Jünglinge für die Jugendwehr und das Kastenwesen im Landgebiet

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1915

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1915

Auf dem „platten Land“, wie es im Artikel heißt, war die Jugendwehr offenbar ein Flop, wie auch schon im Beitrag Die Jugendwehr: Papier und Praxis geschildert wurde, aber hier werden verschiedene Gründe dafür genannt: zum einen gab es im Gegensatz zu Bergedorf kaum Jugendvereine, die zur kollektiven Überführung in die Jugendwehr hätten genutzt werden können – das ländliche Vereinsleben fand vor allem in einer Vielzahl von Tierzucht- und Gesangvereinen und in den von Veteranen dominierten Militärvereinen statt – und die Landjugend besuchte höchstens im Winterhalbjahr die Bergedorfer  „Fortbildungsschule“, die Vorläuferin der Berufsschule.

Einen weiteren Grund für das Scheitern des Projekts sah der Autor „L.“ im Fehlen geeigneter Übungsplätze: im feuchten Marschboden ließen (und lassen) sich nun einmal keine Schützengräben ausheben, ohne dass sie sich mit Grundwasser füllten – sein Vorschlag, ersatzweise Wandervereine zu bilden, um nach entsprechenden Märschen zur Geest dort „Kriegsspiele“ und „Geländeübungen“ zu veranstalten, wurde „im Keime erstickt“, da die Jugendlichen auch sonntags in der Landwirtschaft benötigt wurden.

Der dritte genannte Grund ist bemerkenswert: „Vielfach ist hier wohl auch die Meinung, daß die Jugend geistig und körperlich für den Dienst im jetzigen Feldzuge bereit gemacht werden sollte.“ Natürlich war dies einer der Hauptzwecke der Jugendwehr, das hatten viele Landbewohner offenbar erkannt, aber „den Ernst und die Bedeutung“ des Projekts hatten sie eben nicht erkannt, und so fehlte es an Unterstützung.

Schließlich das Marschländer „Kastenwesen“: dem Verfasser zufolge waren die gesellschaftlichen Schichten so klar getrennt, dass ein „eng kameradschaftliches“ Miteinander unmöglich war, was die Marschlande von den Vierlanden unterschied. Die soziale Trennung ging in Billwärder sogar so weit, dass es nach Berufsgruppen getrennte Gesangvereine gab, wie Ernst Finder in seiner Studie Die Landschaft Billwärder, ihre Geschichte und ihre Kultur (S. 189) feststellte – in Finders grundlegendem Werk Die Vierlande wurde „keine kastenmäßige Abschließung, keine trennende Kluft“ (S. 131) unter den Vierländern konstatiert.

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Landarbeiter und Landarbeiterinnen gesucht!

Bergedorfer Zeitung, 15. Januar 1915

Bergedorfer Zeitung, 15. Januar 1915

Herrschte in den Städten Arbeitslosigkeit, so war auf dem Lande zu viel Arbeit für zu wenige Menschen, wie dieser Bericht aus Ochsenwärder zeigt: schon 300 „der besten und kräftigsten Land- und Gartenarbeiter“ waren zum Kriegsdienst eingezogen worden, also etwa jeder sechste der knapp 3.500 Einwohner des Kirchspiels. Wenn dadurch nicht alle Felder bestellt werden konnten, minderte das nicht nur das Einkommen der landwirtschaftlichen Erzeuger, sondern es musste sich auch auf die Versorgung Hamburgs auswirken (laut Artikel lag letzteres den Bauern mehr am Herzen als das Einkommen).
Ein Vorschlag zur Behebung des Arbeitskräftemangels wurde letztlich wegen „zu schwerer praktischer Bedenken“ verworfen, nämlich Kriegsgefangene einzusetzen: es wäre ja eigentlich nur gerecht, sie an der Erzeugung der Nahrungsmittel zu beteiligen, mit denen sie versorgt wurden. Also blieb nur der Appell an die Behörden und an das Brockenhaus, das sich 1915 in Philanthropische Gesellschaft umbenannte, „arbeitswillige und brauchbare Leute“ zu finden, auch Schulentlassene, die „Wohnung, Kost, Familienanschluß und vielleicht etwas Taschengeld“ bekommen sollten – ob das wirklich ein attraktives Angebot für Jugendliche war, selbst wenn sie weder Ausbildungs- noch Arbeitsplatz hatten und die Verpflegung auf dem Land besser war? Jedenfalls wurde mehrfach berichtet, dass die vom „landwirtschaftlichen Arbeitsnachweis“ der Philanthropischen Gesellschaft oder vom Brockenhaus Vermittelten schon bald eine Art Landflucht begingen und den Einsatz bei Notstandsarbeiten oder die Beschäftigungslosigkeit vorzogen.

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„Sie können auch nicht mehr und möchten Frieden.“

Bergedorfer Zeitung, 6. Januar 1915

Bergedorfer Zeitung, 6. Januar 1915

Von den hier wiedergegebenen drei an den Weihnachtstagen geschriebenen Feldbriefen befasst sich der erste nur kurz mit dem Weihnachtsfest. Der als „Sander Mitkämpfer“ bezeichnete Verfasser schildert einige seiner bisherigen Kriegserlebnisse an der Westfront und auch die hoffnungslose Lage der hungernden Zivilbevölkerung im besetzten Frankreich, deren einziger Trost die (angebliche) Versorgung aus der deutschen Feldküche war. Der Soldat selbst scheint Weihnachten aber nicht in Frankreich gewesen zu sein, denn er differenziert zwischen „hier“, der Heimat und dem Schlachtfeld – wahrscheinlich wurde der Brief in der Etappe und/oder einem Lazarett geschrieben.

In den anderen beiden Briefen wird der „Weihnachtsfrieden“ geschildert, d.h. der inoffizielle Waffenstillstand an weiten Abschnitten der Westfront. „Sie (die Franzosen) können auch nicht mehr und möchten Frieden“, heißt es am Ende des zweiten Briefes: demnach sind beide Seiten kriegsmüde, aber die Deutschen möchten offenbar keinen Frieden.  Eine aktuelle und differenzierte Darstellung zum Weihnachtsfrieden liefert die Frankfurter Allgemeine; einige historische Fotografien findet man in einem Magazin-Beitrag der BBC.

Auch bei Wikipedia findet man eine ausführliche Darstellung zum Weihnachtsfrieden; diese ist allerdings in mindestens einem Punkt korrekturbedürftig: die Aussage, dass der Weihnachtsfrieden „in der deutschen Presse … niemals erwähnt“ wurde, wird durch die in der Bergedorfer Zeitung abgedruckten Briefe widerlegt.

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Der Rückblick auf das Jahr 1914: Sande, Geesthacht und Vierlande

Bergedorfer Zeitung, 2. Januar 1915

Bergedorfer Zeitung, 2. Januar 1915

Die preußische Gemeinde Sande war offenbar sehr bemüht, nicht von der Stadt Bergedorf „erdrückt“ zu werden, sondern Gleichstellung durch einen eigenen Bahnhofseingang und die Bahnhofsumbenennung in „Bergedorf-Sande“ sowie die Schaffung einer eigenen Poststelle zu erreichen, vom Autor etwas herablassend als „Sander Lieblingswünsche“ bezeichnet: irgendetwas würde schon realisiert werden. Immerhin scheint das Klima zwischen Bergedorf und Sande wegen gemeinsamer Interessen kooperativer gewesen zu sein als ein Jahrzehnt zuvor, wie auch an der Schaffung eines Arbeitsnachweises zu erkennen ist.

Der Begriff „Spielplatz“, der auch im Abschnitt über Geesthacht zu finden ist, bezeichnete damals übrigens einen Sportplatz, vor allem für Ballspiele, und keine Einrichtung mit Sandkiste für Kinder.
Bemerkenswert am Rückblick auf Geesthacht ist vor allem das Fehlende: die Pulverfabrik im benachbarten Düneberg und die Dynamitfabrik im nahegelegenen Krümmel mit immer wachsendem Arbeitskräftebedarf waren dem Redakteur hier offenbar keine Erwähnung wert.

Die für die Vierlande und die Marschlande genannten geplanten und durchgeführten Infrastrukturmaßnahmen ließen den Autor „die schönsten Aussichten für die Zukunft“ erwarten: der Schiffsverkehr auf der Dove- und Gose-Elbe würde nicht mehr tideabhängig sein, die Pflasterung von Straßen und die Ost-West-Verbindung der Eisenbahn würden die (bis dahin mittelalterlichen) Verkehrsverhältnisse entscheidend verbessern, und dann sollte ja auch bald der elektrische Strom das Landgebiet erhellen. Die Probleme der Kriegs-Gegenwart wie Mangel an Arbeitskräften (durch Einberufungen) und Pferden (durch Einziehungen) wurden hier schlicht übergangen.
Direkt unter diesem Jahresrückblick wie fast jeden Tag die Überschrift „Fürs Vaterland gefallen“; diesmal ein Soldat aus Bergedorf und einer aus Curslack genannt.

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Der Rückblick auf das Jahr 1914: Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 1. Januar 1915

Bergedorfer Zeitung, 1. Januar 1915

Für regelmäßige Leser des Bergedorf-Blogs bietet der Jahresrückblick des für die lokale Berichterstattung der Bergedorfer Zeitung verantwortlichen Redakteurs Georg Deck kaum Neues, aber er liefert dem Neueinsteiger in den Blog eine gute Zusammenfassung der Stadtentwicklung. In den 137 Textzeilen taucht neunmal das Wort „Krieg“ allein oder in Zusammensetzungen auf, aber fast immer nur als Begründung für Entwicklungshemmnisse struktureller Art – Menschen spielen kaum eine Rolle, da ja durch die „außerordentlich umfangreiche und musterhafte“ Kriegshilfe „ein wirklicher Notstand kaum irgendwo eingetreten ist“. Kriegsopfer finden keine Erwähnung, wohl aber die Einführung der täglichen Verzinsung auf höherem Zinsfuß bei der städtischen Sparkasse, was die Sparer sicher erfreute, sofern sie ihr Geld nicht in die noch höher verzinsten Kriegsanleihen steckten.

Am Ende des Artikels wird kurz das Ergebnis der Bürgervertreterwahl vom 25. Februar 1914 in Erinnerung gerufen; die dürren Worte lassen aber nicht erahnen, wie umstritten diese Wahl war: nachdem bei der Wahl 1910 die Sozialdemokraten drei der fünf zu vergebenden Mandate errungen hatten, gelang es 1912 und 1914 dem Bürgerverein, dem Grundeigentümerverein und dem Liberalen Verein, sich auf fünf gemeinsame Kandidaten für die fünf zu vergebenden Sitze zu einigen – und siehe da: alle fünf wurden gewählt. Angesichts der Ausgestaltung des Wahlrechts war dies wenig überraschend, wie bei Uwe Plog nachzulesen ist: wer das Wahlrecht erhalten wollte, musste männlich sein und ein Einkommen von mindestens 1.400 Mark versteuern (Zensuswahlrecht). So hatten 1914 nur etwa 2.600 von knapp 16.000 Einwohnern das Wahlrecht (16%). Zum Vergleich: bei der ersten Bürgervertreterwahl nach Ende der beiderstädtischen Zeit 1874 waren ca. 750 von ca. 3.800 Einwohnern wahlberechtigt, d.h. knapp 20% (Zensus: 400 Mark). Bei der ersten wirklich demokratischen Bürgervertreterwahl nach Ende des Kaiserreichs 1919 hatten ca. 10.400 von ca. 17.000 Einwohnern das Wahlrecht, also gut 61% (allgemeine und gleiche Wahl).

Direkt unter diesem Jahresrückblick die Überschrift „Aus der 113. Verlustliste“; genannt diesmal ein Soldat aus Ochsenwärder (leicht verwundet), einer aus Sande (bisher vermisst, im Lazarett), aus Geesthacht ein Soldat „nicht gefallen, sondern verwundet“, ein weiterer „bisher vermißt, zur Truppe zurück“. Verglichen mit anderen Tagen war dies erfreulich.

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Kriegsweihnachten

Bergedorfer Zeitung, 25. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 25. Dezember 1914

Es waren – nach Ansicht des Redakteurs dieses Artikels – deutsche Weihnachten, das deutsche Volk war beseelt von Weihnachtsliebe, die deutsche Vaterlandsliebe führte zur Opferbereitschaft, sodass sich die Frage aufdrängt, ob Belgier, Franzosen, Engländer und Menschen anderer Nationalitäten überhaupt an Weihnachten dachten bzw. denken durften.
Auf diese kriegerisch-weihnachtliche Einleitung folgt ein Auszug aus einem Text von Ida Boy-Ed, der „unserer Stadt ja besonders nahestehenden Romanschriftstellerin“: ihr Vater, Christoph Marquard Ed, war Herausgeber und Redakteur des „Bergedorfer Wochenblatts und Eisenbahn-Zeitung“; sie selbst wurde in Bergedorf geboren, zog 1865 mit der Familie nach Lübeck und heiratete dort. Die Verbindung ihres Vaters zu Bergedorf blieb allerdings bestehen: er wurde auf dem Friedhof am Gojenberg beigesetzt (siehe Bergedorfer Personenlexikon).

Ida Boy-Eds Schilderung der Gefühle zum Weihnachtsfest 1914 ist die einer selbst vom Kriege Betroffenen: einer ihrer Söhne (Walther) war in der Marneschlacht verwundet worden und am 23. September 1914 an den Folgen gestorben.
Von Ida Boy-Ed stammt übrigens neben über 70 damals vielgelesenen Romanen und Novellen das ca. 1915 erschienene Büchlein Des Vaterlandes Kochtopf. Allerlei Rezepte für Küche und Herz in kriegerischen Tagen. Dass ihr martialisches Denken nicht fremd war, zeigt der folgende Satz aus dem Vorwort: „Die Küchenfrage ist jetzt zu einer Bewaffnungsfrage geworden.“

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Kontraste zu Weihnachten

„Vullbuuksavend“ war nicht nur in Vierlanden eine durchaus gebräuchliche Bezeichnung für den Heiligabend, laut Hamburgischem Wörterbuch ein „Festtagsvorabend, an dem gut und reichlich gegessen und getrunken wird“. Das Angebot für einen Vullbuuksavend war jedenfalls auch 1914 vorhanden, wie die hier beispielhaft wiedergegebenen Anzeigen

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1914

verschiedener Anbieter belegen. Guten Appetit – und auch Prost: die Weinhandlung von Have hatte sich, so eine weitere Annonce, für ihre Kunden rechtzeitig, d.h. vor dem Krieg, mit Bordeauxweinen, Champagner und Jamaica-Rum (pro Flasche 3,– bzw. 4,– Mark) etc. eingedeckt und hatte also mehr zu bieten als nur Kümmel und Rhein- oder Moselweine.
In derselben Ausgabe der Bergedorfer Zeitung kann man aber auch einen „Sprechsaal“-Beitrag eines J. Hagge (laut Hamburger Adreßbuch von 1916 Julius Hagge, von Beruf Buchdrucker) lesen, der eine Seite Bergedorfs zeigt, die ansonsten in dieser Zeitung nicht vorkommt:

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1914

Zwar hatte Bergedorf ein „Armenwesen“, für das die Stadt laut Haushaltsplan 73.520 Mark im Jahre 1915 zur Verfügung stellte, aber es bezog sich nur auf Einheimische mit festem Wohnsitz. Der Erfolg dieses weihnachtlichen Spendenaufrufs zugunsten Heimat- und Obdachloser war bescheiden: wiederum im „Sprechsaal“ schrieb Hagge (siehe Bergedorfer Zeitung vom 30. Dezember 1914), dass mit den eingegangenen 7 Mark nur 14 von 35 Menschen ohne Unterkunft für eine Nacht versorgt und untergebracht werden konnten.

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Randale und Milchpanscherei in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 15. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 15. Dezember 1914

Über Missstände in der Stadt berichtete die Bergedorfer Zeitung höchst selten, ob aus

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1914

Lokalpatriotismus oder der Zensur wegen, aber im Dezember 1914 druckte sie diese zwei Leserbriefe – der eine sogar von einer Frau –  unter dem Titel „Wo bleibt die Bergedorfer Polizei?“. Nicht nur in Bahnhofsnähe (Bahnstraße und Holstenstraße), sondern auch in der Brunnenstraße (östlich des Stadtkerns) gab es offenbar Probleme mit nächtlichem Lärm, verursacht nicht nur durch „Halbstarke“, sondern offenbar auch durch „ältere Herren“ und „Damen“, die sich des Ernstes der Zeit (bezogen auf den Krieg) nicht bewusst waren und die Vorweihnachtszeit, wahrscheinlich ermutigt durch alkoholische Getränke, zur (wohl mehr oder weniger musikalischen, aber bestimmt nicht weihnachtlichen) Geräuschentwicklung auf der Straße nutzten. Nur zwei Tage später tauchte das Thema dann auch im redaktionellen Teil auf: die Sander Polizei verfolgte einige

Bergedorfer Zeitung, 18. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 18. Dezember 1914

Bergedorfer „Radaubrüder“ bis dorthin und lieferte sie auf der Bergedorfer Polizeiwache ab. Leider gibt es keine weiteren Berichte hierzu, sodass man nicht weiß, was mit den genannten Radaubrüdern passierte und ob die Bergedorfer Polizei nun auch selbst aktiv wurde – der Abdruck der Meldung aus Sande kann als Wink mit dem Zaunpfahl an die eigenen Gesetzeshüter verstanden werden.

Bergedorfer Zeitung, 20. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 20. Dezember 1914

Dabei war die Polizei in dieser Hinsicht gar nicht untätig – siehe den nebenstehenden Bericht über die Sitzung des Schöffengerichts Bergedorf kurze Zeit später: ein Arbeiter wurde wegen nächtlicher „Gesangsstudien“ auf der Straße und Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt, sein Kollege entging wegen seiner Einberufung zum Militär zumindest vorläufig einer Bestrafung.
Unter der Überschrift „Gerichtszeitung“ berichtete die Zeitung in in mehrwöchigen Abständen erscheinenden Artikeln, und die hier verhandelten Fälle sind als durchaus typisch zu bezeichnen: Kleinkriminalität und Ordnungswidrigkeiten tauchten immer wieder auf, nur die Milchpanscherei scheint dem Leser im Zeitalter der (auch fettarm erhältlichen) Tütenmilch etwas Besonderes.

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K wie Kartoffel und Post-Verlosung

Bergedorfer Zeitung, 3. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 3. Dezember 1914

Diesem Artikel an der Spitze der Bergedorf-Berichterstattung des Tages fehlt zwar der konkrete lokale Bezug, aber das am 1. Dezember 1914 in Kraft getretene Reichsgesetz betraf auch die Bergedorfer unmittelbar: die Getreidevorräte waren knapp, es galt, „unsere Mehlvorräte zu strecken“, und dies sollte dadurch erreicht werden, dass jedem Brotteig ein Kartoffelzusatz beigemengt wurde. Ob dies wirklich zu besserem Geschmack und längerer Haltbarkeit des Brotes führte, wie im Artikel mit vorsichtiger Distanz angegeben, sei dahingestellt. Jedenfalls waren Kartoffeln offenbar so reichlich vorhanden, dass sie einer weiteren Verwendung zugeführt werden konnten, ohne dass an anderer Stelle Knappheit entstanden wäre. Und: „Auch der Kaiser ißt K-Brot“ lautete die Überschrift zu einer Meldung am 5. Januar 1915, womit es dann zu einem k.u.k-Brot wurde, wenn das Wortspiel gestattet sei.

Bergedorfer Zeitung, 4. Dezember 1914

Bergedorfer Zeitung, 4. Dezember 1914

In den Reigen derjenigen, die für die „im Felde weilenden Krieger“ Geld mobilisierten, gesellten sich auch Bergedorfs Postler, genauer der „Verein der unteren Post- und Telegraphenbeamten von Bergedorf und Umgegend“: bei der von ihm veranstalteten Lotterie gab es Gesamteinnahmen von  (laut Bergedorfer Zeitung vom 16. Januar 1915) 1.500 Mark, die für 500 Feldpostpakete genutzt wurden.
Von der „Stempelsteuer“ war diese Lotterie ausweislich des Stempels auf dem unten abgebildeten Los immerhin befreit.
Post-LosLos Nr. 4001 war übrigens eine Niete – das Verzeichnis der 541 Gewinner-Lose, abgedruckt in der Bergedorfer Zeitung vom 9. Dezember 1914, enthält diese Nummer nicht.

Ergänzung (2024):

Die Postkriegshilfe setzte ihre Sammeltätigkeit in den folgenden Jahren fort. Die hier gezeigte Wohlfahrtsmarke mit dem Bergedorfer Wappen auf dem Schild stammt aus 1915 oder 1916 und wurde u.a. in Bergedorfer und Sander Geschäften verkauft. (BZ vom 17. März und 14. Mai 1915 sowie 27. Oktober 1916).

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Der Kriegshaushalt 1915

Bergedorfer Zeitung, 29. November 1914

Bergedorfer Zeitung, 29. November 1914

So richtig aufregend wirkte Bergedorfs „Kriegshaushalt“ für 1915 auf den ersten Blick nicht: neben den Ausgaben für die Schulen – mit 266,996,50 Mark entsprechend 20,5 % der größte Ausgabenposten – fallen allerdings die Zinszahlungen für aufgenommene Kredite mit 207.638,12 Mark ins Auge. Mit einem schnellen Abtragen der Schulden hatte man auch vor Kriegsbeginn nicht gerechnet und kurzfristige Verbindlichkeiten im Februar 1914 in eine auf 10 Jahre unkündbare Anleihe bei der Arbeiterpensionskasse von Krupp (Kurs 94,50, 4 % Zinsen p.a., siehe Bergedorfer Zeitung vom 15. Februar 1914) aufgenommen. Und trotz zweier neugeschaffener Stellen blieben die Ausgaben für die Allgemeine Verwaltung unter 100.000 Mark (alle Zahlenangaben aus der Bergedorfer Zeitung vom 26. November 1914).

Die hohe Verschuldung (1913: 4,2 Millionen Mark laut Oliver Barghorn-Schmidt in ZHG, S. 171f.) war zumindest teilweise auf Grundstückskäufe der Vorjahre zurückzuführen: die Biehlsche Insel im Bereich der heutigen Straße Reetwerder sowie Flächen am Gojenberg waren für eine Bebauung vorgesehen, und mit der „Durchbruchstraße Kuhberg – Pool“, der heutigen Vierlandenstraße, wollte man die Verkehrsverhältnisse im Altstadtbereich verbessern und wohl auch eine Stadtsanierung durch Abriss einleiten (vgl. dazu Die Zerstörung von Alt-Bergedorf). Der Krieg legte allerdings fast jede private Bautätigkeit lahm, und erst in den 1920er Jahren konnten die Grundstücke verwertet werden (vgl. Das neue Bergedorf).

Einen Teil der Bewohner Bergedorfs traf dieser Haushaltsplan allerdings wie ein Hammer, nämlich die in Bergedorf Wohnenden mit Geschäftsadresse in Hamburg. Sie hatten bisher ihr Einkommen nur in Hamburg zu versteuern, ab 1915 sollten sie nun auch zur Zahlung der Bergedorfer Gemeinde-Einkommensteuer herangezogen werden. Der Protest der Betroffenen äußerte sich in den folgenden Wochen in zahlreichen ausführlichen Leserbriefen, doch er konnte nichts am Inkrafttreten der neuen Regelung zum 1. Januar 1915 ändern, denn auch der Senat gab seine Zustimmung.

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