 1919 zunächst 52 Pfennig und schließlich 72 Pfennig zu zahlen (BZ vom 21. Mai und 3. September).

In der Nachbargemeinde Sande dürften ähnliche Preise gegolten haben, sodass die Gemeinde für Kranke, Schwangere und Kinder auf Antrag Zuschüsse gewährte – aber nur an Familien, die mindestens zwei Kinder hatten und „minderbemittelt“ waren. Die Einkommensgrenze für diese Familien stieg in wenigen Monaten von 1.800 Mark im Jahr auf 2.400 Mark (BZ vom 20. Januar und 28. Februar) – dabei blieb es bis Jahresende, obwohl die Preise weiter stiegen.

 

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Der Münzsammler Hermann Boothby

BZ, 15. Dezember 1919

An einer seltenen historischen Kupfermünze hätte Hermann Boothby vermutlich kaum Interesse gehabt. Sein Inserat für den Ankauf von Münzsammlungen zeigt, dass es ihm um Gold- und Silbermünzen ging, die er als Goldschmiedemeister einschmelzen konnte, um die Edelmetalle entweder zu Schmuck zu machen oder wieder zu verkaufen.

Seine Angabe, „Goldm. 6fache, Silbermünzen 3fache“ lässt auch erkennen, dass er vor allem auf bestimmte Sammlungen abzielte: auf Gold- und Silbermünzen des alten Kaiserreichs, die er zum Mehrfachen des Nominalwerts erwerben wollte – die Golddeckung der Mark war zu Kriegsbeginn abgeschafft worden, neues Geld wurde vor allem in Darlehenskassenscheinen ausgegeben, immer wieder wurde zum Umtausch der Edelmetallmünzen in Papiergeld aufgerufen (siehe z.B. den Beitrag Gold gab ich für Papiergeld), was eine patriotische Pflicht sei. Vorsichtige Menschen hielten aber an ihrem Goldgeld fest, dessen Wertbeständigkeit außer Frage stand (siehe z.B. den Beitrag Das Gold in Ochsenwerder) – der Ausgang des Krieges zeigt, wie recht sie hatten.

BZ, 19. September 1919

BZ 19. Dezember 1919

Boothbys erste Münzsammlungs-Anzeige mit Preisangabe war im September erschienen, mit geringeren Preisen – zwei Tage nach Erscheinen der oben wiedergegebenen Annonce erhöhte er den Preis erneut. Selbst wenn man die allgemeine Preissteigerungsrate berücksichtigt: in einem Vierteljahr wird die (Papier-) Mark nicht so sehr an Wert verloren haben, und Boothby wird auch am Jahresende noch Gewinn gemacht haben.

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Der Aufruf zum zivilen Ungehorsam

Bergedorfer Zeitung, 12. Dezember 1919, angeblich Zitat aus dem Bergedorf-Sander Volksblatt

Man muss dem Vorsitzende des Sander Bürgervereins, einem Herrn Elberding, zugleich Vorsitzender der DNVP in Sande (BZ vom 29. Januar), dankbar sein, dass er sich in einem „Sprechsaal“-Artikel erneute über das Bergedorf-Sander Volksblatt echauffierte und als Beleg für seine Kritik diesen ganzen Absatz aus der Volksblatt-Ausgabe vom 4. Dezember zitierte – kaum ein Exemplar dieser Zeitung ist erhalten geblieben, aber via BZ gibt es immerhin diesen Ausschnitt.

Das Thema waren die Gas-Sperrzeiten: die Entnahme war nur zu bestimmten Zeiten gestattet, morgens und mittags je eine Stunde, am Abend sechs Stunden – der Bekanntmachung nach (BZ vom 2. Dezember) galt dies für alle, ob Privathaushalt oder Betrieb; Ladengeschäfte mussten bereits zu den festgelegten Ladenschlusszeiten ihre Gaslampen löschen. Wahrscheinlich standen während der Sperrstunden am Tage die Leitungen weiter unter Druck; nachts jedenfalls wurde kein Gas produziert, und deshalb wurde davor gewarnt, die Gashähne über Nacht offen zu lassen: „wenn morgens der Gasdruck einsetzt, strömt durch die offenen Hähne Gas aus und wird für die Bewohner zur Gefahr.“ (BZ vom 16. Dezember)

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1919

Das Bergedorf-Sander Volksblatt forderte nun seine Leser auf, die Sperrzeiten zu ignorieren, weil die Gasanstalt ihrerseits das neue Blatt ignoriert hatte und die Bekanntmachung nur in der Bergedorfer Zeitung erfolgt war. Die Gasanstalt mit ihrem Direktor Worbs hatte angedroht, Verstöße gegen die Vorschrift mit Absperrung der Zufuhr zu ahnden, was das Volksblatt mit einer offenen, aber nicht spezifizierten Drohung beantwortete: „Sollte die Gasanstalt die Gasleitungen abschneiden, werden wir mit Gegenmaßnahmen antworten.“

Ob der Aufruf zum zivilen Ungehorsam Erfolg hatte, ob es zur Stilllegung von Anschlüssen kam, ob die Beschäftigung der SPD-Mitgliederversammlung mit dem Direktor und Vertrauensmann des Reichskommissars für die Kohlenverteilung Worbs irgendwelche Folgen hatte – darüber schrieb die BZ nichts. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Gasanstalt von nun an auch im Volksblatt inserierte, und damit wäre zumindest zwei Ziele des Volksblatts erreicht gewesen, nämlich dass die Anzeigeneinnahmen stiegen und dass die Bevölkerung einen Grund weniger hatte, die BZ zu abonnieren.

 

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Der frühe Fischer fängt den Fisch

Bergedorfer Zeitung, 9. Dezember 1919

Wie später – sinngemäß und in einem anderen Zusammenhang – Michail Gorbatschow sagte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

 

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Autogas als Allzweck-Brennstoff

Bergedorfer Zeitung, 8. Dezember 1919 (verkleinerte Wiedergabe)

Einen neuen Brennstoff mit vielen Verwendungsmöglichkeiten bot Carl Harden hier an – angesichts der Rationierung von Petroleum und der ausgedehnten „Sperrstunden“, in denen weder Gas noch Strom ins Haus geliefert wurde, kann man davon ausgehen, dass die im Original halbseitige Anzeige aufmerksam gelesen wurde. Zusätzlich pries die BZ, die sich bestimmt über das große Inserat freute, das neue Produkt im redaktionellen Teil an (BZ vom 8. Dezember).

Autogas war 1919 übrigens etwas anderes als heute: Nach Meyers Lexikon, 7. Auflage (1924) war es mit Azetylen gesättigtes Azeton. Aktuell definiert Wikipedia Autogas als LPG, d.h. Liquefied Petroleum Gas, bestehend hauptsächlich aus Butan und Propan, für den Einsatz in Fahrzeug-Verbrennungsmotoren – Auto-Gas eben.

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1919

„Die Anschaffung der Autogaskocher, -Lampen, -Lötkolben, sowie die Anlagen ganzer Schaufenster- und Ladenbeleuchtungen, ebenso Koch- und Heizanlagen dürften sich für manchen Haushalt, Ladenbesitzer, Wirt, Mechaniker, Zahnarzt usw. sehr empfehlen“, schrieb die BZ in ihrem Begleittext zur Anzeige (BZ vom 8. Dezember). Sie machte damit indirekt auf einen Nachteil aufmerksam, denn die Unabhängigkeit vom Gas- und Stromnetz konnte man nur durch erhebliche Investitionen erreichen: man benötigte spezielle Lampen, Brenner und dergleichen, die Harden in Bergedorf und drumherum vorführte (und vermutlich auch verkaufte).

BZ, 20. Dezember 1919

Harden fand auf jeden Fall gewerbliche Abnehmer – vielleicht Ladeninhaber, denen schon seit Wochen die elektrische Schaufensterbeleuchtung und jede Außenbeleuchtung verboten worden war (BZ vom 3. November), bestimmt Wilhelm Kuntz, den Betreiber des Hansa-Kinos, der sich damit von der Stromsperre ab Mitte des Monats (für Kinos, Theater etc.: 21 Uhr, BZ vom 16. Dezember) unabhängig machte und sogar Spätvorstellungen ab 21:30 Uhr anbot; ein anderer war Otto Hitscher (Baumanns Gesellschaftshaus), der damit für Licht in seiner Gaststube sorgte.

Bergedorfer Zeitung, 23. Dezember 1919

Über die nebenstehende Aufklärungs-Anzeige Hardens wird Hitscher aber nicht sehr erfreut gewesen sein, weil sie seine Saalbeleuchtung als rußend bezeichnete, was ja eher abschreckend auf potentielle Gäste gewirkt haben muss. Es spricht einiges dafür, dass die Saalbeleuchtung mittels Karbidlampen erfolgte, die rußend und außerdem nicht geruchsfrei brannten. Aber Karbid unterlag eben keinen Sperrstunden und Rationierungen.

 

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Von Hotobran zu Hotobrau

Bergedorfer Zeitung, 29. November 1919

Torf zum Heizen hatten die Bergedorfer, auch Brennholz – nun sollte es spezielle Öfen geben, die daraus durch sparsamen Verbrauch das Beste machten. Der Monopolanbieter für Bergedorf und Umgegend war die Firma A. Lohmeyer, Am Schiffwasser, im Bergedorfer Adressbuch für 1915  als „Feuerungs-Handlung“ verzeichnet.

Natürlich verriet die Anzeige nicht, welche Konstruktion genau diese Hotobran-Öfen aufwiesen, die sie so geeignet machte für Holz- und Torfverbrennung. Die Öfen waren aber offenbar weniger geeignet für Braunkohle, die es gelegentlich gab, und wer stellt sich schon mehrere Öfen ins Zimmer?

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1919

Die Problemlösung kam schnell und hieß Hotobrau: dieser Zimmer-Heizofen lieferte neben Holz und Torf auch mit Braunkohle die „höchste Ausnutzung“. Der Anbieter war wiederum A. Lohmeyer.

Ob dem wirklich eine geänderte Konstruktion zugrunde lag oder lediglich der Name modifiziert wurde, ist nicht feststellbar. Jedenfalls war der Name keine Erfindung des Bergedorfer Händlers: nach der dänischen Registrerings-Tidende for Vare- og Faellesmaerker Nr. 50 (1919) war Hotobrau ein in Dänemark und Deutschland eingetragenes Warenzeichen eines Lübecker Herstellers.

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1919

In diesen Wochen wurde auch für ein anderes Produkt geworben, das speziell für die Küche erdacht worden war: mit dem Grude-Herd Hannovera konnte man durch die Siebplatten-Feuerung das Zweieinhalbfache an Leistung erreichen – wobei offen bleibt, womit genau verglichen wurde; immerhin wurden Grudeherde auch als Spar- oder Pfennigherde bezeichnet. Die Attraktivität des Angebots der Feuerungshandlung W. Riege und Sohn (Serrahnstraße) wurde sicher dadurch gesteigert, dass Riege „für die Lieferung von Grudekoks Gewähr leisten“ konnte. Grudekoks jedenfalls galt als „preiswerte Brennmaterial“, doch kann ein Preisvergleich mit anderen Brennstoffen hier nicht bereitgestellt werden.

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‚Glücksspiel ohne Verluste‘ – oder ‚Opfer für das neue Reich‘?

Bergedorfer Zeitung, 27. November 1919

Das Reich brauchte Geld, das es sich per Anleihe beschaffen wollte. Die „Deutsche Spar-Prämienanleihe“, die nun gezeichnet werden konnte, schien da durchaus verlockend: die Ausgabe sollte in Stücken zu 1.000 Mark erfolgen, die nur zur Hälfte bar zu bezahlen waren – die andere Hälfte sollte durch Umtausch von Kriegsanleihen zum Nennwert erbracht werden, deren Kurswert nur noch bei 80 Prozent lag (BZ vom 7. November). Neben der jährlichen Verzinsung von fünf Prozent gab es eine 58-prozentige Chance, einen der ausgelosten Gewinne von 1.000 Mark bis zu einer Million Mark zu gewinnen, und eine 50-prozentige Chance auf eine weitere Bonuszahlung, zudem – für die Zinsen und die eventuellen Gewinne – Befreiung von der Einkommen-, Vermögenszuwachs- und Kapitalrentensteuer sowie eine Begünstigung bei der Erbschaftssteuer (BZ vom 18. November). Insgesamt waren laut BZ also „die Aussichten aller Lotterien und Glücksspiele weit übertroffen“.

Bergedorfer Zeitung, 19. November 1919

Angesichts dieser Verheißungen mutet die Anzeige seltsam an, die u.a. der Sander Gemeindevorsteher Krell und der Schulrektor Brüdt kurz zuvor geschaltet hatten: sie baten darum, bitten „dem neuen Reich dieses Opfer … bringen zu wollen.“ Hier stand der patriotische Appell im Vordergrund, „dem neuen Reiche Erstarkung und Fortbestand zu sichern“, weniger die Aussichten für die Anleihezeichner, die hier in einem Punkt sogar übertrieben positiv dargestellt wurden: Zinseszins wurde nicht gezahlt, wie aus der ganzseitigen Anzeige des Reichsfinanzministeriums am 19. November (siehe unten) hervorging.

Die Anleihe sollte 5 Milliarden Mark erbringen – tatsächlich wurden bis zum Zeichnungsschluss am 3. Dezember 3,8 Milliarden Mark gezeichnet (BZ vom 15. Dezember), was aus mehreren Gründen ein erstaunlich hoher Wert war: die Zinsen wurden thesauriert und sollten erst am Ende der Laufzeit ausgezahlt werden. Die Laufzeit konnte bis zu 80 Jahren betragen (die Reihenfolge der Rückzahlungen wurde ausgelost), bei vorzeitiger Kündigung durch den Zeichner, die erst nach 20 Jahren möglich war, musste dieser einen Abschlag von zehn Prozent hinnehmen. Und die Mündelsicherheit der Anleihe, die das Reichsjustizministerium feststellte (BZ vom 3. Dezember), hatte es ja auch für die Kriegsanleihen gegeben, die erheblich an Wert eingebüßt hatten.

Der weitere Verlauf der deutschen Geschichte zeigte dann, dass die Zeichnung der Anleihe in der Tat ein Opfer war – ein Glücksspiel mit Verlustgarantie.

Bergedorfer Zeitung, 8. November 1919

 

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Lernen im Dunkeln, oder: Die Fortbildungsschule

Bergedorfer Zeitung, 18. November 1919

Per Gesetz vom 20. Oktober war im Staate Hamburg die Fortbildungsschulpflicht für alle Jugendlichen unter 18 Jahren eingeführt worden (Gesetzsammlung der Freien und Hansestadt Hamburg (1919)), aber wirklich ausgereift war die Sache nicht: § 10 des Gesetzes überließ die Festsetzung des Datums des Inkraftsetzens dem Senat, dem nicht nur der Erlass von Ausführungsbestimmungen überlassen wurde, sondern auch von im Gesetz nicht spezifizierten Übergangsregelungen.

Aus der Bekanntmachung des Bergedorfer Magistrats geht hervor, dass der Senat gravierende Änderungen vornahm, indem er u.a. Ausnahmegebiete einrichtete: in Bergedorf, Geesthacht und Cuxhaven brauchten die 1917 aus der Schule Entlassenen nicht zur Fortbildungsschule – in allen anderen Teilen Hamburgs unterlagen alle, die 1917 oder später ihre Schulpflicht beendet hatten, der Fortbildungsschulpflicht.

Platzprobleme können bei diesen Ausnahmen eine Rolle gespielt haben, denn eigene Gebäude für Fortbildungsschulen gab es in der Landherrenschaft Bergedorf nicht: der Unterricht wurde in den Stadt- bzw. Gemeindeschulen erteilt – besonders problematisch war dies in der Stadt Bergedorf, wo ja wegen der Schulzusammenlegung und wegen des Schulunterrichts bis 16:30 Uhr kaum Raum und Zeit für die Fortbildungsklassen war, deren Unterricht laut Gesetz um 18 Uhr enden musste.

Bergedorfer Zeitung, 28. November 1919

Im Gesetz hieß es zwar, dass alle Jugendlichen dem Gesetz unterlägen, doch wurde ein Teil der weiblichen Jugend (Schulentlassung 1918) hiervon gleich wieder ausgenommen, „solange das Gesetz für ihren Jahrgang nicht in Kraft gesetzt ist“: sie sollten im Jahresdurchschnitt drei Wochenstunden „Unterricht in Nadelarbeiten“ erhalten. Das war mit Sicherheit kein Beitrag zur Gleichstellung.

Die Anmeldungen für diesen Unterricht liefen offenbar nur zögerlich ein, weshalb Bergedorfs Magistrat mahnen musste: „Wir weisen darauf hin, daß diese Bekanntmachung alle Ostern 1918 aus der Schule entlassenen Mädchen trifft, mögen sie nun gewerblich, im Haushalt oder sonstwie beschäftigt oder ohne Stellung im Elternhause sein.“ (BZ vom 2. Dezember)

Auch im Landgebiet gab es Schwierigkeiten: zwar ist selbst in winterlicher Dunkelheit Schulunterricht möglich, wenn es künstliche Beleuchtung gibt. Allerdings: „In den meisten Schulen sind keine Beleuchtungseinrichtungen“, konstatierte der Gewerbeschulrat Dr. Thomae in einer Versammlung des Landschullehrervereins und erklärte zugleich ein Ausweichen in Gastwirtschaften als Unterrichtsorte wegen „Bedenken sittlicher und erziehlicher Natur“ für nicht erwünscht (BZ vom 20. September), was ja durchaus nachvollziehbar ist. Wie dieses Problem gelöst wurde, das Senat und Bürgerschaft den einzelnen Gemeinden als quasi-Schulträgern zugewiesen hatten, war der BZ nicht zu entnehmen. Jedenfalls wird es den Gemeinden nicht geholfen haben, dass sie bei anerkanntem Raummangel die Zahl der Unterrichtsstunden von 10 auf 6 reduzieren und die Zeit bis 19 Uhr ausdehnen durften, denn heller wurde es dadurch nicht in den Klassenräumen.

BZ 20. September 1919

Die Gemeinde Kirchwärder plante offenbar, an jeder der fünf Dorfschulen eine Fortbildungsschule einzurichten (Bekanntmachung in der BZ vom 20. November). Ob es überall gelang, die vom Gesetz geforderte „berufliche Grundlage“ des Unterrichts zu gewährleisten, ist unklar, denn den Unterricht erteilten zumeist die „normalen“ Schullehrer (BZ vom 17. November), die auch Allgemeinbildung vermitteln und „auf das Innenleben der Jugendlichen“ einwirken sollten. Der bereits zitierte Schulrat Thomae ging davon aus, dass in den ländlichen Fortbildungsschulen für die landwirtschaftlichen Berufe ausgebildet werden würde. Kirchwärder plante allerdings anders: in der Hower Schule sollte eine Baufachschule entstehen, und mit Hermann Kohpeiß hatte man bereits einen Mann vom Fach (BZ vom 23. September) – laut Hamburger Adressbuch für 1920 war er Maurer.

Bergedorfer Zeitung, 4. Oktober 1919

Angesichts dieser vielfältigen Startschwierigkeiten der neuen Bildungseinrichtungen spricht viel dafür, dass die seit 1903 bestehende (bis 1919 freiwillige) landwirtschaftliche Fortbildungsschule in der Bergedorfer Schule Am Brink sich keine Sorgen um Zulauf machen musste, obwohl sie im Gegensatz zu den staatlichen Schulen Schulgeld verlangte.

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Aus vier mach zwei: Die Kohlennot und der Schulunterricht

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1919

Für Privatwohnungen mochten Torf und Holz als Ersatzbrennstoffe taugen (siehe die Beiträge zu Heizen mit Torf und Holzfällungen) – das städtische Elektrizitätswerk brauchte aber Kohlen, und die waren so knapp, dass der Betrieb eingeschränkt werden musste (BZ vom 20. November). Die Schulen litten ebenso unter Brennstoffmangel, und deswegen sollte Unterricht nur noch in zwei der vier Stadtschulen stattfinden: auch hier also eine Betriebseinschränkung.

Die Schulkommission, einer der ständigen Ausschüsse vom Magistrat und Bürgervertretung, hatte entschieden: „Schule 1 von 8 bis 11 Uhr, Schule 2 von 11 bis 2 Uhr nebst Benutzung weiterer leerer Räume.“ (laut Sprechsaal-Beitrag, BZ vom 26. November)

BZ, 25. Nov. 1919

Doch damit ging die Diskussion erst richtig los: eine Lehrerversammlung schloss sich nach kontroverser Debatte „mit starker Mehrheit“ dem Votum der Kommission an; eine Versammlung der Elternräte war mehrheitlich dagegen und sprach sich für die in der Stadt Hamburg praktizierte Lösung aus: an drei Tagen sollte die eine, an den anderen drei Tagen (der Sonnabend war ja voller Schultag) die andere Schule ihren Unterricht abhalten (BZ vom 25. November).

Magistrat und Bürgervertretung berieten am 28. November – sie überwiesen das Thema nochmals in die Schulkommission, die nach Anhörung der Elternräte die endgültige Entscheidung treffen sollte. Am Ende kam auf Vorschlag des Vorsitzenden Wiesner, der bei 7:7 mit seiner Stichstimme den Ausschlag gab, eine Bergedorfer Lösung heraus: Schule 1 von 8:30 bis 12 Uhr, Schule 2 von 13 bis 16:30 Uhr: so konnten „alle Kinder in der Mittagszeit mit den Eltern das Mittagessen einnehmen und … auch die Schulen während der Mittagszeit ausreichend gelüftet werden“ (BZ vom 1. Dezember).

Bergedorfer Zeitung, 1. Dezember 1919

(Forts.) Bergedorfer Zeitung, 1. Dezember 1919

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir wollen hoffen, dass tatsächlich alle Kinder zu Hause eine Mittagsmahlzeit erhielten, denn bis auf weiteres entfiel ja die Schulspeisung ersatzlos.

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