Der offenbar unbedeutende Gedenkstein

Der Gedenkstein vor der Erinnerungseiche

1913 feierte man ein riesiges Fest in Bergedorf, mit Illumination der Stadt, Fackelzug, Freudenfeuer, Festgottesdienst, Festreden, Festumzug und Feierlichkeiten in drei Sälen. Der abgebildete Stein (in dem grünen Hang gegenüber der katholischen Kirche am Reinbeker Weg, siehe die Karte von 1904) spielte dabei nur eine bescheidene Rolle.

Man gedachte der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813 und wollte „eine würdige Kundgebung der Bergedorfer Einwohnerschaft zur Erinnerung an die Befreiung vom Korsenjoch“ veranstalten, wie die BZ am 11. Oktober 1913 schrieb. Eine Erinnerungseiche war bereits im Frühjahr gepflanzt worden, unterhalb derer dann auch der Gedenkstein platziert wurde, den die Stadt in Auftrag gegeben hatte (BZ vom 7. Oktober 1913).

Redner waren unter anderem Amtsrichter Mantius und Hansaschul-Direktor Prof. Ohly. Alle Redner betonten die nationale Dimension der Schlacht, in den Worten Ohlys: „Was die Väter bei Leipzig begannen, was Belle-Alliance fortsetzte, das fand seine Vollendung bei Sedan. Darum feiern wir Leipzig nicht nur als Jubeltag des Sieges über den Korsen, sondern als Grundlegung der Einheit des Vaterlandes, die 1870 sich vollendete.“ Krieg wurde als legitimes Mittel der Politik angesehen.

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1913

Bei so viel nationalem Stolz und Überschwang spielte Bergedorf nur als Kulisse eine Rolle, und der frisch gesetzte Gedenkstein wurde in den Reden gar nicht, im redaktionellen Teil der BZ nur kurz erwähnt. Zwar gab es eine Schaufenster-Ausstellung mit Erinnerungsstücken aus der Franzosenzeit, unter anderem „Steuerzettel, Einquartierungsbücher und -Zettel, Abschiede aus dem französischen und deutschen Heere“ sowie „sechs Steinschloßgewehre mit Bajonett, Patronentaschen und Säbel, die von den Engländern im Frühjahr 1813 für die Hanseatische Legion geliefert wurden und später bei unseren Stadtsoldaten im Gebrauch waren“ sowie „die hanseatische Kriegsmedaille von 1813 für den Bergedorfer Mitkämpfer Fohrmann“ (BZ vom 19. Oktober 1913), doch mehr Bezüge zu lokalen Ereignissen in jenen Tagen waren der BZ nicht zu entnehmen – es ging ja eben um die Nation.

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1913

Aber von dem großen Festzug mit vierzig Fahnen, zahlreichen Vereinen und der Schuljugend, vorneweg berittene „Postillone in ihren bunten Uniformen“ wurden Filmaufnahmen hergestellt und wenige Tage später im Bergedorfer Lichtspielhaus vorgeführt – es wird nur eine kurze Sequenz gewesen sein, denn außerdem wurde das übliche „reichhaltige Programm“ präsentiert und an den folgenden Tagen wiederholt. Eine kleine Pikanterie sei noch genannt: der Kameramann war von der französischen Firma Pathé Frères … (BZ vom 21. Oktober 1913)

Unumstritten war die ganze Bergedorfer Jubelfeier nicht: in der langen Liste der sich beteiligenden Vereine (BZ vom 11. Oktober 1913) ist keine Organisation zu finden, die der Arbeiterbewegung zugehörte oder nahestand. Auch hatte sich der Bürgervertreter Wiesner in der Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung kritisch geäußert – die BZ schrieb leider nur, dass sich dort „eine recht unerfreuliche Debatte [entspann], mit deren Einzelheiten wir den Leser verschonen wollen.“ Der Sozialdemokrat habe „olle Kamellen über hamburgische Franzosenfreundlichkeit aus der Zeit vor hundert Jahren“ thematisiert, was nicht in das Geschichtsbild der BZ passte: „Wir … brauchen die Belehrung des Herrn Wiesner nicht.“ (BZ vom 12. Oktober 1913)

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