Die von Bergedorf vereinnahmte Autorin

Man schmückt sich gern mit Namen berühmter Menschen. Bergedorf war (auch) im Jahre 1927 von diesem Trieb nicht frei und ehrte die in der Stadt (Brink Nr. 10) geborene Schriftstellerin Ida Boy-Ed mit einer Tafel und einer Straßenbenennung.

Bergedorfer Eisenbahn-Zeitung, 19. April 1852

Anlass dafür war der 75. Geburtstag der am 17. April 1852 geborenen Tochter des Herausgebers der Bergedorfer Eisenbahn-Zeitung, Christoph Marquard Ed und seiner Frau Friederike. Ida Ed verbrachte hier ihre Kindheit bis 1865 – da verlegte der Vater seine Zeitung nach Lübeck, wo sie 1869 Carl Johann Boy heiratete. Wie sich herausstellen sollte, war die Ehe unglücklich: die Kaufmannsfamilie Boy hatte keinen Sinn für die literarischen Ambitionen der jungen Frau, die letztlich doch zu einer erfolgreichen Autorin zahlreicher Romane und Novellen wurde (hierzu z. B. Peter de Mendelssohn).

Nachdem sie Bekanntheit und Anerkennung erworben hatte, wurde sie in der Bergedorfer Zeitung zu ihren runden Geburtstagen mit großen Artikeln bedacht – als Beispiel möge der ganz unten wiedergegebene Artikel von 1912 dienen, der nicht nur ihre Bergedorfer Herkunft betont, sondern auch zeigt, dass Bergedorf und die Vierlande in ihrem Werk durchaus eine Rolle spielten; ihre Weihnachtsbotschaft im Kriegsjahr 1914 wurde bereits im Beitrag Kriegsweihnachten wiedergegeben.

Bergedorfer Zeitung, 16. April 1927

Der seitenlange Bericht zum 75. Geburtstag nahm ihr Verhältnis zu Bergedorf näher unter die Lupe, und demnach war es eher distanziert: als ihre Heimat sah sie Lübeck und nicht ihren Geburtsort. Der Bergedorfer Schlosskalender für 1927 (Jg. 4/1926, S. 83) dagegen meinte, dass ihr „neben der Beiderstädtischen, der Bergedorfer Eigenart, auch die der Hansestadt Lübeck ans Herz gewachsen“ war. Vollends für Bergedorf vereinnahmt wurde Ida -Boy-Ed dann im Nachruf der BZ: „Mit unserem Bergedorf war die große Dichterin und Schriftstellerin durch besondere Bande verknüpft, fester und inniger als mit Lübeck, wo sie ja den größten Teil ihres Lebens zugebracht hat.“ (BZ vom 14. Mai 1928). Die Hoffnung auf die Beisetzung der Verstorbenen in Bergedorf (BZ vom 14. Mai 1928) wurde allerdings enttäuscht – ihre letzte Ruhestätte wurde der Burgtorfriedhof in Lübeck (BZ vom 18. Mai 1928).

War sie eine bedeutende Schriftstellerin? Ernst Alker sieht ihre fiktionalen Texte als „typisch kultivierte Frauenliteratur“, nennt aber immerhin ihre drei Bücher über Frauenschicksale der klassischen Zeit „nicht unbedeutend“. Thomas Mann, der schon als Gymnasiast an ihren Salons teilnahm, bezeichnete sie als seine „vorgeschrittene Meisterin“. Er empfand sich als ihr „Nachkömmling“, wie Peter de Mendelssohn (S. 7) zitiert, und Mann schrieb zu ihrem 75. Geburtstag: „Sie war die erste, die an mich geglaubt hat in Lübeck, der erste Lübecker – soviel ich weiß – der ‚Buddenbrooks‘ nicht abscheulich fand, sondern mich verteidigte.“ (Zitiert bei de Mendelssohn, S. 179)

Wenn sie „in so vielen ihrer Werke ihrer Vaterstadt [also Bergedorf] ein bleibendes Denkmal gesetzt“ hatte, wie die Zeitung im Nachruf schrieb, so war das durchaus zweischneidig, denn in der amüsanten Novelle „Wie aus einem Flügelmann eine Pastorin wurde“ (Erstveröffentlichung 1926 in „Aus alten und neuen Tagen“, abgedruckt auch im Bergedorfer Schlosskalender für 1927 (Nr. 4/1926, S. 84ff.) hatte sie das Städtchen des Jahres 1848 und seine „drolligen politischen Verhältnisse“ feinsinnig bespöttelt …

Bergedorfer Zeitung, 17. April 1912

 

 

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Vom Färben der Ostereier

Das Färben von Eiern hat eine lange Tradition – britische und kanadische Archäologen haben 60.000 Jahre alte Fragmente gefärbter und mit eingeritzten Mustern verzierter Straußeneier in Südafrika (Felsüberhang Spitzkloof A) gefunden, wie auf einer Seite Egg Cetera der Universität Cambridge berichtet wird. Diese Eier wurden vermutlich (und werden, in der Kalahari) als Wasserbehälter benutzt, sind also keine Ostereier im eigentlichen Sinne.

Über das farbliche Verzieren von Eiern in unterschiedlichen Epochen und Religionen findet man bei Wikipedia Informationen: im 12. Jahrhundert begann das Christentum mit der Segnung von Eiern bzw. Osterspeisen.

Bergedorfer Zeitung, 12. April 1912

Die prähistorischen Straußeneier waren auch bestimmt nicht mit Quedlinor-Eierfarben eingefärbt, da diese erst seit dem späten 19. Jahrhundert von Wilhelm Brauns in Quedlinburg hergestellt wurden. In der hier gezeigten Annonce bot er auch Marmorierpapier und Abziehbildchen an, mit denen sich natürlich andere Effekte erzielen ließen als durch schlichtes Kochen zusammen mit Zwiebelschalen. Dekorationsmöglichkeiten gab es also genug, und die Eierpreise waren moderat – knapp zehn Jahre später kostete ein (!) Ei vier Mark (Anzeige in der BZ vom 28. Dezember 1921).

Der Osterhase übrigens, der angeblich die Eier bemalt und versteckt, tauchte erstmals 1682 in der Dissertation Johannes Richiers über „De ovis paschalibus – von Oster-Eyern“ auf.

Eine etwa 1.000 einschlägige Objekte umfassende Sammlung gibt es im 1. deutschen Ostereimuseum in Sonnenbühl. Ein Fabergé-Ei ist nicht darunter.

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Gerüchte und Ehrenerklärungen

BZ, 3. September 1921

Hinter vorgehaltener Hand wird ja so manches gesagt, und solche Vertraulichkeiten sollte man klugerweise nicht weitererzählen, sonst droht eine Strafanzeige wegen übler Nachrede oder gar Verleumdung.

 

BZ, 21. November 1921

Manchmal verbreiten sich Gerüchte über Personen schnell, und manchmal gelingt es auch, den Urheber bzw. die Urheberin außergerichtlich zu ermitteln, was dann zu einem veröffentlichten Eingeständnis und Kosten für die Anzeige führte – hier in sehr schmuckloser (und kostensparender) Form.

BZ, 2. September 1921

BZ, 30. Dezember 1921

Meist erfuhr man nichts über den Inhalt solcher unzutreffenden Behauptungen, was vielleicht dem Schutz des oder der Geschädigten dienen sollte; die hier wiedergegebenen Eingeständnisse machen da Ausnahmen: der beschuldigte Altengammer legte vermutlich Wert darauf, dass die angebliche Straftat genannt wurde und Rudolf Brügmann unter der Überschrift „Ehrenerklärung“ auch sein Bedauern über seine Äußerung ausdrückte. Frau Buhk dagegen wischte en passant ihrem Sohn noch eins aus, denn dessen Schusseligkeit war wohl der Auslöser der Affäre gewesen.

BZ, 16. Dezember 1921

Warum diese Anzeige von den Eltern eines jungen Mädchens ins Blatt gesetzt wurde und nicht von den Urhebern des Gerüchts, bleibt unklar – vielleicht hatte man sich nicht über den Wortlaut einigen können. Jedenfalls war bis Ende 1921 keine Gegenäußerung des spiritistischen Lehrerehepaares zu finden. Eventuell nutzten sie andere Kommunikationswege als die Zeitung.

 

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Bergedorf postalisch 3: Bergedorfs Briefmarken: Originale, Nachdrucke und Fälschungen

Die Zeit der eigenen Bergedorfer Briefmarken währte nur wenige Jahre, von 1861 bis 1867 (siehe den Beitrag Das Postwesen in Bergedorf 2), was diese Frankaturen zu beliebten Objekten der Briefmarkensammler-Leidenschaft machte und auch heute noch macht.

Der Traum eines Sammlers ist es wohl, alle Objekte seines Sammelgebietes zu besitzen. Sammler von Bergedorf-Briefmarken hatten es scheinbar leicht, dieses Ziel zu erreichen, denn es gab gerade einmal fünf Wertstufen. Aber mit diesen Marken war und ist es kompliziert.

Selbst wenn man sowohl ungestempelte Marken als auch gestempelte Marken und Briefe sammelt, reicht das eigentlich nicht, um ein großes Album damit zu füllen, doch weit gefehlt: ganze Bücher wurden von Philatelisten über diese Marken geschrieben (Literaturhinweise am Ende dieses Artikels), von denen Urdrucke, Probedrucke, Neudrucke, Nachdrucke und wohl auch schlicht Fälschungen existieren.

1861 wurden in den fünf Wertstufen 450.000 Marken gedruckt, und erstaunlicherweise wurden 1867, als das Ende nahte, noch einmal 100.000 produziert, die der Bergedorfer Postmeister Franz Paalzow en bloc zusammen mit dem Original-Druckstein an den belgischen Briefmarkenhändler Jean-Baptiste Moens verkaufte. Moens beschränkte sich nicht darauf, die von Paalzow erworbenen Marken zu verkaufen, sondern er ließ auch mehrfach Marken nachdrucken, die er ebenfalls in den Handel brachte.

„1½ Schilling“

„1½ Schillinge“

Bei einem der Werte unterlief dabei ein Missgeschick: eine der Original-Marken hatte die Wertangabe „1½ Schilling“ – auf einem der Nachdrucke stand „1½ Schillinge“.

Die Moens’schen Exemplare waren alle ungummiert, wodurch sie leicht als Nachdrucke zu erkennen waren. Das senkte natürlich den Preis, und so gingen einige Händler dazu über, die Marken nachträglich zu gummieren und manchen Sammler damit zu betuppen.

Auf diese Art wurde das scheinbar einfache Sammelgebiet doch noch zu einem unübersichtlichen, das philatelistischen Gutachtern reichlich Arbeit verschafft. Karl-Heinz Hornhues schreibt dazu (S. 9): „Eine Prüfung vor allem der Bergedorfer Briefmarken, aber auch der Bergedorfer Stempel auf Briefmarken fremder Postverwaltungen ist dringend anzuraten. Auch bei älteren Attesten ist eine erneute Prüfung ratsam, da diese nicht immer den Prüfungsstandards von heute gewachsen sind.“

Man wird davon ausgehen können, dass zwei im vergangenen Jahr versteigerte Briefe mit Bergedorf-Marken ordentlich geprüft worden waren: das Höchstgebot für den einen lag bei 65.000 €, für den anderen bei glatt 100.000 € (BZ vom 7. Oktober 2021). Der Autor dieses Artikels geht davon aus, dass die hier abgebildeten Marken, alle ungeprüft, keine Originale sind.

Beispiele für Bergedorfer Briefmarken

Literaturhinweise:

Zuerst ist hier der Internetauftritt des Briefmarkensammler-Vereins für Bergedorf und Umgebung von 1911 e.V. zu nennen, der u.a. die Festschrift zum 100. Vereinsjubiläum enthält. Interessant auch eine Schweizer Darstellung mit Abbildungen von Originalen, einem Einführungstext und einer Abhandlung zu den Moens’schen Drucken.

Karl Knauer schilderte zum 50. Jubiläum des Bergedorfer Vereins umfassend die Bergedorfer Postgeschichte – leider nur mit schwarz-weiß-Abbildungen. Zahlreiche farbige Abbildungen sind bei Karl-Heinz Hornhues zu finden.

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Schwarz-weiß-rot: das deutsche Reichshuhn

Bergedorfer Zeitung, 9. Dezember 1921

Huhn ist nicht gleich Huhn – das wussten auch die Geesthachter Geflügelzüchter, die sich in einem neu gegründeten Verein zusammengeschlossen hatten, um „das Verständnis für die Rassegeflügelzucht [zu] fördern“ sowie Bruteier und Futter zu beschaffen. (Gleichartige Vereine gab es schon lange in Bergedorf und den Vierlanden.)

Hühner sehen nicht nur unterschiedlich aus, sie erbringen dem Halter auch unterschiedliche Leistungen: manche Rassen legen mehr Eier als andere, manche werden vor allem wegen des Fleisches gehalten, und dann gibt es noch die Doppelnutzungsrassen, in denen gute Lege- und Mastleistung vereint sind.

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1921

Zu diesen Doppelnutzungsrassen zählt das Deutsche Reichshuhn, das 1921 in Geesthacht eingeführt werden sollte. Das sollte aber keine politische Demonstration sein: es trug zwar die Farben des Kaiserreichs (roter Kamm und Halsbehang sowie weiß-schwarzes Gefieder) und es war im späten 19. Jahrhundert gezielt als „Deutsches Nationalhuhn“ aus ausländischen Rassen herangezüchtet worden, wie auf einer Internetseite zur Hühnerhaltung zu lesen, doch den Ausschlag für die Haltung des Reichshuhns in Geesthacht dürften seine Leistungsmerkmale gegeben haben.

Bergedorfer Zeitung, 4. November 1922

Ob unter den in Bergedorf ausgestellten 516 Vögeln Reichshühner vertreten waren, ist unbekannt; die BZ berichtete nur summarisch, dass 71 Ehrenpreise für Großgeflügel (also einschließlich Enten, Gänsen und Puten) sowie 39 für Tauben vergeben wurden (BZ vom 2. Dezember 1922). Über die etwas kleinere Ausstellung in Kirchwärder mit 454 befiederten Exemplaren war zu erfahren, dass die ausgezeichneten Hühnerhalter 23 Rassen präsentierten – Reichshühner waren nicht darunter.

Das Deutsche Reichshuhn gilt laut einer Datenbank der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zufolge heute als „stark gefährdet“, aber es hat das Reich überdauert. Ein Deutsches Bundeshuhn als quasi-Nachfolger ist nicht bekannt.

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Auf dem Wasser: Chrysander, Bergedorf und Ringelnatzens Mandoline

HADAG-Schiff Chrysander

Es ist unklar, ob die Hafentouristen auf dem Erinnerungsbild mit dem Namen Chrysander etwas verbanden, wenn sie nicht gerade aus Bergedorf kamen oder sich mit der Musik Georg Friedrich Händels auskannten: Chrysander war ein renommierter Musikwissenschaftler, wie im Beitrag über Friedrich Chrysander nachzulesen, und er lebte in Bergedorf. Vielleicht dachten manche Bergedorfer auch an seinen Sohn Rudolf, der als Arzt in Bergedorf praktizierte und die Edition der Werke Händels fortsetzte.

Der Dampfer Chrysander war 1912 für die Hafen-Dampfschiffahrt Actien-Gesellschaft (Abkürzung damals : HDAG, Abkürzung heute: HADAG) gebaut worden. 276 Personen fanden auf dem 20,80 m langen und 5,80 m breiten Schiff Platz, dessen Spitzengeschwindigkeit bei 9 Knoten (16,7 km/h) lag, wie aus der umfangreichen Darstellung von Arnold Kludas über Hundert Jahre HADAG-Schiffe 1888-1988 (S. 66, Foto auf S. 98) hervorgeht.

1955, dem Jahr der Abwrackung der Chrysander, nahm die HADAG das Diesel-Elektroschiff „Bergedorf“ in Betrieb: laut Kludas etwas kürzer und schmaler, 0,5 Knoten schneller und 130 Personen fassend, doch nach 1988 außer Dienst gestellt.

Dampfer „Bergedorf“, Ansichtskarte, gestempelt Marseille 1907

Als Schiffsname hat „Bergedorf“ durchaus Tradition, wie die 1907 gestempelte Ansichtskarte zeigt. Das abgebildete Schiff ist aber nicht das, auf dem Hans Gustav Bötticher, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Joachim Ringelnatz, im Ersten Weltkrieg als Marinesoldat zeitweilig Dienst tat. Er beschrieb seine Kriegserlebnisse in dem Buch „Als Mariner im Krieg“: „Ich besah mir ‚Bergedorf‘. Es war ein ganz neues Schiff und daher alles blitzsauber. Trotzdem hätte ich nach dem Bau wetten mögen, daß es schon bei geringem Seegang stark rollen würde … Wir stahlen uns einen Dackel für das Schiff, und wir besorgten uns geblümten Gardinenstoff für die Kojen, denn es gab in dieser Beziehung ein gewisses Konkurrieren und Repräsentieren unter uns. Auch legten wir Geld zusammen für einen Lampenschirm und für ein Halsband für den Dackel Fidi. Außerdem hatte der Bürgermeister der Stadt Bergedorf dem Schiff ‚Bergedorf‘ eine Mandoline mit einem Begleitvers als Präsent gesandt.“ (S. 130-131)

Weder über das Mandolinen-Geschenk noch den begleitenden Vers war der BZ etwas zu entnehmen.

Bergedorfer Zeitung, 11. November 1914

Die „Bergedorf“ war übrigens aber nicht für die Kaiserliche Marine gebaut worden, sondern als Fischdampfer für eine Cuxhavener Reederei. Sie wurde dann für den Krieg mit einer Kanone ausgestattet (ebd., S. 145) und in die Ostsee entsandt. Was aus ihr und der Mandoline wurde ist unbekannt.

 

 

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Dörflicher Verkehr zwischen Fußgängern, Radfahrern und Misthaufen

Bergedorfer Zeitung, 15. Dezember 1921

Fußgänger lebten im Straßenverkehr auch vor hundert Jahren schon gefährlich, wie diese Meldung belegt: übermütig und unbesonnen verhielten sich „besonders unreife Kinder und Halbstarke“ auf ihren Fahrrädern. In dieser Hinsicht sehnte sich der Verfasser der Meldung, wohl ein älterer Herr, nach der Kriegszeit zurück, in der „die Benutzung von Fahrrädern zu Vergnügungszwecken“ verboten war (siehe den Beitrag Kein Radrennen) und nur mit Ersatzbereifung gefahren werden durfte (siehe den Beitrag Radfahren ohne Bereifung – oder mit Ersatz), was sicher kein Vergnügen war.

Nun frönte die Jugend (wieder) ihrer Bewegungslust per Zweirad, und für sie war es von Vorteil, dass der Autoverkehr auf den ungepflasterten Deichstraßen weiter verboten blieb.

BZ, 27. Mai 1921

BZ, 3. November 1921

Aber nicht einmal auf den wenigen vorhandenen Fußwegen waren Fußgänger wirklich sicher, denn bei schlechtem Zustand der Fahrbahn durften Radler auf die Gehsteige ausweichen. Immerhin: Viehtreiben auf den Bürgersteigen war bei jedem Wetter verboten, ebenso das Schieben von Karren und das Reiten. Misthaufen waren auf den Fußwegen nicht gestattet: sie durften kurzzeitig auf den „Sommerwegen“ abgelagert werden, bevor sie auf die Felder verbracht wurden (BZ vom 2. August 1921). Da Sommerwege im 21. Jahrhundert eine Rarität sind, sei kurz erläutert, dass es sich dabei um einen ungepflasterten und unbefestigten Weg neben der Fahrbahn handelt(e).

 

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Bergedorf postalisch 2: Auch postalisch Kondominium – und die „Alte Post“

Von 1420 bis Ende 1867 war das Amt Bergedorf gemeinsamer Besitz von Hamburg und Lübeck, es war „beiderstädtisch“, was in den letzten Jahren dieses Kondominiums zu einer weiteren Besonderheit führte: es gab ab November 1861 eigene Bergedorfer Briefmarken, die in einem weiteren Beitrag behandelt und gezeigt werden sollen.

Die Marken trugen in den inneren Ecken die Buchstaben „LHPA“ – die Abkürzung stand für „Lübeck-Hamburgisches Postamt“, das (ohne Briefmarken) bereits seit 1847 bestand. Das Ende der Bergedorfer Postherrlichkeit kam zum 1. Januar 1868: das Amt Bergedorf war von da an hamburgisch, und nicht nur die Bergedorfer Postwertzeichen wurden ungültig, sondern auch die Hamburger und Lübecker, die sämtlich durch die Marken des Norddeutschen Postbezirks ersetzt wurden.

Das Posthaus auf dem Mühlenhof

Das erste „Post-Local“ der LHPA befand sich in einem Raum des Bahnhofs der Berlin-Hamburger Eisenbahn. Bereits 1850 erfolgte der Umzug in ein Haus in der Kampstraße, heute Weidenbaumsweg Nr. 3, wie bei Karl Knauer (S. 98ff.,) nachzulesen ist. Dort verblieb die Post bis 1867, anschließend war in dem Haus die Gaststätte „Zur alten Post“ – das „Posthaus auf dem Mühlenhof“ (südlich des Mühlenkolks in der Nähe des Kupferhofs, siehe die Karte von 1875) wurde demnach erst bezogen, als es keine Bergedorf-Marken mehr gab.

links das Gasthaus „Zur Alten Post“ (rotes Gebäude), rechts das Kaiserliche Postamt, heute Standort der „Alten Post“ mit Apotheke „Zur Alten Post“

Zu Kaisers Zeiten (1891-92) wurde dann  ein neues Gebäude errichtet (siehe auch die Karte von 1904), das aber später als geplant fertig wurde, was die Post zwang, ein Zwischenquartier zu suchen, das sie wiederum im früheren Haus in der Kampstraße fand; die Telefonvermittlung bekam eine provisorische Unterkunft auf dem Kupferhof (BZ vom 24. und 26. September 1891).

Am 2. April 1892 kam dann alles unter das neue Dach (BZ vom 2. April 1892) – die Größe des Neubaus lässt erkennen, dass der Umfang der Aufgaben und die Zahl des Personals erheblich zugenommen hatten. Als Jahrzehnte später (1968) dieser Standort aufgegeben wurde, erhielt der dort entstandene Neubau mit Geschäften, medizinischen Praxen und Büroräumen den Namen „Alte Post“. Die Apotheke in dem Komplex trägt folglich den Namen „Zur Alten Post“.

Die an der Bergedorfer Straße errichtete neue Post ist auch schon wieder Geschichte; dort entsteht nun das „Bergedorfer Tor“. Nach neuesten Meldungen (BZ vom 5. März 2022) wird die Post entgegen früherer Planungen dort nicht einziehen.

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Die private Brücke über die Gose-Elbe

BZ, 22. Februar 1921

Mit der Sperrung dieser Brücke über die Gose-Elbe ein Jahr zuvor entfiel nicht einfach die kürzeste und schnellste Verbindung zwischen den Gaststätten der beiden Brückeneigentümer Heinrich Hüge und Johann Kücken, sondern eine traditionelle Verbindung zwischen Kirchwärder (Hausdeich) und Neuengamme (Hinterdeich). Warum sie 1921 „bis auf weiteres“ gesperrt wurde, wodurch Hüge und Kücken der Einnahmen aus dem von ihnen erhobenen Brückengeld verlustig gingen, ist nicht belegt – vermutlich genügten die Erträge nicht, um eine fällige Instandsetzung des hölzernen Bauwerks daraus zu bestreiten. (Wann die Brücke schließlich abgebrochen wurde, ist unbekannt.)

 

undatierte Ansichtskarte, im Hintergrund Kückens Gasthaus (Sammlung Söhnke Marquardt)

Die nebenstehende Ansichtskarte zeigt die Brücke, die so hoch gebaut worden war, dass Kähne sie passieren konnten. Neben der Brücke befand sich ein Umschlagplatz. Dort wurden die meist per Kahn angelieferten Waren, d.h. landwirtschaftliche Erzeugnisse, auf Segel- oder Motor-Ewer gebracht. Dieses Transportmittel hatte noch eine Reihe von Jahren Vorteile gegenüber Lastkraftwagen: ein Ewer konnte schwerere Lasten laden, die er zudem schonender beförderte als LKWs, die auf Vollgummireifen über schlechte Straßen rumpelten – siehe hierzu die Familiengeschichte der „Albers Schipper“ (S. 22), zu den Ewern detailliert Werner Schröder (S. 184ff.), der auch ihre Beladung bei Hüge beschreibt (S. 185).

Der Umschlagplatz bestand länger als die Brücke. Wie lange der Fährverkehr (siehe die Beschriftung der Ansichtskarte) betrieben wurde ist unerforscht.

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Das jugendgefährdende Fußballspielen

Bergedorfer Zeitung, 24. Dezember 1921

Der körperlichen Entwicklung sei das Fußballspielen ja dienlich, meinte der Hamburger Lehrerturnverein, aber die seelische und ethische Entwicklung der Knaben gefährde es. Ziel des Vereins war es, den Spielbetrieb aus den Vereinen herauszulösen und in den schulischen Sportunterricht einzugliedern – gegenüber der Vorkriegszeit war das geradezu revolutionär: da war durch einen Schulrat Fußball als Schulsport schlicht verboten worden (BZ vom 24. August 1913). Die Minimalforderung der Turnlehrer war nun, nur im Winterhalbjahr Spiele zu erlauben, bei denen ausschließlich ärztlich begutachtete Knaben teilnahmeberechtigt sein sollten. (Von Mädchen war sowieso nicht die Rede.)

Man beklagte eine „einseitige Einstellung“, „übertriebene Fußballeidenschaft“ – und das dürfte nicht fern von der Wirklichkeit gewesen sein: der Fußballsport hatte nach Kriegsende einen gewaltigen Aufschwung genommen, alle Bergedorfer Vereine hatten nicht nur mehrere Herren-Mannschaften, sondern noch mehr Schüler- und Jugendmannschaften. Andere Sportarten, auch Ballsportarten, wurden zwar praktiziert, hatten aber deutlich weniger Teilnehmer. Wenn es das Ziel des Lehrerturnvereins war, Schüler an andere Sportarten heranzuführen und deshalb das Fußballspiel zu beschränken, so ist die Kritik verständlich – sie trifft aber auch alle anderen Ballsportarten, in denen es ja ebenso um „siegende Punkte“ ging (und geht).

Bergedorfer Zeitung, 26. September 1921

Die Schulen jedenfalls waren sportlich durchaus breiter aufgestellt, wie die Ergebnisse des „Spielfestes“ zeigen: Bälle wurden nicht nur getreten (Fußball), sondern auch geworfen (Handball), und mit einem Stock (Schlagball) oder mit der Faust (Faustball) geschlagen, und außer Leichtathletik gab es auch Tauziehen, immer als Wettkampf. Bemerkenswert ist bei nebenstehendem Bericht (wenn denn die Wiedergabe korrekt ist), dass es Mädchen waren, die Fußball spielten (siehe den Beitrag Früher Frauenfußball), wenn auch wohl nur von je einer Klasse der beiden Mädchenschulen. Die Jungen frönten ihrer Fußballleidenschaft offenbar hinreichend in den Vereinsmannschaften.

Dem Lehrerturnverein war mit seiner oben geschilderten Initiative kein Erfolg beschieden – und heute sieht der immer noch bestehende Verein die Sache anders: auf seiner Internetseite (siehe www.hlt-sport.de) schreibt er, dass er nur noch über zwei Abteilungen verfügt: Badminton und Fußball, letzterer betrieben von Alten Herren und Supersenioren. Jugendgefährdung kann also ausgeschlossen werden.

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