Margarine waggonweise

Bergedorfer Zeitung, 29. Juli 1920

Bergedorfer Zeitung, 6. August 1920

Im Juli 1920 hatte den Bergedorfern eine Margarine-Ration von 100 Gramm zugestanden (Preis pro Pfund: 10 Mark, BZ vom 23. Juli) – jetzt war ein ganzer Waggon Margarine eingetroffen, ein zweiter sollte am 2. August folgen (BZ vom 31. Juli), und die Händler warben für ihr entsprechendes Angebot.

Zum 1. August war dieses Streichfett aus der Zwangsbewirtschaftung entlassen worden (BZ vom 21. Juli), und man hatte hohe Erwartungen: „Der freie Wettbewerb der Margarinefabriken wird die Versorgung der Verbraucher mit Ware von guter Beschaffenheit und zu angemessenen Preisen zur Folge haben.“ (BZ vom 26. Juli)

Bergedorfer Zeitung, 30. Dezember 1920

Ein Kriterium für Mindestqualität war gesichert: die Margarine musste ab 1. Juni mindestens 80 Gewichtsanteile Fett und durfte maximal 16% Wasser enthalten. Der „Startpreis“ auf dem freien Markt entsprach mit 11,50 pro Pfund den in der BZ geäußerten Erwartungen, bald reduziert bis auf 10 Mark (BZ vom 12., 13. und 31. August), um dann im Herbst bei allen Händlern kräftig zu steigen: das günstigste Angebot lautete 13 Mark, das teuerste 15,00 Mark, die meisten lagen am Jahresende bei 14,50 Mark (diverse Anzeigen in der BZ, September bis Dezember 1920).

Ende Juli hatte es noch geheißen: „Eine Höchstpreisfestsetzung bleibt vorbehalten, falls ein behördliches Eingreifen in die Preisregelung notwendig werden sollte.“ (BZ vom 26. Juli) Eine Preissteigerung von 30 bis 50 Prozent war für behördliches Eingreifen offenbar nicht ausreichend. Ende 1916 übrigens hatte der Preis pro Pfund bei 2 Mark gelegen, aber die Ration nur 40 Gramm betragen (BZ vom 2. Dezember 1916).

 

 

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Licht fürs Land

Bergedorfer Zeitung, 5. August 1920

Landherrenschaft, Hamburgische Elektrizitätswerke und die dörflichen Gemeinden, alle waren sich einig: das Landgebiet sollte elektrischen Strom erhalten. Der Bericht aus Ochsenwärder war aber höchst skeptisch: man würde im Winter 1920 wohl wie bisher mit Petroleum und Kerzen die Häuser beleuchten müssen, denn die Linienführung der Leitung sei auf Teilstrecken noch ungeklärt und es gebe nicht das nötige Material für die Stromkabel.

Dabei war man anderthalb Jahre zuvor mit viel Elan gestartet: die HEW veranstalteten Informationsabende in den Dörfern „über die demnächst zur Ausführung kommende elektrische Lichtanlage“ (BZ vom 28. Januar 1919), ein Zweckverband der Gemeinden wurde gegründet (Vorsitzender Heinrich Grube, Kirchwärder) und der Landherr Senator Heinrich Stubbe hoffte auf Fertigstellung zum 1. Januar 1920 (BZ vom 24. Mai und 10. Juni 1919).

Bergedorfer Zeitung, 10. August 1920

So schnell war man offensichtlich nicht vorangekommen, aber aus Kirchwärder kam eine Meldung, die dem Bericht aus der Nachbargemeinde explizit widersprach: Teile des Gebiets würden im September 1920 Strom erhalten, in „den meisten Gemeinden“ sei es im Oktober so weit. Die Probleme in Ochsenwärder seien durch den Streit über die Linienführung der oberirdischen Leitungen und die unterlassene „Ausästung der Bäume“ selbstverschuldet.

Ein allgemeiner Konflikt war schon 1919 entschärft worden: die Gemeindevertretungen hatten wegen der von ihren Gemeinden zu tragenden Kosten zunächst eine Straßenbeleuchtung abgelehnt (BZ vom 30. Mai 1919), die HEW aber darauf bestanden, weil sich ansonsten die Elektrifizierung nicht rechne (BZ vom 7. Juni 1919). Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden: der Staat übernahm die Anlagekosten von 150.000 Mark, die jährlichen Betriebskosten von 80.000 Mark gingen zu Lasten der Gemeinden: auf ca. 150 Kilometer Deich- und anderen bebauten Straßen sollten 1.700 Straßenlaternen aufgestellt werden (BZ vom 25. August 1919). Üppig war das nicht: durchschnittlich alle 88 Meter stand eine Lampe, die aus heutiger Sicht wohl als Funzel zu bezeichnen wäre.

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Die Uebelstände der Brookwetterung

Bergedorfer Zeitung, 3. August 1920

Klagen über den Zustand dieses Wasserlaufs gab es seit langem – nun sollten Maßnahmen zur Verbesserung ergriffen werden. Aber wer war zuständig?

Die Brookwetterung, auch Brookwetter genannt, nimmt ihren Lauf in den Besenhorster Elbwiesen, ganz am östlichen Ende Altengammes, und fließt in westliche Richtung auf weiten Abschnitten parallel zum Horster Damm und zum Brookdeich. Unterwegs nimmt sie an mehreren Stellen Wasser von der Geest auf, bevor sie bei Bergedorf in den Schleusengraben mündet. Für die Entwässerung Altengammes und Curslacks ist sie von großer Bedeutung.

Schon im Frühjahr hatte die Gemeindevertretung Altengamme schnelles Handeln gefordert, „da infolge der vorhandenen Uebelstände alljährlich großer Schaden entstehe“ (BZ vom 29. April), und im Juni hatte sie beschlossen,  „die Landherrenschaft nachdrücklichst zu bitten, evtl. unter Beschreitung des Rechtsweges gegen klagbare Anlieger des Unterlaufes der Brookwetter die baldigste Beseitigung der dortigen Uebelstände herbeizuführen und für die Zukunft zu verhindern, daß der schädliche hohe Wasserstand noch erhöht wird durch die Zuleitung der Abwässer vom Escheburger Moorabbau.“ (BZ vom 16. Juni)

Die Altengammer machten richtig Druck: ihr Gemeindevorsitzender Projahn war zugleich SPD-Bürgerschaftsabgeordneter, und auf seinen Antrag hin forderte das Landesparlament vom Senat, „daß die Regulierung der Brookwetter schleunigst in Angriff genommen wird.“ (BZ vom 8. Juli)

Beschwerde und Beschluss hatten offensichtlich den Erfolg, dass sich die Curslacker Gemeindevertretung mit dem Thema befassen musste. Sie wies die Zuständigkeit für ein „Ausgraben“ von sich: die Gemeinde und die Anlieger seien nur verpflichtet, Kraut und Unrat zu entfernen – eine Pflicht zur Vertiefung bestehe nach Aktenlage nicht, und außerdem seien die Bergedorfer für die Verschlammung verantwortlich. Letzteres ist plausibel, da die Bebauung südlich der Brunnenstraße in den Wasserlauf einleitete – der aber gehörte damals zu Curslack.

Die Landherrenschaft hatte aber die besseren Karten bzw. Akten, denn einige Wochen später bewilligte die Gemeindevertreter Curslacks Geld „als Ablösung der Gemeindestrecke der Brookwetterung für Reinhaltung und Vertiefen, sowie Instandhaltung der Böschung derselben“ (BZ vom 11. September), was die Dorfoberen sicher nicht ohne Notwendigkeit getan hätten.

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1920

Ob bei der Grabeninspektion Ende des Monats schon alle Uebelstände im Curslacker Abschnitt beseitigt waren, berichtete die BZ nicht. Das Problem der Bergedorfer Einleitungen wird fortbestanden haben.

 

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Kleinanzeigen mit Frdsw. und Hungerharke

BZ, 30. Juli 1920

Oft geben Kleinanzeigen einen Einblick in das alltägliche Geschehen und nicht alle sind spontan zu verstehen, wenn man sie nicht in ihrer Zeit sieht: die Abkürzung „Frdsw.“ steht für „Friedensware“, und das sollte gute Qualität signalisieren (zu Kriegstextilien siehe den Beitrag zur Bekleidungsfrage).

BZ, 9. August 1920

Bei dem Begriff „Hungerharke“ werden heute viele Menschen an das Luftbrückendenkmal auf dem Berliner Flughafen Tempelhof denken, das 1951 errichtet wurde (Näheres und Abbildung bei Wikipedia) – vor hundert Jahren war der Begriff wörtlich zu verstehen: laut Digitalem Wörterbuch der deutschen Sprache war es eine „große Harke, mit der man auf dem abgeernteten Getreidefeld die liegen gebliebenen Ähren zusammenharkt“, denn man konnte es sich nicht leisten, teure Getreidekörner den Vögeln oder Tieren zu überlassen.

BZ, 31. Juli 1920

Die „Schottische Karre“ (auch Schottsche Karre genannt) ist mittlerweile auch außer Gebrauch geraten, aber als Museumsobjekt ist sie im Stormarner Dorfmuseum vorhanden (siehe Abbildung): sie wurde von Menschen gezogen zum Transport kleinerer Lasten eingesetzt.

BZ, 28. Juli 1920

Die zum Kauf angebotene Ziehhündin wird vor eine Hundekarre gespannt gewesen sein (siehe Abbildungen bei Wikipedia) – wenn man heute bei einer der gängigen Suchmaschinen den Begriff „Hundekarre“ eingibt, stößt man vor allem auf Karren, die für den Transport von Hunden gedacht sind. Die Zeiten haben sich halt geändert.

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Die volle Erwerbslosigkeit

Bergedorfer Zeitung, 24. Juli 1920

Seit April veröffentlichte die BZ die wöchentlichen Zahlen der „vollen Erwerbslosigkeit“ und ermöglichte damit Einblicke in die wirtschaftliche Entwicklung des „Wirtschaftsgebiets Groß-Hamburg“, zu dem u.a. Bergedorf, Sande und Geesthacht gehörten. Aber es scheint keine einheitliche Entwicklung des Raumes gegeben zu haben, die Trends waren durchaus unterschiedlich.

Im Gesamtgebiet Groß-Hamburg könnte es einen kleinen Konjunkturaufschwung gegeben haben, nicht aber in den anderen Orten, wobei unklar ist, in welchem Maß „Notstandsarbeiten“ die Werte beeinflussten. Während die Arbeitslosigkeit in Groß-Hamburg von April (36.246) bis Juli (35.597) leicht und ab Oktober bis zum Jahresende (25.429) deutlich zurückging, gab es in Bergedorf (276 – 494 – 538) fast und in Geesthacht (137 – 249 – 335) mehr als eine Verdoppelung der Zahlen; in Sande (222 – 191 – 281) waren die Veränderungen weniger ausgeprägt. Geesthacht (1919: 5.174 Einwohner) war jedenfalls stärker betroffen als Bergedorf (1919: 16.731 Einwohner); für Sande liegt nur die Angabe von 1914 vor; da waren es 7.072 Einwohner. Korrespondierende Beschäftigtenzahlen gibt es für keinen dieser Orte (Angaben aus BZ vom 15. Dezember 1914, 17. April und 27. Dezember 1920, Statistik des Hamburgischen Staates, Heft XXXII, S. 46).

Bei der Erwerbslosigkeit der Frauen ist keine gleichlaufende Entwicklung zu erkennen: im Gesamtgebiet Groß-Hamburg halbierte sie sich von 6.231 im Juli auf 3.163 Ende Dezember, während sie im selben Zeitraum in Bergedorf (von 45 auf 53), Sande (von 29 auf 37) und Geesthacht (von 28 auf 51) deutlich anstieg. Die Gründe sind nicht bekannt.

Für die gezahlten Unterstützungen galt vermutlich: zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, was die Teuerungsunruhen und die Felddiebstähle zumindest teilweise erklären kann.

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Die Bahnhofswirtschaften ohne Bahn

Bergedorfer Zeitung, 27. Juli 1920

Mehrere Bahnhofsgebäude im östlichen Streckenabschnitt der Hamburger Marschbahn  waren offenbar fast fertiggestellt – die Bahn nicht. Anders als bei den schon vorhandenen Bahnhöfen auf den Strecken Bergedorf – Geesthacht und Bergedorf – Zollenspieker sollte eine Kombi-Lösung eingeführt werden: in den Bahnhöfen wurden Gaststätten eingerichtet, und der Gaststättenpächter musste als Nebentätigkeit den Fahrkartenverkauf sowie die Abrechnung des Güterverkehrs übernehmen (siehe hierzu den Aufsatz von Stefan Meyer, S. 229). Das war zum Vorteil aller: die BGE brauchte kein Personal abzustellen, die Fahrgäste konnten sich versorgen und der Wirt hatte eine geringere Pacht zu zahlen.

Auch der Bahnhof Altengamme wurde bereits 1920 errichtet, sein Betrieb aber nicht öffentlich ausgeschrieben. Für die Station Neuengamme-Elbdeich wurde eine Kate in der Nähe der Station angekauft, vermutlich ebenfalls 1920 – die weiteren Bahnhofsgebäude (alle mit Wirtschaften) auf dem östlichen Streckenabschnitt durch die Vierlande folgten erst Jahre später (vgl. Stefan Meyer, a.a.O., S. 229-245).

Der Gaststättenbetrieb begann recht zügig, wie die folgenden Annoncen belegen:

Bergedorfer Zeitung, 22. Oktober 1920

Bergedorfer Zeitung, 27. November 1920

 

 

 

 

 

Das war weit bevor der erste Zug fuhr, und auch lange nach dem letzten Marschbahn-Zug gab es die Wirtschaften, von denen heute nur noch eine als solche existiert: die Bahnhofsgaststätte Fünfhausen in einem Neubau an der Stelle des abgebrochenen winzigen Bahnhofs.

 

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Sauberere Luft für Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 16. Juli 1920 (Auszug aus dem Bericht über die Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung)

Die Stilllegung des städtischen Elektrizitätswerks (Nr. 17 auf der Karte von 1904) dürfte die Luftqualität in Bergedorf erheblich verbessert haben – Rauchgasreinigung und Entschwefelung hatte das kohlebetriebene Werk der Zeit entsprechend nicht, und angesichts der vorherrschenden westlichen Winde dürfte gerade das Villenviertel von der Abschaltung profitiert haben.

Für die Entscheidung von Magistrat und Bürgervertretung spielte dies aber erstaunlicherweise keine Rolle – es ging nur ums Geld: das städtische E-Werk war offenbar über Jahre auf Verschleiß gefahren worden: notwendige Erhaltungs- und Erweiterungsmaßnahmen waren unterblieben und so hatte sich ein Investitionsstau von mehreren Millionen Mark aufgebaut. Da entschied man sich für den Anschluss an die Hamburgischen Elektrizitätswerke, denn der belastete den Stadthaushalt erheblich weniger: die HEW-Lösung von einer Million Mark Kosten erforderte jährliche Zahlungen von 90.000 M bis 1938 für Zinsen und Tilgung des Kredits; für eine kreditfinanzierte Modernisierung des Bergedorfer E-Werks wären jährlich 315.000 Mark aufzuwenden gewesen.

Mit dieser Entscheidung waren zwei Vorschläge hinfällig, die eine Kraft-Wärme-Kopplung propagierten: man hätte die Abwärme des Kraftwerks für die geplante Warmbadeanstalt an der Brauerstraße nutzen können (BZ vom 19. März 1919) – oder auch für die Beheizung des Schlosses (BZ vom 7. Oktober 1919).

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Der Selbstschutz der Pächter gegen Felddiebstähle

Bergedorfer Zeitung, 14. Juli 1920

„Die trostlosen, unsicheren Zustände in unserem Vaterland“, wie die BZ sie charakterisierte, führten dazu, dass die Pächter des Gemüselands am Rande Bergedorfs Maßnahmen ergriffen: sie richteten einen Wachdienst ein, denn die Gärten wurden wie in den Vorjahren (siehe den Beitrag zu den Felddiebstählen) von „Spitzbuben“ geplündert – angesichts der Teuerungsunruhen wenige Wochen zuvor keine Überraschung.

BZ, 19. Juli 1920

Das Problem zeigte sich auch für Sande: viele Einwohner hatten Ende 1919 Pachtland auf Gut Hinschendorf übernommen, und dort sollte die Sander Einwohnerwehr den Sicherheitsdienst übernehmen. Da Hinschendorf aber nicht zu Sande gehörte, sondern zu Reinbek, mussten die nächtlichen Streifengänge vom dortigen Amtsvorsteher genehmigt werden. (Ob dies der Ursprung der Siedlung Hinschendorf war, ist nicht eindeutig, siehe den Beitrag Kein Sonnenland in Bergedorf).

Aus Geesthacht meldete die BZ sogar, dass „40 Mann Militär zur Bewachung der Feldmark und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit eingetroffen“ seien (BZ vom 24. Juli) – allerdings entpuppte sich nach einer Meldung vom 19. August das  Militär als „Sicherheitspolizei“.

Aus den Vierlanden und den Marschlanden hieß es: „Über Feld- und Gartendiebstähle wird hier sehr geklagt“, und mehrfach setzten Landwirte Belohnungen zur Ergreifung von Tätern aus, die in großem Stil von zum Trocknen aufgestellten „Hocken“ die Roggenähren abgeschnitten hatten (BZ vom 5. und 16. August).

 

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Wieder Betreuung für die Zwerge

Bergedorfer Zeitung, 8. Juli 1920

Nicht die evangelische Kirchengemeinde hatte die Warteschule betrieben, wie es in einem früheren Beitrag hieß, sondern der Bergedorfer Frauenverein, doch zum 1. Oktober 1919 war diese Warteschule geschlossen worden: die Finanzierung hatte auf „Wohltätigkeit“ gebaut, doch die Spendenbereitschaft (oder die Spendenfähigkeit?) hatte nach Kriegsende zu stark nachgelassen.

Dabei war 1920 eine solche Einrichtung zur Kleinkinderbetreuung ebenso nötig wie vorher, als viele Mütter, deren Ehemänner im Krieg waren, in den Bergedorfer Rüstungsbetrieben arbeiteten – die bedrückende Lage vieler Familien wird nach 1918 nicht besser gewesen sein: viele Mütter waren „Kriegerwitwen“, in anderen Familien war der Vater als „Kriegsbeschädigter“ nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig, und von den schmalen Renten und Unterstützungszahlungen konnte man kaum leben. Folglich bestand die Notwendigkeit fort, dass die Frauen (zu deutlich geringeren Löhnen als Männer, siehe den Beitrag zum Tarifkonflikt im Kleinhandel) einer Erwerbstätigkeit nachgingen.

BZ, 8. Juli 1920

Dass die Stadt angesichts dieser Lage mehr als ein Dreivierteljahr benötigte, um diese Einrichtung in den alten Räumen „neu erstehen“ zu lassen, ist erschütternd. Aber immerhin wurde nach einschlägig erfahrenen hauptamtlichen Kräften gesucht, und zwar weiblichen: männliche Erzieher waren offenbar unvorstellbar.

 

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Bismarck mit Blumen und Farbe

Bergedorfer Zeitung, 8. Juli 1920

Wer genau hinter der Aktion steckte, ist unbekannt: eine Gruppe Bergedorfer Jugendlicher störte sich am „verwahrlosten Zustand“ des Bismarck-Denkmals am Reinbeker Weg und schritt zur Tat, da die Stadt „kein Geld mehr übrig“ zu haben schien. Mit Geld aus eigenen Sparbüchsen und Spenden kaufte man Pflanzen und legte Blumenbeete beim Denkmal an. Ob es die Jugendlichen selbst waren, die ihre Tat und Einstellung zu Bismarck und zur „ruhmreichen Vergangenheit“ Deutschlands der Zeitung meldeten, ist unbekannt – die BZ brachte die Meldung im redaktionellen Teil und versah den Artikel mit lobender Überschrift, was ihre politische Grundausrichtung durchaus widerspiegelt, aber distanzierte sich vorsichtig, indem sie den Text als Zuschrift kennzeichnete.

Bismarck-Denkmal, Ansichtskarte gestempelt 1923

Die Ansichtskarte zeigt das 1906 eingeweihte Bismarck-Denkmal am ursprünglichen Standort im Kreuzungsbereich Reinbeker Weg – Grasweg – Schulstraße (jetzt Reinbeker Weg, Grasredder, Gräpelweg), eine „wie ein angedeutetes Hünengrab erscheinende steinerne Memorabilie“, wie Andreas von Seggern im Lichtwarkheft Nr. 70 (2005), S. 4, schreibt. Die Fotografie oben zeigt keine Blumenbeete, sondern spärliches pflegeleichtes Dauergrün – heute gibt es weder die einen noch das andere, wie die aktuelle Aufnahme unten zeigt: das den Straßenverkehr störende Denkmal wurde in den Schlosspark transloziert und ruht auf einem soliden steinernen Podest. Ansonsten aber hat sich der Zustand deutlich verschlechtert.

Bismarck-Denkmal, März 2020

 

Bergedorfer Zeitung, 13. August 1920

Verunstaltung von Denkmälern ist aber kein Phänomen des 21. Jahrhunderts, wie eine Meldung aus Hamburg zeigt: dort wurde das Denkmal für den Dichter Heinrich Heine „über und über mit roter Mennigfarbe beschmiert“. Es wurde später vor nationalsozialistischer Zerstörung gerettet und in Südfrankreich wieder aufgestellt. Von den Nationalsozialisten vernichtet wurde eine im Hamburger Stadtpark aufgestellte Statue Heines – seit 1982 steht ein sehr nachdenklicher Heine auf dem Rathausmarkt. Nachdenken sollten auch andere.

UPDATE 11.07.2020: Zur Debatte über das Bismarck-Denkmal in Hamburg siehe aktuell eine Stellungnahme des Kultursenators Carsten Brosda im Monopol-Magazin. Die Debatte hat Bergedorf bisher nicht erreicht.

 

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