Das Stadtexperiment von Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1921

Musste man Gedankenleser sein, um zu erkennen, was Herr José Sibian bei seinem Gastauftritt im Union-Theater präsentieren wollte? Nein – es genügte, zu den Lesern der Bergedorfer Zeitung zu gehören, denn diesen waren der Name und die Kunst des Herrn seit knapp einer Woche bekannt: José Sibian war Telepath. Also er war es, der Gedanken lesen musste und – glaubt man dem Bericht vom Vortag – dieses auch konnte.

Bergedorfer Zeitung, 8. August 1921

An diesem Sonntag vor seiner Präsentation im Union-Theater hatte Sibian mit seinem „Stadtexperiment“ für einen großen Auflauf gesorgt, der Markt war „schwarz voll Menschen“, die allerdings wenig zu sehen bekamen. Der Redakteur der BZ war mächtig beeindruckt von dem Experiment, an dem er als Beobachter teilgenommen zu haben scheint: Sibian musste auf einer Rundtour durch Bergedorf eine Reihe von Aufgaben erledigen, von denen Skeptiker sagen würden, dass wohl geschummelt wurde dabei: vermutlich hätte alles nicht geklappt, wenn zur angeblichen Telepathie nicht noch der Handgelenks-Kontakt zu den drei „Unparteiischen“ gekommen wäre, und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass gerade das Union-Kino (und nicht etwa das Hansa-Kino) für eine Reihe telepathischer Höchstleistungen aufzusuchen war, darunter der fingierte Diebstahl von Kinokarten.

BZ, 13. August 1921

Die Werbeanzeigen in der BZ für José Sibian waren zunächst groß, aber die erhoffte Teilnehmerzahl bei den Vorführungen wohl nicht, denn die Annonce, die seinen letzten Bergedorfer Auftritt fünf Tage später ankündigten, war eher zu einer Kleinanzeige geschrumpft. Vielleicht hatte der Künstler aber die Gedanken der Bergedorfer gelesen und gefolgert, dass auch das kostensparendere Format ihm und dem Kinobetreiber ausreichend Besuch bescheren würde.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Markenbrot und markenfreies Brot

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1921

Das Markenbrot wurde teurer, erstmals seit mehr als einem Jahr. Dafür fiel die Steigerung um so heftiger aus, und es folgten bis Jahresende sogar noch mehr Erhöhungen.

Es gab weiterhin Brotrationen auf Marken, für einen Erwachsenen 1.900 Gramm pro Woche. Die preisgünstigste Sorte „Markenbrot“, das (Roggen-)Grobbrot, das im Mai 1920 noch 2,20 Mark für 1.000 Gramm gekostet hatte, wurde nun auf 3,40 verteuert. Nach zwei weiteren Preisrunden waren 3,90 Mark zu zahlen, also zehnmal mehr als noch Mitte 1918: da waren es 38 Pfennige gewesen. Die Preise für die anderen Brotsorten stiegen zwischen 625 und 894 Prozent in diesen dreieinhalb Jahren (BZ vom 8. Juni 1918, 3. Mai 1920, 8. August, 27. Oktober und 23. Dezember 1921, Preise hier ggf. umgerechnet auf 1.000 Gramm).

Immerhin, die Qualität der Backwaren könnte besser geworden sein: hieß es noch 1920, dass mindestens 10 Prozent Streckungsmittel enthalten sein müssten (BZ: „die gewagtesten Streckungsmittel“, BZ vom 14. August 1920), so durfte ab Mitte August 1921 nur noch Gerstenmehl dem Markenbrot beigemischt werden, und ab diesem Zeitpunkt gab es sogar Brot ohne Beimischungen: es kam „markenfreies“ Brot in den Handel, das gemäß einer Festlegung der Bäckerinnung Hamburg weder Kartoffel- noch Hafer- oder Maismehl oder andere „Beigaben“ enthielt. Das hatte jedoch seinen Preis: für ein „Wittenberger Brot“ wurden im August 1921 bereits 8,00 Mark für tausend Gramm gefordert; ein Roggen-Landbrot gab es für 4,00 Mark pro Kilogramm (BZ vom 8., 12. und 24. August 1921). Die etwas Zahlungskräftigeren konnten sich nun besseres Brot gönnen und verzehrten vielleicht auch mehr.

Der Preis für das Markenbrot war und blieb subventioniert: die Landwirte mussten den größeren Teil des von ihnen geernteten Brotgetreides zu einem festgesetzten Höchstpreis abliefern. Der Brotpreis wurde dadurch stabilisiert, wofür das Reich über 10 Milliarden Mark aufwandte – das Geld kam aus der Notenpresse. Die angekündigte Subventionskürzung wiederum führte zur Forderung der Gewerkschaften nach höheren Löhnen (BZ vom 19. Juli 1921), und mit höheren Lohn- und gestiegenen anderen Kosten wurden dann die weiteren Preiserhöhungen begründet (BZ vom 27. Oktober, 11. November und 2. Dezember 1921) …

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Eierkochen im Sande?

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1921

War es wirklich so heiß gewesen in Bergedorf, dass man Eier im Sand kochen konnte? Immerhin, es hatte einen Hitzerekord von 32 Grad Lufttemperatur gegeben, die Bodentemperatur an der Sternwarte hatte sogar 42 Grad betragen. Da schrieb die Bergedorfer Zeitung: „Es bewahrheitete sich also das Sprichwort, daß man Eier im Sande kochen kann, denn bei 42 Grad wird das Eiweiß tatsächlich fest.“

Tatsächlich? Wurde das Experiment wirklich durchgeführt, und wenn ja, von wem? Hat diese Person anschließend das Ei verzehrt, und wie hat es ihr geschmeckt?

Wenn sich die Eigenschaften von Eiweiß in den letzten hundert Jahren nicht grundlegend geändert haben, sind die Angaben zu bezweifeln, selbst wenn es 42 Grad Réaumur, entsprechend 52,5 Grad Celsius, gewesen sein sollten: Eiweiß, auch Eiklar genannt, benötigt 70 Grad Celsius um zu „denaturieren“, d.h. fest zu werden, wie auf einer vertrauenswürdig erscheinenden Eierkochseite des Westdeutschen Rundfunks nachzulesen ist: „Wer also ein Ei bei 68° C kocht kann sicher sein, dass das Eiklar flüssig bleibt. Ob es sich [sic!] dann jedoch als Frühstücksei taugt, wage ich zu bezweifeln.“

Über eventuelle Wiederholungen des Kochversuchs im Sande konnte die BZ 1921 nicht berichten, denn die Temperaturen wurden in jenem Jahr nicht wieder erreicht. Bei 42° C übrigens denaturieren „einige Proteine der roten Blutkörperchen“, wie es bei Wikipedia heißt.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Die Modernisierung der ländlichen Feuerwehren

Bergedorfer Zeitung, 3. August 1921

In allen Dörfern des Landgebiets wurde die Einführung von Motorspritzen für die Feuerwehr beschlossen, so wie hier Kirchwärder – das waren aber keine Motorfahrzeuge: lediglich die Druckpumpen hatten Verbrennungsmotoren, gezogen wurden sie von Pferden.

Heutzutage liegen in jeder Straße Hydranten, aus denen die Feuerwehr bei Bränden ihr Löschwasser erhält – vor hundert Jahren gab es in den Dörfern der Landherrenschaften noch keine Wasserleitungen, und die Feuerwehr musste sehen, wie sie an Wasser kam. Das konnte höchst problematisch sein, wie man bei dem Großfeuer in Zollenspieker bitter erfahren musste. Die örtlichen Wehren verfügten meist nur über von Hand betriebene Spritzen (siehe die Abbildung bei den Hamburger Feuerwehr-Historikern), die nur wenig leistungsfähig waren und viel Personal benötigten, das immer schwieriger zu beschaffen war, wie die Gemeindevertretung von Curslack beklagte (BZ vom 30. Mai 1921).

Kurz vorher hatte die Hamburger Feuerwehr eine Motorspritze vorgeführt, und die anwesenden Löschvorstände der Vierländer Wehren waren beeindruckt: der acht PS starke Vierzylindermotor (BZ vom 23. Mai 1921) machte es möglich, „das Wasser bis zur [Curslacker] Kirchturmsspitze hinaufzubringen“, wie es in der Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Curslack heißt. Davon waren die Gemeindevertretungen ebenfalls angetan; sowohl Curslack als auch Kirchwärder beschlossen den Kauf einer solchen Einrichtung, die immerhin 60.000 Mark kosten sollte.

Offenbar blieb die vorgeführte Motorspritze in Curslack, wie die FF Curslack (ebd.) schreibt – sie war damit die modernste in den Vierlanden. Bis die anderen Wehren ihre Motorspritzen erhielten, dauerte es noch – die im Internet verfügbaren Informationen sind z.T. widersprüchlich: folgt man der durchaus informativen Darstellung der Feuerwehrhistoriker Hamburg, so bekamen die Wehren Curslack und Kirchwärder Süden Seite die neuen Geräte 1924 – folgt man den Chroniken der Wehren, die wohl verlässlicher sein dürften, erhielten die Kirchwärder Wehren im April 1923 (Südseite) bzw. 1925 (Nordseite) die von Pferden zu ziehenden Anhänger mit Motorspritzen, Curslack 1924 bereits eine neue. 1926 kam dann die FF Neuengamme an die Spitze des Fortschritts: sie erhielt das erste Feuerwehr-Motorfahrzeug des Landgebiets.

Die Motorspritze der FF Kirchwärder Süden Seite vor dem Zollenspieker Fährhaus (Sammlung Söhnke Marquardt)

Löschvorführung der Motorspritze der FF Kirchwärder Süden Seite (Sammlung Söhnke Marquardt)

 

 

 

 

 

 

Bergedorfer Zeitung, 3. Januar 1921

Aber wahrscheinlich wäre in dem nebenstehend geschilderten Fall auch die allermodernste Feuerwehr machtlos gewesen, denn das Spritzenhaus lag zu weit entfernt. Dietrich Timm ließ den Nachfolgebau in Massivbauweise mit Hartbedachung errichten, und dieser hat die Zeiten überdauert.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Der erbitterte Streit um die Flaggenfarben

BZ, 28. Juli 1921

Hinter der scheinbar unschuldigen Kleinanzeige stand ein erbitterter Streit: die neuen Farben des Reichs waren schwarz-rot-gold – Herr Michaelsen aus Bergedorf suchte aber eine schwarz-weiß-rote Flagge.

Dahinter stand ein mit harten Bandagen geführter Streit, denn es gab neben der Reichsflagge auch die von Seeschiffen zu führende „Handelsflagge“ – im Kaiserreich war sie identisch mit der Reichsflagge gewesen.

Die Weimarer Nationalversammlung hatte dies bereits 1919 entschieden und in Artikel 3 festgelegt: „Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.“ Man kann fragen, warum es so lange dauerte, aber im Frühjahr 1921 hatte der Reichspräsident bekanntgemacht, dass die „alte“ Handelsflagge nur bis Ende des Jahres gehisst werden durfte (BZ vom 27. April 1921), und das rief die Freunde von Schwarz-weiß-rot auf den Plan: „Unter diesen Farben habe Deutschland sich entwickelt und sich Achtung bei allen Völkern erworben“, gab die BZ aus einer Rede des Hansaschul-Direktors Prof. Ohly vor dem Bergedorfer Militärverein Germania wieder: „Die Rede fand rauschenden Beifall, und stehend sang die Versammlung des Flaggenlied.“ (BZ vom 11. Juli 1921)

Ohly sagte zwar, dass die Flaggenfrage keine politische sei, aber das Flaggenlied war ein politisches, unter anderem wegen der Zeilen: „Es tönet hell durch Deutschlands Gau’n – Heil! Kaiser Wilhelm dir! – Du kannst auf uns’re Treue bau’n – Wir folgen mutig dir!“ Und so liegt die Vermutung nahe, dass die Frage der Handelsflagge nur vorgeschoben war: man wollte zurück in die angeblich goldene Vergangenheit.

Natürlich war dies keine Bergedorfensie: die Senate der drei Hansestädte hatten sich für die alte Handelsflagge ausgesprochen (BZ vom 24. Juni), ein entsprechender Antrag im Reichstag hatte nicht die nötige verfassungsändernde Mehrheit erreicht (BZ vom 28. Juni), bei einer Debatte in der Hamburger Bürgerschaft hatten die „Tumultszenen“ zu einer zweistündigen Sitzungsunterbrechung geführt (BZ vom 9. Juli), und ein „Bürgerbund Hamburg-Altona-Wandsbek“ führt eine Protestversammlung und einen Flaggenkorso auf der Außenalster durch (BZ vom 30. Juli und 1. August) – und vielleicht dafür suchte der Bergedorfer Michaelis seine Flagge. Am Tage dieses Bootskorsos demonstrierten andere (nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland und den Entente-Ländern) unter dem Motto „Nie wieder Krieg“. Über diese Kundgebung berichtete die BZ, die die Bürgerbund-Veranstaltungen detailliert und überschwänglich gefeiert hatte, mit deutlicher Kritik: „in Hamburg wurde sie leider bewußt zur Gegendemonstration gegen die Schwarz-weiß-rot-Kundgebung am Tage vorher gemacht.“ (BZ vom 1. August)

In Bergedorf zeigte sich der Flaggenstreit in Form von Diebstählen:

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1921

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1921

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Der Geschäftsbericht der Produktiven Erwerbslosenfürsorge Bergedorf-Sande

Bergedorfer Zeitung, 27. Juli 1921

Die Ende 1920 beschlossene Produktive Erwerbslosenfürsorge hatte eine Menge bewegt, vor allem Erde – insofern war dieses Bergedorf-Sander Gemeinschaftsvorhaben erfolgreich. Das Finanzierungskonzept über eine freiwillige Selbstbesteuerung war dagegen nur in Ansätzen aufgegangen: freiwillige Beiträge der Geschäftsleute, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sollten ja die Beschäftigung von Arbeitslosen bei gemeinnützigen Projekten ermöglichen. Die Bergedorfer Kommunisten lehnten dies als Unfug ab; sie verlangten u.a. die Einstellung aller Arbeitslosen in die vorhandenen Betriebe; stillgelegte Betriebe sollten reaktiviert werden (BZ vom 6. Januar und 31. März 1921).

63.000 Mark waren im ersten Halbjahr von den potentiellen Zahlern eingegangen, offenbar weit weniger als erwartet, und so wurde am Ende des hier von der BZ wiedergegebenen Geschäftsberichts der Appell wiederholt, sich solidarisch an den Zahlungen zu beteiligen. Die Freiwilligkeit hielt sich also in Grenzen – über den Daumen gepeilt wurde wohl nicht einmal eine Mark monatlich pro Beschäftigtem gespendet –, und die öffentlichen Zuschüsse vor allem aus den (klammen) Stadtkassen von Bergedorf und Sande mussten den größten Teil der Ausgaben decken, die Reichszuschüsse machten weit weniger als zehn Prozent aus.

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1921

Die freiwilligen Beiträge von Firmen und Bevölkerung nahmen im zweiten Halbjahr des Jahres deutlich zu, auf gut 110.000 Mark, doch die Aktion wurde nach zehn Monaten „vorläufig aufgehoben“, obwohl die Projektliste längst nicht abgearbeitet war (BZ vom 17. Dezember 1920) – offenbar standen für die schwere körperliche Arbeit geeignete Arbeitslose nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Die Hege und Pflege der Leibesübungen

Bergedorfer Zeitung, 22. Juli 1921

Mit „vereinten Kräften“ wollten von nun an zwei Bergedorfer Vereine, der Männerturnverein von 1860 und die Bergedorfer Turnerschaft von 1880, agieren und sich unter einem Banner zusammenschließen „zur Pflege von Körper und Geist und zum Wohle des deutschen Vaterlandes“. Der aus der Fusion hervorgegangene Verein namens „Bergedorfer Turnerschaft von 1860“ war mit 1.200 Mitgliedern der größte in Bergedorf. Zwar nannte der Vereinsname nur das Turnen, doch es gab auch eine Spielabteilung (Fußball und Faustball) und sogar einen Fechtwart. Leichtathletik stand ebenfalls auf dem Programm, war aber vermutlich der Turnabteilung angegliedert. Während der Männerturnverein kurz vorher eine zehnjährige Tradition seiner Fußballabteilung hatte feiern können (BZ vom 21. Februar 1921), hatte die Turnerschaft erst durch den kollektiven Beitritt des Fußballklubs Eintracht diese Sportart aufgenommen (BZ vom 22. Februar 1919).

Es schien überhaupt die Zeit der Vereinsvereinigungen zu sein: 1918 löste „Spiel und Sport Bergedorf“ den Bergedorfer Fußballklub von 1902 und den Spielverein Bergedorf ab, die in ihm aufgingen (BZ vom 17. August 1918). 1921 hatte SuS nach raschem Wachstum 700 Mitglieder (BZ vom 24. Mai 1924), war aber nun nur noch die Nummer zwei am Platze.

Bergedorfer Zeitung, 29. Oktober 1921

In Sande geschah dasselbe: hier fusionierten der Sander Turnerbund von 1892 und der Sander Spielverein von 1908 zum „Sander Turn- und Spielverein von 1892“ (BZ vom 5. November 1921).

Man sollte die Schwierigkeiten solcher Zusammenschlüsse nicht unterschätzen: es ging ja dabei nicht nur um die Ehrenämter – dem Vorstand von BT 60 gehörten 19 Männer und eine Frau an – sondern auch um den Sport, was sich vor allem bei den Mannschaftssportarten zeigte: in Sande musste ein Auswahlspiel der beiden bisherigen ersten Mannschaften ergeben, wer ab 1922 in der „Ersten“ spielen durfte und wer in die „Zweite“ abstieg (BZ vom 5. November 1921). Das war bei den zwei „Ersten“ von BT 60 unproblematisch, da die Teams in unterschiedlichen Klassen spielten.

Es sollte auch nach einer Übergangszeit einheitliche Spielkleidung geben: bei BT 60 weißes Hemd mit grünem Vereinswappen und blaue Hose; „die unteren Mannschaften benutzen vorläufig den blau-weiß gestreiften Jersey weiter.“ (BZ vom 30. Juli 1921). Über die Sander Trikots und Hosen schrieb die BZ nicht.

 

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Von Kalkbeinen, Mauke und anderem

Bergedorfer Zeitung, 23. Juli 1921

Die wenigsten heutigen Leser werden die Begriffe „Kalkbeine“ und „Mauke“ spontan erklären können, aber aus dem Zusammenhang der Anzeige für das Mittel „Schädlingstod“ wird klar, dass es sich um Krankheiten von Tieren handelt: von Mauke werden Pferde befallen, Kalkbeine sind eine Geflügelkrankheit – das Mittel wird bei den vielen Bergedorfer Hühnerhaltern auf Interesse gestoßen sein, auch wenn Risiken und Nebenwirkungen nicht genannt wurden.

Bergedorfer Zeitung, 20. Juli 1921

„Unschädlich“ für Menschen und ihre Tiere war angeblich das Rattenmittel „Exitus“, wobei die Abbildung in der Anzeige wohl irreführend war – das Inserat erschien ebenso wie das darunter recht oft in der BZ. Wie genau „Riesolda“ in dreißig Minuten „unter Garantie“ verschiedene Arten von Läusen einschließlich der Nissen, ferner Wanzen und Flöhe vernichtete und dennoch wundunschädlich war, ist unbekannt. „Gesetzlich geschützt“ waren vermutlich nur die Markennamen beider Produkte.

Aus dem häufigen Erscheinen derartiger Anzeigen wird man jedenfalls schließen können, dass ein lokaler Markt vorhanden war.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Die Hunde im Vorortsverkehr

Bergedorfer Zeitung, 13. Juli 1921

Es ist zu vermuten, dass die Abschaffung der Hundekarten die Bahnfahrt verteuerte: nunmehr sollte die Beförderung eines Hundes unabhängig von dessen Größe so viel kosten wie die Beförderung eines erwachsenen Menschen in der dritten Klasse. Dieses galt für Stadt- und Vorortsverkehr gleichermaßen; die zwischen Bergedorf und Hamburg verkehrenden Züge der Reichsbahn zählten zum sogenannten Vorortsverkehr.

Es bedürfte aufwändiger Recherche (auf die hier verzichtet wird), um herauszufinden, ob die Hamburger Hochbahn und die BGE genauso verfuhren – einen Verkehrsverbund wie den heutigen HVV gab es damals nicht und dementsprechend auch keinen Gemeinschaftstarif – und welche Regelung in den Zügen des Fernverkehrs galt, denn über all das berichtete die BZ nicht.

Die Bergedorfer Hundehalter werden nicht erfreut gewesen sein über diese Zusatzbelastung: hatte die Hundesteuer für einen kleinen Hund (bis 45 cm Schulterhöhe) 1916 noch 20 Mark betragen (größere Hunde 40 Mark), so war sie 1921 auf 75 Mark gestiegen, wobei die Staffelung nach Größe des Tieres abgeschafft worden war (BZ vom 15. Januar 1916, 23. August 1920 und 6. Januar 1921). Ab dem 1. April 1922 sollten 200 Mark erhoben werden (BZ vom 31. Oktober 1921).

Hundert Jahre später ist ebenfalls Hundesteuer zu entrichten, und es wird wieder differenziert: der gewöhnliche Hund kostet 90 Euro, der gefährliche 600 Euro im Jahr, wie es auf der entsprechenden Internetseite Hamburgs heißt. Für Fahrten im HVV muss aber keine Karte für den Hund mehr gelöst werden, wie aus den Paragraphen 11 und 12 des HVV-Gemeinschaftstarifs hervorgeht. Gefährliche Hunde sind von der Mitnahme ausgeschlossen.

Wahrscheinlich durfte 1921 ein Hund, obwohl er fahrkartentechnisch ein erwachsener Mensch (dritter Klasse) war, keinen Sitzplatz in der Bahn einnehmen. 2021 ist ihm die Benutzung eines Sitzplatzes explizit untersagt (§ 12 Abs. 5 des Gemeinschaftstarifs), aber immerhin fährt er frei.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar

Der schlampige Nachruf auf den Stuhlrohr-Patriarchen

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1921

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1921

 

 

 

 

 

 

Der Nachruf auf Rudolf Sieverts war der BZ so oberflächlich geraten, dass sie am folgenden Tag einen zweiten drucken musste, der die gemachten Angaben nicht nur ergänzte, sondern auch zu korrigieren versuchte, allerdings mit nur mäßigem Erfolg: Sieverts war Bürgerschaftsabgeordneter von 1902 bis 1913 (also zwei Perioden) und auch  lange Jahre Vorsitzender seiner Fraktion. Als Reichstagskandidat war er (erfolglos, zu Kaisers Zeiten) für die Nationalliberalen angetreten. Er war auch nur einer der drei Gründer des Unternehmens, aber hatte seit 1890 als Alleininhaber den Aufstieg der Firma geprägt, die vor dem Krieg zu Bergedorfs größtem Arbeitgeber und größtem Steuerzahler geworden war.

Bergedorfer Zeitung, 20. Juli 1921

Die BZ hätte eigentlich auch schreiben müssen, dass Sieverts über lange Jahre stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn gewesen war, doch das war nur der Traueranzeige der BGE zu entnehmen. Der Unternehmer hatte schon bei der Gründung der BGE für (mindestens) 53.000 Mark Aktien gezeichnet, und die Bahnlinie kam nicht nur Bergedorfs Entwicklung zugute, sondern auch seiner Fabrik, zu der ein Stichgleis führte.

Sein wohltätiges Engagement für Bergedorf war durchaus übersichtlich. Neben der von der BZ genannten Stiftung, aus deren Zinsen Lehrlinge ein Stipendium erhielten (siehe z.B. BZ vom 5. März 1921), tauchten in den Jahren seit 1914 nur vereinzelt Spenden an die Kriegshilfe und das Rote Kreuz auf (siehe die Gabenverzeichnisse in der BZ vom 6. Februar 1915, 19. Februar 1916 und 28. Januar 1919).

Ob er wirklich „für seine Arbeiter und Angestellten allezeit ein warmes Herz“ hatte? In seiner Rede zum Jubiläum der Firma 1907 betonte Sieverts die freiwillig gezahlten Sozialleistungen sowie die guten Löhne, auch verteilte er damals Geldgeschenke an die Mitarbeiter, die er vor den „Einflüssen von außen und in kleinem Umfang auch … im Innern der Fabrik“ warnte, womit er die Gewerkschaft meinte. Seine Grundeinstellung hatte sich also seit 1897, als er durch Unbeugsamkeit einen zehnwöchigen Streik (wegen der Entlassung von Gewerkschaftlern) „gewann“, nicht geändert: er war und blieb patriarchalisch.

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1921

Die nach Rudolph Sieverts‘ Tod neue Geschäftsleitung behielt offenbar seinen Kurs bei: als im November ein Streik bei den benachbarten Stuhlrohrfabriken von Rümcker & Ude ausbrach, sperrte das Sieverts’sche Werk seine Arbeiter ebenfalls aus.

Die nicht der BZ zu entnehmenden Informationen stammen aus dem Bergedorfer Personenlexikon (S. 186-187), einem Heft von Geerd Dahms über Die Stuhlrohrfabriken in Bergedorf und dem Aufsatz von Alfred Dreckmann (S. 159-176). Die korrekte Schreibweise des Vornamens (Rudolf oder Rudolph) war nicht zu klären.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1921 | Schreib einen Kommentar