Beleuchtungskörper und Arbeitsmaschinen auf dem Lande

Bergedorfer Zeitung, 13. September 1920

Nun hatte sie wirklich begonnen, die Versorgung des Landgebiets mit Elektrizität: der Monopolversorger Hamburgische Elektrizitätswerke (HEW) kündigte „weitere Inbetriebsetzungen“ an und nannte sogar konkrete Termine für verschiedene Abschnitte, aber zumindest in Teilen des Gebiets dauerte es dann doch einige Wochen länger (BZ vom 13. Oktober und 15. Dezember). Ein Grund für Verzögerungen dürften auch Diebstähle gewesen sein – so wurden in Curslack 100 Meter Leitungsdraht gestohlen, die erst am Vortag installiert worden waren (BZ vom 23. September). In Kirchwärder ersparten sich Diebe das Erklettern der Masten und entwendeten drei Rollen Kupferdraht (Wert: 20.000 Mark) von der Baustelle der HEW (BZ vom 19. November).

Bergedorfer Zeitung, 25. September 1920

Bergedorfer Zeitung, 11. September 1920

 

 

 

 

 

 

In den Häusern konnte man die Kerzen,  Petroleum- und Karbidlampen nun bald wegstellen und elektrische Lampen und Glühbirnen anschaffen, für die in diesen Wochen mehrfach in der BZ inseriert wurde. Einer der Anbieter, Johann Michaelis, war nicht nur Installateur und Händler von „Beleuchtungskörpern“, sondern war im Landgebiet als Ingenieur des Zweckverbands (siehe den Beitrag Licht fürs Land) tätig, was ihm sicher viele Kunden zuführte, aber auch Anfeindungen einbrachte. Willi Gallwitz war übrigens im Frühjahr aus dem gemeinsamen Geschäft mit Michaelis ausgeschieden (BZ vom 17. Januar, 27. Februar und 22. Mai).

Geradezu euphorisch berichtete die BZ über die Inbetriebnahme in Kirchwärder-Seefeld: „Seit ungefähr acht Tagen strahlen dort die meisten Häuser abends im elektrischen Lichterglanze, und diejenigen Hausbesitzer, die bisher den Anschluß versäumten, werden sich jedenfalls beeilen, dieses nachzuholen.“ (BZ vom 13. Oktober) Traurig stimmt dagegen die Meldung, dass ein wagemutiger Junge einen Strommast erkletterte, die Leitung berührte und auf der Stelle tot war (BZ vom 26. Oktober). Die Warnung der HEW vor solchem Tun brachte die BZ einen Tag später, am 27. Oktober.

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1920

Die Elektrizität machte die Häuser nicht nur heller, sie veränderte die Arbeit auf Bauernhöfen und in Handwerksbetrieben grundlegend, denn der Strom konnte ja auch zum Antrieb von „Arbeitsmaschinen aller Art“ genutzt werden – zur Demonstration gab es in Ochsenwärder ein „Probedreschen mit einem Elektromotor“ (BZ vom 21. September) und natürlich auch diverse Anzeigen. Das alles wiederum veranlasste die Feuerkasse zu dem Hinweis, dass elektrische Maschinen anzumelden seien (BZ vom 21. Oktober).

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Straßenpflaster – und: Pferd zieht Auto

Bergedorfer Zeitung, 10. September 1920

Das sollte die Straßenverkehrsverhältnisse gewaltig verändern: der Neuengammer Hausdeich erhielt eine Pflasterung. Damit war das Ende der Spurrillen, die sich tief in den bestenfalls mit Schlacke befestigten Untergrund einfrästen, absehbar, und in Schlechtwetterperioden konnten dann auch vollbeladene Pferdewagen ungehindert vorankommen.  Und nicht nur in Neuengamme, sondern auch in Kirchwärder (Süderquerweg, Kirchwärder Landweg), Altengamme (Horster Damm) und Curslack (Hausdeich) gingen Steinsetzer an die Arbeit, ebenso in den Marschlanden, wie in verschiedenen Meldungen bzw. Bekanntmachungen 1919/1920 zu lesen war. Die Fahrbahnbreite war mit in der Regel 4 bzw. 4,50 Meter nicht üppig bemessen.

Unbefestigt blieben aber die Deiche an der Stromelbe, und vermutlich bezog sich das von der Neuengammer Gemeindevertretung geforderte Verbot von Automobilen auf den Elbdeich. Ob die zuständige Behörde dem Ersuchen Folge leistete, war der BZ 1920 nicht zu entnehmen.

Brücke von Neuengamme nach Curslack, vor 1915

Man tat sich in den Vierlanden aber schwer, die „neuen“ Kraftwagen zu akzeptieren, was auch durchaus gute Gründe hatte: die Brücken über die Gose- und Dove-Elbe waren traditionelle hölzerne Klappbrücken aus der Zeit vor Beginn der Motorisierung; sie waren nicht für die Schwingungen ausgelegt, die ein Auto verursachte.

 

Die folgende Geschichte ist eigentlich zu schön um wahr zu sein, aber es gibt ein fotografisches Dokument dazu:

August Wobbe mit Auto, Knecht und Zugpferd (Archiv Familie Albers)

In seiner Chronik der Albers Schipper (S. 21) berichtet Jürgen Albers, dass der erste Motorwagen im Landgebiet 1911 von August Wobbe angeschafft wurde. Die zuständige Behörde reagierte prompt und erließ ein Fahrverbot für Autos auf den unbefestigten Deichen und (wegen der Schwingungen) auf den Holzbrücken.

August Wobbe wäre kein Vierländer gewesen, wenn er nicht einen Ausweg gefunden hätte: vor den Brücken wurde einfach ein Pferd vorgespannt, das das Auto hinüberzog.

(Die Abbildung von „Pferd und Wagen“ ist auch in dem Buch von Achim Sperber über die Vier- und Marschlande (S. 25) enthalten.)

 

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Die Störung einer Sedanfeier – zur Klärung der Machtfrage?

Bergedorfer Zeitung, 1. September 1920

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1920

Sehr vereinfacht gesagt: die Deutsche Volkspartei (DVP) war die Partei des konservativen Bürgertums, das der Zeit von Kaiser und nationaler Größe nachtrauerte, und deshalb veranstaltete die DVP in Bergedorfs feinstem Haus, dem Hotel Bellevue, eine „Sedanfeier“ – aber dies stieß auf massiven Protest in der Arbeiterschaft. Ob der Protest im Wesentlichen friedlich verlief – da unterschieden sich die Geister bzw. die Berichte.

Der BZ nach wurde die (geschlossene) Veranstaltung mit dem Reichstagsabgeordneten Dr. Piper abgebrochen, als man vom Herannahen „eines größeren Trupps Menschen“ erfuhr. Dieser Trupp wurde von der Polizei vor dem Lokal aufgehalten und nur eine Kommission eingelassen, die sich überzeugen sollte, dass keine „größere Feier mit Festessen und Tanz“ stattfand. Das schien alles friedlich zu verlaufen, bis eine weitere und größere Gruppe von Demonstranten in das Lokal eindrang. Ein Teil dieser Gruppe zerschlug dort Teile des Mobiliars, während andere „mehrere Flaschen Wein“ aus dem Keller stibitzten. Diese zweite Gruppe scheint überwiegend aus „jugendlichen Heißspornen“ bestanden zu haben, die von „Frauen und älteren Personen“ schließlich bewogen wurden abzuziehen. Der Wirt beklagte einen Schaden von etwa 20.000 Mark: ein beachtlicher Schaden, die Polizei nahm Ermittlungen auf, Rädelsführer wurden vernommen.

Anders die Darstellung von Hannes Piehl, der damals der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) angehörte und sich gut sechzig Jahre später erinnerte: „Da war dann wieder so eine Demonstration. Wir sammelten uns diesmal auf dem Frascati-Platz. Wir waren wohl so an die 1.000 Demonstranten. …. Da sollte oben im Hotel Bellevue eine Sedanfeier stattfinden. Die Stimmung war fix gereizt. Überall große Not und Arbeitslosigkeit, und die ‚feinen Leute‘ prassen im Hotel ‚Bellevue‘.“ (zitiert bei Alfred Dreckmann, S. 48) Nach Piehl wurde vor dem Lokal „ordentlich Radau gemacht“, was zum Abbruch dessen führte, was BZ und DVP als „schlichte Feier“ bezeichnet hatten. Von einer Zerstörung von Einrichtungsgegenständen sprach Piehl nicht, wohl aber, dass „einige … dann noch in den Weinkeller rein [waren], und die Buddeln kreisten die Runde.“ (ebd., S. 49)

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1920

Am folgenden Tag berichtete die BZ, dass „die Arbeiterkommission“ mitgeteilt habe, es sei nichts zerschlagen worden, und die Kommission habe dafür gesorgt, dass die Kundgebung ordnungsgemäß verlief.

 

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1920

Dem wiederum widersprach der Hotelwirt Borgemehn, der den entstandenen Schaden nun „nach vorsichtiger Schätzung durch Sachverständige auf über 10.000 M“ bezifferte, also deutlich geringer als zuerst. Die Menge der gestohlenen Alkoholika gab er mit 215 Flaschen aber deutlich höher an.

Am Ende bleiben Fragen offen, nicht nur nach den entwendeten Getränken und dem Mobiliar: wer hatte zu der Demonstration aufgerufen? Die DVP machte das Bergedorfer-Sander Volksblatt (mit seinem Schriftleiter Ratmann Frank (SPD)) verantwortlich: es habe „in aufreizender Weise Stimmung gegen diese Veranstaltung  gemacht“, Bürgermeister Wiesner habe den Tumult beobachtet, aber nicht eingegriffen, zitiert Dreckmann (ebd., S. 49f.) aus einem der Beschwerdeschreiben der Partei. Auch findet man bei Dreckmann (ebd., S. 50) einen Auszug aus dem Bergedorf-Sander Volksblatt vom 5. September: „Wie es vorauszusehen war, so ist es gekommen. Die Warnungen, die wir ergehen ließen, schlug man in den Wind. Die brutale Herausforderung der deutschen Volkspartei …. rief die Volksmassen der Proletarier auf die Straßen, um den Herrschaften einmal wieder klar zu machen, daß sie noch nicht wieder die Macht haben.“

Eine weitere Frage ist, ob und ggf. zu welchen Konsequenzen die Ermittlungen der Polizei führten – dazu war bis Jahresende in der BZ nichts zu finden, und bei Dreckmann auch nicht.

 

 

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Gefängnisausbruch: die Flucht endete im Schlossgraben

Bergedorfer Zeitung, 2. September 1920

Der Mann war wahrscheinlich gerade zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden oder befürchtete ein solches  Verdikt am nächsten Prozesstag. So ergriff er die Flucht – am Ende vergebens.

Sein Gerichtsverfahren war wohl anders verlaufen (und ausgegangen) als er gehofft hatte – sonst hätte er keinen Fluchtversuch unternommen, der durch das Eingreifen mehrerer Bergedorfer scheiterte. Was den Mann veranlasste, noch kurz im Schlamm des Schlossgrabens zu verweilen, bevor er zu seinem Aufseher zurückkehrte, ist unbekannt: vielleicht war es Frust, vielleicht Entkräftung oder Atemnot; für ein Heilbad war der Schlamm jedenfalls nicht tauglich. So gelangte er also wieder ins Gefängnis aus dem 19. Jahrhundert, das an der Stelle stand, wo sich heute das Gemeindehaus der St. Petri-und Paulikirche befindet (Bergedorfer Schlossstraße).

Über die Geschichte der Bergedorfer Gefängnisse berichtet detailreich Martin Knorr im  Lichtwarkheft Nr. 43 (1980), S. 49-53: die ersten Kerker befanden sich im Schloss und hatten sicher eine noch geringere Aufenthaltsqualität als das damals aktuelle: es gab Zellen im Kellergewölbe des Zwingers, „Immenrump“ (Bienenkorb) genannt, und unter dem Nordwestflügel des Schlosses den „Rauten-König“ (der 2,5 m lange Lichtschacht zu diesen Zellen besteht noch: ein kleines vergittertes Fenster zum Innenhof – hierzu Olaf Matthes, S. 114f.). Weiter nennt Knorr das „Backhaus“ und den „Bullenstall“, die aber nicht eindeutig zu lokalisieren sind. In seinen Jugenderinnerungen aus den 1820er Jahren beschreibt Friedrich Stoffert einen großen viereckigen Turm an der Südwestseite des Schlosswalls, der auch als Gefängnis diente: „Wie manche Ecken des Schlosses trug auch dieser Turm bedeutende Spuren des Alters. Es mochten auch viele Jahrhunderte über ihn dahingegangen sein, denn die klaftertiefen Mauern waren stellenweise so zerbröckelt, daß man wie auf Stufen daran hinaufsteigen konnte.“ (S. 31)

All diese Zellen waren 1838 aufgegeben worden, als der Neubau an der Schlossstraße bezogen werden konnte. Er wurde mehrfach umgebaut und erweitert, bis 1927 das neue Amtsgerichtsgebäude mit Gefängnisanbau bezogen werden konnte. Von da an führte der Weg vom Gerichtssaal zur Haftanstalt nicht mehr über eine öffentliche Straße, was ein Entweichen sicher erschwerte.

Amtsgericht Bergedorf – der nach rechts vorspringende Flachdachbau ist das Gefängnis (Ansichtskarte vor 1930)

 

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Das Umpressen von Hüten

Wer 1920 sein Haus oder seine Wohnung verließ, tat das nicht ohne Kopfbedeckung.

Bergedorfer Zeitung, 28. August 1920

Bergedorfer Zeitung, 28. August 1920

Umpresshüte sicherten angeblich, dass die behütete Dame ihren Kopf à la mode schmücken konnte. Das Umpressen geschah in einem Dampfkessel (BZ vom 26. Juli 1919), in den ein Filz- oder Velourhut eingelegt wurde, um mittels einer entsprechenden Form eben „umgepresst“ zu werden. Auch konnten Hüte gefärbt werden, und mit einem zweifach geänderten Modell konnte die Dame den Anschein erwecken, sie trage nicht den Winterhut der vergangenen Saison(s). Und dabei hatte sie sicher noch Geld gespart.

Bergedorfer Zeitung, 6. August 1919

Ob das wirklich funktionierte? Weitgehende Änderungen der Hutmode, z.B. der Wechsel von schmaler zu breiter Krempe, konnten wohl kaum durch Umpressen nachvollzogen werden. Ob die Hutform sich tatsächlich jedes Jahr änderte, muss allerdings bezweifelt werden, denn ein Jahr zuvor hatte das Kaufhaus E. Schröder (Mohnhof 2) in seiner Annonce dieselben Formen (mit anderer Dame) abgebildet. Die in der Anzeige von 1919 genannten „Plümhüte“ werden Plume-Hüte gewesen sein, d.h. Hüte mit Federschmuck.

Herrenhüte wurden „modernisiert“ – nähere Ausführungen dazu gab es leider nicht, auch keine Abbildungen. Doch es gab ein Angebot eines Bergedorfer Herrenschneiders: „Ich wende Anzüge und Paletots.“ (ebenfalls BZ vom 28. August 1920). So konnten Herren zwar nicht neugewandet, aber frisch gewendet und mit modernisierter Kopfbedeckung auf die Straße treten.

 

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Die 500-Jahrfeier Vierlandens

Bergedorfer Zeitung, 30. August 1920

Hochzufrieden zeigte sich die Bergedorfer Zeitung mit den 500-Jahr-Festivitäten des Vereins für Vierländer Kunst und Heimatkunde: sie gestalteten sich „zu einem Volks- und Heimatfeste größten Stils und kernigster, gesunder Art“, und so schrieb der Verfasser den Bergedorfern, die ja eine Woche zuvor ihr Jubiläum begangen hatten (siehe den Beitrag Ein Jubiläum – aber welches?), einiges in Sachen Geschichts- und Heimatbewusstsein ins Stammbuch.

Bergedorfer Zeitung, 24. August 1920

(Von einer „500-Jahrfeier Vierlandens“ konnte eigentlich nicht die Rede sein, denn die Bezeichnung „Vierlande“ für die Kirchspiele Altengamme, Neuengamme, Curslack und Kirchwärder tauchte erstmals 1548 in einer Urkunde auf, wie Geerd Dahms (S. 18) nachgewiesen hat.)

Das Programm war ähnlich dem des in Bergedorf gefeierten Fests, doch die Kunstausstellung in Hardens Gasthof wird sehenswert gewesen sein: neben Arbeiten von Hermann Haase wurden solche von Amelie Ruths und  Arthur Illies, den Bergedorfern Friedrich Stoffert, Karl Bohnsack und Henny Deppermann und anderen ausgestellt. Mit einem Künstler war der Kritiker eher unzufrieden: „Mit Hans Försters Stücken, die teilweise in grotesk farbenfröhlicher Wirkung in Steinzeichnungsmanier hingeworfen sind, kann man sich schon schwerer abfinden.“

Bergedorfer Zeitung, 31. August 1920

Aus den Reden der Festsitzung (Redner u.a. Pastor Holtz als Vorsitzender des veranstaltenden Vereins, Landherr Senator Stubbe, Gemeindevorsitzender Heinrich Grube aus Kirchwärder) ist eine Passage des Vortrags von Prof. Dr. Hans Nirrnheim von besonderem Interesse: er warf Schlaglichter auf katastrophale Ereignisse, die die Vierlande in ihrer Geschichte zu verkraften hatten und die sie immer wieder verkrafteten: Sturmfluten und militärische Besetzungen.

 

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Der Bus kam verspätet

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1920

Busse können sich gelegentlich verspäten, aber eine Verspätung (aus ungenannten Gründen) von elf Wochen war sicher rekordverdächtig. Dann kam der Bus aber und hielt in Bergedorf am Hotel Zur Sonne.

„Die Kraftverkehrsgesellschaft Nordmark wird gleich nach Mitte Juni die Autoomnibuslinie Mölln-Schwarzenbek-Bergedorf in Betrieb setzen“, hatte die BZ am 14. Juni 1920 geschrieben – tatsächlich dauerte es mit der Eröffnung und Bergedorfs erster Linienbus-Verbindung noch bis zum 25. August.

Die wenigsten Bergedorfer werden an diesem neuen Verkehrsangebot großes Interesse gehabt haben, es war wohl eher für die Bewohner der Dörfer an der Strecke gedacht, die am Endhalt Bergedorf nur wenige Schritte zum Staatsbahnhof gehen mussten: dort gab es Bahnanschluss zur Weiterreise in die Metropole Hamburg.

Bergedorfer Zeitung, 25. August 1920

Am Tag der Betriebsaufnahme konnte die BZ bereits einen Bericht über die neue Verbindung bringen, denn vorher hatte es eine Prominenten- und Pressefahrt gegeben, u.a. mit Bürgermeister Wiesner und einem Reporter der BZ, die in Mölln bewirtet und vom Direktor der Firma über die hochgesteckten Ziele des Unternehmens informiert wurden. Es blieb noch Zeit für einen touristischen Rundgang vor der Rückreise – die Gäste waren „hochbefriedigt“ von allem.

Der „hübsch und bequem eingerichtete Wagen“ konnte 25 bis 30 Personen befördern. Die Fahrt über ca. 40 Kilometer dauerte gut zwei Stunden und kostete für die Gesamtstrecke 15 Mark, von Ort zu Ort 1 Mark (BZ vom 14. Juni). Mangel an Fahrgästen gab es offenbar nicht, denn schon bald wurde die Zahl der täglichen Touren auf drei erhöht (BZ vom 2. November).

Hundert Jahre später verkehrt auf der Strecke die von der Autokraft betriebene Linie 8810: es gibt mehr Haltestellen, die Busse sind deutlich größer, komfortabler, schneller und fahren viel häufiger. Die HVV-Einzelkarte kostet € 7,40 für die Gesamtstrecke. Verspätungen gibt es nur im Minutenbereich.

 

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Überraschung: Mädchen an der Hansaschule

Bergedorfer Zeitung, 21. August 1920

Ganz schmucklos und ohne jede erkennbare Aufgeregtheit meldete die BZ, dass in die „oberen Klassen“ der Hansaschule Mädchen aufgenommen wurden – die Debatte um die „höhere Bildung“ für Mädchen in Bergedorf hatte eine neue Wendung genommen.

Zwar war im Frühjahr 1920 eine Lyzealklasse an der Schule Brauerstraße eingerichtet worden (siehe den Beitrag Mehr Bildung für alle fähigen Mädchen!), aber die war nur für die „Kleinen“, die Fünftklässlerinnen. Die privaten Einrichtungen Luisen- und Elisabethschule waren relativ teuer und führten nicht zum Abitur. Ein staatliches Lyzeum mit „Oberstufe“ und Abiturmöglichkeit fehlte in Bergedorf (noch).

In dieser Situation schuf die Schulaufsichtsbehörde eine neue Möglichkeit: Mädchen durften in die Oberstufe des 1919 neugeschaffenen Oberrealzweigs der Hansaschule eintreten und somit das Jungen-Privileg des Abiturs in Bergedorf aufbrechen. Fünf junge Damen nutzten diese Gelegenheit und wechselten von Hamburger Schulen zur Hansaschule.

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1920

Ob sie sich unter weit mehr als 700 männlichen Schülern wohlfühlten, war der Zeitung nicht zu entnehmen – eine der drei Real-Unterprimanerinnen muss die Schule bald verlassen haben oder in die Real-Obersekunda zurückgetreten sein, denn zwei Monate nach Ende der Ferien waren nur noch zwei Schülerinnen in der Unterprima, vier in der Obersekunda.

Die Hansaschule war damit zur koedukativen Schule geworden, wenn auch nur in sehr bescheidenem Maße – in den Stadtschulen herrschte weiter Geschlechtertrennung.

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Kukirol statt Küchenmesser

BZ, 29. Juli 1920

BZ, 12. August 1920

Reklame muss gesehen werden – und diese Werbeannoncen waren auf jeden Fall Hingucker. Zudem werden die Kukirolpflaster weniger gefährlich gewesen sein als die gezeigte Alternative, bei der die Selbstverstümmelung drohte.

Erst 1919 hatte Kurt Krisp seine Kukirol-Fabrik in Magdeburg gegründet, nun schickte er sich an, die Welt schmerzgeplagter (nicht nur) Bergedorfer Füße zu erobern: „schnell, sicher und schmerzlos“ sollte per Pflaster Abhilfe geschaffen werden.

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1920

In der ersten Jahreshälfte waren seine Anzeigen schlichter gewesen – werbetechnisch hatte Krisp (oder sein Gestalter) also deutliche Fortschritte gemacht. Über seine Kampagnen kann man auf einer Seite des Museums der Stadt Weinheim (online) und aus Dirk Schindelbecks Buch „Hühneraugenpflaster im Reklamerausch: ‚Kukirol‘, ‚Dr. Unblutig‘ und die Werbung der zwanziger Jahre“ manch Interessantes erfahren, Wikipedia (Anm. 26) nennt ihn als „Pionier der Produktwerbung“ – Kukirol war (pardon!) in aller Munde: Freunde des Schlagers der 1920er Jahre kennen sicher das Lied „Valencia“, auf das es mehrere Textparodien gibt. Die bekannteste beginnt den Kehrreim mit „Valencia! Meine Augen, Deine Augen, Hühneraugen, Kukirol“.

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Ein Jubiläum – aber welches?

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1920

Wegen des Krieges war 1917 die Feier anlässlich der fünfzigjährigen Zugehörigkeit Bergedorfs zu Hamburg (siehe den Beitrag zu diesem Jubiläum) ausgefallen – drei Jahre später gab es den nächsten runden Jahrestag, und es sollte die „500-Jahrfeier der Stadt Bergedorf“ begangen werden. Historisch war das Unfug: die erste explizite urkundliche Nennung des Ortes stammt von 1163; aus einer Urkunde von 1162 ist zu schließen, dass Bergedorf bereits damals existierte; das Stadtrecht war dem Ort 1275 verliehen worden.

Wenn also auch der Titel des Festes ziemlich daneben lag: es gab Grund, ein Jubiläum zu würdigen,  denn 500 Jahre zuvor hatte die gemeinsame Streitmacht der Städte Hamburg und Lübeck Stadt und Schloss Bergedorf erobert (am 16. Juli 1420), und der Friedensvertrag mit dem besiegten Herzog von Sachsen-Lauenburg wurde am 23. August 1420 besiegelt und das beiderstädtische „Amt Bergedorf“ entstand. Gefeiert werden sollte (und wurde) einen Tag zu früh, nämlich am 22. August 1920, weil das ein Sonntag war.

Laut Programm stiftete der Magistrat der Stadt zwei Konzerte am Festtag, aber das war fast schon sein gesamtes Engagement in Sachen Jubiläum, wie aus dem Bericht danach hervorgeht (BZ vom 23. August): zahlreiche Prominente listete die BZ namentlich als Teilnehmer auf, z. B. Hamburgs früheren Bürgermeister von Melle und einen seiner Amtsvorgänger, Max Predöhl, beide ehemals Landherren, sowie den amtierenden Landherrn Senator (Heinrich) Stubbe. Die Bürgerschaftsabgeordneten Käckenhoff und Amandus Stubbe wurden mit Namen genannt, ebenso Hamburger Beamte und zwei Künstler – summarisch hieß es dann: „von Magistrat und Bürgervertretung Vertreter aller Fraktionen“,  der Teilnahme im Publikum verweigerten die Stadtoberen sich also nicht.

„Im großen und ganzen … voll gelungen“, urteilte die BZ am 23. August über das Fest, wenn sie es auch etwas klein fand: der Magistrat hätte Ausrichter einer richtigen „Volksfeier“ sein sollen. Aber der wollte ja nicht.

Festschrift von 1920 – Illustration des Titelblatts von Hans Förster

Übrigens: die mit zahlreichen Abbildungen versehene Festschrift, sogar mit dem korrekten Untertitel „herausgegeben anläßlich der 500-Jahrfeier des Amtes Bergedorf“, enthielt Aufsätze zur Geschichte des Gebiets (einschließlich Geesthachts). Man konnte sie in den Bergedorfer Buchhandlungen für fünf Mark erwerben. Sie ist in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorhanden (Katalog-Link) – das dortige Exemplar ist in deutlich besserem Zustand als das hier abgebildete.

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