Die Hand- und Spanndienste für die Kirche

BZ, 24. März 1924

Der Dank der Landeskirche und der der Kirchengemeinde Neuengamme war geradezu überschwänglich, und sie hatten auch allen Grund, sich zu bedanken: die Friedhofserweiterung wurde weitgehend in ehrenamtlichem Einsatz durch die Gemeindemitglieder bewerkstelligt.

Bei steigenden Einwohnerzahlen gibt es auch mehr Sterbefälle, und deshalb musste der Friedhof erweitert werden. Da aber die Hyperinflation noch nachwirkte, konnte man mit der nötigen Aufhöhung der Fläche nicht einfach Firmen beauftragen, sondern musste um Freiwilligendienst bitten: „Der Kirchenvorstand hat beschlossen, für diese Arbeit die Kirchengemeinde zu Hand- und Spanndiensten aufzurufen.“ (BZ vom 24. Dezember 1923) Als dieser Appell veröffentlicht wurde, hatten die Hufner bereits zugesagt, mit Pferd(en) und Wagen zu helfen; nun sollten die „kleineren“ Leute der Gemeinde sich zu Handdiensten bereiterklären, also z.B. das von den Gespannen der Bauern angelieferte Material per Schaufel verteilen.

BZ, 21. Juli 1924

Im Frühjahr war die Arbeit offenkundig erledigt, und die Beteiligten konnten stolz auf ihre Leistung sein.  Nach erfolgter Vermessung des Gottesackers begann dann im Sommer der Verkauf der Grabstellen (BZ vom 12. April und 21. Juli), der wohl schleppend verlief: innerhalb der Frist bis zum 4. August gelang es nicht, alle Stellen zu verkaufen. Der Kirchenvorstand inserierte beschönigend, dass wegen der anhaltenden Nachfrage die Verkaufszeit um eine Woche verlängert würde, und es wurde die Zahlung in zwei Raten ermöglicht (BZ vom 4. August).

BZ, 15. August 1924

Der Kirchenvorstand hatte aber entweder die Zahlungsfähigkeit der Gemeindemitglieder oder ihre Zahlungsbereitschaft überschätzt: für die Deckung der trotz der unbezahlten Arbeit entstandenen Kosten mussten alle Gemeindemitglieder (mit sozialen Ausnahmen) herangezogen werden und fünf Mark Friedhofsteuer bezahlen.

Man hätte vielleicht erwarten können, dass sich Protest regte, doch dem war nicht so: bei der turnusmäßigen Wahl des Kirchenvorstands am 30. November gab es keine Gegenkandidaten.

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Waldlauf mit Hindernissen

Bergedorfer Zeitung, 8. März 1924

Der Verfasser des Zeitungsartikels war begeisterter Waldläufer, der seine Sportart in den höchsten Tönen anpries: er sah den Waldlauf als „die schönste Form gemeinsamer Betätigung“ für „leichtgekleidete Läufer“, die „auf schweigenden Waldwegen“ ihre Lungen „bis in die äußersten Spitzen mit reinem Sauerstoff“ füllten und dabei die Chance hatten, den Titel eines Hamburger Waldlaufmeisters zu erreichen, erstmals in Bergedorf.

Die Hinweise des Experten zum richtigen Laufen werden auf jeden Fall dem damaligen Stand der Lauftechnik entsprochen haben; der hier empfohlene „kraftsparende und raumschaffende Sohlenlauf“ war nach der Österreichischen Illustrierten Sport-Zeitung vom 2. Jänner 1925 allerdings nicht unumstritten. Die Tipps zur bestmöglichen Bewältigung von Gefällestrecken und Steigungen waren angesichts des Höhenprofils des Austragungsorts sicher beachtenswert, an hügeligem Gelände und talartigen Einschnitten herrscht(e) im Bergedorfer Gehölz kein Mangel. Austrainierte Sportler werden aber ohne „seitlichen Schräglauf“ ausgekommen sein.

Bergedorfer Zeitung, 10. März 1924

Doch es kam anders als geplant: der Winter war noch nicht vorüber, die Wege im Wald waren „vollkommen vereist“, und so wurde der Start von der Marienburg am Rande der Bille-Niederung zum Waldschloss (NN +41m) verlegt, und als Laufstrecke die „Schwarzenbeker Chaussee“, d.h. die Wentorfer Straße und ihre Fortsetzung in Richtung Schwarzenbek auserkoren. Statt auf schweigenden Waldwegen lief man nun neben einer Hauptverkehrsstraße, an der die Bäume gefällt worden waren (BZ vom 14. Januar 1920). Statt reinen Sauerstoffs gab es für die Sportler also eher Autolärm und -abgase sowie nur sanfte Steigungen.

Bergedorfer Zeitung, 22. März 1924

Auch als vierzehn Tage später die norddeutschen Waldlaufmeisterschaften in Bergedorf stattfanden, war die ursprünglich vorgesehene Strecke noch teilweise vereist und somit „nicht lauffähig“, doch dieses Mal hatte man eine Alternative vorbereitet, die tatsächlich einen Waldlauf mit höherem Anspruchsniveau an die Lauftechnik, nämlich durch das Gehölz und am Gojenberg, beinhaltete. 35 von 39 Startern erreichten das Ziel – die Verhältnisse waren also nicht irregulär (BZ vom 24. März).

Einen Lauf für Frauen gab es übrigens nicht.

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Soziale Not auch in Besenhorst und Geesthacht

Bergedorfer Zeitung, 27. Februar 1924

Bergedorfer Zeitung, 12. März 1924

Wahrscheinlich war die Not in Bergedorfs Nachbarorten Besenhorst und Geesthacht noch verbreiteter: in Bergedorf bedurften über elf Prozent der Bevölkerung der Unterstützung (siehe den Beitrag Die Not der Bevölkerung); Geesthacht verzeichnete unter 5300 Einwohnern „fast 1.700 Leute, die von der Gemeinde erhalten werden müssen“, also beinahe ein Drittel. Für Besenhorst gab es 1924 in der BZ keine Zahlenangaben, doch die Arbeitslosigkeit dürfte noch größer gewesen sein als im angrenzenden Geesthacht: das Wachstum Besenhorsts in den vorangegangenen Jahrzehnten auf geschätzt 1.500 bis 1.600 Einwohner war vor allem durch das Wachstum der Pulverfabrik Düneberg getrieben worden, doch die Massenentlassungen nach Kriegsende bedeuteten schlicht Massenarbeitslosigkeit. Das war in Geesthacht ähnlich und führte sogar zu einem Rückgang der Einwohnerzahl (BZ vom 26. Januar 1924).

Ob der Besenhorster Appell, „für jede verdiente Mark einen Pfennig“ wöchentlich und freiwillig abzugeben, fruchtete, war nicht in der BZ zu lesen. Wenn man bedenkt, dass mit dem so vielleicht mobilisierten Geld „Bedarfsartikel des täglichen Gebrauchs“ verteilt werden sollten, dann klingt die Formulierung, es gebe bereits eine „weit ausgreifende Wohlfahrtspflege“ schönfärberisch.

Auch in Geesthacht reichten „die Geldunterstützungen von der Gemeinde … nicht zum allernötigsten Lebensunterhalt aus“, und die Hilfsaktionen des Frauenvereins, die zu Weihnachten 1923 wohl nicht mehr als 150 Personen zugutekamen, werden auch nur wenig daran geändert haben. Obgleich der Verein „große Wohltätigkeitsfeste, die unendliche Mühe und Arbeit sowie große Unkosten verursachen“, kritisch sah, nutzte er weiterhin diese Form der Geldbeschaffung, z.B. mit einem Wohltätigkeitskonzert „zur Linderung der Not der bedürftigen Alten“ am 5. April (BZ vom 2. April). Ein für den gleichen Tag geplanter Vortrag zum Thema Vermögenssteuer durch Obersteuerinspektor Lindemann vom Finanzamt Bergedorf wurde um einige Tage verschoben (BZ vom 4. April). Nicht allen Geesthachtern ging es also schlecht.

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Der Frostaufgang und die Provinzialchaussee

BZ, 11. März 1924

Wenn der Winter geht, die Schneeglöckchen die Erde durchbrechen, dann brechen auch die Straßen auf und zeigen die erlittenen Frostschäden. Wenn dann der Verkehr unvermindert und ungebremst die Schlaglöcher durchquert, werden die Schäden noch schlimmer – das zu verhindern, ist Aufgabe der zuständigen Behörde(n), die erforderlichenfalls eine (teilweise) Sperrung veranlassen. Erst wenn der Untergrund aufgetaut ist, kann eine solide Instandsetzung durchgeführt werden.

Bergedorfer Zeitung, 14. März 1924

Vielleicht war die Provinzialchausseestrecke zwischen Schiffbek und Sande (heute: Billstedt und Lohbrügge) schon beschädigt, obwohl der Boden noch gefroren war – das Amt Sande jedenfalls ordnete „mit sofortiger Wirksamkeit“ für diesen Abschnitt ein Fahrverbot für motorbetriebene Lastkraftwagen und Omnibusse an.

BZ, 17. März 1924

Aber das am Freitag (14. März) ergangene Verbot hatte nicht lange Bestand: am Montag (17. März) machte das Amt bekannt, dass die Sperrung „einstweilen, bis Eintritt von Tauwetter“ aufgehoben war.

BZ, 29. März 1924

Das Tauwetter ließ offenbar auf sich warten: erst zum Monatsende wurde die Sperrung wieder in Kraft gesetzt, aber nur für die 1,4 Kilometer lange Strecke Schiffbek-Boberg und auch nur für Lastkraftwagen.

BZ, 11. April 1924

Etwas überraschend war es dann nicht das Amt Sande, sondern die Polizeibehörde Sande, die die Freigabe der Strecke verfügte, aber nur „km 10,3-11,3“ – das Amt hatte die Einschränkung für „km 10,3-11,7“ ausgesprochen. Man kann aber vermuten, dass von da an auf der ganzen Strecke von Schiffbek bis Boberg und Sande die Räder wieder rollten.

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Die Radioübertragung aus Kuhwärder

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1924

Bergredorfer Zeitung, 8. März 1924

Reinbek war schneller als Bergedorf, aber Bergedorf hatte Radioempfang aus Kuhwärder: am 1. März sollte in Reinbek ein „Radio-Experimental-Vortrag mit Rundfunkgerät“ stattfinden (Anzeige in der BZ vom 28. Februar) – für Bergedorf blieb nur die Wiederholung am 6. März. Ebenfalls am 6. März präsentierte die Bergedorfer Ortsgruppe des Norddeutschen Radio-Clubs Hamburg ihre Experten vor geladenen Gästen im Portici – die Vorführungen klappten nur mäßig gut: die Teilnehmer mussten sich der Lautsprecher bedienen (gemeint waren vermutlich Kopfhörer) und die Verbindung mit England war „leider nur unvollkommen zu erhalten“.

Um so besser dagegen der Empfang der Übertragungen aus Kuhwärder (im Hamburger Hafen gelegen, siehe die Karte „Der Hafen von Hamburg“ (1922)), obwohl es sich nur um einen transportablen Miniatursender gehandelt haben kann, denn eine eigene Sendeanlage in und für Hamburg gab es noch nicht.

Der BZ-Redakteur Hanns Lotz hörte erstmals bei einem Freund Radio – seine Erlebnisse schilderte er anschaulich in der BZ vom 1. März (S. 9), z.B. bei der Sendersuche: „Da fängt es plötzlich in den Kopfhörern … seltsam zu rumoren an. Eine ganze Menagerie von Hunden, Katzen, Vögeln und sonstigen winselnden und piepsenden Geschöpfen scheint sich zu einem nächtlichen Hexensabbath ein Stelldichein gegeben zu haben.“ Schließlich aber erklang aus dem Gerät „Musik in wirklich hoher Vollendung“, wenn auch mit „einigen schwachen Nebengeräuschen“, und so bescheinigte Lotz dem Radio „eine gewaltige Zukunft“.

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Die Bahnfahrkarte im scharfkantigen Blechrahmen

Bergedorfer Zeitung, 8. März 1924

Die Reichsbahn wollte 1924 die Schummelei mit Monats- und Wochenkarten bekämpfen. Solche Fahrtausweise waren personengebunden, also nicht übertragbar (woran sich im Prinzip bis heute nichts geändert hat). Hatte es im Februar noch geheißen, dass solche Karten „mit vollständig ausgeschriebenem Vor- und Zunamen zu unterschreiben“ waren – Fahrkarten ohne oder mit verwischter Unterschrift wurden bei Kontrollen eingezogen (BZ vom 13. Februar), so kam nur Wochen später die Anforderung eines Lichtbildes hinzu – die professionellen Fotografen wird’s gefreut haben, wie man aus ihren Anzeigen schließen kann (BZ vom 8. und 15. März), die Bahnkunden weniger.

Bergedorfer Zeitung, 5. April 1924

Die feste Verbindung von Zeitkarte und Porträtfoto sollte ein „scharfkantiger Blechrahmen … mit einer dicken Bleiplombe“ sicherstellen (Abbildungen derartiger Kombinationen gibt es z.B. auf einer privaten Internetseite), was BZ-Redakteur Hanns Lotz in seiner Wochenkolumne als „unbegreifliche Zumutung“ empfand.

Die heutigen Regelungen zur Verhinderung des Missbrauchs solcher Fahrkarten entsprechen weitgehend den damaligen – für die hiesige Region ist dies in den Gemeinsamen Beförderungsbedingungen des HVV niedergelegt; Zahlungen sind aber in Euro und nicht mehr in Goldmark zu leisten.

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Der Wahlkampf in Bergedorf – und die Ergebnisse

Bergedorfer Zeitung, 20. Februar 1924, Bericht über die Versammlung des Bürgervereins (Auszug)

Bergedorfs Rechts-und-Mitte-Rechts-Lager schmiedete ein Wahlbündnis: die SPD sollte ihre Mehrheit in den städtischen Gremien verlieren, so das gemeinsame Vorhaben von DVP, DNVP, Bürger-, Grundeigentümer- und Ladeninhaberverein, Wirtschafts- und Handwerkerbund, Zentrum und Deutschnationalem Handlungsgehilfenverband, die fortan im Wahlkampf als „Bürgerliste“ auftraten und jegliche Mäßigung vermissen ließen: man wollte vom angeblichen „Terror der Sozialdemokratie“ freikommen. Was damit gemeint war, stand in diesem Artikel und einem weiteren vom 28. Februar (S. 2): die SPD-Mehrheit (mit Unterstützung durch die DDP) habe eine Politik gegen das Bürgertum, aber auch gegen die Arbeiter betrieben und letztlich die Stadt ruiniert.

Bergedorfer Zeitung, 22. Februar 1924: Bericht über eine DDP-Versammlung (Auszug)

Die linksliberale DDP hielt zur Bürgerliste Distanz: sie sah sich als Vermittler zwischen den Blöcken und stellte eine eigene Liste auf, auf der unter 20 Kandidaten fünf Frauen waren – Bürger- wie KPD-Liste waren frauenlos, unter den 30 sozialdemokratischen Bewerbern war gerade einmal eine Frau (Bekanntmachung des Rats, BZ vom 23. Februar). Ein ausführlicher Bericht über das Programm der DDP war in der BZ vom 29. Februar (S. 2) zu finden: gewarnt wurde vor einem „Grundeigentümerparlament“ und ebenso vor einer „einseitigen Linkspolitik“.

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1924: Bericht über eine SPD-Veranstaltung (Auszug)

Die SPD zog eine Bilanz der letzten fünf Jahre (BZ vom 23. Februar), wobei sie die Schuldigen für kommunale Misserfolge vor allem beim Reichstag, der Reichsregierung, der Reichsbank und der Großindustrie sah, aber: „Weil die Sozialdemokratie auf realem Boden praktische Politik getrieben, laufe das Bürgertum jetzt gegen sie Sturm.“ Ratmann Friedrich Frank war Optimist: „Bei der Bergedorfer Wahl seien Überraschungen … nicht zu befürchten“ (ebd.)

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1924: Bericht über eine SPD-Veranstaltung (Auszug)

Über die Veranstaltung der „Wahlorganisation der Mitglieder der KPD“ am Tag vor der Wahl im Colosseum berichtete die BZ nicht, aber da die Spitzenmänner dieser Partei, Seß und Hinrichs, auch die Veranstaltungen der anderen Parteien nutzten, ihre Sichtweise darzulegen, fanden ihre Positionen auch Niederschlag in der BZ. Die einzige Anzeige der Kommunisten in der BZ warb mit dem Slogan „Laßt Euch nicht verblüffen, wählt die kommunistische Liste!“, aber ohne inhaltliche Positionen (BZ vom 29. Februar).

Die extreme Rechte kandidierte nicht, aber trat durchaus in Erscheinung, wie in einem späteren Beitrag dargestellt werden soll.

Bergedorfer Zeitung, 3. März 1924

Das Wahlergebnis war für SPD und DDP enttäuschend: beide verloren erheblich an Stimmen und Mandaten. Auf Seiten der Kommunisten wird man sich gefreut haben – der Jubel bei der Bürgerliste (13 von 25 Mandaten in der Stadtvertretung) war aber verhalten, denn Bürgermeister Wiesner (SPD) und der besoldete Ratmann Messerschmidt (SPD) blieben in ihren Ämtern, und bei Stimmengleichheit im Rat entschied die Stichstimme des Bürgermeisters.

Auch in den anderen Teilen der Landherrenschaft Bergedorf war ein Trend hin zu den Rändern des politischen Spektrums zu verzeichnen – im traditionell „linken“ Geesthacht wurden die Kommunisten stärkste Kraft; die Sozialdemokraten fielen auf Platz drei zurück.

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Böses Blut und Bauernmilch in Geesthacht

Bergedorfer Zeitung, 26. Februar 1924

Die paritätische Milchpreiskommission in Geesthacht sollte die unterschiedlichen Interessen von Verbrauchern, Erzeugern und Händlern zum Ausgleich bringen – keine einfache Aufgabe, und so hatte es wiederholt „böses Blut“ gegeben, was wohl vor allem an den Milchhändlern lag: sie lehnten Ende Januar „unter Hinweis auf ihre Unkosten jede Preisherabsetzung ab“ (BZ vom 28. Januar 1924). Erst die Einschaltung der Landherrenschaft konnte daran etwas ändern: in Geesthacht sollte künftig die Milch 2 Pfennig weniger kosten als in der Stadt Hamburg. Offenbar enthielt die Kalkulation der geschäftstüchtigen und gewinnorientierten Milchhändler den „Meiereizuschlag“, der in der Stadt Hamburg im Verkaufspreis enthalten war – aber die in Geesthacht gehandelte Milch hatte nie eine Meierei (Molkerei) von innen gesehen geschweige denn eine Behandlung erfahren, sie war weder pasteurisiert noch homogenisiert – sie war eine „sogen. Bauernmilch“. Da nach einer amtlichen Mitteilung aus Hamburg jeder Unternehmer seine Unkosten zu belegen verpflichtet war (BZ vom 24. Januar 1924), mussten Geesthachts Milchhändler nachgeben. Der Preis fiel und blieb 1924 immer unter dem stadthamburgischen Niveau.

Hinweis für Milchtrinker: Der Begriff „Bauernmilch“ hat seither manche Wandlung erfahren – er scheint heute kein milchrechtlicher Begriff zu sein und so findet man recht unterschiedliche Angaben zur Bedeutung. Der unbehandelten Bauernmilch von 1924 kommen heute wohl die „Vorzugsmilch“ und „Milch ab Hof“ am nächsten.

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Das republikgefährdende Bergedorf-Sander Volksblatt

Bergedorfer Zeitung, 19. Februar 1924

In den Augen des Militärbefehlshabers gefährdete das Bergedorf-Sander Volksblatt (BSV), die örtliche SPD-Parteizeitung, die Republik, und so verbot er das Blatt für drei Tage. Die Gefahr für die Republik ging demnach von einer Meldung über Waffenfunde bei Rechtsgerichteten im sachsen-anhaltinischen Halle aus, denn das BSV hatte es unterlassen, die erforderliche Genehmigung einzuholen: solche Meldungen durften nur mit Zustimmung des „Inhabers der vollziehenden Gewalt“, des Generalleutnants von Tschischwitz, mit Sitz in Stettin und Zuständigkeit auch für Hamburg, veröffentlicht werden. Die Befugnis zur Vorzensur und zum Verbot von Zeitungen hatte er aufgrund der Verhängung des Ausnahmezustands durch den Reichspräsidenten nach dem Hitler-Putsch.

Für drei Tage war also die Stimme des BSV zum Schweigen gebracht, doch weil das Blatt in seiner letzten Ausgabe vor Inkrafttreten des Verbots die Maßnahme kritisiert hatte, wurde die Untersagung um fünf Tage verlängert (BZ vom 19. und 21. Februar), wie auch die Parteizeitung der Hamburger SPD, das Hamburger Echo (HE) schrieb.

Über die Waffenfunde hatten BSV und HE übrigens gleichlautend und am selben Tag berichtet, doch erst als das „Echo“ sich sarkastisch beschwerte („Wir denunzieren uns … desselben angeblichen Vergehens“, HE vom 18. Februar), widerfuhr ihm dasselbe Schicksal, ein dreitägiges Verbot (BZ vom 19. und 21. Februar), das trotz weiterhin unbotmäßigen Verhaltens nicht verlängert wurde.

Bergedorfer Zeitung, 22. Februar 1924

Es störte von Tschischwitz offensichtlich nicht, dass General Hans von Seeckt, als Chef der Heeresleitung sein Vorgesetzter, zum Zeitpunkt dieser Zeitungsverbote dem Reichspräsidenten bereits vorgeschlagen hatte, „in Anbetracht der veränderten Sachlage“ den Ausnahmezustand zum 1. März zu beenden (BZ vom 14. Februar) – von Tschischwitz machte weiter: in der zweiten Verbotsphase des „Volksblatts“ verordnete er, dass im Gebiet der Landherrenschaften „die Wahlagitation … freigegeben“ sei, denn am 2. März waren dort Kommunalwahlen. Was aber zuerst großzügig erscheint (Ziffer 1 und Ziffer 2, Satz 1), entpuppte sich durch die folgenden Regelungen als wertlos: zwar erhielten die kandidierenden Parteien nun (!) das Recht, „durch Zeitungen und Flugblätter auf [die Wähler] einzuwirken“, doch mussten diese Druckschriften von der jeweils zuständigen Polizeibehörde freigegeben werden (Ziffer 6).

Eine weitere Verfügung des Stettiner Generals ging wohl eher auf Forderungen des Hamburger Senats an die Reichsregierung zurück und nicht auf eigene Überlegungen zur Chancengleichheit im Wahlkampf – die zweite Verbotsphase wurde verkürzt: „Mit Rücksicht darauf, daß das ‚Bergedorf-Sander Volksblatt‘ die einzige sozialdemokratische Zeitung für das Hamburger Landgebiet ist …, gestatte ich das Erscheinen des ‚Bergedorf-Sander Volksblattes‘ ab 25. Februar 1924.“ (Zitiert in der BZ vom 27. Februar)

(Zum kommunalen Wahlkampf und zu den Wahlergebnissen wird in der kommenden Woche ein Beitrag erscheinen.)

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Heinrich Grube gegen Heinrich Grube

Wie macht man Wahlkampf, wenn die Spitzenkandidaten zweier Listen zur Gemeindevertreterwahl nicht nur denselben Nachnamen, sondern auch denselben Vornamen haben? Vor diesem Problem stand man 1924 in Kirchwärder mit Heinrich Grube und Heinrich Grube.

Bergedorfer Zeitung, 15. Februar 1924

Man sollte meinen, wenn sich in einem Dorf „die vier bürgerlichen Vereine“ zusammentun, um eine gemeinsame Kandidatenliste für die Gemeindevertretung aufzustellen, dass dann das bürgerliche Spektrum abgedeckt ist und nur die Sozialdemokraten als Gegner bleiben – das traf zumindest auf Kirchwärder 1924 nicht zu.

Offenbar hatten die vier Vereine den bisherigen Gemeindevorsitzenden Heinrich Grube (Elbdeich 102) ausgebootet und den Gemüsebauern Heinrich Grube (Elbdeich 189) zum Spitzenkandidaten gewählt. Die Gründe waren wohl nicht nur in der Gemeinde zu suchen: (der Gemeindevorsitzende) Grube hatte sich 1919 zur DDP bekannt und für sie auch zum Landesparlament kandidiert (BZ vom 18. Februar und 13. März 1919); seine bürgerlichen Gegner wiesen 1924 eine deutliche Nähe zur DVP auf, deren Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Schween und Amandus Stubbe als Redner bei Wahlveranstaltungen dieser Vereine auftraten.

Bergedorfer Zeitung, 19. Februar 1924

Mit der Nichtnominierung des Gemeindevorsitzenden Heinrich Grube (Elbdeich 102) wollten sich aber nicht alle abfinden: schnell bildete sich eine „Vereinigung für den Wahlvorschlag: Gemeindevorsitzender Grube“, in Anzeigen bezeichnet als „Liste des Mittelstandes“, die „gewissenhaft und ohne Sonderinteressen“ für die Gemeinde arbeiten werde (BZ vom 29. Februar). (Als die BZ Grube nach der Wahl als „Demokraten“, also einen DDP-Mann, bezeichnete, verwahrte er sich dagegen: er und seine Liste seien bürgerlich (BZ vom 3., 13. und 15. März).)

BZ, 27. Februar 1924

Wie sollte nun die andere Seite gegen den Persönlichkeitswahlkampf des Gemeindevorsitzenden agieren? Mit dem Namen „Heinrich Grube“ verbanden die allermeisten Menschen Kirchwärders sicher den bisherigen „Dorfbürgermeister“ (Elbdeich 102) und nicht den Gemüsebauern (Elbdeich 189), also entschieden sich die vier Vereine für den Titel „Liste der bürgerlichen Vereinigung“ und warben in Anzeigen mit den Namen Amandus Stubbe und Dr. Schween (BZ vom 23. Februar), überhaupt nur einmal wurde der Name ihres Spitzenmannes genannt (BZ vom 29. Februar).

Die Liste der bürgerlichen Vereinigung erhielt schließlich die meisten Stimmen (803) und sieben Sitze; die Liste des Gemeindevorsitzenden (615 Stimmen) erhielt ebenso wie die der SPD (657 Stimmen) sechs Sitze (BZ vom 3. und 5. März). Der bisherige Gemeindevorsitzende wurde (auch) durch die Stimmen der SPD-Vertreter mit knapper Mehrheit wiedergewählt (BZ vom 13. März). Die DVP-nahen Kräfte werden frustriert gewesen sein.

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