Laubheu und entbehrliche Kinder

Bergedorfer Zeitung, 16. Juli 1918

Das schulische Lernen wird durch die Laubheu-Sammelaktionen der Schüler nicht gefördert worden sein, aber in bescheidenem Maße brachte es ihnen Geld. Die Heeresverwaltung zahlte, denn sie brauchte Laubheu zur Fütterung der Kriegspferde: „Von der Sicherstellung der Futtervorräte [sind] die Erfolge unseres Heeres abhängig“ (BZ vom 19. Juli 1918).

Die Gewinnung diese Pferdefutters war durchaus aufwändig, wie der Germanist Jost Trier, der vermutlich Augenzeuge war, schrieb: „In den Hungerjahren des ersten Weltkriegs wurden die Schüler in den Wald geschickt und mußten Laub rupfen. Man stopfte das Laub in Säcke, holte es heim, breitete es bei gutem Wetter auf dem Schulhof, bei schlechtem Wetter in der Turnhalle zum Trocknen aus, und wenn es getrocknet war, wurde es erneut verpackt und in Güterwagen verschickt. Es diente als Viehfutter, vorzugsweise als Futter für kranke Pferde. Es war Laubheu.“ (S. 1)

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1918

In Sande hatte man schon 240 Sack Laubheu abgeliefert, doch sollte das Sammeln „auch in den Ferien an bestimmten Wochentagen“ fortgesetzt werden, was aber nur auf freiwilliger Basis möglich war, und so beschränkten die Rektoren Brüdt und Dau ihren Appell von vornherein: nur die „entbehrlichen Kinder“ sollten zum Laubheupflücken in die Schule geschickt werden – viele Kinder waren in den Augen ihrer Eltern aber unentbehrlich: Schulferien waren vor einhundert Jahren nur für wenige Familien Urlaubs- und Reisezeit, für die meisten Kinder hießen sie Arbeit, z. B. als Helfer im Haushalt oder im eigenen Betrieb.

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1918

Gesucht waren Jungen und Mädchen auch als bezahlte Pflücker und Pflückerinnen in der Landwirtschaft der Umgebung, wie verschiedene Kleinanzeigen belegen, und so ein Ferienjob war wahrscheinlich nicht nur pekuniär reizvoller als die Sammeltätigkeit, sondern auch mit Verpflegung und vielleicht sogar mit einem nahrhaften „Deputat“ verbunden.

Die Laubheugewinnung wurde nach den Ferien fortgesetzt: im Kreis Herzogtum Lauenburg wurde sogar angeordnet, an allen geeigneten Tagen den Unterricht zugunsten des Laubsammelns ausfallen zu lassen (BZ vom 21. August), und auch Bergedorfs Schulen waren mit dabei – nur „eine höhere Mädchenschule“ beteiligte sich nicht (BZ vom 26. September), vermutlich die Elisabethschule, denn an  der Luisenschule sorgte die Leiterin Erna Martens dafür, dass alle „patriotischen Zwecke“ unterstützt wurden.

Die Sammelergebnisse wurden in der BZ veröffentlicht: die Bergedorfer Schulen lieferten 673 Zentner Frischlaub à vier Mark, die Sander Schulen 200 Zentner Laubheu à 18 Mark (BZ vom 26. September und 1. Oktober) – die kleinere Gemeinde war also erfolgreicher.

Anmerkung zur Laubheugewinnung:
Die Verfütterung von Laubheu hat eine lange Tradition, wahrscheinlich bis in die Jungsteinzeit zurückreichend. Dabei wurden die Blätter mitsamt der ein- bis zweijährigen Zweige geerntet, getrocknet und verfüttert – eine Wirtschaftsform, die in bergigen Regionen als Schneitelwirtschaft auf jeden Fall noch im 20. Jahrhundert betrieben wurde, wie bei Jost Trier (u.a. S. 13-15) und Konold/Reeg (S. 314) nachzulesen ist.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Carl Hagenbeck’s Tierzuchtkurse

Bergedorfer Zeitung, 13. Juli 1918

Der erste Geflügelzucht-Kursus, den Carl Hagenbeck’s Kleintierhof (Link zu einer Abbildung) veranstaltet hatte (BZ vom 15. Juni 1918), war vielleicht sogar überbucht – jedenfalls folgte ihm sehr bald ein zweiter, und auch die Kaninchenzucht sollte man nun dort lernen können. Hagenbeck war offenbar auf eine Marktlücke gestoßen: die Haltung von Kaninchen, Hühnern, Enten und Gänsen hatte während des Krieges stark zugenommen (siehe den Beitrag 2.621 Stallhasen in Sande), denn so konnte man den Fleisch- und Eiermangel zumindest etwas abmildern – und wenn man neu auf dem Feld der Tier- und Geflügelhaltung war, wird man sicher interessiert auf diese Anzeige geschaut haben: der Name des Anbieters zeugte schließlich von Kompetenz auf dem Gebiet – wer sich mit Exoten wie Pinguinen und westafrikanischen Zwergflusspferden auskennt, wird mit Hühnern und Karnickeln, ihrer Haltung und Zucht, keine Probleme haben. Bruno Dürigen, der Referent der Geflügelzuchtkurse, war übrigens der Nestor der Geflügelzuchtwissenschaft in Deutschland – nach ihm wurde 2004 der Wissenschaftliche Geflügelhof des Bundes Deutscher Rassegeflügelzüchter benannt.

Der Weg von Bergedorf nach Stellingen war allerdings durchaus zeitraubend, es gab Fahrtkosten und (in ungenannter Höhe) Kursgebühren; daher ist es fraglich, ob viele Bergedorfer unter den Kursteilnehmern waren. Weitere ähnliche Annoncen Hagenbecks gab es in der BZ jedenfalls nicht, aber andere, auf die im August zurückzukommen sein wird.

 

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Kaum Kartoffeln

Bergedorfer Zeitung, 6. Juli 1917

Satt zu werden, muss bei diesen Rationen unmöglich gewesen sein, und dabei war die Lage in Bergedorf sogar besser als in der Stadt Hamburg: drei Pfund Kartoffeln als Wochenration waren fast so wenig wie im Steckrübenwinter – außer den rationierten Lebensmitteln Butter, Gerstengrütze und Marmelade dürfte es noch 1.800 Gramm Brot und 150 Gramm Fleisch mit Knochen gegeben haben. Alles weitere musste auf dem freien Markt oder zum festgesetzten Höchstpreis gekauft werden, wenn es denn dort zu kriegen war. Sonst blieb nur der Schleichhandel, also der Schwarzmarkt.

Bis Mitte August blieb die Kartoffelration bei drei Pfund, dann konnte sie auf vier plus drei Pfund erhöht werden. Dafür gab es dann erst einmal kein Fleisch mehr (BZ vom 17. August 1918).

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Strumpflos in Holzsandalen

Bergedorfer Zeitung, 5. Januar 1918

Strümpfe stopfen ist alles andere als einfach, wie jeder weiß, der sich daran einmal versucht hat, aber mit Loch im Strumpf zu laufen ist nicht nur unschön, sondern unangenehm – daher wird es die Bergedorferinnen (und Bergedorfer?) gefreut haben, dass die Stadt Kurse im Strümpfestopfen anbot. Wegen hoher Nachfrage mussten die Kurse, die sich über mehrere Abende à drei Stunden erstreckten, mehrfach wiederholt werden (BZ vom 4. März 1918).

 

Bergedorfer Zeitung, 19. Januar 1918

Natürlich nahmen nicht alle Bergedorferinnen (und Bergedorfer) hieran teil, aber die Suche nach einer stopfkundigen Frau per Kleinanzeige war schon bemerkenswert. Leider ist es, da es sich um eine Chiffre-Anzeige handelte, nicht möglich, den genauen Wohnort der Inserentin bzw. des Inserenten zu bestimmen, aber es spricht viel für einen Haushalt im Villenviertel: selbst stopfen konnte (oder wollte) man nicht, und eine nicht „achtbare“ Frau sollte nicht ins Haus gelangen. Die „Entlohnung“ sollte (ausschließlich) in freier Kost erfolgen, der Haushalt hatte also trotz des Steckrübenwinters Lebensmittel über den Eigenbedarf hinaus und auch Stopfwolle.

Bergedorfer Zeitung, 6. Juli 1918

Die Lage war allgemein trostlos genug – da gab es im Sommer die Meldung zur „Ersparnis von Strümpfen“: man solle zu den Holzsandalen einfach auf Strümpfe verzichten, man mache sich damit nicht lächerlich. Der Appell, dass die Schuljugend und die Studentenschaft beiderlei Geschlechts als Vorbilder voranklappern sollten, zeigt aber eben, dass die gängige Vorstellung korrekter Fußbekleidung damals eine andere war.

Ob mit oder ohne Strumpf: die vom Museum Weißenfels – Schloss Neu-Augustusburg online gestellte Abbildung einer Holzsandale aus dem Ersten Weltkrieg lässt vermuten, dass das Gehen damit eher kein Vergnügen bereitete.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

„Für Bettwäsche keine Bezugsscheine mehr“

Bergedorfer Zeitung, 1. Juli 1918

Heutige Leser (und vielleicht auch Leser 1918) werden die Titelzeile dahingehend interpretieren, dass für Bettwäsche keine Bezugsscheine mehr erforderlich waren, sie also im freien Verkauf erworben werden konnte. Das Gegenteil war der Fall: „Auch auf Bezugsscheine keine Bettwäsche mehr“ wäre sehr viel klarer gewesen.

Die übliche (Leinen-)Bettwäsche sollte es nur noch für Kranke auf ärztliches Attest und für Wöchnerinnen und Säuglinge geben – alle anderen mussten sich mit „bezugscheinfreien Papiergarn-Erzeugnissen“ behelfen, doch dazu hatte es bereits am 25. Februar eine gute Nachricht gegeben: „Interessant ist ein neues technisches Verfahren zur Herstellung von Wäsche aus Papiergewebe, das das Kochen und Waschen der Stücke erlaubt, ohne daß das Gewebe auseinanderfällt.“ Ob dem wohl wirklich so war?

Bergedorfer Zeitung, 3. Juli 1918

Es traf aber nicht nur die Bettwäsche, sondern auch die Tischdecken in Hotels, Restaurants, Kasinos und Klubs: zum 1. Juli wurde ihre Verwendung verboten, nur Papiergarntischtücher durften Verwendung finden: „Die durch das strenge Verbot gewonnenen Wäschestücke sollen in erster Linie für Säuglingswäsche benutzt werden.“ (BZ vom 8. Juni 1918) Zu einer Zeit, in der man von Einweg- oder Wegwerf-Windeln noch nicht einmal etwas gehört hatte, war Leinen unverzichtbar, und so sammelte der Bergedorfer Frauenverein in der „Windelwoche“ alles geeignete Leinen. Wie erfolgreich diese Kampagne in Bergedorf war, wurde nicht berichtet; in Groß-Berlin ergab die Sammlung 492 Zentner (BZ vom 12.Juli 1918).

Bergedorfer Zeitung, 29. Juni 1918

Abhilfe gegen die Tischtuchkrise in den besseren Lokalen bot die Bergedorfer Papierwarenhandlung Wilhelm Meyer Wwe.: in diesen Wochen annoncierte sie jeden Sonnabend ihre Tischtücher aus Krepppapier.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Passiver Widerstand gegen die Jugendkompagnie

Bergedorfer Zeitung, 27. Juni 1918

Widerstand gegen den Krieg, wenn auch nur passiv, in Bergedorf? Diese Meldung scheint unglaublich, aber aus der Luft gegriffen war sie wohl nicht.

Man kann davon ausgehen, dass der mit einem Autorenkürzel gezeichnete Artikel aus der Führung der Bergedorfer Jugendkompagnie stammte und dass in der Tat vor allem Schüler „der höheren Lehranstalten“, sprich: der Hansa-Schule, sich an der Jugendwehr beteiligten. Jugendliche, die in der Ausbildung oder im Beruf standen, zeigten hingegen nur geringes Interesse, was nicht überrascht: die Regelarbeitszeit betrug zehn Stunden täglich an sechs Wochentagen – die Jugendkompagnie erwartete an zwei Abenden pro Woche und am Sonntagvormittag Beteiligung am „Dienst“ (BZ vom 3. November 1917, mit vielen Details zu den Tätigkeiten). Angesichts der miserablen Ernährung insbesondere der ärmeren Schichten wird sich manch einer für zusätzliche Aktivitäten schlicht zu schlapp gefühlt haben – „passiver Widerstand“ wird nicht das einzige Motiv der Nichtbeteiligung gewesen sein.

Es hatte zwar Appelle an die Lehrherren und Arbeitgeber gegeben, jugendlichen Beschäftigten einen „Freizeitausgleich“ bei voller Lohnzahlung zu gewähren (siehe z.B. BZ vom 20. Dezember 1914 und 29. Januar 1917), aber davon waren die Chefs wenig begeistert, sie könnten nach Ansicht des Autors „weit mehr tun, um die Bestrebungen zu unterstützen“, womit er sie zumindest in die Nähe des passiven Widerstands rückte.

Bergedorfer Zeitung, 20. Juni 1918

So waren in der Jugendkompagnie die Hansa-Schüler weitgehend unter sich und betätigten sich unter anderem in der Landwirtschaft (siehe den Beitrag  Hansaschüler als Erntehelfer; ein weiterer Beitrag hierzu wird am 8. Oktober folgen). Sie durften aber auch einem „ebenso seltenen wie interessanten Schauspiel beiwohnen“, der Sprengung des Schornsteins der Ziegelei am Kreuzweg in Lohbrügge, die dort seit 1734 bestanden hatte (BZ vom 24. Juni 1918).

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Vom Revisor zum Häftling

Bergedorfer Zeitung, 21. Mai 1918

Buchhaltung, Revision und Steuererklärungen waren auch vor einhundert Jahren kompliziert, und mancher wird froh gewesen sein, wenn er diese Arbeiten einem Fachmann übertragen konnte, zum Beispiel dem Hamburger Bücherrevisor Gustav Bült (laut Hamburger Adressbuch seit 1915 Reginenstraße 55), der nun auch ein Büro in Bergedorf eröffnet hatte. Mehrfach (letztmalig am 8. Juni 1918) bot Bült per großer Zeitungsanzeige seine Dienste an – und gewann zumindest einen Kunden, die Wein-Großhandlung von Have.

Bergedorfer Zeitung, 19. Juni 1918

Allerdings hielt diese Verbindung nicht lange, wie die Anzeige des Weinhändlers zeigt: die Aufforderung von Haves, Zahlungen nur an die Firma zu leisten (und nicht an den Buchhalter) kann Folge eines tiefen Zerwürfnisses gewesen sein, sie mag aber auch in unkorrektem Handeln Bülts ihre Ursache gehabt haben.

Bergedorfer Zeitung, 21. Juni 1918

Letzteres war der Fall – als der Firmeninhaber Fronturlaub hatte und seinerseits die Bücher revidierte, stieß er auf eine beachtliche Unterschlagung und erstattete Anzeige, auch wegen Betrugs. Bült versuchte, sich den Nachforschungen zu entziehen und tauchte unter.

Bergedorfer Zeitung, 23. Juni 1918

Doch er konnte schnell gefasst werden, kam in Hamburg ins „dortige“ Untersuchungsgefängnis und wurde vom „hiesigen“, also dem Bergedorfer, Amtsgericht vernommen (BZ vom 23. Juni 1918). Der Prozess wurde dann aber vor dem Hamburger Landgericht geführt, das Bült „wegen Untreue in Tateinheit mit Unterschlagung zu sechs Monaten Gefängnis“ verurteilte, wobei allerdings die (fünfmonatige) Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wurde (BZ vom 26. November 1918), sodass der Missetäter Weihnachten wohl ein freier Mann war und in die Reginenstraße, wo ihn auch spätere Adressbücher als „Bücherrevisor“ verzeichneten, zurückkehren konnte.

Ob von Have auf seinem Schaden sitzenblieb, war der Bergedorfer Zeitung nicht zu entnehmen. Zumindest wurde die Firma nicht ruiniert: es gibt sie nach wie vor.

 

 

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Die Nagelfabrik Bergedorf und die Kriegspferde

Bergedorfer Zeitung, 20. Juni 1918

Pferde spielten im Ersten Weltkrieg eine zentrale Rolle – die Hufnägel für die Pferde kamen zu einem erheblichen Teil aus der Nagelfabrik Bergedorf, die regelmäßig Arbeiterinnen für die Produktion suchte.

Die Beschäftigung von Frauen war bei der Nagelfabrik nicht allein dem Mangel an männlichen Arbeitskräften geschuldet – schon in den Anfangsjahren der 1883 in Sande (neben dem Bergedorfer Eisenwerk) errichteten Fabrik waren die Männer dort in der Minderheit. 1917/18 suchte die Fabrik fast ausschließlich nach Arbeiterinnen, aber wenn Schlosser, Dreher oder Schmiede gebraucht wurden, inserierte man nur mit den männlichen Bezeichnungen – wahrscheinlich gab es keine in diesen Berufen ausgebildeten Frauen, und als kriegswichtiger Betrieb hatte die Nagelfabrik das Recht, Dienstpflichtige nach dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst zu beschäftigen, ebenso wurden Kriegsbeschädigte eingestellt (BZ vom 25. Januar 1917 und 5. Juni 1918).

Zur Produktionspalette der Fabrik zählten „Diamant-Nagel-Schrauben“, d.h. „Holzschrauben zum Einschlagen ohne Vorbohren“, wie Hermann Lembke  im Sammelband Bergedorfer Industrie Band I (S. 177 – 189) schreibt – das Hauptprodukt, gerade in den Kriegsjahren, waren aber Hufnägel, die es u.a. als „Reichshufnägel“ gab, sogar als „Militärnagel M nach Vorschrift der Militär-Veterinär-Verordnung“ und als Militär-Eisnagel in zwei Varianten, wie aus einer Firmenwerbung hervorgeht (abgebildet bei Lembke, ebd., S. 179).

Der Bedarf des Militärs an Hufeisen und Hufnägeln war gewaltig: nach Rainer Pöppinghege mussten die als Zug-, Last- bzw. Reittiere stark beanspruchten ca. 1,2 bis 1,4 Millionen „deutschen“ Kriegspferde alle vierzehn Tage neu beschlagen werden, der monatliche Verbrauch von Hufeisen lag bei ca. 10 Millionen Stück (S. 57f.). Wenn für jedes Hufeisen fünf Hufnägel nötig waren, brauchte man also 50 Millionen Hufnägel pro Monat, und auch wenn sie sicher nicht alle aus der Nagelfabrik Bergedorf kamen, war der Kriegsbeitrag des Werks beachtlich.

Noch wenige Tage vor Kriegsende suchte die Nagelfabrik erneut Arbeiterinnen (BZ vom 1. November 1918), doch wird die Produktion sehr bald heruntergefahren worden sein – nicht nur, weil der Friedensbedarf geringer war, sondern auch, weil die zunehmende Motorisierung Pferde verdrängte.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | 2 Kommentare

Bekleidungsgeld als Motivator: die Jugendkompagnie Kirchwärder

Bergedorfer Zeitung, 14. Juni 1918

Das war schon geschickt eingefädelt vom „Führer“ der Jugendkompagnie Kirchwärder: anlässlich der Übung am Sonntag sollte den Jugendlichen „Bekleidungsgeld“ ausgezahlt werden – vermutlich wollte er mit dem „Notabene“ einen Anreiz geben, sich an der Übung zu beteiligen, und das wiederum spricht dafür, dass ansonsten eine Reihe von „Jungmannen“ nicht erschienen wäre.

Auf den ersten Blick scheint die Anzeige im Widerspruch zu der Angabe in einem früheren Beitrag in diesem Blog zu stehen, dass die Jugendkompagnie Kirchwärder nie praktische Übungen durchführte (siehe den Beitrag Die Jugendwehr: Papier und Praxis), doch muss kein Widerspruch vorliegen: im Februar 1918 waren in der Gemeinde Preußisch-Kirchwärder alle männlichen Jugendlichen über 14 Jahre vom Gemeindevorsitzenden aufgefordert worden, sich zur Jugendwehr zu melden. Ob mit H. Hüge nur ein neuer „Führer“ eingesetzt worden oder ob es erst 1918 zur Gründung der Ortsgruppe Kirchwärder in der Jugendwehr-Kompagnie 404 gekommen war, ist unklar, aber der Druck von oben (vom preußischen Landratsamt auf die preußische Gemeinde, von der auf die Jugendlichen) zeigte wohl Wirkung, Hüge wurde aktiv, rief seine Truppe zur Übung und sorgte dafür, dass viele kamen.

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1918

Unabhängig davon: dass den Jugendlichen Bekleidungsgeld (für die Uniform) gezahlt werden sollte, war ungewöhnlich – eine vergleichbare Meldung oder Anzeige über die Bergedorfer, Sander oder Geesthachter Jugendwehr war in der BZ nicht zu finden. In Bergedorf bat der Führer der Jugendkompagnie, Georg Raven, sogar um „getragene Joppen oder Anzüge für Jungmannen“, was aber auch durch die Schwierigkeit der Beschaffung entsprechender Neuware erklärt werden kann. Ob im Sommer 1918 wirklich „viele“ der Einheit beitreten wollten, ist nicht belegt.

 

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar

Die Wohnverhältnisse in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 14. Juni 1918

Richtig eng wird es gewesen sein, wenn sich sechs Personen eine Einzimmerwohnung teilten oder über 10 Menschen in zwei Zimmern lebten. Dies waren die wohl schlimmsten Zahlen, die die Wohnungszählung für die Stadt Bergedorf einige Wochen vorher (BZ vom 3. April 1918) ergeben hatte, und als kuschelig wird man das nicht empfunden haben, schon gar nicht, wenn noch familienfremde „Schlafgänger“ mit dabei waren. Aber mehr oder besseres konnten sich viele Menschen einfach nicht leisten, und sozialen Wohnungsbau mit Quadratmeterrichtwerten pro Bewohner kannte man hier (noch) nicht.

Es war generell eng auf dem Bergedorfer Wohnungsmarkt 1918: den 15.872 Einwohnern (Ergebnis der Volkszählung 1917) standen weniger als 4.400 Wohnungen zur Verfügung, die durchschnittliche Belegung lag also bei 3,6 Personen pro Wohnung. Von den 43 leeren Wohnungen (ein Prozent des Bestands) waren nur acht „für Wohnungszwecke sofort verwendbar“ – unter 0,2 Prozent. Für die Zeit nach Kriegsende wurde per Befragung ein Bedarf von 445 (zusätzlichen) Wohnungen festgestellt, zu drei Vierteln mit zwei oder drei Zimmern – doch die Zahl der Wohnungssuchenden wird weit darüber gelegen haben: der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Paeplow hatte in einer Versammlung seiner Partei in Bergedorf darauf hingewiesen, dass die „kriegsgetrauten“ Frauen meist noch bei ihren Eltern wohnten und auch die zu erwartenden ledigen Kriegsheimkehrer meist einen eigenen Hausstand würden gründen wollen (BZ vom 13. Mai 1918).

Dass etwas geschehen musste, war Konsens in der Stadtvertretung – doch was? Die bürgerlichen Vertreter Lodde, Ohly und Kauffmann befürworteten den Bau vor allem von Eigenheimen mit Gärten (und Ställen), die Sozialdemokraten Otto und Piehl wollten Sechsfamilienhäuser mit Mietwohnungen, ähnlich wie Bürgermeister Walli, was eher den unteren Schichten zugutegekommen wäre, die von einem Einfamilienhaus aus finanziellen Gründen nur träumen konnten. Der von Walli beabsichtigte Bau von „fürs erste“ 200 Kleinwohnungen wäre dem Bedarf nicht einmal annähernd gerecht geworden, aber als erster Schritt …

In Sande und Geesthacht war die Lage nicht besser (siehe BZ vom 15. Januar, 5., 12. und 23. März 1918); über die Ergebnisse der auch dort durchgeführten Erhebung berichtete die BZ leider nicht. In Geesthacht brachte ein Angebot der Schützengesellschaft eine kleine Entlastung: sie stellte ihre Schießhalle der Gemeinde für Wohnzwecke zur Verfügung (BZ vom 29. Juni 1918) – ob dies in einem Zusammenhang stand mit der Zeitungsmeldung vom 23. Mai, dass es dort „wieder“ einen Einbruch mit Verwüstung gegeben hatte, oder ob es das soziale Denken des Vereins widerspiegelte, sei dahingestellt.

Veröffentlicht unter Bergedorf 1918 | Schreib einen Kommentar