Die Deiche und das Wasser

Flutmarke am Mittleren Landweg

Die Flutkatastrophe von 1962 kostete allein in Hamburg über 300 Menschen das Leben, vor allem in Wilhelmsburg und im Alten Land – Bergedorf blieb verschont, aber nur knapp: keine zwei Kilometer vom Bergedorfer Zentrum entfernt stand das Wasser, denn an der Baustelle der Autobahn A1 in Moorfleet hatte der nur provisorisch gesicherte Deich nicht gehalten, auch hatte der Moorfleeter Kanal seine Ufer überstiegen. Das Wasser überflutete Moorfleet, Allermöhe und Billwerder und drang bis zum Oberen Landweg vor – eine Flutmarke am Mittleren Landweg erinnert an den Höchststand.

In den Vierlanden hatten die Deiche Bestand – aber das war nicht immer so gewesen, wie die Bracks hinter den alten Deichen bezeugen, ebenso manche unmotiviert erscheinenden Kurven der alten Deiche; vielfach musste der Deich im Bogen um die Bruchstelle herumgeführt werden, weil die eindringende Flut den Boden tief ausgekolkt hatte.

Gedenkstein an der „Langen Grove“ in Neuengamme

An einen der schlimmsten Deichbrüche erinnert dieser Gedenkstein an der „Langen Grove“ am heutigen Neuengammer Hauptdeich. Auf einer Strecke von etwa 250 Metern brach der Deich; die Schließung der Lücke konnte nur in einem weiten Bogen erfolgen, dessen rückwärtiger Verlauf noch heute gut erkennbar ist. Erst im Zuge der Hochwasserschutzmaßnahmen nach der Flut von 1962 wurde die gerade Deichlinie wiederhergestellt.

1771 war nicht eine Sturmflut die Ursache, sondern eine Unmenge die Elbe herabströmendes Wasser: der Deich brach auf einer Länge von etwa 250 Metern. Nicht nur Neuengamme wurde überflutet, sondern auch die benachbarten Dörfer Kirchwärder, Curslack und Altengamme, teils nach weiteren Deichbrüchen, und so gelangte das Wasser bis fast an die Bergedorfer Kirche, wie Caroline Bergen im Lichtwark Nr. 82 (2021) (S. 6-26) schreibt. Auf einer dort wiedergegebenen historischen Karte (S. 25) ist zu sehen, dass auch die gesamten Marschlande bis vor die Tore Hamburgs überspült wurden.

Schutzdeiche prägten und prägen nicht nur die Vierlande und die Marschlande, auch Bergedorf hatte Deiche zu unterhalten, um den Schleusengraben in seinem Bett zu halten, wie auf der Karte 1875 und der Karte 1904 gut zu sehen ist. Die Karte 1875 zeigt auch, dass der ganze Bergedorfer Kamp eingedeicht war; ein Straßenstummel mit dem Namen Kampdeich erinnert noch daran. Kritisch wurde die Lage für die niedrig gelegenen Teile Bergedorfs immer, wenn die Bille und die Brookwetterung viel Wasser führten und wegen hoher Pegelstände der Elbe die Bergedorfer Schleuse (damals am Kurfürstendeich) geschlossen bleiben musste.

Die Nettelnburg (mit Wehr-, Katen- und Billgrabendeich) hatte immer wieder mit Deichbrüchen zu kämpfen, zuletzt 1930, wie in dem vom Kultur- und Geschichtskontor herausgegebenen Buch Nettelnburg. Ritter, Bauern, Siedler (S. 36ff., S. 112ff.) nachzulesen ist – oder man greift virtuell zur online zugänglichen Bergedorfer Zeitung, die am 24. November 1930 berichtete, dass der „provisorisch hergerichtete Deich“ am neu angelegten Kanal zur Krapphofschleuse nicht standhielt.

Flutmarken am Zollenspieker Fährhaus

Obwohl der Höchststand der Flut vom 16./17. Februar 1962 seitdem mehrfach überschritten wurde, wie die Flutmarken am Zollenspieker Fährhaus, direkt hinter dem Fluttor, belegen, hat der verbesserte Hochwasserschutz bisher ausgereicht, um eine Wiederholung der Katastrophe von 1962 zu verhindern.

Nachklapp:

Zwar schrieb kürzlich eine renommierte Hamburger Wochenzeitung, dass 1962 die Deiche „in Cranz, Neuenfelde, Neugraben und Kirchwerder“ an vielen Stellen brachen, was Jahrzehnte zuvor schon eine auflagenstarke Hamburger Tageszeitung und eine andere Tageszeitung mit Hamburg-Teil vermeldet hatten, doch in Kirchwerder brachen die Deiche zum Glück nicht, wie der Verfasser aus eigener Anschauung weiß. Der angeblich in Neugraben gebrochene Deich existierte und existiert nur in Zeitungsartikeln. Hoffentlich wird er nie vermisst.

 

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Lehrerwohnhaus mit Schweinestall

Bergedorfer Zeitung, 24. Juni 1921

In den Dörfern der Vierlande war es üblich, den festangestellten Lehrern eine Dienstwohnung bereitzustellen. Die Schule im Kirchwärder Ortsteil Seefeld, um die es hier ging, hatte zwar im Obergeschoss eine Lehrerwohnung (mit zwei heizbaren Zimmern), aber da die Zahl der Klassen zugenommen hatte (auf vier, wie Ilse Schütz (S. 177) schreibt), brauchte man auch mehr Lehrkräfte und Wohnungen für diese.

BZ, 8. Juli 1921

So beschloss die Gemeindevertretung Kirchwärders, das benötigte Grundstück zu erwerben. Kurze Zeit später waren die von der Gemeinde in Auftrag gegebenen Baupläne fertig und die Arbeiten konnten ausgeschrieben werden.

Vermutlich konnte das neue Haus spätestens zum österlichen Schuljahresbeginn 1922 bezogen werden, was in der BZ aber keinen Niederschlag fand.

 

BZ, 5. Sept. 1921

BZ, 12. Oktober 1921

Diese zwei Ausschreibungen lassen etwas über Ausstattungsstandards erkennen: offenbar sollte es pro Wohneinheit drei heizbare Zimmer geben und für die Küche einen Kachelherd. Außerdem sollte ein massives Stallgebäude errichtet werden – man ging davon aus, dass die Lehrer sich nicht nur um die Bildung der Kinder kümmern würden, sondern auch um die Mästung mindestens eines Schweins. Das war nicht etwa eine Marotte der Lehrer, sondern schlichte Notwendigkeit zur Aufbesserung des Speiseangebots, und entsprach zumindest dem Seefelder Standard, denn auch der im Schulhaus wohnende Lehrer verfügte über einen Stall (Schütz, ebd., S. 177). Ob die Gemeinde auch Gemüseland zur Verfügung stellte, ist unbekannt.

Fließend Wasser aus der Leitung gab es in ganz Vierlanden damals nicht, und so erfolgte die Wasserversorgung mit selbst zu förderndem Grundwasser: Röhrenbrunnen und handbetriebene Flügelpumpe etc. wurden von der Gemeinde in Auftrag gegeben.

Das Doppellehrerhaus war architektonisch sicher unbedeutend – nicht aber das in den 1880er Jahren gebaute Schulhaus, das 1909 durch den Architekten Fritz Höger im Heimatstil umgebaut wurde und in der Denkmalliste verzeichnet ist. Bekannter ist allerdings ein späterer Bau Högers: das Chile-Haus in Hamburg.

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Bergedorf postalisch 1: Von den Anfängen zur Kaiserlichen Reichspost

Wann zum ersten Mal von, in oder nach Bergedorf ein Brief gesandt wurde, ist nicht dokumentiert – aber schon 1678 gab es laut Karl Knauer (S. 10ff.) einen „fahrpostähnlichen Fuhrverkehr“ für Personen, Briefe, und „Päckereien“, vor allem nach Hamburg, aber auch in Orte der näheren Umgebung. Für andere Destinationen gab es lange Zeit verschiedene Post-Expeditionen – man konnte seine Post also nicht in einen beliebigen Kasten werfen, sondern musste die für den Empfänger-Ort zuständige Post beauftragen, so z.B. die Kaiserliche Thurn-und-Taxis-Post-Expedition oder die Braunschweig-Hannoversche, auch die Preußische, wie Harald Richert schreibt (S. 63-64, ausführlicher Knauer, ebd., S. 29ff.). Auf die Besonderheiten der Franzosenzeit und der russischen Besetzung im frühen 19. Jahrhundert soll hier ebensowenig eingegangen werden wie auf die Reppenhagensche Landpost.

Als Preußen im Jahre 1847 seine Postexpedition in Bergedorf schloss, blieb der Vorsteher Franz Wilhelm Ludwig Paalzow am Ort und wechselte den Arbeitgeber: er wurde der Postmeister des neu errichteten Lübeck-Hamburgischen Postamts in Bergedorf, das zunächst im Bergedorfer Hauptbahnhof residierte. Die räumlichen Ansprüche waren bescheiden: ein einziger Raum stand dort als „Post-Local“ zur Verfügung (siehe die Abbildung des Grundrisses des Bahnhofs bei Knauer, ebd., S. 104).

Einige Jahrzehnte später hatte sich dies grundlegend geändert: die hier wiedergegebene Ansichtskarte zeigt im Vordergrund das 1892 errichtete Kaiserliche Post- und Telegraphenamt, im Hintergrund rechts das damalige Bahnhofsgebäude.

vorn das Kaiserliche Postamt, rechts hinten ein Teil des Bahnhofs

Weitere Beiträge zum Postwesen in Bergedorf werden folgen. Darin geht es auch um die Bergedorfer Briefmarken.

 

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Die große Verlosung der SPD

Bergedorfer Zeitung, 15. November 1921

Die Geschäftswelt steht sich gern gut mit den Mächtigen der Kommunalpolitik, und so steht zu vermuten, dass sie deshalb die Große Weihnachts-Verlosung der SPD Bergedorf mit Sachspenden ausstattete, und zwar nicht gerade knapp: insgesamt 377 Preise und eine Nähmaschine als „Prämie“ konnten ausgelobt werden. Allein der Wert der „kleinen“ Gewinne belief sich auf 8.900 Mark; für die Hauptgewinne ist der Wert schwerer zu schätzen, da die Geschäftsinhaber mit Preisangaben in ihren Anzeigen sehr zurückhaltend waren. Der Möbelhändler Mente immerhin inserierte mit Preisen: Schlafzimmereinrichtungen 3.300 bis 5.500 Mark, Kücheneinrichtung ab 850 Mark, Chaiselongues ab 400 M, eine Nähmaschine Schneider 350 M (BZ vom 12. Dezember 1921), die Gebr. Bernau boten Anzugstoffe zu 110 Mark pro Meter (BZ vom 3. November 1921). Wahrscheinlich summierten sich die Hauptgewinne ebenfalls auf etwa 9.000 Mark.

Die SPD als Veranstalter der Verlosung wollte die Einnahmen den „für die Arbeiterbewegung erforderlichen Einrichtungen“ zukommen lassen – welche dies genau waren, wurde nicht gesagt: mit ziemlicher Sicherheit werden Arbeiter-Gesang-, -Musik-, -Theater-, -Sport-Vereine dazu gehört haben, auch die Bildungs-Kommission der organisierten Arbeiterschaft und der Arbeiterjugendbund, über deren Tätigkeit im zweiten Halbjahr Meldungen bzw. Anzeigen zu finden waren (BZ vom 18. September und 30. November 1922). Ob auch das Gewerkschaftskartell zu den Begünstigten gehörte, muss offen bleiben.

Mit Sicherheit wird diese Anzeige auch im Bergedorf-Sander Volksblatt erschienen sein, denn in dessen Geschäftsstelle konnte man die Lose à drei Mark kaufen, und mit höchster Wahrscheinlichkeit wird das Volksblatt auch im redaktionellen Teil Werbung für die Verlosung gemacht haben – nicht aber die BZ, die ansonsten Anzeigenkunden dadurch belohnte, dass sie in der Rubrik „Hinweise auf Veranstaltungen“ die Annonce paraphrasierte. Redaktionelle Werbung für eine SPD-Veranstaltung wollte die BZ sich und ihren Lesern wohl nicht zumuten.

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Der offenbar unbedeutende Gedenkstein

Der Gedenkstein vor der Erinnerungseiche

1913 feierte man ein riesiges Fest in Bergedorf, mit Illumination der Stadt, Fackelzug, Freudenfeuer, Festgottesdienst, Festreden, Festumzug und Feierlichkeiten in drei Sälen. Der abgebildete Stein (in dem grünen Hang gegenüber der katholischen Kirche am Reinbeker Weg, siehe die Karte von 1904) spielte dabei nur eine bescheidene Rolle.

Man gedachte der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813 und wollte „eine würdige Kundgebung der Bergedorfer Einwohnerschaft zur Erinnerung an die Befreiung vom Korsenjoch“ veranstalten, wie die BZ am 11. Oktober 1913 schrieb. Eine Erinnerungseiche war bereits im Frühjahr gepflanzt worden, unterhalb derer dann auch der Gedenkstein platziert wurde, den die Stadt in Auftrag gegeben hatte (BZ vom 7. Oktober 1913).

Redner waren unter anderem Amtsrichter Mantius und Hansaschul-Direktor Prof. Ohly. Alle Redner betonten die nationale Dimension der Schlacht, in den Worten Ohlys: „Was die Väter bei Leipzig begannen, was Belle-Alliance fortsetzte, das fand seine Vollendung bei Sedan. Darum feiern wir Leipzig nicht nur als Jubeltag des Sieges über den Korsen, sondern als Grundlegung der Einheit des Vaterlandes, die 1870 sich vollendete.“ Krieg wurde als legitimes Mittel der Politik angesehen.

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1913

Bei so viel nationalem Stolz und Überschwang spielte Bergedorf nur als Kulisse eine Rolle, und der frisch gesetzte Gedenkstein wurde in den Reden gar nicht, im redaktionellen Teil der BZ nur kurz erwähnt. Zwar gab es eine Schaufenster-Ausstellung mit Erinnerungsstücken aus der Franzosenzeit, unter anderem „Steuerzettel, Einquartierungsbücher und -Zettel, Abschiede aus dem französischen und deutschen Heere“ sowie „sechs Steinschloßgewehre mit Bajonett, Patronentaschen und Säbel, die von den Engländern im Frühjahr 1813 für die Hanseatische Legion geliefert wurden und später bei unseren Stadtsoldaten im Gebrauch waren“ sowie „die hanseatische Kriegsmedaille von 1813 für den Bergedorfer Mitkämpfer Fohrmann“ (BZ vom 19. Oktober 1913), doch mehr Bezüge zu lokalen Ereignissen in jenen Tagen waren der BZ nicht zu entnehmen – es ging ja eben um die Nation.

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1913

Aber von dem großen Festzug mit vierzig Fahnen, zahlreichen Vereinen und der Schuljugend, vorneweg berittene „Postillone in ihren bunten Uniformen“ wurden Filmaufnahmen hergestellt und wenige Tage später im Bergedorfer Lichtspielhaus vorgeführt – es wird nur eine kurze Sequenz gewesen sein, denn außerdem wurde das übliche „reichhaltige Programm“ präsentiert und an den folgenden Tagen wiederholt. Eine kleine Pikanterie sei noch genannt: der Kameramann war von der französischen Firma Pathé Frères … (BZ vom 21. Oktober 1913)

Unumstritten war die ganze Bergedorfer Jubelfeier nicht: in der langen Liste der sich beteiligenden Vereine (BZ vom 11. Oktober 1913) ist keine Organisation zu finden, die der Arbeiterbewegung zugehörte oder nahestand. Auch hatte sich der Bürgervertreter Wiesner in der Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung kritisch geäußert – die BZ schrieb leider nur, dass sich dort „eine recht unerfreuliche Debatte [entspann], mit deren Einzelheiten wir den Leser verschonen wollen.“ Der Sozialdemokrat habe „olle Kamellen über hamburgische Franzosenfreundlichkeit aus der Zeit vor hundert Jahren“ thematisiert, was nicht in das Geschichtsbild der BZ passte: „Wir … brauchen die Belehrung des Herrn Wiesner nicht.“ (BZ vom 12. Oktober 1913)

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Von der Schillerstraße zum Schillerufer

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1921

Bergedorfer Zeitung, 29. Dezember 1921

 

 

 

 

Die „Straße am Ufer der Bille“ hatte vom Senat gerade den Namen „Schillerstraße“ erhalten. Nun sollte sie als dringende Maßnahme provisorisch befestigt und beleuchtet werden, so beschlossen Magistrat und Bürgervertretung und bewilligten die erforderlichen 21.000 Mark. Das überrascht.

Es waren ja schon 1920 erhebliche Mittel bewilligt worden (siehe den Beitrag Der Grundstückstausch für das Amtsgericht): mit 385.000 Mark sollte u.a. der „Ausbau der Uferstraße“ finanziert werden. Bis dahin hatte es wegen eines zu querenden Billearms keine direkte Verbindung zwischen Ernst-Mantius-Brücke und Brauerstraße gegeben (siehe die Karte 1904), und die „Uferstraße“ sollte den Weg zum Bahnhof erheblich verkürzen. Warum die neue Uferstraße nach nur einem Jahr eine „provisorische Befestigung“ erhalten musste, ist unbekannt, aber das Provisorium hielt nicht lange: im November 1922 musste erneut nachgearbeitet werden.

Bergedorfer Zeitung, 20. November 1920

Offenbar hatte man keine Drainage gelegt oder für eine andere Abführung von Wasser gesorgt, und im Herbst stellte man fest, dass der Weg „zeitweise völlig aufgeweicht“ war, und da die neue Verbindung  „außerordentlich stark begangen“ wurde, sollte nun ein „drei Meter breiter Kiesfußweg“ angelegt werden, der am Ende wegen Lohn- und Materialpreissteigerungen vermutlich erheblich teurer wurde.

Der Name Schillerstraße blieb nicht lange: laut Bergedorfer Adressbuch für 1928 war daraus das Schillerufer geworden. Die Goethestraße einschließlich ihrer Verlängerung bis zur damaligen Bismarckstraße (heute Hermann-Distel-Straße) büßte ihren Namen komplett ein; sie wurde zur Daniel-Hinsche-Straße (Lichtwark 1. Jg. Nr. 5, April 1949, S. 14). Den Heinrich-Heine-Weg gibt es auch heute; er hatte allerdings in der NS-Zeit eine Umbenennung zu ertragen.

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Ein fürstlicher Hochstapler in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1921

Er muss schon über ein gewisses Talent verfügt haben, der Hochstapler Otto Merkel – aber es war nicht groß genug, ihn vor Verhaftungen und Verurteilungen zu schützen. Schon sein Bergedorf-Besuch im Jahre 1919 hatte durch Festnahme ein vorzeitiges Ende genommen.

Der Kölner Schlossergeselle, der sich Egon Fürst von Schlieven nannte, war bei seinem ersten Bergedorf-Besuch in der Uniform eines Oberleutnants der Fliegertruppe eingetroffen und trug hohe militärische Auszeichnungen (Eisernes Kreuz I. Klasse, Orden pour le mérite). Quartier nahm er im Gasthof „Zum Anker“ , wie die BZ am 9. Juli 1919 schrieb. Er wollte dort ein Wiedersehen mit seiner Ehefrau, der Sängerin Regina Harre, feiern und ließ zu diesem Zweck sein Zimmer aufwändig dekorieren, wie die Abbildung zeigt:

Ansichtskarte des Fürstenzimmers    (Sammlung Söhnke Marquardt)

 

 

Allein die Blumendekoration hatte 2.500 Mark gekostet, ein Hündchen (oben im Körbchen zu erahnen) weitere 1.700 Mark, und da er seine ihm Angetraute nicht banal zu Fuß vom nahegelegenen Bahnhof abholen wollte, kaufte er einen Gig ( d.h. einen zweirädrigen Pferdewagen, für 14.000 Mark), fuhr damit zur Bahnstation Mittlerer Landweg, um mit seiner Frau einen standesgemäßen Einzug in Bergedorf zu bieten – doch dazu kam es nicht: ob sein Ehegespons die Kriminalpolizei benachrichtigte (BZ vom 9. Juli 1919) oder ob die Polizei durch Überwachung der Frau auf des Fürsten Spur kam (BZ vom 28. Dezember 1921), das Ergebnis war, dass die Beamten ihn in Billwärder bei einem Glase Rotwein einsammelten und wieder hinter Gitter brachten.

Rückseite der Ansichtskarte

Den größten finanziellen Schaden in Bergedorf dürfte der Florist gehabt haben, der Verkäufer der Gig wird sein Gefährt ebenso zurückerhalten haben wie der Vorbesitzer seinen Hund – für den Wirt des „Anker“ wurde möglicherweise sogar noch ein Geschäft daraus, denn „Schlievens“ reich ausgestattetes Zimmer wurde „förmlich von Neugierigen bestürmt.“ (BZ vom 9. Juli 1919), wofür er vielleicht Eintritt kassierte, und er konnte mit den eigens hergestellten Ansichtskarten Werbung für sein Etablissement betreiben.

Weitere vergleichbar aufsehenerregende Fälle von Hochstapelei sind aus Bergedorf in diesen Jahren nicht überliefert.

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Und nochmal: die Grippe

Bergedorfer Zeitung, 27. Dezember 1921

Bergedorfer Zeitung, 20. Dezember 1921

Da war sie wieder: die Grippe. „In großem Umfange“ hatte sie Bergedorf heimgesucht (BZ vom 17. Dezember), aber laut BZ in „leichteren Formen“ als 1918. Und es bestand ja kein Grund zur Beunruhigung, wie man hier lesen konnte.

Man solle den Aufenthalt in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen vermeiden, lautete eine der Empfehlungen aus Preußen, was aber z.B. für Schüler, Lehrer und Beschäftigte in den Telefonvermittlungen nicht möglich war: in Hamburg betrug die Fehlquote in den Schulen 25 Prozent und mehr, manche Schulen wurden ganz geschlossen (BZ vom 20. Dezember), im Bergedorfer Postamt litt die Abwicklung der Telefonate unter den zahlreichen Erkrankungen (BZ vom 22. Dezember).

Das war ähnlich wie 1918 – da war fast wortgleich beschwichtigt worden (siehe den Zeitungsausschnitt im Beitrag Die Rückkehr der Grippe), aber die Zahl der Sterbefälle dürfte 1921 geringer gewesen sein – geht man nach den Todesanzeigen in der BZ, weniger als die Hälfte gegenüber 1918. Vor allem junge Menschen schienen diese (vierte) Grippewelle besser zu überstehen.

Im Medizinhistorischen Museum Hamburg ist bis September 1922 die Ausstellung „Pandemie. Rückblicke in die Gegenwart“ zu sehen, die mit Pest und Cholera sowie der Grippe historische Pandemien ebenso thematisiert wie die aktuelle Corona-Pandemie, jeweils mit besonderem Fokus auf Hamburg.

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Volkstänze und Tiertänze

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1921

Was sollte man tanzen? Nach Meinung der BZ jedenfalls keine ausländischen Tänze, denn: „Der Tanz eines Volkes zeigt dessen Charakter“, und: was da aus Amerika an „Niggertänzen“ und „Tiertänzen“ kam, mit grotesken Bewegungen und wilden Attitüden, zielte auf das Grobsinnliche und führte nicht selten dazu, „daß der Boden … plötzlich von Blut triefte, daß Dolch und Revolver die Gitarren und Geigen ablösten (Tango).“ In scharfem Kontrast dazu stand „die Harmlosigkeit der deutschen Volks- und Reigentänze“ und die Hoffnung auf „die edlere Jugend“, die die undeutschen Tänze angeblich ablehnte.

Ob der Artikel wörtlich aus der Zeitschrift „Die Tanzschule“ übernommen worden war oder nur eine Zusammenfassung lieferte, lässt sich nicht feststellen – aber mit diesem Text konnte die BZ Rassismus und Ausländerfeindlichkeit einmal so richtig austoben: das war das Gegenteil von harmlos.

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1921

Bergedorfs Tanzschulen waren toleranter gegenüber Neuem, wie aus ihren Anzeigen hervorgeht: alle drei boten in ihren Kursen moderne Tänze an; Georg Lampe gab sogar einen „Spezialkursus“ mit ausschließlich modernen Tänzen (BZ vom 8. September), und nicht nur die Jugend war so verkommen, dass sie derartiges lernen wollte: in einer weiteren Annonce kündigte Ferdinand Meyer einen „Kursus für moderne Tänze für gesetztere Damen und Herren und Ehepaare“ im Bellevue an (BZ vom 5. Dezember), dem feinsten Haus am Platze.

Es gab aber auch „deutsche“ Angebote: die Fichte-Hochschule Bergedorf und die Wehrloge Dietrich Schreyge warben für ihre Volkstanzkurse, die Wehrloge tanzte sogar barfuß (BZ vom 28. September und 17. Oktober), hoffentlich auf splitterfreiem Boden, damit dieser nicht blutbefleckt wurde.

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1921

Aus den zahlreichen Inseraten für Tanzkränzchen, Fest- und andere Bälle lässt sich nicht entnehmen, was jeweils getanzt wurde – und nur einmal wurde über eine „wüste Schlägerei“ bei einer Tanzveranstaltung berichtet, aber ob Shimmy, Hiawatha, Tango oder anderes praktiziert wurde, ist unbekannt.

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Eine Räuberpistole aus Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 12. Dezember 1921

Im eigenen Hausflur überfallen, niedergeschlagen und ausgeraubt – das geschah einem Vertreter, der gerade mit viel Bargeld von einer wohl dienstlichen Reise zurückkehrte. Das Opfer war Richard Strauß, der 1920 das Bergedorfer Adressbuch herausgegeben hatte und nun als Generalvertreter der „Landwirtschaftlichen Umschau“ tätig war.

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1921

Einige Tage später las es sich anders: Strauß hatte den Überfall nur vorgetäuscht, um das der Firma gehörende Geld zu unterschlagen, wie er nach „anfänglichem hartnäckigen Leugnen“ den Polizisten gestand.

Die Polizei hatte „von vornherein berechtigte Zweifel“ an Strauß‘ Darstellung gehegt, denn unumstritten war er nicht: in einer Versammlung des Landwirtschaftlichen Vereins war bereits „vor den Machenschaften der ‚Landwirtschaftl. Umschau‘ und ihres Vertreters gewarnt“ worden (BZ vom 12. Juli 1921).

Bergedorfer Zeitung, 6. Juni 1921

Zweimal war die Landwirtschaftliche Umschau im Anzeigenteil der BZ erschienen: Inserenten waren Landwirte aus Curslack, die als Abonnenten der Umschau über deren Vertreter Rudolf Strauß eine Entschädigungszahlung für jeweils ein Rind erhalten hatten, das in einem Graben ertrunken war. Die Höhe der gezahlten Entschädigung richtete sich dabei nach der Zahl der Abonnements, die der jeweilige Bauer abgeschlossen hatte – und das war das Geschäftsmodell der Umschau: man abonnierte sie und erhielt dann gegebenenfalls eine Zahlung für verunglücktes Vieh, schloss also eine Art Viehversicherung ab. Für den „Versicherer“ lag der Vorteil vermutlich darin, dass er sich mit diesem Konstrukt um die staatliche Aufsicht herummogelte, die seit 1901 bestand (Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901): die Kunden schlossen ja nur ein Zeitschriften-Abo ab, und der großzügige Verlag half seinen Abonnenten im Notfall.

Hamburger Adressbuch 1921

Ob es diese von Herrn Strauß beworbene Zeitschrift gab, ist nicht sicher. Zwar findet man im Gemeinsamen Verbundkatalog von über 1.000 Bibliotheken eine in Magdeburg verlegte Zeitschrift gleichen Namens, aber diese hatte 1915 ihr Erscheinen eingestellt, aus den folgenden zwei Jahrzehnten gibt es keinen Nachweis. Allerdings ist im Branchenverzeichnis des Hamburger Adressbuchs 1921 unter „Verlagsanstalten“ ein passender Eintrag zu finden, der aber wohl eigentlich in eine Kategorie „Bauernfängerei“ gehört hätte.

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