Die große Verlosung der SPD

Bergedorfer Zeitung, 15. November 1921

Die Geschäftswelt steht sich gern gut mit den Mächtigen der Kommunalpolitik, und so steht zu vermuten, dass sie deshalb die Große Weihnachts-Verlosung der SPD Bergedorf mit Sachspenden ausstattete, und zwar nicht gerade knapp: insgesamt 377 Preise und eine Nähmaschine als „Prämie“ konnten ausgelobt werden. Allein der Wert der „kleinen“ Gewinne belief sich auf 8.900 Mark; für die Hauptgewinne ist der Wert schwerer zu schätzen, da die Geschäftsinhaber mit Preisangaben in ihren Anzeigen sehr zurückhaltend waren. Der Möbelhändler Mente immerhin inserierte mit Preisen: Schlafzimmereinrichtungen 3.300 bis 5.500 Mark, Kücheneinrichtung ab 850 Mark, Chaiselongues ab 400 M, eine Nähmaschine Schneider 350 M (BZ vom 12. Dezember 1921), die Gebr. Bernau boten Anzugstoffe zu 110 Mark pro Meter (BZ vom 3. November 1921). Wahrscheinlich summierten sich die Hauptgewinne ebenfalls auf etwa 9.000 Mark.

Die SPD als Veranstalter der Verlosung wollte die Einnahmen den „für die Arbeiterbewegung erforderlichen Einrichtungen“ zukommen lassen – welche dies genau waren, wurde nicht gesagt: mit ziemlicher Sicherheit werden Arbeiter-Gesang-, -Musik-, -Theater-, -Sport-Vereine dazu gehört haben, auch die Bildungs-Kommission der organisierten Arbeiterschaft und der Arbeiterjugendbund, über deren Tätigkeit im zweiten Halbjahr Meldungen bzw. Anzeigen zu finden waren (BZ vom 18. September und 30. November 1922). Ob auch das Gewerkschaftskartell zu den Begünstigten gehörte, muss offen bleiben.

Mit Sicherheit wird diese Anzeige auch im Bergedorf-Sander Volksblatt erschienen sein, denn in dessen Geschäftsstelle konnte man die Lose à drei Mark kaufen, und mit höchster Wahrscheinlichkeit wird das Volksblatt auch im redaktionellen Teil Werbung für die Verlosung gemacht haben – nicht aber die BZ, die ansonsten Anzeigenkunden dadurch belohnte, dass sie in der Rubrik „Hinweise auf Veranstaltungen“ die Annonce paraphrasierte. Redaktionelle Werbung für eine SPD-Veranstaltung wollte die BZ sich und ihren Lesern wohl nicht zumuten.

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Der offenbar unbedeutende Gedenkstein

Der Gedenkstein vor der Erinnerungseiche

1913 feierte man ein riesiges Fest in Bergedorf, mit Illumination der Stadt, Fackelzug, Freudenfeuer, Festgottesdienst, Festreden, Festumzug und Feierlichkeiten in drei Sälen. Der abgebildete Stein (in dem grünen Hang gegenüber der katholischen Kirche am Reinbeker Weg, siehe die Karte von 1904) spielte dabei nur eine bescheidene Rolle.

Man gedachte der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813 und wollte „eine würdige Kundgebung der Bergedorfer Einwohnerschaft zur Erinnerung an die Befreiung vom Korsenjoch“ veranstalten, wie die BZ am 11. Oktober 1913 schrieb. Eine Erinnerungseiche war bereits im Frühjahr gepflanzt worden, unterhalb derer dann auch der Gedenkstein platziert wurde, den die Stadt in Auftrag gegeben hatte (BZ vom 7. Oktober 1913).

Redner waren unter anderem Amtsrichter Mantius und Hansaschul-Direktor Prof. Ohly. Alle Redner betonten die nationale Dimension der Schlacht, in den Worten Ohlys: „Was die Väter bei Leipzig begannen, was Belle-Alliance fortsetzte, das fand seine Vollendung bei Sedan. Darum feiern wir Leipzig nicht nur als Jubeltag des Sieges über den Korsen, sondern als Grundlegung der Einheit des Vaterlandes, die 1870 sich vollendete.“ Krieg wurde als legitimes Mittel der Politik angesehen.

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1913

Bei so viel nationalem Stolz und Überschwang spielte Bergedorf nur als Kulisse eine Rolle, und der frisch gesetzte Gedenkstein wurde in den Reden gar nicht, im redaktionellen Teil der BZ nur kurz erwähnt. Zwar gab es eine Schaufenster-Ausstellung mit Erinnerungsstücken aus der Franzosenzeit, unter anderem „Steuerzettel, Einquartierungsbücher und -Zettel, Abschiede aus dem französischen und deutschen Heere“ sowie „sechs Steinschloßgewehre mit Bajonett, Patronentaschen und Säbel, die von den Engländern im Frühjahr 1813 für die Hanseatische Legion geliefert wurden und später bei unseren Stadtsoldaten im Gebrauch waren“ sowie „die hanseatische Kriegsmedaille von 1813 für den Bergedorfer Mitkämpfer Fohrmann“ (BZ vom 19. Oktober 1913), doch mehr Bezüge zu lokalen Ereignissen in jenen Tagen waren der BZ nicht zu entnehmen – es ging ja eben um die Nation.

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1913

Aber von dem großen Festzug mit vierzig Fahnen, zahlreichen Vereinen und der Schuljugend, vorneweg berittene „Postillone in ihren bunten Uniformen“ wurden Filmaufnahmen hergestellt und wenige Tage später im Bergedorfer Lichtspielhaus vorgeführt – es wird nur eine kurze Sequenz gewesen sein, denn außerdem wurde das übliche „reichhaltige Programm“ präsentiert und an den folgenden Tagen wiederholt. Eine kleine Pikanterie sei noch genannt: der Kameramann war von der französischen Firma Pathé Frères … (BZ vom 21. Oktober 1913)

Unumstritten war die ganze Bergedorfer Jubelfeier nicht: in der langen Liste der sich beteiligenden Vereine (BZ vom 11. Oktober 1913) ist keine Organisation zu finden, die der Arbeiterbewegung zugehörte oder nahestand. Auch hatte sich der Bürgervertreter Wiesner in der Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung kritisch geäußert – die BZ schrieb leider nur, dass sich dort „eine recht unerfreuliche Debatte [entspann], mit deren Einzelheiten wir den Leser verschonen wollen.“ Der Sozialdemokrat habe „olle Kamellen über hamburgische Franzosenfreundlichkeit aus der Zeit vor hundert Jahren“ thematisiert, was nicht in das Geschichtsbild der BZ passte: „Wir … brauchen die Belehrung des Herrn Wiesner nicht.“ (BZ vom 12. Oktober 1913)

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Von der Schillerstraße zum Schillerufer

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1921

Bergedorfer Zeitung, 29. Dezember 1921

 

 

 

 

Die „Straße am Ufer der Bille“ hatte vom Senat gerade den Namen „Schillerstraße“ erhalten. Nun sollte sie als dringende Maßnahme provisorisch befestigt und beleuchtet werden, so beschlossen Magistrat und Bürgervertretung und bewilligten die erforderlichen 21.000 Mark. Das überrascht.

Es waren ja schon 1920 erhebliche Mittel bewilligt worden (siehe den Beitrag Der Grundstückstausch für das Amtsgericht): mit 385.000 Mark sollte u.a. der „Ausbau der Uferstraße“ finanziert werden. Bis dahin hatte es wegen eines zu querenden Billearms keine direkte Verbindung zwischen Ernst-Mantius-Brücke und Brauerstraße gegeben (siehe die Karte 1904), und die „Uferstraße“ sollte den Weg zum Bahnhof erheblich verkürzen. Warum die neue Uferstraße nach nur einem Jahr eine „provisorische Befestigung“ erhalten musste, ist unbekannt, aber das Provisorium hielt nicht lange: im November 1922 musste erneut nachgearbeitet werden.

Bergedorfer Zeitung, 20. November 1920

Offenbar hatte man keine Drainage gelegt oder für eine andere Abführung von Wasser gesorgt, und im Herbst stellte man fest, dass der Weg „zeitweise völlig aufgeweicht“ war, und da die neue Verbindung  „außerordentlich stark begangen“ wurde, sollte nun ein „drei Meter breiter Kiesfußweg“ angelegt werden, der am Ende wegen Lohn- und Materialpreissteigerungen vermutlich erheblich teurer wurde.

Der Name Schillerstraße blieb nicht lange: laut Bergedorfer Adressbuch für 1928 war daraus das Schillerufer geworden. Die Goethestraße einschließlich ihrer Verlängerung bis zur damaligen Bismarckstraße (heute Hermann-Distel-Straße) büßte ihren Namen komplett ein; sie wurde zur Daniel-Hinsche-Straße (Lichtwark 1. Jg. Nr. 5, April 1949, S. 14). Den Heinrich-Heine-Weg gibt es auch heute; er hatte allerdings in der NS-Zeit eine Umbenennung zu ertragen.

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Ein fürstlicher Hochstapler in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1921

Er muss schon über ein gewisses Talent verfügt haben, der Hochstapler Otto Merkel – aber es war nicht groß genug, ihn vor Verhaftungen und Verurteilungen zu schützen. Schon sein Bergedorf-Besuch im Jahre 1919 hatte durch Festnahme ein vorzeitiges Ende genommen.

Der Kölner Schlossergeselle, der sich Egon Fürst von Schlieven nannte, war bei seinem ersten Bergedorf-Besuch in der Uniform eines Oberleutnants der Fliegertruppe eingetroffen und trug hohe militärische Auszeichnungen (Eisernes Kreuz I. Klasse, Orden pour le mérite). Quartier nahm er im Gasthof „Zum Anker“ , wie die BZ am 9. Juli 1919 schrieb. Er wollte dort ein Wiedersehen mit seiner Ehefrau, der Sängerin Regina Harre, feiern und ließ zu diesem Zweck sein Zimmer aufwändig dekorieren, wie die Abbildung zeigt:

Ansichtskarte des Fürstenzimmers    (Sammlung Söhnke Marquardt)

 

 

Allein die Blumendekoration hatte 2.500 Mark gekostet, ein Hündchen (oben im Körbchen zu erahnen) weitere 1.700 Mark, und da er seine ihm Angetraute nicht banal zu Fuß vom nahegelegenen Bahnhof abholen wollte, kaufte er einen Gig ( d.h. einen zweirädrigen Pferdewagen, für 14.000 Mark), fuhr damit zur Bahnstation Mittlerer Landweg, um mit seiner Frau einen standesgemäßen Einzug in Bergedorf zu bieten – doch dazu kam es nicht: ob sein Ehegespons die Kriminalpolizei benachrichtigte (BZ vom 9. Juli 1919) oder ob die Polizei durch Überwachung der Frau auf des Fürsten Spur kam (BZ vom 28. Dezember 1921), das Ergebnis war, dass die Beamten ihn in Billwärder bei einem Glase Rotwein einsammelten und wieder hinter Gitter brachten.

Rückseite der Ansichtskarte

Den größten finanziellen Schaden in Bergedorf dürfte der Florist gehabt haben, der Verkäufer der Gig wird sein Gefährt ebenso zurückerhalten haben wie der Vorbesitzer seinen Hund – für den Wirt des „Anker“ wurde möglicherweise sogar noch ein Geschäft daraus, denn „Schlievens“ reich ausgestattetes Zimmer wurde „förmlich von Neugierigen bestürmt.“ (BZ vom 9. Juli 1919), wofür er vielleicht Eintritt kassierte, und er konnte mit den eigens hergestellten Ansichtskarten Werbung für sein Etablissement betreiben.

Weitere vergleichbar aufsehenerregende Fälle von Hochstapelei sind aus Bergedorf in diesen Jahren nicht überliefert.

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Und nochmal: die Grippe

Bergedorfer Zeitung, 27. Dezember 1921

Bergedorfer Zeitung, 20. Dezember 1921

Da war sie wieder: die Grippe. „In großem Umfange“ hatte sie Bergedorf heimgesucht (BZ vom 17. Dezember), aber laut BZ in „leichteren Formen“ als 1918. Und es bestand ja kein Grund zur Beunruhigung, wie man hier lesen konnte.

Man solle den Aufenthalt in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen vermeiden, lautete eine der Empfehlungen aus Preußen, was aber z.B. für Schüler, Lehrer und Beschäftigte in den Telefonvermittlungen nicht möglich war: in Hamburg betrug die Fehlquote in den Schulen 25 Prozent und mehr, manche Schulen wurden ganz geschlossen (BZ vom 20. Dezember), im Bergedorfer Postamt litt die Abwicklung der Telefonate unter den zahlreichen Erkrankungen (BZ vom 22. Dezember).

Das war ähnlich wie 1918 – da war fast wortgleich beschwichtigt worden (siehe den Zeitungsausschnitt im Beitrag Die Rückkehr der Grippe), aber die Zahl der Sterbefälle dürfte 1921 geringer gewesen sein – geht man nach den Todesanzeigen in der BZ, weniger als die Hälfte gegenüber 1918. Vor allem junge Menschen schienen diese (vierte) Grippewelle besser zu überstehen.

Im Medizinhistorischen Museum Hamburg ist bis September 1922 die Ausstellung „Pandemie. Rückblicke in die Gegenwart“ zu sehen, die mit Pest und Cholera sowie der Grippe historische Pandemien ebenso thematisiert wie die aktuelle Corona-Pandemie, jeweils mit besonderem Fokus auf Hamburg.

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Volkstänze und Tiertänze

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1921

Was sollte man tanzen? Nach Meinung der BZ jedenfalls keine ausländischen Tänze, denn: „Der Tanz eines Volkes zeigt dessen Charakter“, und: was da aus Amerika an „Niggertänzen“ und „Tiertänzen“ kam, mit grotesken Bewegungen und wilden Attitüden, zielte auf das Grobsinnliche und führte nicht selten dazu, „daß der Boden … plötzlich von Blut triefte, daß Dolch und Revolver die Gitarren und Geigen ablösten (Tango).“ In scharfem Kontrast dazu stand „die Harmlosigkeit der deutschen Volks- und Reigentänze“ und die Hoffnung auf „die edlere Jugend“, die die undeutschen Tänze angeblich ablehnte.

Ob der Artikel wörtlich aus der Zeitschrift „Die Tanzschule“ übernommen worden war oder nur eine Zusammenfassung lieferte, lässt sich nicht feststellen – aber mit diesem Text konnte die BZ Rassismus und Ausländerfeindlichkeit einmal so richtig austoben: das war das Gegenteil von harmlos.

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1921

Bergedorfs Tanzschulen waren toleranter gegenüber Neuem, wie aus ihren Anzeigen hervorgeht: alle drei boten in ihren Kursen moderne Tänze an; Georg Lampe gab sogar einen „Spezialkursus“ mit ausschließlich modernen Tänzen (BZ vom 8. September), und nicht nur die Jugend war so verkommen, dass sie derartiges lernen wollte: in einer weiteren Annonce kündigte Ferdinand Meyer einen „Kursus für moderne Tänze für gesetztere Damen und Herren und Ehepaare“ im Bellevue an (BZ vom 5. Dezember), dem feinsten Haus am Platze.

Es gab aber auch „deutsche“ Angebote: die Fichte-Hochschule Bergedorf und die Wehrloge Dietrich Schreyge warben für ihre Volkstanzkurse, die Wehrloge tanzte sogar barfuß (BZ vom 28. September und 17. Oktober), hoffentlich auf splitterfreiem Boden, damit dieser nicht blutbefleckt wurde.

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1921

Aus den zahlreichen Inseraten für Tanzkränzchen, Fest- und andere Bälle lässt sich nicht entnehmen, was jeweils getanzt wurde – und nur einmal wurde über eine „wüste Schlägerei“ bei einer Tanzveranstaltung berichtet, aber ob Shimmy, Hiawatha, Tango oder anderes praktiziert wurde, ist unbekannt.

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Eine Räuberpistole aus Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 12. Dezember 1921

Im eigenen Hausflur überfallen, niedergeschlagen und ausgeraubt – das geschah einem Vertreter, der gerade mit viel Bargeld von einer wohl dienstlichen Reise zurückkehrte. Das Opfer war Richard Strauß, der 1920 das Bergedorfer Adressbuch herausgegeben hatte und nun als Generalvertreter der „Landwirtschaftlichen Umschau“ tätig war.

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1921

Einige Tage später las es sich anders: Strauß hatte den Überfall nur vorgetäuscht, um das der Firma gehörende Geld zu unterschlagen, wie er nach „anfänglichem hartnäckigen Leugnen“ den Polizisten gestand.

Die Polizei hatte „von vornherein berechtigte Zweifel“ an Strauß‘ Darstellung gehegt, denn unumstritten war er nicht: in einer Versammlung des Landwirtschaftlichen Vereins war bereits „vor den Machenschaften der ‚Landwirtschaftl. Umschau‘ und ihres Vertreters gewarnt“ worden (BZ vom 12. Juli 1921).

Bergedorfer Zeitung, 6. Juni 1921

Zweimal war die Landwirtschaftliche Umschau im Anzeigenteil der BZ erschienen: Inserenten waren Landwirte aus Curslack, die als Abonnenten der Umschau über deren Vertreter Rudolf Strauß eine Entschädigungszahlung für jeweils ein Rind erhalten hatten, das in einem Graben ertrunken war. Die Höhe der gezahlten Entschädigung richtete sich dabei nach der Zahl der Abonnements, die der jeweilige Bauer abgeschlossen hatte – und das war das Geschäftsmodell der Umschau: man abonnierte sie und erhielt dann gegebenenfalls eine Zahlung für verunglücktes Vieh, schloss also eine Art Viehversicherung ab. Für den „Versicherer“ lag der Vorteil vermutlich darin, dass er sich mit diesem Konstrukt um die staatliche Aufsicht herummogelte, die seit 1901 bestand (Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901): die Kunden schlossen ja nur ein Zeitschriften-Abo ab, und der großzügige Verlag half seinen Abonnenten im Notfall.

Hamburger Adressbuch 1921

Ob es diese von Herrn Strauß beworbene Zeitschrift gab, ist nicht sicher. Zwar findet man im Gemeinsamen Verbundkatalog von über 1.000 Bibliotheken eine in Magdeburg verlegte Zeitschrift gleichen Namens, aber diese hatte 1915 ihr Erscheinen eingestellt, aus den folgenden zwei Jahrzehnten gibt es keinen Nachweis. Allerdings ist im Branchenverzeichnis des Hamburger Adressbuchs 1921 unter „Verlagsanstalten“ ein passender Eintrag zu finden, der aber wohl eigentlich in eine Kategorie „Bauernfängerei“ gehört hätte.

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Spendenaufrufe und Sprachwandel

Bergedorfer Zeitung, 12. Dezember 1921

BZ, 17. Dezember 1921

 

 

 

 

Würde heute mit solchen Worten zu Spenden aufgerufen, so wäre Entrüstung und nicht Geldeingang die Folge. Die im 21. Jahrhundert als diskriminierend empfundenen Worte waren aber bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus üblicher Sprachgebrauch, wie z.B. aus der Wortverlaufskurve zu dem Begriff „Idiotenanstalt“ des Deutschen Digitalen Wörterbuchs hervorgeht.

Über die Einrichtung in Angerburg war nichts Näheres in Erfahrung zu bringen, wohl aber über die in Hamburg gelegenen Alsterdorfer Anstalten:

Die Wurzeln der Alsterdorfer Anstalten lagen im hamburgischen Moorfleet, wo im Jahr 1850 Pastor Heinrich Matthias Sengelmann eine kleine Christliche Arbeitsschule für sozial benachteiligte Kinder gegründet hatte, über die er in seiner Schrift Das Nicolai-Stift zu Moorfleth (online-Link) berichtete. Die Verlegung nach Alsterdorf (1860) und den weiteren Ausbau schilderte er in seinem Buch Die Alsterdorfer Anstalten – Ein Lebensbild (online-Link); die heutige Evangelische Stiftung Alsterdorf liefert einen geschichtlichen Überblick bis in die Jetztzeit, der auch die dunklen Phasen beleuchtet und nicht nur die Ruhmesblätter der Institution enthält.

Sengelmann benutzte in seinen Schriften den Begriff „Idiot“ häufig, aber nicht als Schimpfwort oder im diskriminierenden Sinne für einen bildungsunfähigen Menschen, sondern deskriptiv. Seine Bemühungen um diese Personen waren für seine Zeit fortschrittlich.

Die in den Anzeigen benutzten Begriffe sind auf den Seiten der Einrichtung nur noch im historischen Teil zu finden.

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Der aufschlussreiche PR-Artikel für die Fortbildungsschule

Bergedorfer Zeitung, 9. Dezember 1921

An der Fortbildungsschule gab es offenbar heftige Kritik, der dieser PR-Artikel entgegenwirken sollte: er stellte die neue Einrichtung in ein rosiges Licht.

Der Kritik an der Fortbildungsschulpflicht für Mädchen begegnete der Verfasser des Artikels zielgruppengerecht: gegenüber den „Hausmüttern“, also den Chefinnen der jugendlichen Hausangestellten, argumentierte er mit dem Eigennutz der Hausfrauen: sie hätten doch unmittelbare Vorteile davon, dass ihr „Mädchen“ eine umfassende Ausbildung in den Haushaltstätigkeiten erhielte. Die Chefs der Industriebetriebe wurden zunächst darauf hingewiesen, dass sie an die „unabänderliche“ Pflicht zur Unterstützung der Fortbildungsschule gebunden seien. Es folgte der Appell an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung: nur durch gut ausgebildete „tüchtige Hausfrauen“ sei der Wiederaufbau möglich.

Wenn es neben diesen Hauswirtschaftsklassen noch andere gab, die einen Lehrberuf für Mädchen begleiteten, würdigte der Autor sie nicht mit einer einzigen Zeile, und man kann davon ausgehen, dass die allermeisten Mädchen in privaten Haushalten „in Stellung“ standen oder als Industriearbeiterin Beschäftigung fanden.

Die männlichen Jugendlichen dagegen hatten weit überwiegend das Ziel eines Berufsabschlusses nach der Lehrzeit: sie verteilten sich auf 22 „gewerbliche“ und sieben „kaufmännische“ Klassen, zwei weitere Klassen bestanden für ungelernte jugendliche Arbeiter – die Differenzierung schien dem Autor „–b.“ also wichtig. Er beschrieb das Verhältnis von Schule und Betrieb sogar als ein „glückliches Zusammenarbeiten“, also rundum Zufriedenheit.

Lob gab es auch für Bürgermeister Wiesner, der die Raumsituation der Fortbildungsschule durch den Umbau eines der Schulgebäude der Stadtschule am Brink entscheidend verbessert hatte, und erfreut stellte der Verfasser fest, dass sich das Lehrerkollegium „einer ziemlichen Wandlung unterzogen“ hatte, sodass der Fachunterricht „fast ausnahmslos“ durch Personen vom Fach erteilt werden konnte und die Lehrer der Stadtschule nur in den übergreifenden Fächern eingesetzt wurden. Es war eben ein PR-Artikel.

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Die enthüllte Wundergeige und ihr spiritistischer Erfinder

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1921

Mehrere Wochen mussten die Bergedorfer und Sander auf die vom Bücherrevisor Alexander Pichinot hier angekündigte Enthüllungsschrift warten: der „Revalo-Bund“ sollte ins rechte Licht gerückt werden, es sollte Enthüllungen über die „Revalo-Geige“ geben, und auf die Bücher des Geigenerfinders sollte entgegnet werden.

Ein Wort vorweg: weder das dreiteilige Werk Hinrich Ohlhavers „Die Toten leben“, das in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorhanden ist, noch die Schrift Pichinots, die nicht im GVK-Verbundkatalog verzeichnet ist, wurde gelesen – manches lässt sich der Buchvorstellung in der BZ entnehmen.

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1921

Die BZ wollte es offenbar weder mit dem einen noch mit dem anderen verderben und enthielt sich einer Stellungnahme. Sie gab aber durch längere Zitate Pichinot Gelegenheit, seine Ansichten über Ohlhaver und seinen Revalo-Bund zu verbreiten (während Meldungen über die Ohlhaverschen Schriften auch in den Vorjahren nicht gefunden wurden). „Aufsehen erregen“, so die BZ, sollten Pichinots Enthüllungen über die geheimnisvolle Revalo-Geige.

Eine Teilenthüllung war bereits 1920 in der Zeitschrift für Instrumentenbau zu finden gewesen: demnach war das Streichinstrument Ergebnis einer „okkultistischen Offenbarung“, wie Ohlhaver bereits im Vorjahr dem Berliner Tageblatt (Ausgabe vom 22. Januar 1920) erklärt hatte. Aufklärung über die exakten Grundlagen seiner Erfindung hatte er der Zeitschrift aber nicht geben wollen.

Diese Aufklärung lieferte – neben Angriffen auf den Okkultismus – nun Pichinot, und was in der BZ nicht enthüllt wurde, schrieb das Fachblatt der Instrumentenbauer, indem es der gerade erschienenen Schrift breiten Raum widmete: laut Pichinot hatte Ohlhaver neben geigenbaulichen Änderungen (Stellung von Steg und Stimmstock) das Instrument mit Fußbodenlack überzogen. Erst nachdem dieser gerissen war, konnte die Violine „Tragweite“ entwickeln.  „Diese Erfindung hätte sich ohne Tischklopfen ebensogut machen lassen“ (Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 42/1921, S. 400).

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