Hans Schomburgk: Von Bergedorf in den Deutschen Sudan

Bergedorfer Zeitung, 6. April 1918

Den Sudan kennt man heute als einen Staat in Nordost-Afrika, der in der Zeit des Ersten Weltkriegs nach den dort herrschenden Kolonialmächten als „anglo-ägyptischer Sudan“ bezeichnet wurde. „Sudan“ bezeichnet aber auch eine Großlandschaft, die Afrika südlich der Sahara in west-östlicher Richtung durchzieht. In Westafrika gab es den „französischen Sudan“ und auch den „deutschen Sudan“ – besser bekannt unter dem Namen Togo als damalige deutsche Kolonie.

Bergedorfer Zeitung, 6. April 1918

Aber wie kam ein Bergedorfer aus angesehener Familie (dazu unten mehr) dazu, in Afrika einen Film zu drehen (Link zu einer Inhaltsangabe)? Diese Frage beantwortet Olaf Matthes in einem kurzen Aufsatz, der auch eine diesen Hans (Hermann) Schomburgk betreffende Korrespondenz des Auswärtigen Amts im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz von 1912 ausgewertet hat: danach wurde der Siebzehnjährige als „Thunichtgut“ über See geschickt und führte (unterbrochen durch seinen einjährigen Militärdienst in Deutschland) in Afrika ein abwechslungsreiches Leben als englischer Polizeioffizier, Großwildjäger und Forschungsreisender. Als Tierfänger brachte er im Auftrag Carl Hagenbecks das erste westafrikanische Zwergflusspferd nach Hamburg, als liberianischer Major wurde er Militärattaché in London, um dann als Vortragsreisender und Buchautor (auch) in Deutschland zu reüssieren: „Seine spannend und zum Teil dramatisch erzählten Afrika-Expeditionsberichte brachten ihm ein Millionenpublikum ein.“ (Matthes, ebd., S. 13. Lesenswert auch der ebenfalls von Matthes stammende Eintrag zu Schomburgk in der Hamburgischen Biographie (Bd. 5, S. 329f.).)

Bergedorfer Zeitung, 8. Februar 1918

Sein Vater Hermann Schomburgk (siehe Bergedorfer Personenlexikon) war ein bekannter Architekt, der nicht nur Häuser im Villenviertel entwarf, sondern z.B. auch den Bismarckturm in Aumühle sowie die Bahnhöfe Bergedorf-Süd und Kirchwärder-Nord (Bilder in Rolf Wobbe, Chronik der Vierländer Eisenbahn). Er betätigte sich wie sein Sohn auch schriftstellerisch, verfasste z.B. ein Gedicht zur Einweihung der Vierländer Bahn (nachzulesen bei Rolf Wobbe, ebd.) und schrieb mehrfach Theaterstücke für die Luisenschule: 1917 gelangte sein „Held Fritz und Lieschen Bangebüx“ zur Aufführung (BZ vom 23. Januar 1917), 1918 sein plattdeutsches Vierländer Lustspiel „Fru Sinater“ sowie das „patriotische Versespiel zwischen Germania und Hammonia“, das Schülerinnen der Luisenschule mehrfach zur Aufführung brachten.

 

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Die städtische Besohlanstalt

Bergedorfer Zeitung, 27. März 1918

Durchgelaufene Schuhsohlen sollte es in Bergedorf nicht mehr geben – deshalb wollte der Magistrat in einem angemieteten Laden in der Holstenstraße eine städtische Schuhbesohlanstalt einrichten, geleitet von dem reklamierten Schuhmachermeister Emil Ohde, der zusammen mit drei Gesellen und zwei weiblichen Hilfskräften (BZ vom 19. März 1918) den Bergedorferinnen und Bergedorfern wieder ein festes Auftreten ermöglichen sollte.

Welches Material zum Einsatz kommen sollte, ist nicht ganz klar – Leder jedenfalls war es nicht, denn nicht einmal für Sohlenschoner (siehe den Beitrag Treibriemen zu Schuhsohlen …) durfte es noch verwendet werden (BZ vom 5. Januar 1918), und so spricht einiges dafür, dass Holz genutzt wurde, wie es auch Karl Hack in seiner Holzpantoffelmacherei in der Bleichertwiete zur Erneuerung von Sohlen nahm (BZ vom 9. März 1918).

Bergedorfer Zeitung, 29. März 1918

Ganz glatt verlief der Start der Schuhbesohlanstalt aber nicht: kurz vor der geplanten Eröffnung am Tag nach Ostern wurde noch Personal gesucht, sodass die Eröffnung letztlich erst in der folgenden Woche erfolgte (BZ vom 6. April 1918).

Bergedorer Zeitung, 13. April 1918

Von der Bevölkerung wurde das neue Angebot schnell angenommen: schon am Wochenende musste ein Annahmestopp verhängt werden. Wann er wieder aufgehoben wurde, war in der BZ nicht zu lesen.

 

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Plakatierte Propaganda: „Gegen England“

Bergedorfer Zeitung, 27. März 1918

Der Sinn der „Gegen England“ gerichteten Plakatkampagne mit kostenloser Abgabe  erschließt sich erst aus dem Text des bei der Hamburger Kunstdruckerei Mühlmeister & Johler hergestellten Blattes (Link zur Abbildung – die Vergrößerung benötigt eine lange Ladezeit), das nur den Vers eines ansonsten eher unbekannten Poeten namens Fritz v. Briesen wiedergab:

 

Gegen England
Der Brite sucht, im off’nen Kampf geschlagen,
Bezahlte Zwietracht uns ins Land zu tragen.
So zeigt dem Weltverführer es aufs neue:
Die stärkste Macht der Welt ist Deutsche Treue!
Fritz v. Briesen

Na, dann war ja eigentlich alles gut: England hatte man besiegt, und seinem Versuch, durch bezahlte Agenten die Deutschen zu spalten, sollte die Deutsche Treue den Weg versperren. Doch das war schiere Propaganda, die da in Bergedorfs Straßenbild einziehen sollte:

„Der Brite … im Kampf geschlagen“ – das deutsche Heer hatte bei der Frühjahrsoffensive 1918 im Westen durchaus Geländegewinne zu verzeichnen und „an der ‚Heimatfront‘ entstand der fatale Eindruck, Deutschland stehe kurz vor dem Sieg, während es tatsächlich immer näher an den Rand der Niederlage heranrückte.“ (Herfried Münkler, S. 701) Die reale Lage wurde der Bevölkerung verborgen, denn die Zeitungen durften nur die offiziellen Verlautbarungen aus dem „Großen Hauptquartier“ und andere offiziöse Texte drucken, und die sollten die Siegesgewissheit stärken, ebenso der nun plakatierte Vers – aber geschlagen war „der Brite“ eben nicht.

Bergedorfer Zeitung, 11. März 1918

„Bezahlte Zwietracht“ – das passt zu den vier Anzeigen, die der stellvertretende kommandierende General v. Falk zwischen Februar und April in die Zeitungen setzen ließ: er wusste „von englischer oder amerikanischer Seite besoldete Agenten“ (BZ vom 18. Februar 1918) am Werk, deren Ziel die „Aufhetzung der Arbeiterschaft zum Streik, namentlich … Verteilung von Flugblättern“ war – in einer der Anzeigen hieß es „zum Streik oder zur Revolution“ (BZ vom 6. März 1918). V. Falk reagierte damit auf die massiven Streiks auf den Hamburger Werften im Januar 1918 (siehe hierzu Volker Ullrich), in deren Folge er alle Werftarbeiter (vorübergehend) unter Militärrecht stellte und vor eigens geschaffenen „Kriegszustandsgerichten“ 52 Angeklagte zu hohen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilen ließ (siehe auch BZ vom 4. März 1918). Die ausgesetzte Belohnung von zuletzt 36.000 Mark (BZ vom 23. April 1918) musste er wohl nicht auszahlen – sonst hätte es sicher eine diesbezügliche Erfolgsmeldung gegeben. War der Unmut unter den Werftarbeitern so groß, dass es keiner Intervention von außen und keiner Bezahlung bedurft hatte?

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„Die Nihilitexplosion“ im Gasthof zum Zollenspieker

Bergedorfer Zeitung, 21. März 1918

Der Titel des Films, den Hermann Kröger im Gasthof zum Zollenspieker vorführte, lässt stutzen: Nihilit? Sollte dieses Nihilit eine Weiterentwicklung des u.a. in Krümmel hergestellten Dynamits mit noch vernichtenderer Sprengwirkung gewesen sein? Oder bestand eine Beziehung zum Nihilismus?

Wenn das Wort Nihilit auch in keiner Enzyklopädie jener Jahre zu finden war, so hatte es in die Literatur doch längst Einzug gehalten. Derselbe Autor schrieb ihm in zwei verschiedenen fiktionalen Werken sehr verschiedene Eigenschaften zu – dieser (Emil) Robert Kraft muss als der (literarische) Erfinder der Substanz angesehen werden: in dem 1901 veröffentlichten Groschenroman „Die Weltallschiffer“ war Nihilit der Name für den fünften Aggregatzustand von Wasser: wenn man ein mit Wasser befeuchtetes Tuch der Weltraumkälte aussetzte, war es hinterher unsichtbar und machte z.B. auch eine unter dem Tuch liegende Hand unsichtbar, entfaltete also eine tarnkappenähnliche Wirkung, war aber nicht explosiv. In Krafts „Die Nihilit-Expedition“ von 1908/09 war das Nihilit eine metallische Substanz, zu finden nur in einer australischen Wüste, härter als jedes andere Metall oder Diamant, aber explosiv war es genauso wenig. (Wenn man diese beiden Schriften Krafts gelesen hat, versteht man die Aversion der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung gegen diese Art Hefte bzw. Bücher). Dass Nihilit explodieren kann (aber nicht muss), entdeckte Kurt Kusenberg in seiner Kurzgeschichte „Nihilit“, die er aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb.

Ob Kusenberg als Jugendlicher diese dänische „Nihilitexplosion“ gesehen hat, ist unbekannt. Über den Film war wenig herauszufinden – in einer Film-Datenbank der Universität Köln findet sich die sehr konzise Zusammenfassung der Handlung mit den Worten „Erfinder wird bestohlen. Der Dieb kommt um“, auch der Hinweis, dass der Film nicht jugendfrei war. Eine Recherche beim Dänischen Filminstitut führte ins Nichts: die in der Anzeige genannten Hauptdarsteller sind in der dortigen Datenbank zwar mit Filmographie verzeichnet – nicht aber der Film (siehe z.B. die Seite zu Waldemar Psilander). War da Nihilit am Werke?

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Neue Eierablieferungsauflagen

Bergedorfer Zeitung, 20. März 1918

Nach den Angaben der Bergedorfer Zeitung über die Lebensmittelversorgung Bergedorfs gab es wahrlich nur selten einmal ein Ei: im Januar/Februar hatte es dreimal ein Ei nur für Kinder gegeben, ein weiteres kam für alle Altersgruppen hinzu; der Preis lag bei 40 bis 49 Pfennig pro Stück (BZ vom 5., 12. und 19.Januar sowie 2. Februar 1918). Erst im Juni standen wieder Eier zur Verfügung: gleich dreimal konnte jeder eines erwerben (zu 40 bzw. 41 Pfennig, BZ vom 1., 8. und 29. Juni 1918). In Sande waren die Eier billiger (34 Pfennig), aber noch rarer (im ersten Halbjahr drei, Kinder eins zusätzlich, BZ vom 14. und 28. Februar, 16. Mai sowie 19. Juni 1918).

Administrativ wurde viel getan, um dem Mangel abzuhelfen: den Hühnerhaltern wurden Eierablieferungsauflagen gemacht, wie die nebenstehende Verordnung zeigt: zweimal zehn Eier pro Huhn mussten an die Stadt verkauft werden, die Fristen wurden sogar um einen Monat verlängert (BZ vom 22. März 1918) und als Anreiz zur Sollerfüllung sollte es zusätzliches Hühnerfutter geben. Eine Eingabe von Bergedorfer Hühnerhaltern, das Soll zu reduzieren, wurde zwar vom Magistrat abgelehnt, aber er wies darauf hin, dass auch Hühnerhalter Anspruch auf eine Eierzuteilung hätten, und die werde man mit dem Ablieferungssoll verrechnen … (BZ vom 1. und 9. Mai 1918).

Bemerkenswert ist noch, dass sämtliche nicht selbstverbrauchten Eier an die städtische Sammelstelle zu verkaufen waren: sogar der Tausch von Eiern gegen andere Güter war verboten, was ihren wirklichen Wert besser wiedergibt als ein amtlicher fixierter Kleinhandelshöchstpreis.

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Frauen- und Chinesenhaare beschlagnahmt

Bergedorfer Zeitung, 15. März 1918

„Alle gesammelten rohen Frauenhaare sowie Chinesenhaare“ wurden der Beschlagnahme unterworfen, mit Ausnahme der gesammelten eigenen Haare – und wer mindestens ein ganzes Kilogramm Haare besaß, musste seinen Bestand monatlich dem „Webstoff-Meldeamt der Kriegsrohstoffabteilung des preußischen Kriegsministeriums“ anzeigen und den Umschlag laut § 6 der Bekanntmachung außer mit der Adresse mit „Betrifft Menschenhaarmeldung“ beschriften.

Frauenhaare wurden, wie schon im Beitrag Treibriemen zu Schuhsohlen zu lesen war, statt Leder in Treibriemen eingesetzt. Der Bergedorfer Frauenverein nahm zunächst Frauenhaare „zu diesem vaterländischen Zweck“ an (BZ vom 2. Februar 1917) und bot schließlich (wie auch andere) sogar Geld dafür: hatten die Preise für ausgekämmte Frauenhaare im Frühjahr 1917 bei 8 bis 10 Mark pro Kilogramm (BZ vom 20. März 1917) gelegen, so stiegen sie über 15 Mark im Januar 1918 (BZ vom 31. Januar 1918) rasch weiter auf 20 Mark, die nun als Höchstpreis festgesetzt wurden.

Bergedorfer Zeitung, 7. Dezember 1917

Wer aber glaubte, mit dem eigenen Haarwuchs bzw. -ausfall nennenswerte Geldbeträge erwirtschaften zu können, wird enttäuscht gewesen sein, denn Haare sind ausgesprochen leicht. Der Zopfabschneider in Hamburg, über dessen kriminelle Tat im nebenstehenden Artikel berichtet wurde, dürfte kaum mehr als 50 Gramm pro Zopf ergattert haben.

Die Nennung von „Chinesenhaaren“ in der Bekanntmachung überrascht zunächst. Sollte es tatsächlich um Haare von Chinesen gegangen sein, so wäre dies ein Beleg für fortgeschrittene Globalisierung, doch da aufgrund der Seeblockade Importe das Deutsche Reich kaum erreichen konnten, kann es sich nur um Vorkriegsbestände gehandelt haben. Männerhaar in ausreichender Länge war kurz vor dem Krieg in China sicher vorhanden, denn mit dem Ende des chinesischen Kaiserreichs waren dort die traditionellen Zöpfe abgeschnitten worden.

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Ein vorletztes Mal: Dreiklassenwahl in Sande

Bergedorfer Zeitung, 13. März 1918

Wie sich Ende 1918 herausstellte, sollte dies die vorletzte Wahl in Sande nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewesen sein. Die 1917 fällige Teilwahl hatte man wegen des Krieges verschoben, doch man wollte nicht, dass dann beim nächsten regulären Wahltermin im Frühjahr 1919 gleich zwei Drittel der Gemeindevertretung neu zu wählen gewesen wären, und so entschied man sich für die Ergänzungswahl im März 1918 (BZ vom 20. Februar 1918). 1919 kam dann alles ganz anders.

Besonders spannend versprach die Wahl nicht zu werden: in der ersten Klasse gab es nur einen Wähler: das Bergedorfer Eisenwerk. In der zweiten Klasse einigten sich Bürgerverein und Grundeigentümerverein nach einigem Hin und Her auf den gemeinsamen Kandidaten Elberding, in der dritten Klasse kandidierten nur die beiden Sozialdemokraten Krell und Dießner für die beiden Sitze.

Bergedorfer Zeitung, 18. März 1918

Doch dann gab es eine Überraschung: in der zweiten Klasse tauchte ein weiterer Kandidat auf, der „eine eifrige Wahlagitation“ betrieb, sodass Bürger- und Grundeigentümerverein sich genötigt fühlten, per Zeitungsanzeige für ihren Kandidaten zu werben (BZ vom 16. März 1918) – vergebens, wie das Ergebnis zeigte: der bis dahin in der Zeitung nicht namentlich genannte Landmann Rudolf Delventhal siegte bei ca. 62 Prozent Wahlbeteiligung mit deutlichem Vorsprung vor Elberding. Auch in der dritten Klasse war „die Wahlbeteiligung recht rege“, wozu sicher auch der Wahltermin beitrug: auf Wunsch der SPD war die Wahl auf einen Sonntag gelegt worden, um auch den Arbeitern der Pulverfabrik die Stimmabgabe zu ermöglichen (BZ vom 5. März 1918).

Überraschenderweise musste noch eine weitere Wahl nach altem Recht vorgenommen werden, nachdem drei Vertreter zu stellvertretenden Gemeindevorstehern aufgerückt waren – hierzu wird am 30. April 2018 ein Beitrag in diesem Blog erscheinen. Diese letzte Dreiklassenwahl verlief ohne Überraschungen.

Noch eine kleine Anmerkung zur Bergedorfer Zeitung: im Artikel oben wurde die Wahlzeit mit „nachmittags von 3 bis 3 ½ Uhr“ angegeben – aber das betraf nur die zweite Klasse. Laut Wahlbekanntmachung wählte zuvor die dritte Klasse zwischen 13 und 15 Uhr, und in der ersten Klasse hatte der einzige Wähler (zeitlich als letzter) fünfzehn Minuten Zeit, um sein Votum zu Protokoll zu geben (BZ vom 7. März 1918).

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Bergedorfs Tabakfabrik braucht Buchenlaub

Bergedorfer Zeitung, 12. März 1918

Was macht eine Tabakfabrik mit Buchenlaub? Ganz einfach: sie stellt daraus Zigaretten her. Laut Bergedorfer Zeitung war das „eine Hiobspost für Raucher“, „Unkraut jeder Art“ dürfe sich – neben mindestens fünf Prozent echtem Tabak – in einer Zigarette befinden (BZ vom 6. Februar 1918).

So schlimm war es aber nicht: die „Tabakersatzstoffe“ bedurften einer Zulassung, und die erhielten Hopfen, Buchen-, Linden-, Ahorn-, Kastanien-, Weinrebenblätter und solche der wilden Weinrebe (BZ vom 6. und 23. Februar 1918), also kein Unkraut.

In Bergedorf produzierte seit 1868 die Fabrik von J. H. P. Rödinger, deren Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute Fabrikgebäude äußerlich nahezu unverändert an der Bergedorfer Schlossstraße stehen, Tabakprodukte wie „Bergedorfer Schloss“ und „Matrosen-Shag“ – im Weltkrieg dann Sorten wie „Raucherschatz“ und „Portorico“ (siehe hierzu den Aufsatz von Harald Richert, in: Bergedorfer Industrie Band I, S. 105 – 114).

Bergedorfer Zeitung, 20. April 1918

Bergedorfer Zeitung, 18. März 1918

Inwieweit für diese Kriegsprodukte Buchenlaub zum Einsatz kam, ist unbekannt – jedenfalls inserierte Rödinger mehrfach, dass er Buchenlaub kaufe bzw. Frauen und Kinder zum Sammeln suche, offenbar erfolgreich, denn nach gut einem Monat verkündete er, dass keines mehr angenommen werde. Im Mai wollte er sogar Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter einstellen (BZ vom 4. Mai 1918), hatte also gut zu tun.

Aber nicht jeder war mit dieser Art von Rauchware zufrieden: die Heeresverwaltung untersagte bald die Belieferung der Soldaten mit Buchenlaubtabak, der dem freien Handel übergeben wurde, „so daß also das wehrlose Hinterland nun mit den Düften dieses wonnevollen Kriegstabaks verstänkert werden soll.“ (BZ vom 14. Juni 1918) Was das Heer stattdessen rauchte, ist unbekannt.

Bergedorfer Zeitung, 16. März 1918

Manch ein Raucher in der Heimat wird überlegt haben, ob er auf Selbstanbau ausweichen sollte: Saatgut, Pflanzen und Ratgeber zur Aufbereitung wurden per Annonce angeboten (z.B. BZ vom 16. März und 27. Mai 1918), und wer diesen Weg beschritt, musste seine Pflanzung der Steuerbehörde anzeigen (BZ vom 9. Juli 1918).

 

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Lehmige Kartoffeln in Sande

Bergedorfer Zeitung, 9. März 1918

Kartoffeln waren 1918 sehr viel mehr als heute ein Grundnahrungsmittel, und man musste nehmen, was man bekommen konnte. Aber die letzte Belieferung Sandes sorgte für Empörung: die Kartoffeln waren dick mit Lehm überzogen, der Lehmanteil betrug 28 Prozent (am Ende der Aktion waren es 65 Zentner „Lehm, Schmutz, Steine usw.“ auf 210 Zentner Lieferung, also knapp 31 Prozent, BZ vom 6. April 1918). Ob es gelang, den Absender haftbar zu machen, schrieb die Zeitung nicht – angesichts der gleichzeitigen Kürzung der Brotration um 200 Gramm pro Woche hielt die Gemeinde aber offenbar an der Wochenration von sieben Pfund Kartoffeln fest, was später von einer übergeordneten Stelle dazu genutzt wurde, Sande wegen „Überverbrauchs“ die Liefermenge zu verringern (BZ vom 27. Juni 1918).

In derselben März-Woche war die Zuständigkeit für die Nahrungsmittelversorgung von der Gemeinde bzw. ihrem Lebensmittelausschuss auf die „Versorgungsstelle IX“ in Oldesloe übergegangen, was zunächst einmal die Folge hatte, dass die bereits bestellten Waren, die in Sande angeliefert wurden, von dort nach Oldesloe transportiert wurden, um nach Erfassung wieder auf den Rückweg geschickt zu werden, was (z.B. bei Fischen) zu unangenehmen Verzögerungen führte (BZ vom 9. März 1918).

Bergedorfer Zeitung, 28. Februar 1918

Bergedorfer Zeitung, 7. März 1918

Die Kritik aus Sande riss offenbar nicht ab, denn im Juni war zu lesen, dass der Leiter der Versorgungsstelle die Zuständigkeit für Sande abgeben und auf die Gemeinde zurückübertragen wollte. Der amtierende Gemeindevorsteher Siemers lehnte ab, da „eine Besserung der mißlichen Verhältnisse ihm nicht möglich und aussichtslos“ erschien (BZ vom 27. Juni 1918) – heiße Kartoffeln (pardon!) lässt man lieber fallen statt sie in die Hand zu nehmen.

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Baut Lupinen!

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1918

War das die Lösung? Konnte aus Lupinen gewonnenes pflanzliches Eiweiß Milch und Fleisch ersetzen? Konnten so zentrale Probleme der Nahrungsmittelversorgung ausgeräumt werden?

Die BZ jedenfalls meinte, die Landwirte darauf hinweisen zu müssen, dass die Lupine „ein Aushilfsmittel von hervorragender Bedeutung“ sei und verwies auf den „Aufruf“ einer ungenannten Quelle, der hier ebenfalls wiedergegeben ist und detaillierte Angaben zu Anbau, Ertrag, Ernte und Erlös machte. Wichtig war dabei, dass „aus der Lupine die bitteren Giftstoffe in ausreichendem Maße“ durch die moderne Technik entfernt werden konnten – was sollte der Verwendung für die menschliche Ernährung also noch entgegenstehen?

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1918

Der Aufruf „Baut Lupinen!“ war jedenfalls keine Bergedorfensie eines anonym bleiben wollenden örtlichen Samenhändlers – der Aufruf wurde wohl auch in anderen Blättern publiziert und von Bauern befolgt, mit zumindest zweifelhaftem Ergebnis, wie eine Nachkriegsveröffentlichung zeigt: der bereits im Beitrag Kein Rübenbier, aber Ersatzbier zitierte Nahrungsmittelchemiker A. Behre äußerte sich auch hierzu höchst kritisch: „Kurz möchte ich bei diesem Abschnitt noch die Lupinen erwähnen …. Trotz des großen Nährwertes, der ihnen innewohnt, und der nur dadurch beeinträchtigt wird, daß das in ihren Zellen enthaltene Eiweiß den Verdauungssäften schwer zugänglich ist, haben die Lupinen und das Lupinenmehl die in sie gesetzten Hoffnungen und Erwartungen – sie sollten ja geeignet sein, so gut wie alles zu ersetzen – nicht erfüllt. Außer der noch nicht behobenen schweren Verdaulichkeit liegt das daran, daß ihre völlige Entgiftung nicht gewährleistet werden konnte.“ (S. 252)

Wenn hundert Jahre später wieder Lupinen als Ersatz für tierisches Eiweiß zum Einsatz kommen, ist das wohl weniger bedenklich: das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung hat eine Technologie entwickelt, mit der (entgiftete) Lebensmittelzutaten aus Lupinensamen gewonnen werden, und die eingesetzten Neuzüchtungen (sog. Süßlupinen) haben einen geringeren Alkaloidgehalt.

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