In den Augen des Militärbefehlshabers gefährdete das Bergedorf-Sander Volksblatt (BSV), die örtliche SPD-Parteizeitung, die Republik, und so verbot er das Blatt für drei Tage. Die Gefahr für die Republik ging demnach von einer Meldung über Waffenfunde bei Rechtsgerichteten im sachsen-anhaltinischen Halle aus, denn das BSV hatte es unterlassen, die erforderliche Genehmigung einzuholen: solche Meldungen durften nur mit Zustimmung des „Inhabers der vollziehenden Gewalt“, des Generalleutnants von Tschischwitz, mit Sitz in Stettin und Zuständigkeit auch für Hamburg, veröffentlicht werden. Die Befugnis zur Vorzensur und zum Verbot von Zeitungen hatte er aufgrund der Verhängung des Ausnahmezustands durch den Reichspräsidenten nach dem Hitler-Putsch.
Für drei Tage war also die Stimme des BSV zum Schweigen gebracht, doch weil das Blatt in seiner letzten Ausgabe vor Inkrafttreten des Verbots die Maßnahme kritisiert hatte, wurde die Untersagung um fünf Tage verlängert (BZ vom 19. und 21. Februar), wie auch die Parteizeitung der Hamburger SPD, das Hamburger Echo (HE) schrieb.
Über die Waffenfunde hatten BSV und HE übrigens gleichlautend und am selben Tag berichtet, doch erst als das „Echo“ sich sarkastisch beschwerte („Wir denunzieren uns … desselben angeblichen Vergehens“, HE vom 18. Februar), widerfuhr ihm dasselbe Schicksal, ein dreitägiges Verbot (BZ vom 19. und 21. Februar), das trotz weiterhin unbotmäßigen Verhaltens nicht verlängert wurde.
Es störte von Tschischwitz offensichtlich nicht, dass General Hans von Seeckt, als Chef der Heeresleitung sein Vorgesetzter, zum Zeitpunkt dieser Zeitungsverbote dem Reichspräsidenten bereits vorgeschlagen hatte, „in Anbetracht der veränderten Sachlage“ den Ausnahmezustand zum 1. März zu beenden (BZ vom 14. Februar) – von Tschischwitz machte weiter: in der zweiten Verbotsphase des „Volksblatts“ verordnete er, dass im Gebiet der Landherrenschaften „die Wahlagitation … freigegeben“ sei, denn am 2. März waren dort Kommunalwahlen. Was aber zuerst großzügig erscheint (Ziffer 1 und Ziffer 2, Satz 1), entpuppte sich durch die folgenden Regelungen als wertlos: zwar erhielten die kandidierenden Parteien nun (!) das Recht, „durch Zeitungen und Flugblätter auf [die Wähler] einzuwirken“, doch mussten diese Druckschriften von der jeweils zuständigen Polizeibehörde freigegeben werden (Ziffer 6).
Eine weitere Verfügung des Stettiner Generals ging wohl eher auf Forderungen des Hamburger Senats an die Reichsregierung zurück und nicht auf eigene Überlegungen zur Chancengleichheit im Wahlkampf – die zweite Verbotsphase wurde verkürzt: „Mit Rücksicht darauf, daß das ‚Bergedorf-Sander Volksblatt‘ die einzige sozialdemokratische Zeitung für das Hamburger Landgebiet ist …, gestatte ich das Erscheinen des ‚Bergedorf-Sander Volksblattes‘ ab 25. Februar 1924.“ (Zitiert in der BZ vom 27. Februar)
(Zum kommunalen Wahlkampf und zu den Wahlergebnissen wird in der kommenden Woche ein Beitrag erscheinen.)
Gern würde ich die Berichterstattung des BSV vor und nach dem Verbot lesen. Schade, dass das BSV nicht mehr vollständig erhalten ist.