Der Wahlrechtsentzug für die Kinder

Bergedorfer Zeitung, 5. März 1919

Dass nach der Nationalversammlung (19. Januar 1919) und der Hamburgischen Bürgerschaft (16. März 1919) am 13. April auch die Gemeindevertretungen neu gewählt werden sollten, ist nicht überraschend, auch nicht, dass die für die Wahl der Nationalversammlung eingeführten Prinzipien der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl auch auf der kommunalen Ebene gelten sollten.

Das bis dahin geltende Wahlrecht in der Stadt Bergedorf wurde schon im Beitrag Das Wahlrechtsreförmchen in Bergedorf angesprochen – in der Dorfschaft Geesthacht und den Gemeinden der Vierlande war es um einiges komplizierter (und von Dorf zu Dorf durchaus unterschiedlich), und deshalb soll hier ein Rückblick auf vorrevolutionäre Zeiten vorgenommen werden, als manche Minderjährige und Frauenzimmer wahlberechtigt waren.

Auszug aus dem Orts-Statut für die Hamburgische Landgemeinde Curslack von 1874 (gleichlautend § 3 der Ortsstatute für Kirchwärder, Neuengamme, Altengamme und Geesthacht)

Wählen durften dort also zu Kaisers Zeiten in der Regel nur steuerzahlende Männer, sofern sie „nicht in Anderer Kost und Lohn“ standen. Frauenzimmer, Minderjährige (offenbar ohne untere Altersgrenze), Körperschaften und nicht in der Gemeinde wohnende Grundbesitzer durften durch gemeindeangehörige Bevollmächtigte ihre Stimme abgeben, wenn auf ihrem Boden ein selbständiger landwirtschaftlicher oder gewerblicher Betrieb stattfand – selbst wählen durften sie also nicht, aber da das Wahlrecht sich aus Grundbesitz und Steuerzahlung herleitete, konnte man dem Grundbesitz das Wahlrecht nicht entziehen. (In Bergedorf war die Wahlberechtigung nur an die Steuerzahlung gebunden, nicht an den Grundbesitz; Sonderregelungen für Frauen und Minderjährige gab es keine.)

Die Revolution hatte nun ein demokratisches Wahlrecht hervorgebracht, in dem nicht mehr von „Frauenzimmern“ die Rede war, sondern nur noch vom gleichen Wahlrecht für volljährige Frauen und Männer. Das Wahlrecht für Minderjährige, bei denen es sich nur um Waisen bzw. Halbwaisen gehandelt haben kann, war entfallen.

Die neuen Regelungen waren für alle Gemeinden im Staate Hamburg gleich, während es vorher sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede gegeben hatte: in den Gemeinden der Vierlande, also Altengamme, Curslack, Neuengamme und Kirchwärder wurde zwischen Besitzern bzw. Pächtern größerer Grundstücke (5, 10, 10 bzw. 6 ha), Besitzern kleinerer Grundstücke und Nicht-Grundeigentümern unterschieden. Wählen durften alle Stimmberechtigten gleich, aber die Verteilung der Sitze auf die sozialen Gruppen war vorgegeben: in Curslack entfielen 5 Mandate auf die größeren Landbesitzer, ebenfalls 5 auf die kleineren und 2 auf die Grundbesitzlosen (§ 4). Ähnlich waren die Sitze in Altengamme und Neuengamme verteilt; in Kirchwärder stellten die Bauern die Hälfte der Abgeordneten (16 von 32), die Landbesitzlosen lediglich zwei. Damit stand in allen vier Gemeinden schon vor der Wahl fest, dass die Grundbesitzer die klare Mehrheit hatten – die „kleinen Leute“ konnten nur mitstimmen.

Wenn dies schon kompliziert genug erscheint: es ging noch komplizierter, nämlich in Kirchwärder, wo die Wahl in den sechs „Bauerschaften“ vorgenommen wurde, wo jeweils mindestens je zwei Vertreter der grundbesitzenden Gruppen gewählt werden mussten. Die Ermittlung der Sitzverteilung dürfte keine einfache Aufgabe gewesen sein.

Die Krone der ungleichen Wahl stand Geesthacht zu: hier gab es eine echte Klassenwahl, getrennt nach Hufnern, „älteren Käthnern“ (die zusätzlich zu ihrem Grundbesitz einen Heideanteil und Gerechtsame an Moor und Buschbergen hatten), neueren Käthnern und Steuerzahlern ohne Grundbesitz. Die Gemeindeversammlung bestand dann aus 3 Hufnern, 4 Altkätnern, 4 Neukätnern und 3 Grundbesitzlosen, die „von und aus den einzelnen Classen der Gemeindemitglieder“ zu wählen waren. Das waren keine demokratischen Wahlen, nicht für ein großes Dorf, und erst recht nicht für den Industriestandort mit über 5.000 Einwohnern (genaue Angaben bei Max Prüß(online)), zu dem Geesthacht geworden war.

Die Orts-Statuten, denen die vorstehenden Angaben entnommen sind, sind in der „Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg“, Jahrgang 1874, S. 346 – 406, online nachzulesen.

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Bodenreform statt Wohnungselend

Bergedorfer Zeitung, 28. Februar 1919

Schon in einem nicht-öffentlich gehaltenen Vortrag vor dem Gewerkschaftskartell, der SPD-Distriktsverwaltung und dem Vorstand des Bauarbeiterverbands, der dann doch seinen Weg in die Bergedorfer Zeitung fand (19. Februar), hatte Bergedorfs Stadtbaumeister Friedrich Wilhelm Rück massive Kritik an den unterschiedlichen Wohnwelten in der Stadt geübt, wie sie in den Beiträgen Die Gewerkschaften und der Kleinwohnungsbau und vor allem Die Wohnverhältnisse in Bergedorf aufgezeigt wurden. Nun legte er in einer öffentlichen DDP-Versammlung nach: die geltenden Boden- und Hypothekengesetze seien die „erste und letzte Hauptursache unseres sozialen Elends und der uns alle verderbenden Massennot“, und er forderte eine Bodenreform nach den Vorstellungen von  Adolf Damaschke: Wertsteigerungen von Grundstücken durch Ausweisung als Bauland sollten der öffentlichen Hand zufallen und nicht dem Grundeigentümer (siehe Adolf Damaschke, Die Bodenreform).

Schon der erste Bericht hatte zu einer Protestversammlung des Grundeigentümervereins geführt, in der Rechtsanwalt Kellinghusen die Stadt Bergedorf für die Missstände verantwortlich machte: sie habe durch ihre Grundstückskäufe auf dem Gojenberg für gestiegene Bodenpreise gesorgt, aber keine Wohnungen gebaut – die Vorwürfe Rücks seien haltlos. Damit stieß er in der Versammlung auf breite Zustimmung, und zur Interessenvertretung gegenüber der Stadt wurde ein Grundeigentümerrat gebildet (BZ vom 27. Februar), was aber sicher nicht bedeutete, dass die Beteiligten nun zu Befürwortern des Rätesystems generell geworden wären: wahrscheinlich hoffte man, dass ein „Rat“ in diesen Zeiten eher Gehör finden würde als ein bekannt konservativer Verein.

Dem war aber nicht so: im Sommer beschlossen Magistrat und Bürgervertreter, eine Gemeinde-Wertzuwachssteuer in Höhe von 140% der staatlichen Wertzuwachssteuer einzuführen (BZ vom 16. Juli) und diese Bodenwertzuwachssteuer rückwirkend ab 1. Januar 1918 zu erheben. Das ging zwar nicht so weit wie Damaschke und Rück gefordert hatten, aber es war immerhin ein Bodenreförmchen.

Friedrich Wilhelm Rück war seit Anfang 1919 zweiter Vorsitzender der DDP-Ortsgruppe und als Stadtbaumeister Nachfolger des Anfang 1917 verstorbenen Carl Dusi. Vorher war Rück als Architekt tätig: gemeinsam mit Hermann Distel entwarf er das neue Pastorat der St.Petri- und Pauli-Gemeinde (heute Bergedorfer Schlossstraße 2) und das Haus Wentorfer Straße 137, die beide in der Liste der Kulturdenkmäler im Bezirk Bergedorf aufgeführt sind.

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Die militärische Sicherheitswache und das gestörte Festmahl

Bergedorfer Zeitung, 1. März 1919

Bergedorfs Stadtparlament bewilligte dem Arbeiterrat einen Kredit und für den militärischen Sicherheitsdienst einen Vorschuss, doch es waren nicht allein die Kosten für den Sicherheitsdienst, die den Bürgervertreter Ohly störten: er hielt die Wache für schlicht überflüssig und forderte ihren Abzug aus Bergedorf. Schon einige Wochen vorher hatte der Gemeindevertreter Sievers in Sande „aus Sparsamkeitsgründen die Einschränkung der hier bestehenden Sicherheitswache des Soldatenrats“ gefordert (BZ vom 10. Februar).

Bergedorfer Zeitung, 2. April 1919

In der Stadt Bergedorf war die Zahl der Sicherheitsmänner bereits auf 40 halbiert worden, die sich mangels revolutionärer Umtriebe auf die Kriminalitätsbekämpfung geworfen hatten: von November 1918 bis Ende März 1919 gelang ihnen die Festnahme von 20 Einbrechern und 9 Dieben, „7 davon durch Mithilfe der Polizei“. Gegen Schleichhandel und Höchstpreisüberschreitungen bei Lebensmitteln ging sie durchaus erfolgreich vor, wenn auch die beschlagnahmte Menge von fünf Kilogramm Butter wohl nur einer Schneeflocke auf der Spitze eines Eisbergs entsprach.

Aber nicht jede Erfolgsmeldung der Sicherheitswache hatte Bestand, wie aus den folgenden zwei Artikeln hervorgeht:

Bergedorfer Zeitung, 2. April 1919

Bergedorfer Zeitung, 29. März 1919

 

 

 

 

 

 

Wiederum einige Wochen später meldete die BZ dann aus Bergedorf: „Die militärische Sicherheitswache ist auch hier aufgelöst worden.“ (BZ vom 19. April) Ob daraufhin wie in Sande die örtliche Polizei durch „Gemeindeeingesessene“ verstärkt wurde (BZ vom 29. März) ist unbekannt.

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Frauen zurück an den Herd!

Bergedorfer Zeitung, 25. Februar 1919

Auf dem Arbeitsmarkt hatte der Krieg für einschneidende Veränderungen gesorgt: für die zum Militärdienst einberufenen Männer waren in vielen Wirtschaftsbereichen Frauen eingestellt worden, siehe z. B. den Beitrag Die Frauenemanzipation und das Arbeitsamt in Bergedorf – jetzt kehrten die Männer ins Zivilleben zurück und suchten Arbeit. Der in Bergedorf und Sande sehr aktive Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband wusste, wie man ihnen helfen konnte: man brauchte nur die Frauen zu entlassen, zusätzlich sollte es in der städtischen Verwaltung „Notstandsarbeiten“ für stellenlose Familienväter geben.

In Hamburg war laut BZ zu diesem Zeitpunkt bereits eine gemeinsame Kommission von Vertretern des Arbeiter- und Soldatenrats und stellungslosen Handlungsgehilfen gebildet worden, die erreichen sollte, „daß die bei Behörden und kriegswirtschaftlichen Betrieben beschäftigten weiblichen Hilfskräfte durch Männer ersetzt werden“ (BZ vom 1. Februar).

BZ, 7. Februar 1919

Beleg für einen Protest der betroffenen Frauen ist die nebenstehende Anzeige des Kaufmännischen Verbands für weibliche Angestellte; über die Veranstaltung war in der BZ allerdings kein Bericht zu finden.

Dass Frauen von Entlassungen überproportional betroffen waren, ergibt sich aus den gemeldeten Arbeitslosenzahlen: Anfang Februar berichtete Ratmann Wiesner der SPD, dass es in Bergedorf 1.340 Arbeitslose gebe, darunter 260 Frauen (19,4%) (BZ vom 5. Februar) – in der zweiten Monatshälfte waren es laut Gewerkschaftskartell 2.439, davon 521 Frauen (21,4%) (BZ vom 21. Februar), Ende des Monats waren es laut Magistrat 2.229, davon 552 Frauen (24,8%) (BZ vom 1. März). Frauen erhielten zudem eine geringere Arbeitslosenunterstützung: ein Mann erhielt 4 Mark täglich, eine Frau 2,50 Mark (BZ vom 30. Januar) – in der Stadt Hamburg war die Differenz übrigens geringer: dort waren es 5 bzw. 4 Mark (BZ vom 8. Januar).

Vielen Frauen blieb also nur der Weg zurück in die Küche, auch den zwei Hilfslehrerinnen der Hansaschule, über die ihr Schulleiter Ferdinand Ohly (S. 36) schrieb: „Jetzt riefen sie, nach der Heimkehr des Gatten, häusliche Pflichten an den eigenen Herd“.

Bergedorfer Zeitung, 23. November 1918

Aber es war nicht immer der eigene Herd: schon kurz nach der Revolution hatte die BZ das „Ende der Dienstbotennot“ konstatiert, was die bürgerlichen Haushalte sicher erfreute. Auf die ohnehin geringen Löhne der Mädchen, Stützen, Köchinnen, Plätterinnen und Waschfrauen wird sich das nicht positiv ausgewirkt haben.

 

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Die Nachnutzung der Munitionsfabrik Weiffenbach

BZ, 19. Februar 1919

Es war vorbei mit der Munitions- und Pyrotechnischen Fabrik von Hermann Weiffenbach, gelegen in Sande an der Hamburger Straße (heute Lohbrügger Landstraße), über die schon in den Beiträgen Granatendrehen und andere Kriegsarbeit und Explosion in Sander Fabrik berichtet wurde.

 

BZ, 10. März 1919

Offenbar wurden jetzt überflüssige Holzschuppen und dergleichen verkauft, denn die Herstellung von Munition war von den Alliierten verboten worden, und nach Rudolf George/Christel Oldenburg (S. 31-34) wurden „die noch vorhandenen Munitionsbestände … abtransportiert sowie sämtliche Maschinen und einige Fabrikeinrichtungen zerstört.“

BZ, 17. März 1919

Die Erdwälle zwischen den Füllstationen (zur Verhinderung der Ausbreitung von Explosionen) waren nun nicht nur überflüssig, sondern störend für eine Nachnutzung des Geländes – also konnten sie sogar gratis abgefahren werden.

 

Bergedorfer Zeitung, 4. April 1919

Die Nachnutzung schien nicht lange auf sich warten zu lassen, denn nicht einmal zwei Monate später meldete die BZ den Verkauf des Geländes, angeblich für eine Webstofffabrik. Doch diese Pläne zerschlugen sich wohl, denn – möglicherweise nach einem erneuten Besitzerwechsel – die verbliebenen Bauten sollten Wohnzwecken dienen. Die von George/Oldenburg genannte Ausstattung der Gebäude lässt die herrschende Wohnungsnot erkennen: sie waren schlecht isoliert, Öfen und Herde mussten vermutlich von den Mietern beschafft werden, die Wohnungen waren klein und es gab nur Gemeinschaftstoiletten für jeweils mehrere Familien. Die Lage am Ortsrand Sandes war ein weiterer Nachteil – vorteilhaft waren vor allem die Möglichkeiten der Kleinviehhaltung und des Gemüseanbaus sowie die geringe Miete: vergleichbare Wohnungen auf der Glashütte am Weidenbaumsweg kosteten das dreieinhalbfache.

Die Siedlung der Weiffenbacher bestand bis in die 1950er Jahre. In den 1960ern wurden dann dort Wohnhäuser nach (damals) modernem Standard errichtet (George/Oldenburg, ebd.).

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Die Sicherheitswachen und die Waffenabgabe

BZ, 13. Februar 1919

BZ, 15. Februar 1919

Gleich zu Beginn der Revolution war in Bergedorf im Portici das Wachlokal des Soldatenrats eingerichtet worden (siehe den Beitrag Die Revolution erreicht Bergedorf), im Dezember dann erhielt Sande seine eigene militärische Sicherheitswache (siehe den Beitrag Sande und der Arbeiter- und Soldatenrat) – nun wurden ihre Führer durch die „militärische Sicherheitskompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments 76“ ausgewechselt.

Vermutlich stand diese Reorganisation im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Bremer Räterepublik (siehe Jörn Brinkhus, S. 57-69), die in Hamburg u.a. dazu geführt hatten, dass das Stadthaus von etwa 2.000 Personen gestürmt wurde, die sich die dort lagernden Waffen aneigneten (BZ vom 7. Februar 1919). Am 11. Februar ordnete der Siebener-Ausschuss des Hamburger Soldatenrats an, dass alle Waffen binnen 48 Stunden abzugeben seien, um der „wilden Bewaffnung“ ein Ende zu bereiten und das Waffenmonopol der Ordnungskräfte wieder herzustellen. Zwischenzeitlich war es zu bewaffneten Plünderungen sowie Feuergefechten zwischen Plünderern und Sicherheitsmännern gekommen (BZ vom 11. Februar).

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1919

Für Bergedorf und Sande waren zwar im Gegensatz zu Hamburg keine Meldungen über Schießereien zwischen Sicherheitsmannschaften und Plünderern bzw. Räubern zu finden, aber die Waffenabgabe sollte auch hier durchgesetzt werden, wenn auch mit (der ortsüblichen) Verzögerung und längerer Fristsetzung, und es verstrichen weitere Tage, bis sich auch der Soldatenrat der Vierlande zu einem entsprechenden Aufruf veranlasst sah (BZ vom 22. Februar). Meldungen über Erfolge oder Misserfolge gab es nicht.

BZ, 22. Februar 1919

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Das Schadenfeuer am Neuen Deich

Bergedorfer Zeitung, 15. Februar 1919

Auch ohne die damaligen Preise für Rohvaseline und Paraffine zu kennen und damit die Mengen abschätzen zu können, wird man sagen können, dass es kein kleiner Brand war, über den die Zeitung hier berichtete – Bergedorfs Feuerwehr setzte immerhin zwei Rohre bei den Löscharbeiten ein. Personen kamen offenbar nicht zu Schaden.

 

BZ. 26. Juni 1918

Über die geschädigte Firma ist wenig bekannt; in den Sammelbänden zur Bergedorfer Industrie taucht sie nicht auf, auch im Bergedorfer Adressbuch 1915 war sie nicht verzeichnet. Sie scheint erst während des Krieges gegründet worden zu sein, eventuell sogar erst 1918: da erschien erstmals eine Stellenanzeige der Bergedorfer Wachs- und Oel-Werke, Karl-Heinr. von Gerstenberg, der noch einige weitere folgten. Der Direktor und Inhaber K. H. Freiherr von Gerstenberg war in den Hamburger Adressbüchern für 1918 bis 1920 mit der Bergedorfer Anschrift Bismarckstraße 13 eingetragen, wohnte also im Villenviertel.

Es muss bezweifelt werden, dass es sich um eine reine Handelsgesellschaft handelte, wie es im Artikel oben hieß, denn von Gerstenberg wurde in den Adressbüchern als Fabrikdirektor bezeichnet, und es wird kein Teekessel gewesen sein, dessen Überkochen das Feuer verursacht hatte. Unbekannt ist auch, welche Produkte hergestellt wurden und an wen sie geliefert wurden – bemerkenswert ist allerdings, dass es eine militärische Dienststelle war, die die Lagerung in einem separaten Gebäude angeordnet hatte, weil wohl für den Krieg produziert wurde: Vaseline wurde in manchen Schießpulvern als Stabilisator eingesetzt, allerdings nicht in Alfred Nobels Ballistit, dem Hauptprodukt der Dynamitwerke Krümmel.

BZ, 22. Mai 1919

Ende Februar schied Gerstenberg als Geschäftsführer aus (BZ vom 4. März); ein Vierteljahr später wurde die Firma liquidiert. Im Juni wurde der Bergedorfer Rechtsanwalt Müller als Konkursverwalter eingesetzt (BZ vom 21. Juni), doch er konnte nichts mehr retten: das Konkursverfahren wurde mangels Masse zügig eingestellt (BZ vom 28. Juni).

Ob für den Niedergang der Firma das Ausbleiben von Rüstungsaufträgen ursächlich oder die Schadenshöhe durch das Feuer ausschlaggebend war, muss offenbleiben.

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Die Rückkehr der kriegsgefangenen Russen

Bergedorfer Zeitung, 10. Februar 1919

Das war sicher eine Überraschung: die zur Repatriierung in Sammellager verbrachten kriegsgefangenen Russen kamen wieder nach Kirchwärder-Warwisch, offenbar aus eigenem Antrieb, aus dem Lager Parchim in Mecklenburg, trotz Winterwetters, wahrscheinlich zu Fuß, über ca. 140 Kilometer.

(nicht datierbare Ansichtskarte)

Das war nach Jochen Oltmer (S. 269ff.) durchaus kein Einzelfall: in der Provinz Hannover kam es zu einer erheblichen Zahl solcher Entweichungen, Landwirte verleiteten Gefangene sogar zur Flucht, um sie (wieder) als Arbeitskräfte zu bekommen, denn trotz allgemein hoher Arbeitslosigkeit fehlte in der Landwirtschaft (wegen der Arbeitsbedingungen und der niedrigen Löhne) Personal.

Die bessere Verpflegung mag ein wichtiges Motiv für eine Flucht gewesen sein, aber die sonstigen Zustände im Lager werden ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Wie human die Russen seitens der Landbevölkerung in Kirchwärder behandelt wurden, ist nicht bekannt, aber dass es ihnen hier besser erging, ist plausibel: für die Bewacher in Parchim waren sie eher eine Last, für die Bauern eine Unterstützung.

Was letztlich aus diesen Russen wurde, ist nicht bekannt – möglicherweise blieben sie oder einige von ihnen über Jahre in Deutschland (siehe hierzu ebenfalls Oltmer, ebd.): der Aufenthalt konnte amtlich gestattet werden, wenn dem Arbeitgeber keine deutschen Arbeitskräfte zugewiesen werden konnten (BZ vom 1. August 1919).

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Die Nachkriegs-Arbeitslosigkeit in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1919

1080 männliche, 260 weibliche Arbeitslose waren beim Arbeitsamt der Stadt Bergedorf gemeldet, wie Ratmann Wiesner in einer Mitgliederversammlung der SPD erklärte (Gesamtbevölkerung Bergedorfs etwa 16.000, d.h. einschließlich Kindern und Rentnern). Nicht nur in der Pulverfabrik Düneberg und den Dynamitwerke Krümmel gab es keine Arbeit mehr, die Munitionsfabrik Weiffenbach hatte den Betrieb eingestellt, bei einer Reihe weiterer Firmen, die im Beitrag Granatendrehen und andere Kriegsarbeit genannt wurden, waren die direkten und indirekten Rüstungslieferungen ebenso entfallen. Neue Arbeitsplätze entstanden meist nur durch „Notstandsarbeiten“, z. B. beim Bau der Hamburger Marschbahn – betrüblich für Bergedorf war, dass ein vergleichbares Projekt, der Bau einer Schnellbahn von Billbrook nach Bergedorf, nicht zur Realisierung gelangte.

Die finanzielle Unterstützung der Arbeitslosen war schmal bemessen: der Höchstsatz für Männer betrug 4 Mark täglich, für Frauen 2,50 Mark, für Jugendliche lag er noch darunter (BZ vom 30. Januar 1919). Nicht-rationierte Lebensmittel (außer Rüben) waren teuer, z.B. Zwiebeln 32 Pfennig und Dörr-Weißkohl 2,20 Mark pro Pfund; für die karge Kartoffelration von vier Pfund waren 48 Pfennig aufzuwenden (BZ vom 1. Februar 1919).

Bergedorfer Zeitung, 4. Februar 1919

Es kann daher nicht überraschen, dass es auch in Bergedorf zu Versammlungen von Arbeitslosen kam, die sich u.a. dagegen wehrten, in der Zeitung als „Arbeitsscheue“ gebrandmarkt zu werden. Die BZ erklärte dazu, dass sie den Begriff nur in „unveränderten Wiedergaben offiziöser Berichte“ verwandt habe, aber die örtlich „schwierige Lage infolge der Stillegung einer Reihe von Fabriken“ nicht verkenne und die hiesigen Arbeitslosen nicht habe diskriminieren wollen. Ob dies aufrichtig gemeint war oder eher furchtgetrieben nach den vorangegangenen Ereignissen in Hamburg (siehe die Beiträge zur Bergedorfer Demonstration und zur Neujahrsdemo in Bergedorf und Sande)?

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Von Grußpflicht, Drahtverhau und Kameradschaft

Vordergründig stritten sie über den militärischen Gruß, aber eigentlich ging es um „alte“ gegen „neue“ Ordnung, um „Offizierskaste“ und „Proletarier im Waffenrock“.

Bergedorfer Zeitung, 3. Februar 1919

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1919

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dem Bergedorfer Rechtsanwalt Dr. Walther Timm, Hauptmann der Reserve, war die Pflicht zum „kameradschaftlichen Gruß“ unter Soldaten „das allen zustehende Ehrenrecht“. Der Leiter der Bergedorfer Sicherheitswache Kurt Thies wollte dagegen die Grußpflicht nicht durchsetzen: für ihn war sie eine der „alten lächerlichen Formen des preußischen Kadavergehorsams“, in seinen Augen hatten „die Herren Offiziere“ zu „den Proletariern im Waffenrock“ keine Kameradschaft gepflegt, hatten im Krieg Leckerbissen verzehrt, während ihre Untergebenen Drahtverhau zu essen bekamen.

Für Timm war die „alte, ruhmreiche Armee durch systematische Untergrabung und bewußte Ausschaltung jeder Autorität und jeder Disziplin eine stumpfe Waffe geworden“; dabei würde eine schlagkräftige Truppe im „Ostschutz“ dringend benötigt. Thies dagegen lehnte „weitere Kriegsabenteuer“ ab.

Auslöser des Leserbriefwechsels war eine Anordnung des Kriegsministeriums (mit Zustimmung der Reichsregierung und des Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte) über die Kommandogewalt, in der auch vorgeschrieben wurde, dass Untergebene ihre Vorgesetzten zu grüßen hätten – wichtiger war darin aber die Regelung, dass ab sofort alle militärischen Befehle nur von den Vorgesetzten, also den Offizieren, erteilt werden sollten (BZ vom 22. Januar). Diese Entmachtung und Rückkehr zur alten Ordnung führte zum Protest vieler Soldatenräte, u.a. des IX. Armeekorps (BZ vom 27. und 31. Januar sowie 1. Februar). Als die Reichsregierung mit militärischen Mitteln gegen die (von den Kommunisten und Unabhängigen ausgerufene) Bremer Räterepublik (zu Bremen siehe Jörn Brinkhus, S. 57-69) vorging, wurden in Hamburg Freiwillige als „Volkswehr“ zur Unterstützung des Bremer Rats mobilisiert, ein Streik der Bahnbeamten verhinderte aber ihre Abreise und somit ihr Eingreifen (BZ vom 30. Januar bis 5. Februar).

Die Ereignisse zeigen, wie instabil damals die politische Lage war: letztlich konnte sich hier die „neue“ Ordnung im Bündnis mit den Militärs der „alten“ Ordnung gegen die Verfechter einer „ganz neuen“ Ordnung durchsetzen.

Bergedorfer Zeitung, 6. Februar 1919

Der Bergedorfer Leserbrief-Streit um die Grußpflicht wurde nach der Veröffentlichung weiterer drei Zuschriften von der BZ für beendet erklärt. Das letzte Wort hatte man Timm überlassen. Weitere Meldungen zum militärischen Grüßen in Bergedorf gab es nicht.

 

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