Arbeitszeit für Bergedorfs Volksvertreter verlängert

Bergedorfer Zeitung, 14. Februar 1923

Bergedorfs Bürgervertretung war 1919 für vier Jahre gewählt worden, doch die fällige Neuwahl wurde verschoben, und das ist schon ungewöhnlich. Aber nicht nur in Bergedorf war das so, sondern auch in der damals hamburgischen Stadt Cuxhaven und in allen hamburgischen Landgemeinden, denn nach einem Gesetz von 1922 sollte zunächst eine neue Landgemeinde- und Städteordnung beschlossen und dann auf dieser neuen Grundlage gewählt werden.

Aber eine Kommunalreform ist kein einfaches Vorhaben: der Senat hatte im Februar 1922 seinen Entwurf vorgelegt, und die Bürgerschaft beriet gründlich und nicht allzu schnell. Natürlich hätte man durch ein „Notgesetz“, das der Bergedorfer Bürgerverein forderte (BZ vom 23. Januar 1923), die Wahl im Frühjahr 1923 durchführen können, also nach vier Jahren, aber das schien dem Senat „nicht tunlich“, d.h. nicht ratsam, wegen der „eingetretenen allgemeinen Beunruhigung“ durch die Ruhrbesetzung: man befürchtete offenbar größere Änderungen des Wahlverhaltens mit Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse in den kommunalen Parlamenten.

Angepeilt wurden folglich Wahlen im Herbst 1923, aber die neue Landgemeindeordnung und die neue Städteordnung waren da immer noch nicht fertig: erst kurz vor Weihnachten wurden sie beschlossen (BZ vom 22. Dezember). Der Wahltag wurde in der Folge auf den 2. März 1924 festgesetzt, und das klappte dann auch (BZ vom 3. März 1924).

Bergedorfer Zeitung, 15. Februar 1923

Den Nachbarn in Sande erging es nicht anders: auch in ganz Preußen wurde die Wahl mehrfach verschoben (BZ vom 15. Februar und 21. September 1923); dort fand sie sogar erst am 4. Mai 1924 statt (BZ vom 6. Mai 1924).

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Die Ruhrgebietspende

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1923

Der Ortsausschuss Bergedorf-Sande des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) beschloss mit großer Mehrheit, sich an der vom Reichspräsidenten initiierten Spendensammlung für die Bevölkerung des besetzten Ruhrgebiets nicht zu beteiligen.

Bei dieser Aktion wurde von den Arbeitnehmern die freiwillige Abführung eines Stundenlohns erwartet, die Arbeitgeber sollten das Vierfache des Sammlungsergebnisses ihres Betriebs darauflegen. Warum der ADGB Bergedorf-Sande sich verweigerte, berichtete die BZ leider nicht; ein Kompromissantrag – freiwillige Spenden ohne Beteiligung der Firmen – wurde von der Mehrheit der örtlichen ADGB-Gewerkschaften beschlossen, aber auch das ging einer Minderheit zu weit.

Das Ortskartell Hamburg des ADGB hingegen gehörte zu den Unterzeichnern des  Spendenaufrufs des Hamburger Wirtschaftsrats, der Kammern, des Arbeiterrats Groß-Hamburg, zahlreicher Wirtschaftsverbände und Arbeitnehmerorganisationen (BZ vom 29. Januar), und so überrascht die Haltung der Bergedorfer Gewerkschaftler.

Bergedorfer Zeitung, 14. Februar 1923

An der vom Magistrat Bergedorfs einberufenen Versammlung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen nahm der lokale ADGB seinem Beschluss entsprechend nicht teil, was Bürgermeister Wiesner ausdrücklich bedauerte. Wiesner kündigte an, dass sich das städtische Elektrizitätswerk und das Wasserwerk beteiligen und die Spenden durch die Werke vervierfacht würden; offenbar waren in diesen Betrieben die ADGB-Gewerkschaften zur Mitarbeit bereit. Die Aufstockung bezog sich aber nicht auf die anderen Mitarbeiter der Stadt, wie aus einem späteren Bericht hervorgeht (BZ vom 24. Februar).

Bergedorfer Zeitung, 15. Februar 1923

Wiesners Plan für die „Ruhrgebietsspende Bergedorf“ fand breite Zustimmung bei den Verbänden, wie aus der Liste der Unterzeichner des Aufrufs hervorgeht (BZ vom 15. Februar), und im August konnten Geldeingänge von bis dahin 16,8 Millionen Mark vermeldet werden (BZ vom 8. August). Es ließ sich nicht klären, wieviel davon auf die hier beschriebene Aktion bzw. die Sammellisten des ADGB entfiel, denn es gab auch zahlreiche Wohltätigkeits-veranstaltungen von Vereinen und Lokalen, worüber sich nicht zuletzt die Wirte gefreut haben werden.

 

 

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Der Schulstreik für den beliebten Lehrer

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1923

BZ, 16. Februar 1923

Der alte Konflikt zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen lebte wieder auf, obwohl zwei Hauptbeteiligte nicht mehr dabei waren: die Provinzregierung in Schleswig hatte erst Rektor Dau und dann den Lehrer Schnack versetzt (siehe den Beitrag Schulstreik statt Schulfrieden in Sande). Doch eine „Achtzehnerkommission“ verlangte die Rückversetzung des den „Kindern liebgewordenen Lehrers Schnack“ und offenbar auch eine Neuwahl des Elternbeirats der Knabenschule, und als die Regierung ein Ultimatum verstreichen ließ, rief die Kommission zu einem weiteren Schulstreik auf.

Vor allem hinter den Kulissen wurde aber offenbar verhandelt, und nach einem Monat Schulstreik zeigte sich die Regierung gesprächsbereit (BZ vom 17. März). Ein erstes Teilergebnis war, dass es gemäß dem Antrag des (sozialdemokratischen) Amtsvorstehers Krell keine Bestrafung der Streik-Eltern wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht gab (BZ vom 24. April). Der Durchbruch gelang im September, als die Regierung sich im Sinne der Achtzehnerkommission mit den Elternbeiräten von Knaben- und Mädchenschule einigte: die Elternbeiratswahl an der Knabenschule war ungültig, der alte SPD-dominierte Beirat wurde wieder eingesetzt und im September sollte eine Neuwahl stattfinden (BZ vom 12. September).

Wahlvorsteher für diese Wahl wurde der Schulhausmeister Amtage (BZ vom 15. September), was die Sozialdemokraten sicher zufriedenstellte, und es traten zwei Gruppierungen an: die eine wurde von dem Mitglied der Achtzehnerkommission Schönemann angeführt, die andere von dem Unternehmer Bentin (BZ vom 22. September) – das Wahlergebnis wurde nicht vermeldet, denn die Wahl wurde verschoben, warum auch immer (BZ vom 21. Januar 1924). Das dürfte den Sozialdemokraten auch recht gewesen sein, denn so stellten sie wieder die Mehrheit im Beirat, ohne sich dem Risiko einer Wahl auszusetzen.

Bergedorfer Zeitung, 25. Juni 1923

Zwischenzeitlich hatte die Achtzehnerkommission vor Gericht gestanden, und die sechzehn identifizierten Mitglieder waren zu Geldstrafen verdonnert worden – zwei der Anführer waren Amtage und Schönemann gewesen.

Es könnte danach in den Schulen ruhiger geworden sein, denn eine Reihe von Lehrern hatte Sande „infolge der bisherigen unruhigen Schulverhältnisse“ verlassen (BZ vom 7. Februar und 16. April), und auf einen kommissarischen Rektor Tüxen (BZ vom 11. Januar) folgte ein früher in Sande tätiger Lehrer Thies (BZ vom 9. Juni). In der Gemeinde gingen die Kämpfe weiter, wobei die Sozialdemokraten kräftig nachtraten: dem unbotmäßigen Bentin wurde die bereits zugesagte Übertragung einer Kiesgrube (BZ vom 6. und 8. September) durch die Gemeindevertretung verweigert (BZ vom 10. Oktober).

Und Lehrer Schnack? Er war ja wegen einer falschen Behauptung über seinen Rektor Dau vom Amtsgericht verurteilt worden; seine Berufung wurde ebenso abgelehnt wie die von ihm beantragte Revision (BZ vom 23. Januar und 10. Juli). Seine Rückkehr an die Sander Knabenschule wurde nicht gemeldet; seine Wohnung in Sande behielt er laut Hamburger Adressbuch weiter.

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Ein Abend im Zeichen des Zahns

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1923

Lag es an dem „lehrreichen Vortrag“ oder an dem darauf folgenden Unterhaltungsteil, dass der Elternabend der Schule am Birkenhain so gut besucht wurde? Ohne die plattdeutschen Rezitationen oder die Beiträge der Kinder und des Chors geringschätzen zu wollen: das Thema Zahnpflege war zweifellos das wichtigere.

Der Vortragende, Dr. Lichtwark, war Zahnarzt und Leiter der Zahnpflege-Kommission der Hamburgischen Oberschulbehörde, wie die BZ zwei Tage später ergänzend und korrigierend mitteilte – es war also ein Mann vom Fach, der den Eltern (und Kindern) „die Vorteile einer regelmäßigen Zahnpflege darlegen“ wollte, und um die Zähne war es nicht gut bestellt.

Schon Jahre vorher hatte der Bergedorfer Zahnarzt Herlach die Ausbreitung von Karies beklagt: „Die Statistiken über die Beschaffenheit der Zähne bei den Schulkindern reden eine beredte, wenn auch traurige Sprache. Sind doch in den Schulen nur etwa fünf Prozent Kinder mit einem normalen Gebisse vorhanden.“ Vor allem die „Kinder der minderbemittelten Bevölkerung“ seien betroffen, und er forderte die Einrichtung einer Schulzahnklinik nach Berlin-Neuköllner Vorbild (BZ vom 18. April 1914).

So wirklich schnell ging es aber nicht damit: die Allgemeine Ortskrankenkasse hatte 1917 eine Zahnklinik eröffnet, in der nur die Kinder der Versicherten behandelt wurden: die Kinder stellten 262 von 2799 Patienten des Jahres, über eine eigene Schulzahnklinik verhandelte die AOK mit den Behörden (BZ vom 16. Februar 1918). Über Zahn- und Mundkrankheiten, besonders Karies, hielt ein Zahnarzt der AOK einen öffentlichen Vortrag, doch der Besuch ließ sehr zu wünschen übrig (BZ vom 25. Februar 1918). Allzu großes Interesse bestand bei der Bevölkerung also nicht.

Erst 1920 handelte die Stadt: Bürgermeister Wiesner „machte … Mitteilung, daß die Stadt für schulärztliche Untersuchung und Zahnbehandlung Mittel zur Verfügung gestellt habe. Mit der Untersuchung der Kinder ist Dr. Bohne betraut worden.“ (BZ vom 11. September 1920) Sande zog 1921 nach (BZ vom 2. Juni 1921). Dr. Bohne war übrigens Allgemeinarzt, kein Zahnarzt, aber immerhin …

Bergedorfer Zeitung, 5. Juli 1922

Geht man nach den Anzeigen in der BZ, spielten Zahnpflegemittel praktisch keine Rolle in Bergedorf: die hier gezeigte Annonce war  die letzte bis zum 14. April 1923, auch kein anderer Hersteller inserierte. Wichtiger als gesunde Zähne waren offenbar andere Cremes und dergleichen: Werbung für Hautpflege fand sich kontinuierlich mehrmals pro Woche, und die größten Anzeigen gab es für ein Schuhpflegemittel.

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Die lästigen Nachkommastellen

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1923

Das machte das Leben der Behördenbediensteten etwas einfacher: sie brauchten von da an Pfennigbeträge nicht mehr zu berechnen – außer bei den ihnen zustehenden Gehältern und Löhnen. Das machte den Geldverkehr (bar und unbar) zweifellos leichter; die Höhe der dadurch erreichten Einsparungen ist unbekannt.

Bergedorfer Zeitung, 12. März 1923

Auch die Setzer sollten entlastet werden: Nachkommabeträge gab es kaum noch, und dann machte auch der „Pfennigstrich“ keinen Sinn mehr, folglich konnte er wegfallen. Ein einleuchtender Vorschlag: als die Stadt Bergedorf ihre neue Begräbnisordnung bekanntmachte (BZ vom 27. Februar), wurde nach allen genannten Beträgen das ,– gesetzt, insgesamt 44mal. Während die Stadt dann recht zügig den Pfennigstrich aus ihren Bekanntmachungen strich, hielt die Bergedorfer Ortskohlenstelle noch bis zur Jahresmitte daran fest. Inserierende Firmen hatten sich zu diesem Zeitpunkt zumeist schon umgestellt.

Im Zuge der andauernden Inflation kamen Komma und Nachkommastellen später wieder zu Ehren. Nominal ging es dann aber nicht um Pfennigbeträge.

 

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Not vs. Luxus

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1923

Gestützt auf ärztliche Statistiken zeichnete der Bergedorfer Frauenverein ein dramatisches Bild des Gesundheitszustands der Kinder – und hatte auch gleich „unsere Feinde“ als die Schuldigen ausgemacht. Den Leserinnen und Lesern sollten Hungerblockade und Steckrübenwinter des Ersten Weltkriegs ins Gedächtnis gerufen werden, und so kurz nach der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien öffneten Spendenappelle zugunsten deutscher Kinder sicher manche Geldbörse – man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die unbestreitbare Not der Kinder hier instrumentalisiert werden sollte.

Bergedorfer Zeitung, 27. Januar 1923

Bescheiden zeigte sich die Kirchengemeinde in Sande: ihre Kasse war offenbar leer, denn die Einnahmen aus der Kirchensteuer sollten erst im Laufe des Jahres eintreffen (BZ vom 1. Februar), und so musste man sehen, wie man an Geld kam, um zu den Konfirmationsgottesdiensten die Kirche heizen zu können. Ein Wohltätigkeitskonzert sollte das Problem lösen: 100 Mark kostete laut Anzeige eine Karte, und es gab eine „vielköpfige Zuhörermenge“ (BZ vom 12. Februar) – ob das reichte, die große Kirche wirklich warm zu heizen, wurde nicht berichtet.

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1923

Es herrschte aber nicht überall Not: wenn Hamburger Feinkostläden „teuerste und edelste Delikatessen“ in ihre Schaufenster stellten, taten sie es, weil sie damit Kundschaft anlocken wollten, der der Preis ziemlich egal war. Ob die Aufforderung der Konsumentenkammer tatsächlich zu einem „scharfen Eingreifen der Behörden“ führte, stand nicht in der BZ. Ob andere getroffene Maßnahmen wie das Verbot „unnötiger kalter Büfetts“ (BZ vom 26. Januar) und der Herstellung von Schlagsahne, die das immer noch bestehende Hamburger Kriegsversorgungsamt anordnete (BZ vom 30. Januar), die weniger wohlhabende Bevölkerung beruhigten, kann bezweifelt werden.

Bergedorfer Zeitung, 8. Januar 1923

BZ, 12. Januar 1923

Man kann aus der BZ nicht erschließen, in welchem Maß der Lebensmittel-Luxus auch in Bergedorf und Sande ein Problem war: im gesamten Monat Januar inserierten nur zwei Händler – das Angebot von Carl Gosch ging schon in Richtung Delikatesse, und auch die Würstchen konnte sich wohl nicht jeder leisten.

 

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Maßnahmen gegen Alkoholmissbrauch und Genusssucht

Bergedorfer Zeitung, 29. Januar 1923

Wer sich in einem öffentlichen Lokal einen Rausch antrinken wollte, hatte nun weniger Zeit dafür: die Polizeistunde wurde auf „12 Uhr abends“ vorverlegt, und in den letzten zwei Stunden vor Mitternacht war Bier das einzige alkoholische Getränk, das ausgeschenkt werden durfte – clevere weintrinkende Runden werden kurz vor 22 Uhr noch ein bis zwei Flaschen bestellt und geöffnet haben.

Die Polizeiverordnung wurde vor dem Hintergrund der Ruhrbesetzung und der wirtschaftlichen Lage verfügt: Reichskanzler Cuno hatte die Länderregierungen zur „Bekämpfung der Schlemmerei und des Alkoholmißbrauchs“ aufgerufen: die Mehrheit des Volkes leide schon jetzt Not, und die Ereignisse der letzten Tage steigerten die Sorgen „bis aufs höchste“, und da seien „Luxus und Gastereien üppiger Art“ zu unterbinden, „die Erlaubnis zu öffentlichen Tanzlustbarkeiten … im allgemeinen zu versagen“ (BZ vom 20. Januar 1923).

Das hatte Hamburg nun also nur teilweise umgesetzt – in der Provinz Schleswig-Holstein, zu der ja auch Sande gehörte, waren die Vorschriften einschränkender: die Polizeistunde setzte bereits um 23 Uhr ein und Tanzveranstaltungen wurden generell verboten (BZ vom 27. Januar), allerdings konnten Ausnahmen zugelassen werden (BZ vom 19. Januar). Toleranter als Hamburg war die preußische Regelung hinsichtlich der Altersgrenze:  Alkohol gab es ab 16 Jahren – ob dies zu Wanderungen Bergedorfer Jugendlicher zwischen 16 und 20 Jahren in Sander Lokalitäten führte, ließ sich nicht feststellen.

Und wer tanzen wollte, ging nach Bergedorf – in Sande beschränkten sich die Gastronomen auf Konzerte, wie aus den Anzeigen der folgenden Wochen hervorgeht.

Bergedorfer Zeitung, 29. Januar 1923

Die ansonsten ja durchaus feierfreudigen Vereine befleißigten sich in dieser Zeit der Zurückhaltung: „Spiel und Sport Bergedorf“ sagte seinen avisierten Maskenball „infolge der ernsten Zeitverhältnisse“ ab (BZ vom 25. Januar), desgleichen der Gesangverein Frohsinn sein Stiftungsfest. Ausgerechnet den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband störten die Zeitverhältnisse nicht: er lud zu einem Bunten Abend mit nachfolgendem Ball ins Bergedorfer Colosseum (BZ vom 1. Februar).

 

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Die unterbliebene Denkmalsvernichtung

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1923

Es wird bei manchen einiges Zähneknirschen gegeben haben bei dem Beschluss, die Denkmäler für Kaiser Wilhelm I. und den kaiserlichen Reichskanzler Otto von Bismarck nicht zu beseitigen – aber wenn man „schwere rechtliche Nachteile für die Stadt“ vermeiden wollte, musste man sie stehen lassen.

Die Forderung nach „Beseitigung und Vernichtung“ war 1922 aus der Arbeiterbewegung erhoben worden, ebenso die nach Änderung von Straßennamen (siehe den Beitrag zum Streit um die Straßennamen), und während die Umbenennungen von Magistrat und Bürgervertretung beschlossen wurden, wurde die „Denkmalsfrage“ einer Kommission überwiesen, die nun ihren Bericht vorlegte: die Beschlüsse der Stadtväter von 1889 und 1905, die privat finanzierten Denkmäler „in Obhut und Pflege“ der Stadt zu übernehmen (BZ vom 22. Juli 1922), könnten im Falle des Abräumens zu Schadensersatzansprüchen führen, auch gebe es Einsprüche des Denkmalschutzes und der Baupflege gegen ein solches Vorhaben.

So blieb das Kaiser-Wilhelm-Denkmal also Bergedorf erhalten, wenn auch sein Standort die neue Bezeichnung „Schloßstraße“ erhalten hatte, was 1924 bei anderen Mehrheitsverhältnissen wieder rückgängig gemacht wurde. Das Bismarck-Denkmal wurde Jahrzehnte später in den Schlosspark versetzt, als die 1923 geäußerten Bedenken offenbar keine Rolle mehr spielten.

Noch heute hört und liest man in Bergedorf gelegentlich Kritik an den Denkmälern und den Umgang mit diesen.

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Von Pelzen, Mäusen und Brotmarken

Bergedorfer Zeitung, 22. Januar 1923

Wenn Heizmaterial knapp und teuer ist, muss man zusehen, wie man sich warm hält – ein Pelz als Decke, Fußsack oder Kleidungsstück kann da durchaus helfen. Sogar Maulwurfsfelle wurden so zu Mänteln u.ä. verarbeitet – in Anbetracht der Größe eines Maulwurfs und des Fellpreises war das sicher kein billiges Vergnügen. (Die Preise waren stark gestiegen: Ende 1919 brachte der Verkauf eines Maulwurfsfells zwei bis drei Mark, siehe den Beitrag über den Bergedorfer Fellhändler Karl König, nun waren es 600 Mark.) Für einen Mantel aus Katzenfell mussten 24 bis 36 Tiere ihr Leben lassen – die Bergedorfer „Fell-Einkaufs-Zentrale“ kaufte erstklassige Katzenfelle zu 2.000 Mark an, eine Woche darauf zu 2.400 Mark (BZ vom 29. Januar 1923).

Bergedorfer Zeitung, 10. Januar 1923

Das war für dunkle Gestalten sicher attraktiv, und so geriet vermutlich manch eine Katze ohne das Einverständnis des Besitzers bzw. der Besitzerin in die Hände der Fellhändler und wurde schmerzlich vermisst, als Haustier und als Mäusefänger, was in dem hier berichteten Fall dazu führte, dass Mäuse die Brotkarten einer Kriegerwitwe in Schnipsel zerlegten (Abbildung einer intakten Hamburger Brotkarte von 1922).

Das hätte schlimme Folgen haben können: im schlimmsten Fall hätte die Frau das Anrecht auf die Brotration für zwei Wochen verloren, aber sie hatte Glück: sie erhielt Ersatz für die „gemausten“ Karten und musste kein „markenfreies Gebäck“ kaufen:

Bergedorfer Zeitung, 11. Januar 1923

Bergedorfer Zeitung, 12. Januar 1923

 

 

 

 

 

Die Preise für Markenbrot und markenfreies Brot waren demnach zwar gleich, doch im freien Handel gab es sehr viel weniger Ware für den selben Preis. In der Familie der Kriegerwitwe wäre Brot sehr knapp geworden, wenn ihr nicht die Gemeinde Neuengamme neue Karten ausgehändigt hätte.

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Sanitäre Missstände in Bergedorf beseitigt

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1923 (gekürzt)

Auf dem Bergedorfer Kamp waren laut Befund der Hamburger Gesundheitsbehörde „die sanitären Zustände … die bedenklichsten im ganzen hamburgischen Staatsgebiet“. Das war nicht neu, im Gegenteil: schon 1899 war dringender Handlungsbedarf festgestellt worden, doch Bergedorfs damalige Stadtväter setzten andere Prioritäten und tolerierten auf dem Kamp weiterhin Plumpsklo und Sickergrube, der Epidemiegefahr zum Trotz.

Es war eine reine Arbeitergegend: das sogenannte Kampdreieck mit den nüchternen Straßennamen Erste bzw. Zweite Querstraße und Grabendamm (heute Achterdwars und Dwarstwiet), war (und ist) eingeklemmt zwischen zwei Bahntrassen und dem Weidenbaumsweg (siehe die Karte 1904), weiter südlich am Weidenbaumsweg lange mehrgeschossige Mietshäuser und gegenüber die Arbeiterwohnungen der Glashütte – in diesem Gebiet lebten damals 2.000 Menschen, und hier sollte nun endlich ein Schmutzwassersiel gelegt werden.

Das werde in vielen Häusern den Bau neuer „Abortanlagen“ erfordern, schrieb die BZ weiter und forderte, „daß die während des Krieges im Interesse der Volksernährung nicht so streng genommenen Bestimmungen der Abfuhrordnung über Stallanlagen und Gruben strikte durchgeführt werden, um gesunde Verhältnisse auf dem Kamp zu erreichen und zu erhalten.“

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1923 (gekürzt)

In Bergedorfs östlicher (Vor-)Stadt dagegen musste das Siel erneuert werden: die etwa zwanzig Jahre alten Rohre unter der Brunnenstraße (heute Holtenklinker Straße) hatten (u.a. wegen des zunehmenden LKW-Verkehrs) so sehr gelitten, dass Einstürze drohten, wie es sie dort in den beiden Vorjahren bereits gegeben hatte.

Es erwies sich letztlich als weise, dass „bei der Ausführung entstehende Mehrkosten für Lohn- und Materialpreissteigerungen“ gleich mitbewilligt wurden (BZ vom 20. Januar): die Maßnahmekosten für den Kamp stiegen von 25,3 Millionen Mark auf 45 Millionen Mark (BZ vom 5. März) – die im Mai begonnenen Arbeiten in der Brunnenstraße verschluckten schließlich mehrere Billionen Mark (BZ vom 5. und 8. November). Hyperinflation eben.

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