Die Zwangsjacke für die Damenschneiderinnen

Bergedorfer Zeitung, 15. März 1923

Bergedorfs Damenschneiderinnen freuten sich über ihre neue Zwangsjacke – sie hatten sie ja auch mehrheitlich gefordert. Man kann davon ausgehen, dass die meisten von ihnen zuvor im „Verein selbständiger Schneiderinnen von Bergedorf und Umgegend“ (BZ vom 2. Februar 1923) organisiert waren, aber das Vereinsdasein genügte ihnen offenbar nicht: nun also Zwangsinnung, der alle selbständigen Schneiderinnen angehören mussten.

Bergedorfer Zeitung, 5. Juni 1923

Die Organisation der Innung war straff: in der Einladung zu einer Mitgliederversammlung wurde die Verhängung von Strafen angekündigt: Fernbleiben 1.500 Mark, verspätetes Kommen 750 Mark – und die Innung beschloss verbindliche „Richtpreise“ für die Anfertigung von Damenbekleidung, um ein gegenseitiges Unterbieten zu verhindern.

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1923

Dennoch: die Innung hatte sich vielfältiger Konkurrenz zu erwehren, wie aus dem „Sprechsaal“-Beitrag des Innungsvorstands zu entnehmen ist: es gab reisende „Zuschneideschulen“, die in drei halben Tagen alle nötigen Kenntnisse der Schneiderei zu vermitteln versprachen. Das beeinträchtigte natürlich die drei (kostenpflichtigen) Fachschulen von Innungsmitgliedern, und außerdem konnte die Billig-Konkurrenz der Schnellkurs-Absolventinnen ja nur „auf die fürchterlichste Art“ schneidern, was den ganzen Stand in Misskredit brachte …

Aber man schimpfte nicht nur, sondern lobte auch: die Nähkurse des Frauenvereins und die „mustergültige Pflichtfortbildungsschule“ vermittelten wichtige Kenntnisse für den „Hausbedarf“ wenig begüterter Familien – die Innung setzte auf die trotz der schwierigen Zeiten vorhandene zahlungskräftige Kundschaft für „feine Damenschneiderei“ und drei Meisterinnen suchten sogar geprüftes Personal für ihre Betriebe (BZ vom 24. März, 16. April und 5. Mai 1923): trotz aller Probleme lief das Geschäft offenbar nicht schlecht.

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