Die komischen Amerikaner

Bergedorfer Zeitung, 17. Juli 1922

Es gab sicher Nachholbedarf an amerikanischen Filmen bei den Kinofreunden, und so eroberten die klassischen Stummfilm-Komiker 1922 Bergedorf: Charlie Chaplin, Fatty Arbuckle und Harold Lloyd. Vor allem das Hansa-Kino zeigte immer wieder Chaplin-Filme, allein im zweiten Halbjahr 1922 waren es acht verschiedene; „Charlie klaut den Regenschirm“ wurde sogar wiederholt, zweimal gab es dort Fatty Arbuckle zu sehen. Das Thalia-Theater in Sande hatte vermutlich einen anderen Filmverleiher und konnte so exklusiv Harold Lloyd auf die Leinwand bringen, wie die Anzeigen in der BZ belegen. Abendfüllend war keiner dieser Filme, und so wurden sie mit anderen (meist deutschen) Filmen zusammen zur Aufführung gebracht. (Nebenbei bemerkt: Buster Keaton kam in einer Nebenrolle in Arbuckles „Der Koch“ zu seiner Bergedorf-Premiere).

Bergedorfer Zeitung, 27. Juli 1922

Warum das Hansa-Kino für den Film „Der rote Handschuh“ mit dem Bild von Pferd und Reiterin auf einem verwegenen Ritt warb, lässt sich wohl nur über die (in dieser Anzeige nicht genannte) Darstellerin Marie Walcamp erschließen: sie spielte vor allem Heldinnen-Rollen in Action-Filmen, und dazu passt die Illustration. Der aus sechs Teilen bestehende Film gilt allerdings als verschollen.

BZ, 4. August 1922

Das Sander Thalia-Theater nannte immerhin die Hauptdarstellerin des amerikanischen Films „Die Stimme aus dem Jenseits“ bei so etwas ähnlichem wie ihrem Namen: mit „Maria Pikfordt“ war vermutlich Mary Pickford gemeint. Der Film von 1922 (oder früher) wurde allerdings nicht gefunden, dafür gleich zwei spätere, von 1929 und 1945, und eine US-Fernsehserie von 2005ff. mit dem deutschen Titel „Stimmen aus dem Jenseits“.

Die Namen der Komiker sind auch heute noch weithin bekannt. Ihre Filme haben die Zeiten offenbar am besten überdauert.

Sämtliche Angaben wurden den Anzeigen in der Bergedorfer Zeitung des zweiten Halbjahres 1922 entnommen und durch Wikipedia-Angaben (teils aus der englischsprachigen Ausgabe) zu den Filmen, Schauspielerinnen und Schauspielern ergänzt.

 

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Von Hawaii nach Bergedorf: der Jazz

BZ, 10. Juli 1922

Geht man nach den Anzeigen in der BZ, so war dies der erste Auftritt einer Jazzband in Bergedorf. Ob sie original hawaiianisch war und/oder original hawaiianischen Jazz spielte, wird sich nicht definitiv klären lassen, denn es gab nur die Ankündigung und keine Konzertkritik.

Jedenfalls hatte damit der Jazz in Bergedorf Einzug gehalten, weitere Bands und Auftritte folgten, vor allem bei Veranstaltungen von Sportvereinen. Über das 62. Stiftungsfest der Bergedorfer Turnerschaft von 1860 wurde berichtet, dass „die Jazz-Kapelle durch originelle Musik eine besonders heitere Stimmung“ schuf (BZ vom 18. September), was ja durchaus unterschiedliche Interpretationen zulässt. Der Vierländer R.-V. von 1894 lud zu seinem „Künstl. Ausstattungsfest“ mit „eigener Jazz-Band-Kapelle“ (BZ vom 30. September), bei dem Herbstball von Spiel und Sport Bergedorf spielte die „Original-Jazz-Band-Hauskapelle“ (BZ vom 10. Oktober), der Sander Turn- und Spielverein hatte für einen Festabend die „Original Al-He-Ma Jazz Band“ verpflichtet (BZ vom 7. November), und Gäste des Kegelklubs Hansa von 1921 konnten an einem „Originellen Jazz-Band-Abend“ teilnehmen (BZ vom 18. Dezember).

Bergedorfer Zeitung, 14. September 1922

Die „Union-Diele“ kündigte vollmundig ein „Konzert des (sic!) Original-Jazz-Band“ an (BZ vom 8. September), und sogar eine Tanzschule öffnete sich der neuen Musikrichtung und wagte einen Spagat: bei ihrem „Saison-Eröffnungs-Kränzchen“ mit „auserwählter Musik“ (sic!) spielte auch eine Jazz-Band.

Man weiß nicht, ob bei diesen musikalischen Darbietungen New Orleans, Hawaii oder Bergedorf den „Sound“ prägte. Vermutlich war’s eher originell als original.

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Kindermehl und Maschinengewehre

Bergedorfer Zeitung, 28. August 1922

Er war über Bergedorfs Grenzen hinaus als Hersteller von Kindermehl bekannt, aber er war auch in eine üble Maschinengewehraffäre verwickelt: Rudolf Kufeke.

Sollten die Maschinengewehre und militärischen Ausrüstungsgegenstände bei einem Umsturzversuch von rechts zum Einsatz kommen? Gab es einen Zusammenhang mit dem rechtsextremistischen Mord an Außenminister Rathenau nicht einmal zwei Wochen zuvor? Oder ging es Kufeke um die Verteidigung von Republik und Demokratie?

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1922

Die Polizei griff jedenfalls ein, als sie von dem Zufallsfund von Militärausrüstung im Gasthof „Stadt Hamburg“ erfuhr, und stellte rasch fest, dass auch Kisten in Privathäuser im Villenviertel gebracht worden waren, wie die BZ weiter berichtete: insgesamt dreizehn tragbare Maschinengewehre, 82 Handgranaten und weiteres militärisches Material wurden sichergestellt, vier Personen wurden verhaftet und nach Hamburg verbracht: ein auswärtiger Student und ein Hansaschüler, der Fabrikant Kufeke und der Prokurist Ernst Dröge.

Die beiden Erstgenannten kamen schon zwei Tage später wieder auf freien Fuß, „da ihnen keinerlei Schuld nachgewiesen werden konnte“ (BZ vom 10. Juli 1922), die zwei anderen nach knapp zwei Wochen (BZ vom 21. Juli).

Bergedorfer Zeitung, 3. August 1922

Warum Kufeke und Dröge so schnell wieder aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, ist unklar. Die Vernehmungen hatten offenbar ergeben, dass Dröge die Waffen und mehrere Kisten mit Munition bestellt hatte (BZ vom 21. Juli 1922), doch zugleich präsentierten sich die Beschuldigten als kampfeswillige Unschuldslämmer – die Aktion sollte nach ihren Aussagen dem guten Zweck dienen, „bei eintretenden Unruhen die Polizeiorgane zu unterstützen“, also für die bestehende demokratische und republikanische Ordnung einzutreten.

Folgt man der Darstellung der Staatlichen Pressestelle, hatten Kufeke und andere ein Waffenlager angelegt, was nach dem Republikschutzgesetz (§ 7, Ziff. 6) strafbar war (bis zu fünf Jahren Gefängnis) und auch die Zuständigkeit des Oberreichsanwalts begründete, doch was dessen Ermittlungen ergaben, ist unbekannt: weitere Meldungen der BZ gab es bis zwei Jahre nach dem Waffenfund nicht, was so oder so merkwürdig anmutet.

Kam es überhaupt zu einem Prozess? Oder waren Kufeke und Dröge etwa mit ihrer Aussage durchgekommen? Auch bei Alfred Dreckmann (S. 23f.), der für seine Schilderung der Affäre Berichte des Bergedorf-Sander Volksblatts nutzen konnte, findet man zu diesen Fragen keine Antwort.

Über Dröge, laut Dreckmann (S. 23) Prokurist bei Kufeke, ist in Bergedorf ansonsten nur bekannt, was die Staatliche Pressestelle schrieb: er war Geschäftsführer des „Bundes der Niederdeutschen“ und des „inzwischen aufgelösten Helferbundes in Bergedorf“; beide Organisationen wurden 1922 in Hamburg verboten (BZ vom 18. Juli und 14. Oktober 1922).

Kufeke bekleidete in jener Zeit mehrere Ehrenämter, unter anderem als 1. Schriftführer des Verbands der militärischen Vereine von Bergedorf, Vierlanden usw. Am 30. Oktober 1922 meldete die BZ, dass er hiervon zurückgetreten sei – sein Amt als 3. Vorsitzender der DVP Bergedorf hingegen behielt er, und in der DVP schien die Affäre seinem Ansehen nicht geschadet zu haben, denn er wurde im folgenden Jahr wiedergewählt (BZ vom 1. Februar und 20. Dezember 1923). Und auch die Kindermehlproduktion lief weiter.

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Der politische Mord und Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 1. Juli 1922

Die einen trauerten und protestierten, die anderen nicht: nach der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau vor einhundert Jahren hielt die DDP Bergedorf eine Kundgebung ab – aber unter den geistigen Wegbereitern des Mordes war auch ein Bergedorfer: Alfred Roth.

Alfred Roth war Hauptgeschäftsführer des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbunds, dessen antisemitische und antidemokratische Propagandaflugblätter in Millionenauflagen verbreitet wurden. Eine Hetzschrift Roths gegen Rathenau war im Jahr des Mordes erschienen – die Attentäter aus der rechtsextremistischen Organisation Consul verfügten über enge Kontakte zu diesem „Bund“.

Bergedorfer Zeitung, 5. Juli 1922

Der demokratische Staat war also weiterhin bedroht (siehe z. B. den Beitrag zum Mord an Matthias Erzberger). In Bergedorf und Sande forderten SPD, USPD und KPD und die freien Gewerkschaften auf gemeinsamen Demonstrationen sogar die Aufstellung von Arbeiterwehren, um einen Putsch von rechts verhindern zu können; die weiteren Forderungen waren eher von (nicht zu unterschätzender) symbolischer Bedeutung. Hierauf soll in weiteren Beiträgen eingegangen werden – zur Bildung von Arbeiterwehren kam es jedenfalls nicht: zwar beantragte der Magistrat von Bergedorf etwas verklausuliert, dass der Staat „eine Organisation zum Schutze der republikanischen Regierung … schaffen“ solle (BZ vom 20. Juli), und die Bürgervertretung beschloss dies mit der Mehrheit der SPD, USPD und einer DDP-Stimme, doch blieb das rechtliche Gewaltmonopol allein in staatlicher Hand.

BZ, 19. Juli 1922

Das Reich und Hamburg gingen mit gesetzgeberischen (Republikschutzgesetz) und administrativen Mitteln gegen umstürzlerische Vereinigungen und Publikationen vor – so wurde u.a. der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund verboten (BZ vom 14. Juli). Bei Alfred Roth gab es eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts, er sammle Spenden für die flüchtigen Mörder Rathenaus (BZ vom 15. Juli), doch beweisen ließ sich das nicht (BZ vom 18. Juli und 2. November). Laut Wikipedia verließ er Bergedorf noch im selben Jahr; er trat aber mehrfach bei DNVP-Veranstaltungen als gefeierter Redner in Bergedorf und Hamburg auf (BZ vom 30. Juni, 11. Juli und 8. Dezember 1923).

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Bergedorf rückt weiter zusammen

BZ, 3. Juli 1922

Zimmer waren gesucht in Bergedorf, wie die Anzeigen belegen. Bei denen, die ein möbliertes Zimmer suchten, kann man unterstellen, dass sie bis dahin keinen eigenen Hausstand gehabt hatten und sich so vom Elternhaus lösen wollten. Das Ehepaar, das wohl Möbel besaß, hätte sicher lieber eine eigene Wohnung bezogen, doch das verhinderte der Wohnungsmangel.

Die Einwohnerzahl wuchs beständig, von knapp 16.000 im Jahre 1919 auf nun rund 17.000, wie Stadtbaumeister Rück darlegte: 3.160 Menschen lebten in „Kleinstwohnungen“, eine große Anzahl von Wohnungen sei „minderwertig“, und bis zu drei Familien mussten sich eine Wohnung teilen, die vielleicht noch nicht einmal an die Abwasserkanalisation angeschlossen war und nur über einen Abort hinter dem Haus verfügte (BZ vom 28. Oktober 1922). Wohnungsneubau gab es kaum (BZ vom 26. November 1920, siehe auch den Beitrag zu den Wohnverhältnissen).

Über allem wachte der Amtliche Wohnungsnachweis, wie im Beitrag zu den Zwangseinquartierungen geschildert: seine Zustimmung zur Untervermietung und zur Miethöhe war erforderlich (BZ vom 27. Juli 1922).

BZ, 4. Juli 1922

Und wenn jemand eine Wohnung besaß und lediglich eine größere oder kleinere oder in anderer Lage suchte, so ging das nur im Wege des Tausches – dem natürlich der Wohnungsnachweis zustimmen musste, auch wenn jemand von Hamburg nach Bergedorf (oder umgekehrt) ziehen wollte. Wer dabei nichts attraktives zu bieten hatte, hatte schlechte Karten.

BZ, 1. Juli 1922

Ob der Brasilien-Rückkehrer und sein Vater in Bergedorf fündig wurden? Am Geld dürfte ein Kauf jedenfalls nicht gescheitert sein.

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Dringdrahtlich und zewwolf

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1921

Die schnellste Art der schriftlichen Nachrichtenübermittlung war vor hundert Jahren das Telegramm, das vom Telegraphenamt schriftlich aufgenommen, an das Telegraphenamt des Empfängers übermittelt und per Boten zugestellt wurde. (Zur Geschichte des Telegramms hat die Deutsche Post eine knappe Zusammenfassung mit historischen Beispielen erstellt.)

Die zu zahlenden Gebühren richteten sich nach der Länge: jedes Wort, auch Empfängername und -anschrift, musste einzeln bezahlt werden, und das animierte natürlich dazu, sich kurz zu fassen: Telegrammstil eben (siehe hierzu z. B. Alfred Schirmer, S. 155f.). Das führte offenbar zu „sprachwidrigen Wortbildungen“ à la „Kommesonntagfrüh“, die das Reichspostministerium strikt ablehnte: nur verbreitete Fachbegriffe durften in dieser verschmolzenen Form benutzt werden. So entstand u.a. das Wort „dringdrahtlich“ für ein Eiltelegramm, und auch die Telegrammadressen konnten abgekürzt werden, wenn der Empfänger dafür eine Pauschale zahlte – der Bergedorfer Fellhändler Karl König war telegraphisch der „Fellkönig“ (Anzeige in der BZ vom 28. November 1921).

Die Gebühren stiegen rasant: waren es im Oktober 1921 noch 50 Pfennig pro Wort, mindestens fünf Mark, so kostete es im Dezember bereits eine Mark, mindestens 10 Mark, und ein knappes Jahr darauf zehn Mark Wortgebühr plus 20 Mark Grundgebühr (BZ vom 14. Oktober und 13. Dezember 1921 sowie vom 15. November 1922).

Bergedorfer Zeitung, 31. August 1921

Auch in das gesprochene Wort mischte sich die Post ein: besonders bei Telefonaten war die korrekte Aussprache von Zahlen von großer Bedeutung, denn man konnte ja nicht selbst wählen: ein Telefonat begann mit dem Abnehmen des Hörers von der Gabel, bei Wandgeräten zusätzlich mit einmaligem Drehen der Kurbel, und wenn sich die Vermittlung meldete, nannte man dieser nach der eigenen Nummer den Gruppennamen (z.B. Elbe, Hansa, Merkur, Bergedorf) und die Rufnummer des bzw. der Anzurufenden, die die bzw. der Vermittlungsbedienstete wiederholte, und da war es halt wichtig, dass man sich über die Aussprache der Zahlen einig war. Nun war manches anders: hieß es 1920 laut Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen im Oberpostdirektionsbezirk Hamburg Juli 1920 noch „tzwo“ und „tzwölf“, so hieß es nun „zwo“ und „zewwolf“, und das kurze u der Null sollte als langes u gesprochen werden, wie auf den Einleitungsseiten des Amtlichen Fernsprechbuchs für den Oberpostdirektionsbezirk Hamburg vom Oktober 1921 angegeben; 1922 trat keine erneute Änderung ein.

Ob durch die Umstellung die Zahl der Falschverbindungen zurückging oder sogar (zumindest vorübergehend) stieg und wie falsche Aussprache der Zahlen sanktioniert wurde, ist unerforscht. Das heutige Telefonbuch kommt ohne Aussprachevorschriften aus.

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Schicke Schuhe – Teure Schuhe

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1912

Sie waren schon schön, die Schuhe von 1912 – die Werbetrommel für die neuen Modelle wurde auch kräftig gerührt. Die Anzeige hier ist eine der größten und aufwändigsten der über 50 Schuhwaren-Inserate, die 1912 allein von Bergedorfer Einzelhändlern ins Blatt gesetzt wurden; weitere Schuh-Annoncen wurden aus Sande in Auftrag gegeben.

BZ, 3. November 1912

BZ, 25. Juli 1913

Obwohl die Preise, die 1913 nahezu unverändert blieben, maßvoll erscheinen, so muss doch angemerkt werden, dass sich nicht alle Menschen diese Art von Fußbekleidung leisten konnten: auch Holzschuhe wurden angeboten, man konnte gebrauchtes Schuhwerk kaufen, und in Sande wurde es im zweiten Kriegsjahr 1915 gestattet, barfuß zur Schule zu gehen.

Zehn Jahre später, also 1922, war von Nachkriegs-Erholung kaum etwas zu merken, was auch die Zeitung schmerzhaft zu spüren bekam: der Anzeigenteil schrumpfte erheblich. Das Warenhaus Biebler schaltete im zweiten Halbjahr nicht eine einzige Schuh-Anzeige (1912 waren es acht gewesen), Gebr. Behr gerade eine (1912: 14), und 1922 nannte nur ein ländlicher Einzelhändler, das Kaufhaus Hermann Kröger in Kirchwärder, Preise:

BZ, 7. Oktober 1922

BZ, 18. Dezember 1922

 

Auch wenn nicht sicher ist, ob die im Oktober angebotenen Schuhwaren mit denen des Dezembers identisch waren: der Begriff „Inflation“ bedarf hiernach keiner Erklärung mehr.

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Doping für die Schweine?

BZ, 29. Oktober 1921

Keine Angst: es ging nicht um Anabolika und dergleichen, sondern um eine Futterbeigabe, die auch heute nicht in einer Doping-Liste erscheinen würden: Futterkalk.

Es macht die Sau nicht unbedingt fett, aber es hilft ihr bei Wachstum und Mästung, wenn sie ausgewogen ernährt wird. Eine der häufigen Mangelerscheinungen wollte Josef Heller mit seinem Futterkalk beseitigen, und geht man nach dem Bildchen, war das Schwein ganz versessen auf dieses Beifutter.

BZ, 11. Oktober 1922

BZ, 12. November 1922

Ein anderes Schwein leckte sich die Schnauze nach einer wohl ähnlichen Flüssigkeit, ein weiteres betätigte sich als Fahnenträger für das von ihm bzw. seinem Halter bevorzugte Produkt. Beide Produkte – wie auch andere, für die in der BZ geworben wurde – sollten Knochenweiche verhindern bzw. bekämpfen. Doch dauernde Überdosen Kalk fördern nicht die Knochenbildung, sondern beeinträchtigen sie, sofern nicht ausreichend verwertbarer Phosphor vorhanden ist, wie es in einem aktuellen Leitfaden Schweinehaltung heißt. Immerhin: zwei  Anbieter nannten „phosphorsauren Futterkalk“ als Bestandteil ihrer Mischung („Fresau“, z.B. BZ vom 4. August und „Brockmann’s Zwerg-Marke“, z.B. BZ vom 23. September 1922), und ähnlich wird es bei den anderen gewesen sein.

Dankenswerterweise inserierte der „Sowa“-Hersteller mit Preisen; je nach Gebindegröße kostete seine Futterbeigabe zwischen 1,75 und 16,50 Mark (BZ vom 12. Dezember 1920). Zwar wurde die Menge nicht genannt, doch offenkundig zielte er nicht auf professionelle Landwirte, sondern auf Menschen, die sich ein oder zwei Schweine zur Aufbesserung des Speisezettels hielten und nur kleine Mengen benötigten. Ein Jahr später war der Preis auf 3,- bis 28,- Mark gestiegen (BZ vom 24. Dezember 1921), doch dann schlug die Inflation richtig zu: im Oktober 1922 verlangte er 25,- bis 225,- Mark. Seine weiteren Anzeigen erschienen ohne Preisangabe …

Übrigens: der angeführte Leitfaden Schweinehaltung (S. 72) empfiehlt heute Monocalciumphosphat und mikrobielle Phytase (zur besseren Phosphorverwertung) als Zusatzstoffe, weist aber darauf hin, dass in ökologisch wirtschaftenden Betrieben der Zusatz von Phytase nicht zulässig ist. Also doch Doping?

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Von Fischen, Steinen und einer Elbkarte

Vordestein am Kirchwerder Elbdeich

Auf Hamburger Gebiet ist er wohl der letzte seiner Art: ein Vordestein, der die Grenze zwischen zwei Fischereirevieren in der Elbe markiert. Er steht am Kirchwerder Elbdeich, nahe der Deichkrone bei Haus Nr. 120, auf der Lüttenburg. Auf dem gegenüberliegenden Elbufer stehen noch zwei: in Stöckte am Beginn der Straße Am Stöckter Hafen und in Fliegenberg am Kreuzdeich. Die Steine signalisieren, dass die Fischereirechte vor Kirchwerder besonders verwickelt waren – weiter elbauf- wie -abwärts kam man auf Seiten Hamburgs wohl ohne derartige Zeichen aus.

Für die Winsener Elbseite ist belegt, dass die Steine 1775 gefertigt wurden (Otto Puffahrt, S. 283), und vermutlich wurden die Steine auf Hamburger Seite zur selben Zeit gesetzt, denn im sogenannten Winsener Vergleich von 1756 hatten die Städte Hamburg und Lübeck sich mit dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg über die sieben Fischerei-Vorden vor Kirchwerder verständigt. Die Grenzen und ihre Markierungen sind auch in einer Karte von 1780 verzeichnet, die sich im Archiv des Museums für Bergedorf und die Vierlande befindet.

Ausschnitt der „CHARTE des Elb-Strohms, nämlich vom Zollenspeicher an bis Hamburg … die sogenannten sieben Fischer-Vohrden, deren Nahmen und Merkmale mit roth punktierten Linien … richtig angegeben …“ des Capitaines und Elb-Conducteurs Baxmann von 1784 (Original im Archiv des Museums für Bergedorf und die Vierlande, Fotografie Dr. Christel Oldenburg)

 

 

Fischfang wurde auf der Elbe natürlich auch vorher schon betrieben: die ältesten erhaltenen Urkunden der Herzöge von Sachsen-Lauenburg (Bergedorf-Möllner Linie) gewährten Fischern von Kirchwerder-Warwisch Fangrechte (1347), und 1362 erwarben elf Bewohner Altengammes „auf ewig“ vom Herzog das Fischereirecht; eine Urkunde von 1377 nennt den „Guldenvord“ (online Heinrich Reincke, S. 80): erst kamen also die Vorden, Jahrhunderte später die Steine. Doch weder die Grenzziehungen noch die Steinsetzungen konnten Auseinandersetzungen unter den Fischern und zwischen ihren Obrigkeiten verhindern – es gab schließlich Edelfische wie Lachs und Stör in der Elbe: im Rekordjahr 1775 zogen die Vierländer Fischer große Lachse im Gesamtgewicht von 14.000 Pfund aus dem Fluss, wie dem über Jahrhunderte geführten Bergedorfer Lachsregister zu entnehmen ist (Reincke, S. 74, siehe auch online Ernst Finder, Die Vierlande, Bd. 1, S. 181ff.).

Reincke schrieb in seinem vor bald neunzig Jahren publizierten Aufsatz, dass sich hier „Rechtszustände und Einrichtungen merkwürdigster Art länger als ein halbes Jahrtausend gehalten“ haben, und obwohl (oder weil?) der Fischfang in der Elbe immer weniger ertragreich wurde, wurden die Streitigkeiten bis in das 20. Jahrhundert fortgeführt, wie andeutungsweise dem Beitrag Die Plünderung der Oberelbe zu entnehmen. 1933 urteilte das Landgericht Hamburg, dass „seit unvordenklichen Zeiten“ im Hoopter- oder Kirchenvord die Hoopter Fischer auch im hamburgischen Wasser ihre Netze auswerfen durften (Eine ausführliche Schilderung der Historie findet man in einem Artikel des Bergedorfer Rechtsanwalts W. Kellinghusen in der (online) Bergedorfer Zeitung vom 15. Juli 1933, S. 9-10.) – über Jahrhunderte hatten die Hoopter dort auf ganzer Elbbreite das alleinige Fangrecht gehabt, die Fischer der Kirchwerder Seite konnten nur in der „kleinen Elbe“ direkt vor dem Deich tätig werden, die in dem Kartenausschnitt oben zu sehen ist.

Es war dies nicht der letzte große Fischereiprozess: die Nachfolger der 1362 privilegierten Altengammer Fischer führten Klage gegen die Freie und Hansestadt Hamburg, weil der Bau der Schleuse und der Staustufe bei Geesthacht die Fischerei beeinträchtigte, und unter Berufung auf die mittelalterliche Urkunde erhielten sie gerichtlich eine Schadenersatzzahlung zugesprochen – das Recht gilt fort, und wer vor Altengamme in der Elbe angeln will, muss eine Angelkarte erwerben, die der Kasse der seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden Fischereigenossenschaft Altengamme zugutekommt (Hierzu auch (online) Harald Richert, S. 169-171).

Für vielfältige Hilfe, Auskünfte und Unterstützung bei der Recherche bedanke ich mich bei Dr. Christel Oldenburg (ehemals Museum für Bergedorf und die Vierlande), bei Ilona Johannsen, Heinz Heinecke und Dr. J. Klahn vom Museum im Marstall Winsen bzw. vom Trägerverein des Museums, bei Dr. Caroline Bergen und Christine Eberlein vom Kultur- und Geschichtskontor Bergedorf, bei Hans-Jürgen Herr vom Fährhaus Altengamme und bei Simone Vollstädt.

 

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Die Steingrotte am Schneckenberg

„Verlo“ in der Steingrotte

„Unten am Schneckenberge an der Wasserseite ist von großen Felsblöcken eine künstliche Grotte hergestellt, die sicherlich jeden Besucher anheimelt und zu einem Besuche einladet.“ So schrieb die BZ am 1. Oktober 1896 über die gerade neugestalteten Grünanlagen rund um das Bergedorfer Schloss.  Links der Grottenmitte steht quasi hochkant ein großer Findling (ca. 1,5 Meter hoch), dessen oberes Ende auf dem Foto im herabhängenden Blattwerk verschwindet. Um diesen mit Bohrlöchern (unbekannten Datums) versehenen Stein ranken sich Geschichten, Legenden, kleinere Findlinge und Fragezeichen.

Als der als „Verlo“ bezeichnete Stein im Frühjahr 1896 von Wentorfer Gebiet aus (mit Genehmigung der Bismarckischen Oberförsters Lange) „nach Bergedorf behufs Verwendung bei den Parkanlagen des Schlosses“ gebracht wurde, war den Transportbeteiligten die Bedeutung des Steins nicht bekannt, der bei der Bergung zudem in mehrere Stücke zerbrochen war.

So zitierte Hans Kellinghusen in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1969 (Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Bd. 55 (1969), S. 1-6) einen offiziellen Bericht, auch die Auskunft des Bauinspektors Wulff, dass man den „erratischen Felsblock“ von „dem nördlich von der Bergedorfer Grenze belegenen Teil des auf dem Wege nach Börnsen liegenden Gehölzes ‚Sandwiesen‘“ genommen habe. Kellinghusen aber kam nach gründlicher Analyse einer die Grenzen Wentorfs beschreibenden Urkunde von 1290 zu dem Schluss, dass der Stein vor seiner Translozierung an der Schulenbrooksbek an einer „sumpfigen Stelle unterhalb des Krankenhauses Bethesda“ gelegen haben muss und es sich um den in der Urkunde genannten Grenzstein „Verlo“ handelte – die Tatbeteiligten von 1896 mussten sich also in der Ortsangabe geirrt haben.

Gerd Hoffmann und Helmuth Schlingemann verorten „Verlo“ wiederum in den Sandwiesen: folgt man ihnen auf dem Natur- und Geschichtspfad Bergedorf-Börnsen von 2007 (mit Kartenausschnitt), so wurde der Stein an der mit Nummer 15 bezeichneten Stelle entnommen. Für diese Verortung spricht auch ein Leserbrief in der BZ vom 26. November 1897, in der ein nur mit „s.“ bezeichneter Leser das Verschwinden des Steins von seinem dort belegenen (prä)historischen Platz beklagte: dort war „eine heilige Stätte des Alterthums, denn Verlo war eine Gottheit unserer heidnischen Vorfahren“, was in einem weiteren Leserbrief von Wilhelm Andresen bestätigt (BZ vom 30. November 1897),  von Hoffmann/Schlingemann wieder aufgegriffen wurde und sich heute auch auf der kleinen Texttafel vor der Schlossparkgrotte wiederfindet. Kellinghusen wiederum bezeichnete die Opferstätten-These (Andresen: „heidnischer Opferstein der alten Germanen“) als „Spekulation“, mit der er sich nicht weiter beschäftigen wollte. Dieser abweisenden Einschätzung Kellinghusens kann man problemlos folgen – in der Standortfrage lag er wohl daneben.

Man kann heute auf der Bank vor der Grotte meditieren (oder spekulieren), woher „Verlo“ kam und welche Funktion(en) er einst hatte, ob die ihn umgebenden Steine ausgegrabene Funde aus dem „nordwestlichen Theile des Gartens“ (BZ vom 24. Februar 1896) sind, wenn sie nicht zu den Fundamentsteinen des alten Schlossturms, des Zwingers, (dazu Olaf Matthes) gehört haben. Die „Verlo“ umgebenden Findlinge sind jedenfalls laut Victoria Overlack (Neuer Schlosskalender Nr. 5 (2006), S. 16), aufgrund ihrer abweichenden Textur nicht als seine Bruchstücke anzusehen. Das wirft natürlich die Frage auf, wo diese Bruchstücke gelandet sind …

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