Die Turner und der Krieg

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1914

„Liebesgaben“, d.h. der Versand von Lebens- und Genussmitteln oder Kleidungsstücken an zum Militärdienst einberufene Turner, kennzeichnete schon sehr bald nach Kriegsbeginn das Vereinsleben der Bergedorfer Turnerschaft. Die Vereinsabende wurden regelmäßig per Inserat angekündigt: „Liebesarbeit für unsere Krieger.“
Die Turnabende fanden weiterhin statt, allerdings als Gemeinschaftsveranstaltungen aller vier Bergedorfer Turnvereine, denn offenbar war die Zahl der Einberufenen so hoch, dass getrenntes Turnen nicht mehr sinnvoll war. Die Turnhalle an der Schulstraße war damit gut ausgelastet, denn die Damen-, Mädchen- und Knabenabteilungen setzten ihre Übungen offenbar unverändert fort, und als neue Nutzer waren die Jugendwehr und ihre Führer hinzugekommen.
So erfährt der Leser en passant, dass der Aufruf zur Gründung einer Jugendwehr und zur Überleitung von Vereinen in diese auf Resonanz gestoßen war.

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Der ausgedünnte Bahnverkehr

 

Bergedorfer Zeitung, 25. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 25. September 1914

Klagen über Mängel des Bahnverkehrs haben in Bergedorf eine bis in die Gegenwart reichende Tradition: zu wenige und daher überfüllte Züge veranlassten 1914 den „Liberalen Verein“ Bergedorf, sich des Themas anzunehmen. Die drastische Reduzierung der Zahl der Züge (von 42 auf neun je Richtung) dürfte für die Hamburg-Pendler (41.000, wenn man die Zahlen der Monats- und Arbeiterwochenkarten von 1912/13 zugrunde legt) in der Tat manche Unannehmlichkeit mit sich gebracht haben. Dass es aber  „an Wagen und sonstigem Eisenbahnmaterial“ nicht gemangelt haben soll, wie die Liberalen meinten, darf bezweifelt werden, denn der Transportbedarf des Heeres war unverändert hoch und insbesondere Lokomotiven dürften knapp gewesen sein.
Übrigens ist dies einer der wenigen Artikel der BZ, in dem über die Aktivität einer politischen Partei bzw. Gruppierung (außer bei Sitzungen des Stadtparlaments) berichtet wird, und neben dem „Liberalen Verein“ taucht dabei nur der „Sozialdemokratische Verein“ auf.

Die aktuellen Bahnfahrpläne fanden sich ebenfalls in der Bergedorfer Zeitung:

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1914

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Von Kriegsnot und Warmbadeanstalt

Bergedorfer Zeitung, 13. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 13. September 1914

Die Auswirkungen des Krieges dominierten die Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung Bergedorfs, aber es blieb auch Zeit für „das Übliche“, d.h. den Einspruch des Landherrn gegen einen unliebsamen Beschluss und die Beschwerde der Sozialdemokraten über ihre (vermeintliche oder wirkliche) Benachteiligung bei der Ausschussbesetzung.
Die Berichterstattung zum Thema Notstandsarbeiten ist unter verschiedenen Aspekten interessant: die Finanzierung aus „Überschüssen vergangener Jahre“ lässt eine wohlhabende Kommune vermuten – tatsächlich aber hatte die Stadt häufig Kredite für Investitionen aufgenommen und war nicht schuldenfrei. So könnte man versucht sein, diese Erteilung staatlicher Aufträge als ein „Konjunkturprogramm“ à la  John Maynard Keynes (der seine Theorie allerdings erst später entwickelte) zu betrachten, aber die Motivation des Magistrats war wohl eher, Arbeitslosen ein (geringes) Einkommen zu verschaffen und sie mit Beschäftigung zu versehen – Menschen, die ansonsten mit noch geringerem Einkommen aus der Arbeitslosenunterstützung, aber mit viel Zeit, ein Unruhepotential hätten darstellen können.
Von Vorteil für den Bergedorfer Arbeitsmarkt war natürlich, dass zwei Firmen in den benachbarten Ortschaften Düneberg und Krümmel (bei Geesthacht) kriegsbedingt einen gewaltigen Aufschwung nahmen und Arbeitskräfte in großer Zahl suchten – siehe hierzu den Beitrag Landsturm und Arbeitslosigkeit mit weiterführenden Links.
Besondere Maßnahmen für arbeitslose Frauen gab es keine, obwohl viele von ihnen ihre Beschäftigung in bürgerlichen Haushalten verloren – ihnen und ihren Familien blieb gegebenenfalls nur die schmale staatliche Unterstützung (laut BZ vom 16. September 1914: für Ledige 2,50 Mark wöchentlich, für Ehepaare im Monat 16 Mark plus 4 Mark für jedes Kind). Nur wenige werden in den Genuss der Absicherung durch die „Lohnfortzahlung an die zum Kriegsdienst einberufenen städtischen Angestellten und Arbeiter“ gekommen sein..
Aber trotz all dieser kriegsbedingten Themen und Nöte – man beachte auch dieÄußerung des Bürgervertreters Rühl, dass die Dauer des Krieges nicht abzusehen sei – befassten sich die Kommunalpolitiker am Ende ihrer Sitzung (siehe Ende des Artikels) einmal mehr mit der geplanten Warmbadeanstalt und kauften ein hinreichend großes Grundstück in der Nähe des Elektrizitätswerks – war das nun weitsichtig oder absurd?

 

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Heldentod und Jugendwehr

 

Bergedorfer Zeitung, 15. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 15. September 1914

Es sollte die Ausnahme bleiben, dass so ausführlich über einen kriegsgefallenen Bergedorfer in der BZ berichtet wurde. Er war zwar der erste Kriegstote aus der Stadt, aber die ausführliche Würdigung durch die Zeitung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Vizefeldwebel d. R. Kurt Bauer der Sohn des Mitinhabers des Verlags der Bergedorfer Zeitung war. Ansonsten wurden Kriegsopfer in der Regel nur in den „Verlustlisten“ oder in Dreizeilern aufgeführt.
Wie mag dieser „Heldentod eines jungen Bergedorfers“ auf die Jugendlichen in der Stadt gewirkt haben? Man kann vermuten, dass die „patriotisch“ Gesonnenen in ihrer positiven Einstellung zum Krieg sogar (wenn auch klammheimlich schaudernd) bestärkt wurden und der nachfolgend wiedergegebene Aufruf auf Widerhall stieß:

Bergedorfer Zeitung, 13. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 13. September 1914

Das Kriegsministerium und das Ministerium des Innern dachten halt langfristig, und so wurden männliche Jugendliche von 15 Jahren und mehr aufgerufen, sich zur „Jugendwehr“ zu melden – das ist ein deutlicher Hinweis auf die erwartete Dauer des Krieges.

Zu den Mitgliedern des Bergedorfer Ortsausschusses zur Gründung einer örtlichen Jugendwehr hier kurze ergänzende Angaben:
W. A. Freiherr von Oertzen, Generalleutnant a.D.
Dr. Berthold Venzmer, Vereinsführer von Jung-Bergedorf und Oberlehrer an der Hansa-Schule
Ernst von Braunschweig, Kaufmann
Gustav Gläsz, Kaufmann, Betreuer der Heimatsammlung des Bergedorfer Bürgervereins
Wilhelm Husemann, Arbeiter.
(Angaben zu den Personen ergänzt aus Hamburger Adreßbuch 1913  und Bergedorfer Personen-Lexikon.)
Ob Husemann Sozialdemokrat war, ist nicht bekannt, aber so könnte man es erklären, dass ein schlichter Arbeiter im Kreise der Bergedorfer Honoratioren auftaucht, zumal es laut Ullrich eine Geheimabsprache zwischen SPD und der Militärführung in Hamburg gab, den sozialdemokratischen Jugendbund in die vormilitärische Erziehung einzubeziehen und damit dessen kriegskritische Haltung zu schwächen.
Den Initiatoren der Jugendwehr ging es dabei sicher nicht nur um die vormilitärische Ausbildung, sondern auch darum, Jugendliche von der Straße zu bekommen und sie zu beschäftigen, denn Berufsausbildung und Arbeit waren kaum zu bekommen.

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Siegesfreude und Opferwilligkeit

 

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1914

Militärische Siege im Krieg wurden nicht nur durch Extrablätter der Zeitungen bekanntgemacht, sondern auch durch das Läuten der Kirchenglocken. Die Extrablätter durften nur den offiziellen Bericht des Wolffschen Telegraphenbüros wiedergeben; damit sicherte die Oberste Heeresleitung eine einheitliche Berichterstattung im gesamten Deutschen Reich und konnte durch gezielt publizierte Siegesmeldungen die Stimmung der Bevölkerung zu steuern versuchen – wie man an diesem Beispiel aus der Bergedorfer Zeitung sieht, war man dabei durchaus erfolgreich. Die im Bericht genannte Organisation „Jung Bergedorf“ hat der Bergedorfer Historiker Jürgen Klein zum Gegenstand einer detaillierten Studie gemacht: demnach hatte der 1911 gegründete Verein das Ziel, „die Schulentlassenen zu sammeln und zu einem Verein zusammenzuschließen“. Wehrkundevorträge und „Kriegsspiele“ ließen die Mitgliedschaft schnell auf über einhundert (meist ehemalige Hansaschüler) steigen; die im Text genannte Flagge dürfte die Vereinsfahne mit ‚Schwarz-Weiß-Rot‘, dem Eisernen Kreuz und dem Eichenblatt Bismarcks gewesen sein.

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1914

Ob vom Redakteur zufällig oder geschickt in der Nähe zur vorigen Meldung platziert: zu Siegen gehören auch Opfer – in diesem Fall die goldene Uhr einer Luisenschülerin als Spende für die Kriegsfürsorge. Von  Toten oder Verwundeten ist hier nicht die Rede.

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1914

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1914

Dass dem Militärverein Germania die Siegesmeldung gut zupass kam, bedarf eigentlich keiner Kommentierung – das Wort vom „Erbfeind“ Frankreich lässt aber zumindest den heutigen Leser erschaudern.

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Tote, Verwundete und Vermisste

Bergedorfer Zeitung, 28. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 28. August 1914

Die Verlustliste sollte von nun an ein fast täglicher Begleiter in der Bergedorfer Zeitung sein, die die Namen von Gefallenen, Verwundeten und Vermissten aus dem Verbreitungsgebiet bzw. den Militäreinheiten des Gebiets aufführte. Der Musketier Kratz war der erste Verwundete aus der Stadt Bergedorf; eine Woche zuvor war der Füsilier August Lütten aus Preußisch-Kirchwerder zunächst als vermisst, dann als verwundet gemeldet worden. Sehr bald wurden nun auch Kriegstote gemeldet.

Im Anhang des nach Kriegsende veröffentlichten Buchs Das Kirchspiel Ochsenwärder im Weltkriege findet man eine Auflistung der Kriegsteilnehmer aus Ochsenwärder, Tatenberg, Spadenland und Moorwärder und ihres Schicksals, wobei Angaben zu Verwundeten fehlen:

 

Einwohner     3495 (1. Okt. 1913 laut Jahresbericht, Kap. Landherrenschaften)
Einberufen       787
Gefallen             121
Gestorben           29 (einschl. Tod nach Verwundung)
Vermisst                5
Schicksal unklar 13.

Eine vergleichbare Publikation für Bergedorf gibt es nicht – die Relationen dürften aber ähnlich sein.

 

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Landsturm und Arbeitslosigkeit

Bergedorfer Zeitung, 19. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 19. August 1914

Im Grundsatz waren alle deutschen Männer zwischen 18 und 45 Jahren wehrpflichtig, aber wie sich aus dem Text ergibt, hatten längst nicht alle den dreijährigen Wehrdienst geleistet – sie bildeten den „unausgebildeten Landsturm“, der nun sukzessive erfasst, gemustert und einberufen werden sollte.
Beachtenswert ist der Hinweis, dass die Landsturmmänner „unter Umständen“ keine vollständigen Uniformen erhalten würden: lediglich die Uniformjacke (Litewka), -mütze und Gewehr mit Munition würden gestellt – ein Thema, das uns auf späteren Seiten wiederbegegnen wird.

 

Bergedorfer Zeitung,  22. August 1914

Bergedorfer Zeitung,
22. August 1914

Bei der „Versammlung der Arbeitslosen von Bergedorf und Sande“, die im nebenstehenden Artikel geschildert wird, zeigte sich der Gewerkschaftler (Friedrich) Frank „patriotisch“ und kritisierte Lohnherabsetzungen durch Unternehmer – aber gegen Kürzungen des Tagelohns für unverheiratete Erntehelfer schien die Gewerkschaft machtlos.

Welche Fabriken geschlossen wurden und wie viele Arbeitslose es in Bergedorf und Sande gab, ist aus der Bergedorfer Zeitung nicht zu erfahren. Stellenanzeigen größerer Betriebe aus Bergedorf und Sande gab es nicht – aber Firmen im Geesthachter Raum hatten jetzt gesteigerten Bedarf an Arbeitskräften, vor allem die Dynamitwerke Krümmel und die Pulverfabrik Düneberg – allein letztere stellte zwischen dem 1. und dem 20. August mehr als 500 Arbeiter zusätzlich ein – , aber auch die Geesthachter Korbmacher erhielten zusätzliche Aufträge für sogenannte „Geschosskörbe“ (Bergedorfer Zeitung, 20. August 1914).

Bergedorfer Zeitung,  8. August 1914

Bergedorfer Zeitung,
8. August 1914

Die Arbeit in der Pulver- wie in der Dynamitfabrik war allerdings hochgefährlich und stark gesundheitsschädlich, wie Volker Ullrich schreibt.

Dem insgesamt rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit wollte die Stadt Hamburg durch Vergabe von „Notstandsarbeiten“, wie sie in diesem Bericht genannt werden, begegnen, und auch Bergedorf ergriff derartige Maßnahmen, wie in einem späteren Beitrag geschildert wird.

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Bergedorf beruhigt sich wieder

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1914

Der Run auf die städtische Sparkasse, der einige Tage zuvor begonnen hatte, war demnach nur von kurzer Dauer – dazu mag auch die Anzeige beigetragen haben, die Bürgermeister Dr. Walli am 5. August publiziert hatte und die die Sparer beruhigen sollte:

Bergdorfer Zeitung, 5. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 5. August 1914

Auch der Burgfrieden, der die innenpolitischen Konflikte zwischen Kaiser und Regierung einerseits und der oppositionellen SPD andererseits zurückstellte und die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten sicherte, wirkte sich in Bergedorf und Sande aus:

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1914

Es war durchaus keine Selbstverständlichkeit, dass das von Gewerkschaften und SPD für die „Kriegsfürsorge“ gesammelte Geld nicht an durch den Krieg in Not geratene Mitglieder verteilt, sondern der Bergedorfer  städtischen Kriegsfürsorge zur Verfügung gestellt werden sollte – andere Vereine (wie der Militärverein Germania, siehe Bergedorfer Zeitung vom 7. August 1914) reservierten zumindest einen Teil ihrer Mittel für die eigenen Mitglieder.
Der Verzicht der Gewerkschaften auf Lohnforderungen und Streiks während des Krieges hielt bei rasch zunehmender Arbeitslosigkeit manche Arbeitgeber nicht davon ab, Löhne zu drücken – siehe hierzu auch die folgende Blog-Seite.

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Der Ausbruch des Krieges – Jubel und Sorgen

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1914

Die nebenstehende Schilderung der Stimmung bei Kriegsausbruch lässt sich durchaus als Korrektur des Berichts am 2. August lesen, auf wessen Veranlassung hin auch immer: waren zunächst  „Ernst und Ergriffenheit“ die geschilderten Emotionen, so wurde daraus binnen kürzester Zeit „flammende Begeisterung“, dem Ruf des Kaisers zu folgen, und die Tränen der Mütter und Schwestern von Eingezogenen und Kriegsfreiwilligen würden von den Daheimgebliebenen schon getrocknet werden. Manche Anzeige oder Bekanntmachung in der selben Ausgabe dürfte aber wieder zur Ernüchterung beigetragen haben:

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1914

Insbesondere der „Aufruf“ des Bergedorfer Bürgermeisters Dr. Walli macht die zu erwartenden Probleme deutlich, wie u.a. die Formulierungen „Linderung der allgemeinen Notlage“, „Pflege der Kranken und Verwundeten“ belegen. Die „Zentrale Auskunftsstelle für Kriegsfürsorge“ in Bergedorf, die in ihrer Anzeige um Spenden warb, sollte letztlich alle städtischen Hilfsaktionen koordinieren.
In der Sondersitzung von Magistrat und Bürgervertretung, über die mit Datum vom 5. August berichtet wird (siehe den langen Artikel am Ende dieses Beitrags), zeigte sich Bürgermeister Dr. Walli gut vorbereitet und entschlossen handelnd – man darf vermuten, dass er auf vorhandene „Notstandspläne“ zurückgreifen konnte.
Die Bürgervertretung stimmte allen vom Magistrat vorgeschlagenen Maßnahmen zu, obwohl diese weitreichend waren: die Einrichtung von zwei öffentlichen Küchen für kostenlose Essensausgabe und einer städtischen Abgabestelle für Lebensmittel an die Soldatenfamilien wurde wohl nur bewilligt, weil Walli betonte, es handle sich nicht um „Armenunterstützung“, und die Schaffung eines „Arbeitsnachweises“ zur Stellenvermittlung an Arbeitslose brach ebenfalls ein Tabu, weil dies einer sozialdemokratischen Forderung entsprach.
Hunger, Arbeitslosigkeit, Kohleknappheit, Personalmangel bei der Erledigung der städtischen und der durch den Krieg hinzugekommenen Aufgaben kennzeichneten die Lage auch im viel kleineren Sande, das aber ebenfalls 100.000 Mark „zur Unterstützung der Familien der Einberufenen“ bereitstellte.

Bergedorfer Zeitung, 5. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 5. August 1914

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Der Ausbruch des Krieges

Am 1. August 1914 erteilte der deutsche Kaiser den Befehl zur Mobilmachung der Truppen und erklärte Russland den Krieg.
(Hintergrund)

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Auf die Ausrufung des Kriegszustands folgten unmittelbar im ganzen Deutschen Reich die Unterstellung aller staatlichen und gemeindlichen Verwaltungen unter Militärherrschaft, die Mobilisierung von Heer und Marine, das Verbot der Veröffentlichung von Truppenbewegungen, das Verbot der Ausfuhr aller Materialien des „Kriegsbedarfs“, aber auch das Exportverbot „von Verband- und Arzneimitteln, sowie von ärztlichen Instrumenten und Geräten“, Einschränkungen des Telegrammverkehrs, das Verbot der Ein- und Ausfuhr von Tauben.

Der Bericht über die Reaktion in Bergedorf überrascht:

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Kürzer und knapper geht es kaum, und wie ist es zu interpretieren, dass von einer sich steigernden „Bewegung“ die Rede ist, von einem „Verkehr“, d.h. Menschenmassen auf der Straße, „wie er nur bei besonderen Anlässen sich zeigt“? Jubel und Begeisterungsstürme wären doch wohl anders geschildert worden? Und wollten die Menschen am Bahnhof durchziehende Truppen einfach nur sehen? Die beiden folgenden Ausschnitte lassen Sorgen und Unsicherheit erkennen:

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1914

Auch in Bergedorf wollten Sparer und Anleger ihr Geld, möglichst in Goldstücken, lieber unter dem Kopfkissen haben als es einem Verlust auf dem Konto auszusetzen – daher die Mahnung, es nicht abzuheben. Hamsterkäufe waren offenbar (seit den letzten Juli-Tagen) an der Tagesordnung, mit entsprechenden Wirkungen auf die Preise. Die von einigen Geschäftsleuten gestreuten Beschlagnahme-Gerüchte werden Absatz und Preise weiter gesteigert haben – und dass der Verfasser des Artikels einen Teil der Bergedorfer Kaufmannschaft als „gewissenlos“ bezeichnete, ist für diese Zeitung geradezu einmalig, ebenso die Kritik am „beschämenden“ Verhalten der wohlhabenderen Hamsterer.

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