Ein fürstlicher Hochstapler in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1921

Er muss schon über ein gewisses Talent verfügt haben, der Hochstapler Otto Merkel – aber es war nicht groß genug, ihn vor Verhaftungen und Verurteilungen zu schützen. Schon sein Bergedorf-Besuch im Jahre 1919 hatte durch Festnahme ein vorzeitiges Ende genommen.

Der Kölner Schlossergeselle, der sich Egon Fürst von Schlieven nannte, war bei seinem ersten Bergedorf-Besuch in der Uniform eines Oberleutnants der Fliegertruppe eingetroffen und trug hohe militärische Auszeichnungen (Eisernes Kreuz I. Klasse, Orden pour le mérite). Quartier nahm er im Gasthof „Zum Anker“ , wie die BZ am 9. Juli 1919 schrieb. Er wollte dort ein Wiedersehen mit seiner Ehefrau, der Sängerin Regina Harre, feiern und ließ zu diesem Zweck sein Zimmer aufwändig dekorieren, wie die Abbildung zeigt:

Ansichtskarte des Fürstenzimmers    (Sammlung Söhnke Marquardt)

 

 

Allein die Blumendekoration hatte 2.500 Mark gekostet, ein Hündchen (oben im Körbchen zu erahnen) weitere 1.700 Mark, und da er seine ihm Angetraute nicht banal zu Fuß vom nahegelegenen Bahnhof abholen wollte, kaufte er einen Gig ( d.h. einen zweirädrigen Pferdewagen, für 14.000 Mark), fuhr damit zur Bahnstation Mittlerer Landweg, um mit seiner Frau einen standesgemäßen Einzug in Bergedorf zu bieten – doch dazu kam es nicht: ob sein Ehegespons die Kriminalpolizei benachrichtigte (BZ vom 9. Juli 1919) oder ob die Polizei durch Überwachung der Frau auf des Fürsten Spur kam (BZ vom 28. Dezember 1921), das Ergebnis war, dass die Beamten ihn in Billwärder bei einem Glase Rotwein einsammelten und wieder hinter Gitter brachten.

Rückseite der Ansichtskarte

Den größten finanziellen Schaden in Bergedorf dürfte der Florist gehabt haben, der Verkäufer der Gig wird sein Gefährt ebenso zurückerhalten haben wie der Vorbesitzer seinen Hund – für den Wirt des „Anker“ wurde möglicherweise sogar noch ein Geschäft daraus, denn „Schlievens“ reich ausgestattetes Zimmer wurde „förmlich von Neugierigen bestürmt.“ (BZ vom 9. Juli 1919), wofür er vielleicht Eintritt kassierte, und er konnte mit den eigens hergestellten Ansichtskarten Werbung für sein Etablissement betreiben.

Weitere vergleichbar aufsehenerregende Fälle von Hochstapelei sind aus Bergedorf in diesen Jahren nicht überliefert.

Dieser Beitrag wurde unter Beiträge 1922 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert