Bergedorfs Gewichts-Schweinegilde

BZ, 8. Februar 1924

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1924

Die „Gewichts-Schweinegilde von 1856 zu Bergedorf“ bot eine Art Versicherung auf Gegenseitigkeit: kam ein versichertes Schwein zu Schaden, erhielt der betroffene Besitzer eine Entschädigung, sofern er seine monatlichen Beiträge entrichtet hatte. Die Gilde war ein Zusammenschluss von Menschen, die ein oder zwei Schweine im Stall hinter dem Haus hielten und sie dort mästeten, damit die Tiere eines Tages der Ernährung der Familie zugeführt werden konnten.

Solange die Preise stabil blieben, war die Einrichtung sinnvoll, denn das Risiko wurde verteilt: man zahlte vielleicht ein-zwei Jahre ein, und wenn z.B. ein Schwein notgeschlachtet werden musste, erlitt man zumindest keinen Totalverlust.

Dieses Modell hatte die Hyperinflation der Vorjahre natürlich nicht überstanden: durch die Inflation waren die eingezahlten Mitgliedsbeiträge schneller entwertet worden als die Beiträge erhöht werden konnten. Es kosteten im Januar 1923 die kleinsten auf dem monatlichen Bergedorfer Schweinemarkt gehandelten Ferkel (vier bis sechs Wochen alt) 15.000 bis 20.000 Mark (BZ vom 15. Januar 1923), im Oktober 1923 dann 5 bis 7 Milliarden Mark (BZ vom 15. Oktober 1923); nach der Währungsumstellung stiegen die Preise nur noch mäßig, von 15 bis 18 Goldmark (BZ vom 19. November 1923) auf 15 bis 20 Goldmark (BZ vom 21. Januar 1924), was ungefähr den Vorkriegspreisen entsprach (BZ vom 20. Januar 1914) und den genannten Beitrag pro Schwein von 1 Mark im Monat realistisch erscheinen lässt.

Die Mitglieder der Gilde waren vermutlich zumeist Arbeiter oder Handwerker; zumindest auf die Mandatsträger traf das zu, wie sich aus den Namen und Anschriften ergibt, die in der BZ vom 30. Juli 1924 aufgeführt waren und die mit dem Hamburger Adreßbuch für 1924 abgeglichen wurden. Demnach wurden weiterhin Schweine im städtischen Raum gehalten und gehandelt, wobei der Handel nicht nur beim städtischen Schweinemarkt auf dem Brink stattfand, sondern auch bei Händlern in der Neuen Straße, in der Brunnenstraße, am Kuhberg („bei der Kirche“) und jedes Wochenende beim Gasthof zur Sonne an der Ecke Holstenstraße/Kampstraße (siehe die Karte 1904 und diverse Anzeigen in der BZ vom Februar 1924).

Die Gerüche in der Stadt werden damals andere gewesen sein als heute.

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Kleinhandelspreise und Teuerungszahlen 1924

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1924

Das Statistische Landesamt Hamburg ermittelte kontinuierlich „Preise und Kaufkraft“, auch das entsprechende Reichsamt, und die BZ berichtete.

Die Zahlen von Ende Januar 1924 im Vergleich zur „Vorkriegszeit“, also den Jahren 1913/14, zeigen, dass sich die Preise in den verschiedenen Güterarten durchaus unterschiedlich entwickelt hatten, und wenn es am Ende hieß, dass „1 Goldmark annähernd wieder die Kaufkraft der Friedensmark“ hatte, dann lag es nur an den durch staatliche Regelung auf ein Drittel reduzierten Wohnungsmieten.

Wenn man unter Kaufkraft nicht einfach die Menge der Güter versteht, die man für einen bestimmten Geldbetrag erwerben kann, sondern die Menge der Güter, die mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen gekauft werden kann, dann hatte sich die Lage der meisten Menschen deutlich verschlechtert, denn im Zuge der Währungsreform waren Löhne und Gehälter halbiert worden – folglich sank der ohnehin niedrige Lebensstandard.

Die Teuerungszahl, definiert als „der notwendigste Monatsbedarf einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie“ (BZ vom 28. November 1924), belief sich Ende Januar auf 119,07 Goldmark (BZ vom 2. Februar 1924), und am Jahresende lag sie bei 137,66 Goldmark (BZ vom 2. Januar 1925), was nur teilweise auf erhöhte Mieten zurückzuführen war. Vor allem Lebensmittel und Bekleidung waren teurer geworden, während die Preise für Heizmaterial zurückgingen (BZ vom 28. November 1924). Dennoch: die Kosten der Lebenshaltung lagen – mit Ausnahme der Mieten – deutlich über dem Vorkriegsniveau.

„Kein Ende nimmt die Teuerung“, hatte eine Prognose für 1924 gelautet, und sie wurde in der Realität bestätigt – das Tempo der Inflation hatte aber gewaltig nachgelassen.

 

 

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Der Weg aus der Bleiwüste

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1924

Die Bergedorfer Zeitung war vor hundert Jahren keine „Bild“-Zeitung – der redaktionelle Teil war eine reine Bleiwüste. Gestalterische Abwechslung brachten nur Anzeigen (wie z.B. im Beitrag Prognosen und Fehlprognosen zu sehen). Hamburger Textilhäuser inserierten z.T. aufwändig mit Abbildungen, Vereinsanzeigen waren oft mit dem Vereinswappen versehen – die grafischen Druckvorlagen waren wohl in der Regel vom Anzeigenkunden mitzubringen; über Wichtel-Bilder als Signal für Maskeraden usw. verfügte die BZ anscheinend selbst.

Jetzt also sollte der Weg aus der Bleiwüste angetreten werden, einmal pro Woche, immer am Sonnabend, beginnend am 2. Februar, sollte der BZ gratis die illustrierte Wochenbeilage Wort und Bild beigefügt werden.

Ausgabe 1924-1

Der Untertitel „Bünder Tageblatt (Ennigloher Zeitung)“ darf nicht irritieren: „Wort und Bild“ kam aus einem Berliner Verlag und lag wohl etwa zwanzig deutschen Provinzblättern bei, mit jeweils anderem Untertitel, aber sonst identisch. So darf man nicht auf „Bergedorfensien“ hoffen, aber beim virtuellen Durchblättern des Jahrgangs 1924 wurden immerhin zwei Bergedorfer gefunden: ein Foto zeigt den Afrikaforscher Hans Schomburgk mit einem Zwergflusspferd, und von der in Bergedorf geborenen Schriftstellerin Ida Boy-Ed kann man die Betrachtung über „Alt werden und alt sein“ lesen.

Titelseite der Ausgabe 1924-1

Hinsichtlich des Bildteils muss man sich bewusst sein, dass aktuelle Bilder, insbesondere Fotografien, sonst wohl gar nicht in die Häuser der Leserinnen und Leser gelangt wären. Einen „erstklassigen und aktuellen Bilderdienst“ anzukündigen, war allerdings schon etwas gewagt, denn zu vielen Fotografien in den ersten Ausgaben hätte die Unterzeile „Schwarzer Panther bei Nacht“ gepasst, und andere waren nicht sehr aussagekräftig.

Immerhin, im Laufe des Jahres trat eine sichtbare Besserung ein und die BZ-Leserinnen und -Leser konnten u.a. Portraitfotos bedeutender Personen, Aufnahmen aus aller Welt sowie technischer Neuerungen betrachten, vielleicht auch bestaunen, und sich über die gezeichneten Bildergeschichten amüsieren.

Insgesamt dürfte „Wort und Bild“ für das damalige Publikum einen beachtlichen Unterhaltungswert besessen haben, doch an die Spitze des Fortschritts im Zeitungswesen gelangte die BZ damit nicht. Was technisch und journalistisch möglich war zeigt die „Rundschau im Bilde“, Beilage zum Hamburger Fremdenblatt, mit (auch) örtlichen Ereignissen und Entwicklungen, zudem in einer sehr viel besseren Qualität, wie z.B. im Blog-Beitrag zur Bojewiese zu sehen ist.

In den  Räumen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg kann man den Jahrgang 1929 von „Wort und Bild“ mit dem Untertitel „Beilage zur Bergedorfer Zeitung“ als Mikrofilm ansehen. Andere Jahrgänge liegen dort nicht vor.
Die hier genutzten Digitalisierungen wurden im Rahmen des vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Projekts Zeitungsportal NRW angefertigt.

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Die Hundesperre

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Die Landherrenschaften Bergedorf und Marschlande reagierten sehr schnell: sie verhängten eine Hundesperre kurz nachdem eine Frau in Ochsenwärder von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Man kann nur hoffen, dass die Frau rechtzeitig in Berlin ankam, um dort mit dem Pasteurschen Serum im Robert-Koch-Institut geimpft zu werden – sonst wäre sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Infektion mit dem Virus gestorben. (Zur Tollwut siehe z.B. die FAQ-Liste des Robert-Koch-Instituts.)

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Um die Ausbreitung der Krankheit zu unterbinden, ordneten die Landherrenschaften gemäß § 40 des Viehseuchengesetzes laut Bekanntmachung die Einsperrung aller Hunde im Gebiet an – im redaktionellen Teil klang es etwas anders: alle Hunde mussten „festgelegt“ werden, also eingesperrt oder angekettet. Wenn Hunde einen Maulkorb trugen, durften sie an der Leine geführt bzw. weiter als Ziehhund eingesetzt werden. Umherstreifende Hunde sollten durch die Polizei erschossen werden.

Bergedorfer Zeitung, 2. Februar 1924

Die Tollwut nahm größere Ausmaße an und bewegte sich von Osten kommend Richtung Hamburg: die erste Meldung dazu kam aus Worth, die nächste aus Geesthacht (BZ vom 8. und 18. Januar), dann Bergedorf mit den Marschdörfern (s.o.) und der Amtsbezirk Sande (BZ vom 2. Februar), die Stadt Hamburg selbst bekam die Hundesperre am 23. Februar (BZ vom 22. Mai).

Immer wieder wurde gemahnt (z.B. durch den Landestierarzt, BZ vom 8. Februar) und auf die Strafen hingewiesen (Tötung des Hundes und Zahlung von 100 Goldmark, BZ vom 2. Februar), aber die Verstöße hörten nicht auf, obwohl sich der Hamburger Tierschutzverein vehement für die behördlichen Anordnungen aussprach: „Je strenger die veterinärpolizeilichen Maßnahmen durchgeführt werden, desto aussichtsreicher ist die Bekämpfung der Krankheit.“ (BZ vom 7. April) Da das aber nicht von allen eingesehen wurde, gab es immer wieder Meldungen über Vorkommnisse: allein im Raum Bergedorf/Curslack wurden im März vier Personen von tollwütigen Hunden gebissen (BZ vom 24. März).

Immerhin: Menschen, die von tollwutverdächtigen Hunden gebissen wurden, brauchten zur Impfung bald nicht mehr nach Berlin ins Robert-Koch-Institut zu fahren – im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek wurde eine Impfmöglichkeit geschaffen (BZ vom 1. März), und dort wurden binnen vierzehn Tagen 24 vermutlich lebensrettende Impfungen verabreicht (BZ vom 24. März).

 

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Das Bergedorfer Telefonbuch

Amtliche Telefonbücher, die eben nur die Fernsprechteilnehmer (und Inserenten) verzeichneten und nicht alle Haushalte, gab es schon lange: das älteste Exemplar des Verzeichnisses der Theilnehmer an der Stadt-Fernsprecheinrichtung in Hamburg in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg datiert auf das Jahr 1888. Darin sind auch die an die Vermittlung in Bergedorf angeschlossenen Teilnehmer aufgeführt: es waren zwölf, davon je zwei in Sande und Reinbek, je einer in Düneberg und Krümmel, von den sechs Bergedorfern saßen vier im Industriegebiet Kamp.

Die Zahl der Anschlüsse nahm rapide zu, nicht nur in Bergedorf, sondern auch in Hamburg: das Telefonbuch von 1922 umfasste über 900 Seiten und war damit schon etwas unhandlich geworden. Noch voluminöser waren die Hamburger Adressbücher, die im Prinzip alle Haushalte und Firmen auflisteten, mit Anschrift, Telefon und ggf. Kontoverbindung. Die Idee eines separaten Fernsprech-Verzeichnisses für Bergedorf und Umgegend schien von daher nicht absurd.

Bergedorfer Zeitung, 28. Januar 1924

Es wäre das erste Bergedorfer Telefonbuch gewesen – wenn es denn geklappt hätte. Die Anzeigenakquisiteure warben mit dem Argument fester Vereinbarungen mit der Bergedorfer Zeitung ebenso wie der Bergedorfer Buchdruckerei von Eduard Wagner – doch diese erklärten all dies für unwahr.

Bergedorfer Zeitung, 28. Januar 1924

Mehrere (Bergedorfer) Geschäftsleute deckten das Finanzkonzept der „Blitz“-Initiatoren auf: nur die erste Zeile einer Eintragung war kostenfrei, für weitere Zeilen waren je zwei Mark zu berappen, und schaut man in die Hamburger Telefonbücher von 1922 und 1925, so stellt man fest, dass tatsächlich fast alle Eintragungen mehrere Zeilen umfassten. Außerdem wäre es wohl ein sehr schmales Bändchen geworden: nimmt man wieder die Hamburger Bücher als Maßstab, so wäre bei 1.000 bis 1200 Teilnehmern alles auf sieben bis 12 Seiten unterzubringen gewesen.

Ein Problem hätte auch dieses Büchlein nicht gelöst, nämlich dass es keine durchgehend alphabetisch sortierte Liste gab, sondern nach den Vermittlungen gegliedert wurde: Teilnehmer z. B. aus Sande, Reinbek, Neuengamme und Curslack waren an die Vermittlung in Bergedorf angeschlossen und dementsprechend in die Bergedorfer Liste intregriert; Altengamme teilweise nach Bergedorf, teilweise nach Geesthacht. Ein Fernsprechanschluss in Kirchwärder konnte entweder über Zollenspieker erreicht werden oder über die Vermittlung in Ochsenwärder.

Das erste eigenständige Örtliche Fernsprechbuch für Bergedorf erschien 1951. Da war das Vermittlungsproblem längst gelöst.

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Der Spielfilm „Mutter“ im Schulkino

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1924

Nur sehr selten kündigte die BZ im redaktionellen Teil Filme an, die in Bergedorf auf die Kinoleinwand kamen, aber wenn von höchster Stelle, also vom Reichspräsidenten, „volle Zustimmung“ zu einem Film ausgesprochen wurde und es ein zweistündiger Schulfilm war, dann war das schon eine Meldung wert, und der Film sollte „allen Kindern zugänglich“ gemacht werden.

Im Gegensatz zu den (äußerst wenigen) Schulfilmen, die in den Jahren zuvor gezeigt worden waren, sollte dieser nicht Wissen vermitteln, „sondern auf die Gesinnung wirken“, er war also kein Dokumentar-, sondern ein Spielfilm, und das generelle Verbot für Unterachtzehnjährige, Spielfilme (außer Märchenfilmen) im Kino zu sehen (BZ vom 1. September 1920) wurde durch die Reichszensurstelle in diesem Falle aufgehoben, „wegen seines sittlichen Wertes und seiner künstlerischen Artung“ (Echo der Gegenwart vom 6. Oktober 1923).

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1924

Das „Hohe Lied der Mutterliebe“ sang laut Anzeige der Film, der zu seiner Zeit mit 80 Millionen Zuschauern (Velberter Morgen-Zeitung, 30. Januar 1924) der Blockbuster schlechthin war – trotzdem hat sich nicht eine einzige Kopie davon erhalten, und man muss auf Spurensuche gehen, wenn man etwas über ihn erfahren möchte: die Hauptdarstellerin Mary Carr verkörperte die treusorgende Mutter offenbar so überzeugend, dass sie in weiteren Filmen ebenfalls in dieser Rolle auftrat und den Spitznamen „The Mother of the Movies“ erhielt.

Der Titel des US-Originalfilms von 1920 war „Over the Hill to the Poorhouse“, nach einem Gedicht von William Carleton, das im Internet Archive zugänglich ist. Während das Gedicht am Ende die Mutter im Armenhaus sieht, wird sie im Film letztlich davor bewahrt – in den Worten eines wenig begeisterten Kritikers: „Die Handlung ist durch die Schlagworte: Mutter, Kinder, Vater als Pferdedieb, Sohn übernimmt dessen Rolle, Gefängnis, Ausland, Rückkehr, Verlobung, Versöhnung: Alles in Butter! Schluß! Genügend gekennzeichnet.“ (Westfälische neueste Nachrichten vom 21. August 1924) Freundlicher sahen dies u.a. die Rheinische Volkswacht vom 10. Oktober 1923, der (Bonner) Generalanzeiger vom 21. März 1924 und die Bergheimer Zeitung vom 24. Dezember 1924.

Wie sich der im Artikel genannte „Pendelverkehr“ zwischen den Kinos in Bergedorf und Sande, der die „gleichzeitigen“ Vorführungen im Detail gestaltete, ist unbekannt. Die „8 Akte“ werden 8 Filmspulen entsprochen haben, aber zumindest eine knappe halbe Stunde Zeitversatz muss es gegeben haben, was sich wohl über das „ausgesucht schöne Beiprogramm“ organisieren ließ.

(Anmerkung: die etwas exotisch anmutenden Zeitungen wurden mittels Volltextsuche nach „Mary Carr“ im Deutschen Zeitungsportal gefunden.)

 

 

 

 

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Die abgestreute Rodelbahn und der Mist

Bergedorfer Zeitung, 14. Januar 1924

Es hatte kleinere Unfälle gegeben, und deshalb ließ der Magistrat der Stadt Bergedorf Sand auf die Rodelbahn streuen, um weitere Unfälle zu verhindern. Heute verstreuen (bildlich gesprochen) andere Mist über diese Doktorbahn, worauf im unteren Abschnitt dieses Artikels eingegangen werden soll.

Wenn die Schilderung des Zustands der Bahn im Januar 1924 zutraf, Eis- und Sandflächen im Wechsel, konnte der Magistrat gar nicht anders handeln, denn die Bahn befand (und befindet) sich auf öffentlichem Grund und so bestand ein Haftungsrisiko. Und es wurde auch mit Augenmaß gehandelt: nur „der steile Ablauf“ wurde unbefahrbar gemacht, also vermutlich die ersten 150 m, wo auf ca. 10 m Strecke etwa 1 m Gefälle kommt, was für hiesige Verhältnisse sicher als steil zu bezeichnen ist – der längere und flachere untere Teil blieb offenbar unberührt.

Bergedorfer Zeitung, 17. Januar 1924

Doch „mehrere Rodler“ bestritten die Darstellung der Zeitung: die Maßnahme sei unnötig gewesen, außerdem gebe es bei jedem Sport Unglücksfälle, und nach der Unbrauchbarmachung der Bahn werde nun auf viel gefährlicheren Hängen Schlitten gefahren – den Vorwurf wies die Schriftleitung der BZ zurück und stellte sich hinter den Magistrat, wahrscheinlich nicht zu Unrecht, denn im Herbst 1929 wurde die Bahn zu einer Doppelbahn „entschärft“: zu beiden Seiten und in der Mitte wurden Wälle aufgeworfen, um das Rodeln in geordnete Bahnen zu lenken (BZ vom 28. Oktober 1929), und als dann endlich im Februar 1930 Schnee fiel, herrschte ein so starker Andrang, dass der Schnee bald abgefahren war (BZ vom 18. Februar 1930) – das Problem des abgefahrenen Schnees wurde auch 2024 in der BZ berichtet; Text und Fotos von Wiebke Schwirten belegen dies.

Ob die Doktorbahn im Winter 1924 noch wieder freigegeben wurde, ob es dort oder auf anderen Rodelstrecken in Bergedorf Rodelunfälle gab, meldete die BZ nicht – Schnee jedenfalls fiel bis in den April hinein.

Zwar ist die Rodelbahn weder in der Karte 1875 noch in der Karte 1904 markiert, aber da schon 1885 in der Bergedorfer Zeitung Verkaufsanzeigen für Kinder-Schlitten zu finden waren (10.  Dezember 1885), dürfte das Rodeln im Gehölz ab dem 19. Jahrhundert ein beliebter Sport gewesen sein.

Was man heute (Stand: 20. Januar 2024) im Internet unter dem Suchbegriff „Rodelbahn Bergedorf“ findet, ist zumeist Mist, und auf Mist kann man (je nach Konsistenz) vielleicht ausrutschen, aber nicht rodeln. Beispielhaft sei hier die Seite Bergwelten.com genannt, auf der zu lesen steht: „Die wahrscheinlich längste Rodelbahn der Hansestadt Hamburg gibt es seit den 30er Jahren und liegt im Bergedorfer Gehölz. Sie ist in etwa 1.000 Meter lang und hat ein durchgehend sportliches Gefälle. Die Abfahrt dauert in etwa 20 Minuten und kann natürlich mehrmals, nach erneutem Aufstieg, befahren werden.“ Die Karte dazu zeigt allerdings eine ganz besondere Bergedorfer Rodelbahn: sie verläuft zwar im „Bergedorfer Gehölz“, aber ausschließlich auf Wentorfer Gebiet. Der vorgeschlagene Startpunkt nahe der Marienburg liegt viele Meter tiefer als das Ende nahe der Hamburger Landstraße – die Rodelbahn mag somit für Motorschlitten taugen, aber Motorfahrzeuge sind im Gehölz verboten. Wenn denn die unter „Tourdaten“ gemachten Angaben von jeweils 1.000 Höhenmetern Aufstieg und Abstieg auf 1.000 m Strecke stimmten (was Ortskundige bestreiten), hätte die Bahn in der Tat ein „sportliches Gefälle“ – wie sich das wiederum verträgt mit den Angaben von 1.000 Metern Länge und 20 bzw. 22 Minuten für die Abfahrt, also einem Durchschnittstempo von halsbrecherischen 3 km/h, erklärt der Bergwelten-Rodelexperte nicht.

Die 1.000 m Länge sind z.B. auch bei Wikipedia, bei Ganz-Hamburg.de und bei geheimtipphamburg.de zu finden. Diese drei sehen die Bahn (im Gegensatz zum Bergwelten-Autor) als Abfahrt vom „Doktorberg“, der Geheimtipp hat sogar „viele Kurven“ gefunden, und Ganz-Hamburg.de kennt die passende Busverbindung: mit HVV-Linie 235 bis zur Haltestelle Waldschloss. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass es diese Haltestelle seit Jahren nicht mehr gibt, nur die Haltestelle „Wentorfer Straße (Ost)“, die noch näher zum Doktorberg und damit zur Doktorbahn liegt.

Damit zunächst genug von diesem Online-Mist, denn es gibt auch korrekte und präzise Angaben: auf den vom Bergedorfer Heimatkundigen Gerd Hoffmann initiierten Seiten  Bergedorf-Chronik.de die korrekte Längenangabe (380 m) und Bergedorf-Info.de eine Karte der Lage, letztere auch auf einer Seite von Hamburg.de. Zusammen mit den Daten von geo-online ergibt sich als Schätzung, dass der Start der (fast kurvenfreien) Doktorbahn auf ca. NN + 33 m liegt und der erste, etwa 150 m lange Abschnitt der steilste ist (auf 10 m Strecke 1 m Gefälle), während der weitere Verlauf bis zum Ende bei ca. NN + 8 m eher gemütliches Schlittenfahren ermöglicht.

Damit zurück zum Mist: der neueste derartige Haufen ist gerade wenige Wochen alt, wurde aber schon teilweise abgetragen, zu finden in einer Regionalausgabe Nord des Hamburger Abendblatts: traf man in der ersten Version vom Dezember 2023 dort noch viele gute alte Bekannte: die Streckenlänge von über einem Kilometer, den kurvenreichen Verlauf und die Bushaltestelle Waldschloss, so ist aktuell (nach der Berichterstattung der BZ) nur noch die Angabe der nicht mehr existenten Bushaltestelle zu bemäkeln.

Als sicher darf gelten, dass von den Tausend-Meter-Rodlern keiner jemals die Doktorbahn in Augenschein genommen hat. Einer hat den Mist in die Welt gesetzt, die anderen haben sich draufgesetzt. Ob die das irgendwann merken?

 

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Die Reichsgründungsfeier des Jung-Schlageter-Bundes

Bergedorfer Zeitung, 12. Januar 1924

Die Feiern zum Gründungstag des Kaiserreichs (1871) waren nicht einfach das Schwelgen in Erinnerungen an vermeintlich glorreiche Zeiten, sondern sie verknüpften politische Inhalte mit unterhaltenden Programmpunkten – das traf 1924 auf die „alteingesessenen“ Militärvereine Bergedorfs ebenso zu wie auf den noch recht neuen Jung-Schlageter-Bund.

Albert Leo Schlageter war wegen Sabotageakten gegen Bahnanlagen im besetzten Ruhrgebiet hingerichtet worden, was die BZ als „nackten, brutalen Mord“ bezeichnet hatte (BZ vom 29. Mai 1923). Für die Nationalsozialisten galt er fortan als Märtyrer des NS-Bewegung, wie es bei LeMo heißt, und so kann man auch den Jung-Schlageter-Bund Curslack-Neuengamme zumindest dem Umfeld der extremen Rechten zurechnen; der angekündigte Redner Henningsen war Bürgerschaftsabgeordneter der DNVP, und bei der Schlageter-Gedenkfeier im Vorjahr hatte Alfred Roth gesprochen (zu Roth siehe den Beitrag Der politische Mord und Bergedorf).

Die BZ berichtete zwar über die Reichsgründungsfeier der Bergedorfer Militärvereine (BZ vom 21. Januar 1924), nicht aber über die Veranstaltung des Jung-Schlageter-Bundes, und auch sonst war nicht viel über diese Vereinigung in Erfahrung zu bringen – eine Internet-Suche lieferte keinen einzigen Treffer, die Curslack-Neuengammer Gruppe trat in der BZ bald nach dem Tod Schlageters mit einer Anzeige zu der erwähnten Gedenkfeier in Erscheinung (BZ vom 10. August 1923), aber da folgte ebenfalls kein Bericht.

Ob bei der Generalversammlung des „Bundes“ am 5. März 1924 (Anzeige in der BZ vom 4. März 1924) die Auflösung beschlossen wurde, ließ sich mangels Berichten nicht feststellen; zumindest waren weitere Aktivitäten in 1924 nicht nachweisbar. Die treibende Kraft in Person des Curslacker Pianisten J. Kaiser, der in der „Szene“ gut vernetzt war, wie sich auch aus weiteren Anzeigen (BZ vom 12. Februar und 3. März 1924) ergibt, wandte sich jedenfalls einer anderen hier aktiven rechtsextremen Gruppierung zu.

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Die Not der Bevölkerung

Bergedorfer Zeitung, 9. Januar 1924

Die außerordentliche Not weiter Teile der Bevölkerung war Anfang 1924 nicht neu; sie war Folge von Inflation und Währungsumstellung. Die Not hatte aber offenbar ein Ausmaß angenommen, das nun den Magistrat aufrüttelte: er wollte gemeinsam mit den Vereinigungen Bergedorfs (ohne die Parteien) „schnellstens“ die Not lindern und lud zu einer Besprechung ins Stadthaus.

Das überrascht, denn eine Initiative zur Bekämpfung dieser Not bestand schon seit einigen Monaten:

Bergedorfer Zeitung, 26. November 1923

Bergedorfer Zeitung, 26. November 1923

 

 

 

 

 

 

 

Unter dem Namen „Bergedorfer Nothilfe“ hatten drei Pastoren, der Amtsphysikus und ein in Bergedorf wohnender Kaufmann, vier Militär- und vier wirtschaftliche Organisationen, der Bürgerverein und eine Freimaurerloge zu Spenden aufgerufen. Der Magistrat hätte zur Beteiligung an dieser Initiative auffordern können, tat dies aber nicht; die Gräben in der Stadtgesellschaft – hie Kirche, Militärvereine und Wirtschaft, hie Arbeiterbewegung – waren offenbar tief, und nur wenige Vereine zeichneten bis zum Jahresende beide Appelle.

Bergedorfer Zeitung, 14. Januar 1924

Etwa 1.000 Unterstützungsempfänger mit etwa 1.000 Angehörigen gab es laut Ratmann Messerschmidt, also über elf Prozent der 18.050 Einwohner (BZ vom 26. Januar 1924) benötigten Hilfe, und wie im Krieg sollte wieder warmes Mittagessen ausgegeben werden – hierfür waren vermutlich öffentliche Mittel vorhanden und so konnte die „Volksspeisung“ schon wenige Tage später in den Mädchenschulen Brauerstraße und am Birkenhain mit täglich 500 Portionen zu einem Liter beginnen (BZ vom 23. Januar 1924).

In den folgenden Wochen gab es eine Vielzahl von Wohltätigkeitsveranstaltungen, manche zugunsten der „Städtischen Nothilfe“, manche zugunsten der „Privaten Nothilfe“. Das meiste Geld aber dürfte durch die Haussammlungen und Überweisungen eingenommen worden sein: die Städtische Nothilfe meldete Einnahmen von 2.720 Goldmark, die Private Nothilfe 5.091,87 Goldmark plus Devisen, beide erhielten auch Sachspenden und Naturalien (BZ vom 5. und 1. Februar).

Eine Bilanz der Städtischen Nothilfe gab es in der BZ nicht. Anders die Private Nothilfe: sie beendete ihre Tätigkeit im Sommer, nachdem sie v.a. 50.828 Pfund Brot und 2.352 Zentner Briketts verteilt hatte (BZ vom 3. Juli 1924), doch fünf Monate später musste sie erneut zu Spenden aufrufen: die Lage vieler Menschen blieb kritisch.

Bergedorfer Zeitung, 28. November 1924

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Die drahtlose Telegraphie und Telephonie

Bergedorfer Zeitung, 5. Januar 1924

Vor hundert Jahren begann in Deutschland das Rundfunkzeitalter – auch in Bergedorf.

Bis der Unterhaltungsrundfunk seinen Einzug in Bergedorfs Wohnzimmer hielt, sollten noch ein paar Wochen vergehen – aber das 1924 in Deutschland eingeführte neue Massenmedium warf seine Schatten (oder Wellen?) voraus.

Die Technik der „drahtlosen Telegraphie und Telephonie“ war nicht mehr ganz neu, aber nun sollte sie „für die Allgemeinheit“ zugänglich werden. Seit 1922 gab es bereits den „Wirtschaftsrundspruch“, der aber spezielle Empfangsgeräte benötigte und nur Abonnenten zugänglich war, ähnlich verhielt es sich mit dem 1920 eingeführten Presserundfunk.

Alles stand unter „staatlicher Oberaufsicht“, und die praktische Arbeit leistete die Post; sie betrieb die Sendeanlagen, entschied über die Zulassung von Herstellern der Empfangsgeräte, genehmigte die Empfangsgeräte und stellte die Genehmigungsurkunden zur Einrichtung einer Empfangsanlage aus und nur mit diesem Dokument, das nur an vollbeschäftigungsfähige Erwachsene ausgegeben wurde, durfte man ein Empfangsgerät erwerben. Auch Rundfunkgebühren waren zu zahlen – sie und mit ihnen das Schwarzhören feiern 2024 also ebenfalls ihren 100. Geburtstag; das Schwarzhören war sogar strafbar (BZ vom 29. März 1924).

Die zu Jahresbeginn 1924 einzige deutsche Sendestation stand in Königs Wusterhausen und hatte nur eine Reichweite von etwa 100 km – in Bergedorf waren nur die sehr viel stärkeren Sender Paris und London zu empfangen.

Bergedorfer Zeitung, 7. Februar 1924

Über die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland gibt es zahlreiche Publikationen – eine recht übersichtliche Online-Zusammenfassung liefert das Thüringer Museum für Elektrotechnik Erfurt e.V., auch die Artikel zum Hörfunk und zum Wirtschaftsrundspruch bei Wikipedia sind informativ und dienten für diesen Artikel als Quellen. Bei der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg führt die Suchbegriffseingabe „Rundfunk Geschichte“ zu 3.848 Büchern, darunter ist das in der BZ empfohlene Handbuch des Rundfunk-Teilnehmers.

Auf die speziellen Bergedorfer Aspekte des Themas wird zurückzukommen sein.

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