Kraftdroschken und andere Fahrzeuge

Bergedorfer Zeitung, 3. Juli 1924

Per Kraftdroschke ans Ziel zu kommen war sicher bequemer als per pedes, aber es war natürlich auch teurer. Insofern kann man schließen, dass es zahlungskräftige Menschen in Bergedorf gab, die als Nutzer von Georg Jordans Taxiservice in Frage kamen. Jordan hatte schon vor dem Krieg ein solches Angebot bereitgehalten, es aber im Krieg wegen Brennstoffmangels aufgeben müssen (siehe den Beitrag Mehr Mangel).

Nun also nahm er den Betrieb wieder auf – fünfeinhalb Jahre nach Kriegsende schien ihm die Wirtschaftlichkeit wieder gegeben. Außerdem verfügte er über weitere Kraftwagen für (nicht näher definierte) „Fernfahrten“, die er wohl mit Chauffeur vermietete. Ein anderer Anbieter, A. Hinz aus Sande, vermietete ebenfalls: ein „Auto (geschlossen) für Stadt- und Fernfahrten“ (BZ vom 8. Mai 1924)

Bergedorfer Zeitung, 15. August 1924

Ab August hatte Jordans Kraftdroschke Konkurrenz: Wilhelm Wulf hatte „von jetzt an“ eine „Auto-Taxe“, und C.A. Riege übernahm „Last- und Personenfahrten“ mit dem Auto (BZ vom 22. August 1924). Zwar fuhren auch Wulfs preislich günstigere Pferdedroschken weiter, aber der Trend zur Motorisierung setzte sich fort (siehe z.B. den Beitrag 2021 zu Lastautomobilen), und Klagen über Rasende Autler fanden wiederholt ihren Niederschlag in der BZ.

Wo die motorbetriebenen Fahrzeuge mit Treibstoff versorgt wurden, ist unklar: erst 1923 inserierte mit A. Ricklefs (Sande, Große Straße) ein Anbieter von Benzin und „Auto-Oel“ (BZ vom 22. Mai 1923), aber auch vorher wird es Tankstellenbetreiber vor Ort gegeben haben. Eine Reparaturwerkstatt für Kraftfahrzeuge tauchte im Anzeigenteil der BZ erst 1924 auf (BZ vom 21. Juni 1924), was die Reparaturbedürftigkeit der Fahrzeuge nur unzureichend widerspiegeln dürfte. Die Entwicklung des Kfz-Gewerbes in Bergedorf-Sande ist weder der BZ noch den Branchenverzeichnissen des Adressbuches zu entnehmen.

BZ, 12.Juli 1924

Jordan übrigens rechnete mit technischen Problemen, ob bei eigenen oder fremden Autos.

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Die Geheimsitzung der Stadtvertretung

Bergedorfer Zeitung, 28. Juni 1924

„Geheime Sitzung“ nannte man früher den „nicht-öffentlichen Teil der Sitzung“ eines städtischen Gremiums. „Geheim“ klingt aufregender als es meistens war, aber in dieser geheimen Sitzung wurde ein echter Aufreger beschlossen, der prompt den Weg in die Zeitung fand: Bergedorf kaufte die örtlichen Besitzungen Richard Messtorffs, des Erben des Prinzen von Bergedorf.

War die Stadt Bergedorf an der hochherrschaftlichen Villa interessiert – oder an den Grundstücken? Jedenfalls beschloss die Stadtvertretung einstimmig den Kauf der Immobilie und der Grundstücke, laut BZ zu „in erster Linie Straßenregulierungs- und Ausbauzwecken zur Förderung des Siedlungswesens“. Da in dem Zeitungsbericht nur vom „Grundstück“ die Rede ist, könnte man also vermuten, dass der Bau von Wohnhäusern (ähnlich der Siedlung am Heinrich-Heine-Weg) auf der erworbenen Fläche von knapp 20.000 qm der Hauptgrund für den Erwerb war.

Aber was sollte mit der Villa geschehen? Eine gute Woche später schrieb die BZ: „man scheint sich in maßgebenden Kreisen über den Verwendungszweck selbst noch nicht im klaren zu sein“, und das ließ Raum für den (bestenfalls halbgaren) Vorschlag eines Bergedorfers, das Gebäude in eine städtische Festhalle umzuwandeln (BZ vom 8. Juli), woraus bekanntlich nichts wurde: das „schloßartige Gebäude“ (BZ) erhielt nach Teilabriss, Umbau und Erweiterung ein zweites Leben als Bergedorfs Rathaus.

Erstaunlicherweise tauchte das Thema 1924 in der BZ nicht wieder auf: demnach gab es keine Stellungnahmen von Vereinen, Verbänden und Parteien, auch keine weiteren Leserbriefe. Hinter den Kulissen wurde aber wohl an Zukunftsplänen gearbeitet, wie Olaf Matthes und Otto Steigleder (o.p., S. 15f.) schreiben. Die fundierte Darstellung dieser beiden Autoren weicht in einer Reihe von Punkten vom Zeitungsbericht ab: zwar nennen auch sie den Kaufpreis von 200.000 Mark (S. 22), äußern aber in Anm. 20 Zweifel an der Höhe: „Die Angaben über den Wert des Grundstücks differieren in den [amtlichen] Quellen.“ Das spricht nicht für eine vorbildliche Aktenführung.

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Die durchschlagskräftige Schreibmaschine mit sichtbarer Schrift

Bergedorfer Zeitung, 1. Juli 1924

Die Schreibmaschine „Kontor“ war mit ein gewichtiges Büromöbel, beachtliche 27 kg inklusive Versandverpackung (eine andere Maschine des selben Herstellers wog nur 12 Kilogramm, BZ vom 28. Juni), aber sie hatte laut Anzeige ihre Vorzüge: in eine durchschlagskräftige Maschine wurde hinter das zu beschreibende Blatt ein Blatt Kohlepapier gelegt und dahinter wiederum ein dünnes Blatt Papier und so weiter – je mehr Durchschlagskraft, desto mehr Exemplare ließen sich in einem Arbeitsgang herstellen. Die z.T. schwer lesbaren Durchschläge sind längst durch Fotokopien oder Mehrfachexemplare aus dem Drucker verdrängt worden.

BZ, 14. Januar 1924

Der Bergedorfer Gustav Weitkamp suchte eine Maschine mit sofort sichtbarer Schrift, was 1924 längst Standard gewesen sein dürfte (siehe Wikipedia), aber offenbar waren auch noch andere Modelle mit (zunächst) verdeckter Schrift in Gebrauch.

 

BZ, 6. Dezember 1924

Die BZ-Leser brauchten aber nicht auf den Versandhandel zu setzen: Rudolf Bentin bot Maschinen bekannterer Hersteller in Bergedorf an, allerdings ohne Preisangabe, ähnlich Erich Falke gegen Jahresende. Das von Werner Heinrichs für 30 Mark angebotene Gerät („stabil, leicht erlernbar, billig durch einfache Konstruktion“, BZ vom 4. Juli) wird wohl in eine andere Kategorie gehört haben.

BZ, 4. Dezember 1924

Gustav Weitkamp war möglicherweise mit seiner gekauften Maschine nicht zufrieden; jedenfalls wollte im Dezember jemand aus demselben Haus eine Reise-Schreibmaschine „Senta“ verkaufen.

Vermutlich waren alle angebotenen Schreibmaschinen rein mechanisch und bedurften einer erheblichen Anschlagskraft.

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Per Punt auf der Bille unterwegs

Der heutige Sportanhänger mag bei dem Wort „Punt“ an American Football denken, der Historiker an ein Goldland – der Bergedorfer dachte vor hundert Jahren an den Bootstyp , wie die Zeitungsanzeigen belegen. Im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache ist „Punt“ nicht zu finden, die deutschsprachige Wikipedia weiß nur, dass es sich um einen Bootstyp handelt. Das Hamburgische Wörterbuch kennt das Wort und den Bootstyp; in der englischsprachigen Wikipedia heißt es: „A punt is a flat-bottomed boat with a square-cut bow, designed for use in small rivers and shallow water“, also ein Boot mit flachem Boden und rechteckigem Bug für kleine Flüsse und geringe Wassertiefen. Das Hamburgische Wörterbuch schreibt, dass es „1920-30 [ein] beliebtes Sportboot auf der Alster“ war – im Lichte der Bergedorfer Anzeigen müsste hier auch die Bille als Einsatzgebiet genannt werden.

In Hamburg und Bergedorf sind Punts längst durch andere Bootstypen abgelöst worden; in den englischen Universitätsstädten Cambridge und Oxford sind sie zumindest als folkloristisches Element noch vorhanden. Da hier leider keine Fotografien von Punts auf der Bille vorliegen, muss es offenbleiben, ob sie ausschließlich per Stechpaddel (Hamburgisches Wörterbuch) bewegt oder nach englischem Vorbild mit einer Stange gestakt wurden.

Nachtrag: es liegt jetzt eine Ansichtskarte aus den späten 1920er Jahren vor, die ein Punt auf der Bille vor der neuen Badeanstalt zeigt. Die Fortbewegung erfolgte dort per Stechpaddel.

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Gefährliche Obstschalen

Bergedorfer Zeitung, 21. Juni 1924

„Apfelsinomanie“ nannte der BZ-Redakteur in seiner Wochenkolumne das Konsumverhalten im ersten Halbjahr 1924: angeblich aßen auf einmal alle Apfelsinen (dazu unten mehr). Viele ließen die Schalen einfach und achtlos fallen, doch das war strafbar und gefährlich (BZ vom 11. Februar), denn auf den Bürgersteigen würden die Reste zu „Wegelagerern gefährlichster Sorte“, brächten Menschen zu Fall und wären verantwortlich für verstauchte Füße und Knochenbrüche.

In Bergedorf schien alles recht glimpflich ausgegangen zu sein – im ganzen ersten Halbjahr gab es nicht eine einzige lokale orangenschalenbezogene Unfallmeldung in der BZ. Aus Hamburg wurde über mehrere Fälle summarisch berichtet (BZ vom 13. Juni) – im zweiten Halbjahr begann die offenbar noch gefährlichere Bananensaison, denn ganz konkret schrieb man über sechs obstschalenbedingte Einlieferungen in Hamburger Krankenhäuser. Dreimal wurden für die Stadt Hamburg explizit Ausrutscher auf Bananenschalen als Ursache für Verletzungen genannt (BZ vom 3. und 12. Juli sowie 3. September); Bergedorf blieb offenbar verschont.

„Ausgerechnet Bananen“ lösten die Apfelsinen als Unfallverursacher ab – diese Schlussworte des BZ-Artikels spielen auf den damals aktuellen (und in anderem Sinne etwas schlüpfrigen) Schlager gleichen Titels an (Näheres z.B. bei Wikipedia und im Volksliederarchiv mit unterschiedlichen Textversionen).

Nach Ende der Inflation wurde der deutsche Markt mit Südfrüchten „geradezu überschwemmt“: zeitweise waren 400.000 Kisten Orangen auf dem Seeweg nach Hamburg, wo die Läger bereits überfüllt waren (BZ vom 3. Februar) – in der Dissertation von Kerstin Wilke, Die deutsche Banane (S. 87), gibt es einen Preisvergleich für Berlin im Januar 1924; demnach kosteten dort zehn Apfelsinen soviel wie ein Kilogramm Äpfel oder vier Eier oder eine Banane. Für Bergedorf liegen keine Vergleichswerte vor.

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Die Viehhaltung auf der Bergedorfer Sternwarte

BZ, 2. Juni 1924

Frau Professor Schorr war keine Astronomin: sie war die Ehefrau des Direktors der Sternwarte, Prof. Dr. Richard Schorr, und sie war verantwortlich für den Haushalt der Familie, zu der auch sieben Kinder zählten. Da war es schon gut, dass man jeden Tag frische Milch von der eigenen Kuh bekam. Das Melken der Kuh sollte Aufgabe des neuen Dienstmädchens in der Direktorenvilla sein, denn „Frau Professor Schorr, die war ‘ne vornehme Frau. … Sie war immer so eine ganz elegante“, wie die auf der Sternwarte aufgewachsene Hilde Ritz Jahrzehnte später berichtete (zitiert bei Jochen Schramm, S. 188), und vornehme Frauen nahmen damals nicht auf einem Melkschemel Platz (heute wohl auch nicht).

BZ, 13. Juni 1924

Frau Professor Schramms Stellenangebot war offenbar nicht auf Anhieb erfolgreich, denn die Anzeige erschien am 6. Juni ein weiteres Mal. Auf das Angebot des Hamburger Jugendschutzes wäre sie wohl nur ungern eingegangen: ein Professorenhaushalt war doch etwas anderes als eine Landstelle.

Auch andere auf der Sternwarte wohnende Mitarbeiter hielten dort Nutztiere: Hilde Ritz erzählte von Ziegen, Hühnern, Gänsen und Kaninchen; außerdem wurde seit den Kriegsjahren Gemüseanbau auf dem eingezäunten weitläufigen Gelände des Observatoriums betrieben. Auf einer bei Schramm (ebd., S. 191) abgedruckten Luftaufnahme vom September 1928 sind Gemüsebeete nur außerhalb des Sternwartengeländes zu sehen – zum Friedhof hin sind allerdings kleine Baulichkeiten zu entdecken, die eventuell als Gartengeräteschuppen oder Ställe gedient haben könnten.

Soweit bekannt betreiben die heutigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Sternwarte dort keine Nutzviehhaltung mehr.

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Von Linden, Eichen und Wappenbäumen

Bergedorfer Zeitung 12. Juni 1924

Einer der Lindenbäume auf dem Bergedorfer Markplatz war verdorrt – die BZ vermutete eine undichte Gasleitung als Ursache und erwartete eine Ersatzpflanzung im Herbst, um die Baumgruppe wieder zu komplettieren.

 

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1924

Über das Verdorren der Linde hatte die BZ bereits blumig berichtet und dabei betont, dass die „drei ragenden Linden“ auf dem Markt „getreue Abbilder der Wappenbäume, als stolze Hüter geschichtlicher Tradition“ seien, was die Notwendigkeit einer Lückenschließung offensichtlich machte.

Allerdings sind Zweifel angebracht: einige Jahre zuvor waren es laut BZ vier Linden, die den Markplatz zierten bzw. zieren sollten, denn sie waren „nicht übermäßig stattlich“ (siehe den Beitrag Der nicht kriegsgemäße Marktplatz) – das Stadtwappen erfuhr zwar im Laufe der Jahrhunderte manche Veränderung, aber in allen Varianten zeigte und zeigt es drei Bäume auf drei angedeuteten Hügeln. Zur Zeit der Pflanzung der vier Bäume und auch noch 1917 dachte man also nicht daran, durch sie das Stadtwappen zu symbolisieren. Wann und weshalb zwischen 1917 und 1924 die Baumzahl auf drei reduziert wurde, war der BZ nicht zu entnehmen.

Generell scheint die Geschichte der Bergedorfer Stadtsiegel und des Stadtwappens nicht ausrecherchiert, denn man findet unterschiedliche Angaben dazu. Im Internet gibt es bei bergedorf-info.de und bei Wikipedia (am Ende der Seite) Abbildungen von Siegeln und Wappen, aber man hätte sich dort schon mehr Sorgfalt bei den Datierungen und Darstellungen gewünscht.

Auch muss die Frage gestellt werden, ob im Bergedorfer Wappen wirklich Lindenbäume zu sehen sind. Das älteste erhaltene Stadtsiegel zeigt zwar drei Bäume, aber die Art ist nicht zu erkennen; Harald Richert (S. 43) vermutet „eher drei Weidenbäume“.

Die Abbildung des Siegels von 1885 bei Wikipedia und bergedorf-info.de zeigt einen beeindruckenden Wappenschild, in dem das Bergedorfer Wappen (Mitte unten) von dem Lübecker, dem „Beiderstädtischen“ und dem Hamburger Wappen umgeben ist; das Bergedorfer Wappen zeigt auf dieser Abbildung drei Eichen, und an jedem der Stämme ist ein weiteres Wappen montiert, nämlich ein herzoglich Sachsen-Lauenburgisches, ein Hamburgisches und ein „Beiderstädtisches“, summa summarum sieben Wappen auf einem Schild. Wer sich dieses genauer ansehen möchte, hat dazu online Gelegenheit, denn dieser auf einem Bett von Eichenzweigen ruhende Wappenschild ziert die Titelseite der „Geschichte der Stadt Bergedorf“ von Georg Staunau – unterhalb des Bergedorf-Wappens findet man die Buchstaben „O. S.“, das Zeichen des Illustrators des Buches Oskar Schwindrazheim. Was Wikipedia und bergedorf-info.de zeigen, ist zeitgenössische Kunst mit unter anderem dem Bergedorfer Stadtwappen.

Siegelmarke „Magistrat der Stadt Bergedorf“, undatiert (vor 1924), Durchmesser 4 cm

Harald Richert (a.a.O.) meint, dass dieses Wappen von 1885 „nie offiziell genehmigt“ wurde, weil es für den Dienstgebrauch ungeeignet erschien – es gibt allerdings (siehe Abbildung rechts) Siegelmarken des Magistrats, die eine Prägevariante zeigen, und das „Eiserne Wappen“ von 1915 griff die Vorlage von 1885 wieder auf.

Wappenklarheit herrschte definitiv von 1927 bis 1938: der Bergedorfer Grafiker Max Lobusch erstellte im Auftrag der Stadt ein schlichtes Wappen mit drei Eichen, zu sehen bei bergedorf-info.de und Wikipedia. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz verlor Bergedorf 1938 seine Eigenständigkeit und das Wappen seinen offiziellen Charakter. Die Wappenbäume (Eichen) findet man heute auf der Ostseite des Mohnhofs; laut Hamburger Baumkataster war das Pflanzjahr 1985, der mittlere Baum wurde 1991 ersetzt.

(Die Bergedorfer Zeitung erschien übrigens ab dem 11. Mai 1913 jahrzehntelang mit Bergedorf-Wappen im Kopf, an den Baumstämmen die montierten „historischen“ Schilde – die Blätter der Bäume könnten auf Linden hindeuten.)

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Dumme gesucht

Es ist unerklärlich, warum gerade im Juni 1924 so viele Anzeigen in der BZ erschienen, die alle mit der Kopfzeile „Dumme gesucht“ hätten beginnen können. Im Januar hatte es genau ein derartiges Inserat gegeben (BZ vom 16. Januar: „Lohnende Generalvertretung“), im März auch eines (BZ vom 26. März: „Aufsichtsratsposten durch Aktienübernahme … Erforderlich 5-10.000 Mark“), im Juni waren es sechs.

BZ, 4. Juni 1924

BZ 7. Juni 1924

Die beiden ersten waren vom „Invalidendank“ aufgegeben worden – ob das noch die die nach dem deutsch-französischen Krieg gegründete Organisation zur Unterstützung von Kriegsinvaliden war oder eine Nachfolgeorganisation, die den (guten) Namen für dubiose Zwecke nutzte, wurde nicht geklärt, aber: ohne Geld, ohne Fachkenntnisse, ohne Risiko, hingegen kein Tag ohne Geldeingänge, abgesichert über Jahre, Teilzeitjob für jeden – glaubwürdig klingt es nicht, schon weil jede Tätigkeitsbeschreibung fehlt.

Bergewdorfer Zeitung, 12. Juni 1924

BZ, 24. Juni 1924

Andere suchten Vertreter für sensationelle Neuheiten oder schrieben das zumindest in die Annonce, aber man musste schon Geld mitbringen, um einsteigen zu können; die Größe des Gebiets des Alleinvertriebs hing vermutlich von der Höhe des eingebrachten Vermögens ab. Vergleichsweise konkret die Angaben in einer Chiffre-Anzeige, die direkt bei der BZ aufgegeben worden war – zudem erweckte das Inserat durch die räumliche Begrenzung den Eindruck, dass die Lizenz für andere Regionen schon verkauft worden war, und außerdem sollte es Besichtigung und Vorführung des Produkts in Bergedorf geben (vermutlich kostete das aber Eintritt).

BZ, 14. Juni 1924

BZ, 26. Juni 1924

Wer aber nur sein Geld zur Verfügung stellen wollte, konnte als stiller Teilhaber von einer Erfindung mit Weltbedeutung profitieren und brauchte ansonsten nichts zu tun – das war eventuell ein Gegensatz zu dem „Direktorposten“, der besetzt werden sollte, notfalls auch ohne Kapital. Vielleicht wurde nur ein ehrenamtlicher Frühstücksdirektor gesucht.

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Mysterienspiele in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 4. Juni 1924

Schon vor den Aufführungen der Haaß-Berkow-Spiele hatte die Bergedorfer Zeitung nur höchstes Lob für Gottfried Haaß-Berkow, „den eigentlichen Wiedererwecker der mittelalterlichen Volksspiele“, und seine Schauspieler, eine „auserwählte Schar von Jünglingen und Mädchen“ (BZ vom 2. Juni), und laut der begeisterten Theaterkritik wurden die Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt.

Man will dem BZ-Redakteur und Kritiker ja gar nicht unterstellen, dass er die Aufführung von Schröers „Spiel vom Sündenfall“ und Haaß-Berkows „Totentanz“ gar nicht miterlebt hat, aber die Präzision der theaterkundlichen Ausführungen und die Recherchetiefe legen die Vermutung nahe, dass er auf eine desbezügliche Darlegung aus dem Haaß-Berkow-Umkreis zurückgegriffen hat.

Bei der ersten der drei Aufführungen war der große Saal des Colosseums „gutbesetzt“,  beim dritten Abend („Das Zehn-Jungfrauen-Spiel“) lauschte „eine große Gemeinde“ – nur am Abend der Goethe-Spiele („Die Geschwister“ und „Die Laune des Verliebten“) „hätten [es] viel mehr sein müssen“, doch da gab es eine Konkurrenzveranstaltung in der Stadtschulaula: ein Liederabend zugunsten der Städtischen und Privaten Nothilfe(n) verzeichnete einen „überaus schlechten Besuch“ (BZ vom 5. und 6. Juni).

Die angegebenen Texte der Volksspiele sind in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorhanden.

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Klotzen statt kleckern beim Wohnungsbau?

Bergedorfer Zeitung, 17. Mai 1924

Klotzen beim Wohnungsbau, nicht kleckern – das war die Devise der neuen bürgerlich-rechten Mehrheit in Bergedorfs Stadtvertretung. Mindestens 58 Neubauwohnungen sollten die Not lindern, dafür seien un- und schlecht gepflasterte Straßen hinzunehmen. Die SPD lehnte dies ab: bei den Straßen dürfe nicht gekürzt werden, es müssten noch viel mehr Straßen gepflastert werden, und für die Finanzierung des Wohnungsbaus müsse man „von den Besitzenden Opfer“ verlangen (BZ vom 17. Mai).

Aber erst eine gute Woche später wurde zur Mittelverwendung Beschluss gefasst – und auf einmal waren alle, von weit rechts bis weit links, dafür, bei den Straßen zu sparen und das so verfügbare Geld, insgesamt 377.000 Mark, in den Neubau von Wohnungen zu stecken (BZ vom 28. Mai).

Bergedorfer Zeitung, 25. Juni 1924

Endgültig war dieser Beschluss aber nicht, denn der Rat der Stadt konstatierte, dass der Haushalt nicht ausgeglichen war, und so schlug er eine Herabsetzung des Wohnungsbautitels auf 250.000 Mark vor (BZ vom 25. Juni). Das akzeptierte die Stadtvertretung in der Sitzung am 27. Juni, nachdem ein SPD-Antrag auf weitere Herabsetzung der Position „Neubau von Wohnungen“ um 30.000 Mark abgelehnt worden war (BZ vom 28. Juni).

BZ, 11. Juni 1924

Bergedorfer Zeitung, 2. Juli 1924

Zu diesem Zeitpunkt war die Ausschreibung der Baumaßnahmen längst erfolgt, quasi im vorauseilenden Gehorsam des städtischen Bauamts, das damit aber konkrete Preisangaben erhielt. So konnte der Rat konkrete Festlegungen treffen: 36 Wohnungen für insgesamt 215.000 Mark sollten entstehen – die Ausgaben sollten also erneut gekürzt werden, vom beabsichtigten „Klotzen“ blieben nur „Klötzchen“.

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