Der Tabaktag

Mit Unterstützung des Bürgermeisters Dr. Walli und der Leiterin der Luisenschule, Fräulein E. Martens, an die man sich wegen näherer Auskünfte wenden konnte, sollte also in Bergedorf ein „Tabaktag“ stattfinden:

Bergedorfer Zeitung, 24. November 1914

Bergedorfer Zeitung, 24. November 1914

Bei so (lokal) prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern durfte natürlich die Berichterstattung im redaktionellen Teil nicht fehlen, wenn sie im ersten Teil des hier wiedergegebenen Artikels auch kaum über den Inhalt der

Bergedorfer Zeitung, 24. November 1914

Bergedorfer Zeitung, 24. November 1914

Anzeige hinausging. Nur der Hinweis, dass es sich um eine einmalige Aktion handle, war neu. Dann aber folgt ein der Wiener (!) Neuen Freien Presse entnommener Text über das Rauchen an der Front: die Zigarette sei „die Wohltäterin der Soldaten“, ein „weißer Engel“, schaffe „Sorglosigkeit, Vergessen, Hoffnungsfreude und Trost“ – gefährlich wäre das Rauchen nur, wenn der Qualm die eigene Stellung verriete und dem Gegner damit ein Ziel zeigte. Und wenn am Anfang des Artikels die amerikanische Bezeichnung „coffin nails“ für
Zigaretten zurückgewiesen wurde, so wird am Ende deutlich, dass sie zu Sargnägeln mit sogar unmittelbarer Wirkung werden konnten.
Die Sammelaktion des Tabaktages war jedenfalls erfolgreich: laut Bergedorfer Zeitung vom 27. November 1914 wurden mehr als 4.000 Mark Bargeld sowie „in größeren Mengen Tabak, Zigarren, Zigaretten usw. gestiftet“.

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Ausländer raus!

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1914

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1914

Ein gutes Vierteljahr nach Kriegsbeginn gerieten die „feindlichen Ausländer“ in einen schärferen Blick der Behörden als bis dahin. Nach einer am 27. Oktober 1914 abgedruckten Bekanntmachung der Landherrenschaft Bergedorf waren ab sofort „Ausländer, d.h. Personen, die keinem deutschen Staate angehören“ verpflichtet, sich im Schloss zu melden und ihren Namen, ihr Alter, ihre Nationalität sowie ihren Beruf und Aufenthaltsort anzugeben, alles „auf dem vorgeschriebenen Formular, das im Meldebureau unentgeltlich verabfolgt wird“. Immerhin: hier wurden offenbar alle Ausländer gleichbehandelt, und das Meldeformular gab es sogar kostenlos.
Vier Wochen danach begann die Differenzierung: die neue Linie war „die Entfernung der Angehörigen der feindlichen Staaten aus dem hamburgischen Staatsgebiet“ – aber mit Ausnahmen: auf Antrag konnte man (wohl nach Einzelfallprüfung) weiter in Hamburg wohnen, und generell ausgenommen waren polnisch-russische Saisonarbeiter, die wegen des Kriegsausbruchs hatten hierbleiben müssen (sie wurden ja auch weiter als Arbeitskräfte benötigt). Alle anderen feindlichen Ausländer aber sollten sich in eine von drei Landgemeinden begeben: Groß-Hansdorf-Schmalenbeck (Landherrenschaft der Geestlande, 876 Einwohner), Geesthacht (5408 Einwohner) oder auf den Ost-Krauel (203 Einwohner) (Einwohnerzahlen aus Verwaltungsbericht 1913).
Das Ziel dieser Maßnahme ist klar: die feindlichen Ausländer sollten von großen Städten und den Küsten sowie Wasserwegen ferngehalten werden, um nicht spionieren oder sabotieren zu können – warum dann aber Geesthacht mit der Pulverfabrik im Westen und der Dynamitfabrik im Osten des Ortes ausgewählt wurde, ist ein Rätsel.
Wie viele Ausländer tatsächlich auf den Krauel bzw. nach Geesthacht zogen, ist der Zeitung nicht zu entnehmen – lange konnten sie dort jedenfalls nicht bleiben, denn laut Bergedorfer Zeitung vom 24. Dezember 1914 mussten sie das gesamte Gebiet der Landherrenschaft Bergedorf alsbald gänzlich verlassen: kein schönes Weihnachtsgeschenk.

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Die Jugendwehr: Papier und Praxis

Bergedorfer Zeitung, 8. November 1914

Bergedorfer Zeitung, 8. November 1914

Der „kriegsministerielle Erlaß vom 19. 8. 1914“ zur Gründung von Jugendwehren wurde in den Vierlanden offenbar nicht allzu schnell umgesetzt – angesichts des durch Einberufungen entstandenen Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft und im Gartenbau nicht erstaunlich, denn die Jugendlichen wurden dringend auf den Feldern gebraucht. Erst im November nahm sich die Militärische Kameradschaft der Sache an und lud zu einem Einführungsvortrag. Aus der Wiedergabe des Referats geht hervor, dass die Jugendwehr so etwas wie die infanteristische Vorschule der Nation sein sollte. Für Kirchwerder plante man demnach, in den sechs „Bauernschaften“ (Zollenspieker, Howe, Warwisch, Seefeld, Holake, Kirche) zunächst – wohl wegen der recht großen Entfernungen – getrennt zu „üben“, nachdem die Hauptlehrer der Schulen die Meldungen entgegengenommen hatten. Allerdings kam diese Kirchwerder Jugendwehr nur auf dem Papier zustande, wie der damalige Hauptlehrer der Schule Kirchwerder-Howe, Hermann Reimers, nach dem Kriege schrieb: „Anmeldungen … gingen auch reichlich ein, aber zu einer praktischen Übung ist es nicht gekommen.“ (Ehrenbuch der Kirchengemeinde Kirchwärder 1914 – 1918, Teil II: Schule und Weltkrieg, o.J., o.p.). In den anderen Teilen der Vierlande dürfte es ähnlich gewesen sein, in Geesthacht hat die dortige Jugendwehr Übungen durchgeführt (siehe Bergedorfer Zeitung vom 16. Dezember 1914).

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1914

Bergedorfer Zeitung, 12. November 1914

In der Stadt Bergedorf gehörten bald 180 Jugendliche zur Jugendwehr, über deren Aktivitäten die Bergedorfer Zeitung ebenfalls im November berichtete. Ob sie sich als Individuen gemeldet hatten oder ob sie als Mitglieder eines Vereins (z.B. Jung-Bergedorf, siehe den Blog-Beitrag Siegesfreude und Opferwilligkeit) automatisch zu Jugendwehrmännern geworden waren – den Segen der Kirche hatten sie jedenfalls, und nach Ansicht des Bergedorfer Pastors Behrmann auch den Segen Gottes.

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Mehr Begeisterung, bitte!

Bergedorfer Zeitung, 8- November 1914

Bergedorfer Zeitung, 8- November 1914

Waren die Bergedorfer damals aus Prinzip nörgelig oder waren sie enttäuscht vom bisherigen Kriegsverlauf, enttäuscht nach übergroßem Glauben an einen schnellen Sieg? Jedenfalls mahnte der Verfasser des Artikels seine Mitmenschen in Bergedorf, mit „heiliger Kraft“ und „begeisterter Hingabe“ Optimismus im Hinblick auf den Kriegsausgang zu beweisen, dass der „heimtückische Überfall der Feinde“ zurückgeschlagen werden würde, und diese Siegeszuversicht auch zu demonstrieren – Zweifel würden nur die Kampfkraft der Soldaten schwächen.
Bemerkenswert ist an diesem Artikel, dass die militärischen Erfolge „mit dem Blut Abertausender“ bezahlt wurden – dies ist die konkreteste Angabe zu Opferzahlen auf Seiten der Deutschen überhaupt in der Bergedorfer Zeitung, da die Heeresleitung solche Zahlen unterdrückte; nur aus den mehrmals wöchentlich abgedruckten „Verlustlisten“ der Gefallenen, Verwundeten und Vermissten aus dem Heimatgebiet konnten die Zeitungsleser entsprechende Schlüsse ziehen.

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Beruhigende Feldbriefe

Bergdorfer Zeitung, 1. November 1914

Bergdorfer Zeitung, 1. November 1914

Eigentlich war das Leben an der Front recht angenehm, wenn man den Briefen dieser beiden Bergedorfer Glauben schenkt. Ihr Inhalt unterscheidet sich so fundamental von dem eine Woche zuvor veröffentlichten Schreiben (siehe den Beitrag Die Schrecken des Krieges und posierende Landstürmer), dass man fast den Begriff „Gegendarstellung“ dafür verwenden möchte und die Echtheit der Briefe in Zweifel zieht.

Hätte nicht der eine Briefschreiber über eine Erkältung geklagt – man könnte direkt neidisch werden: ein wohnlich gestalteter Schützengraben, fast täglich die Bergedorfer Zeitung, Tabak, Wollwaren, Schokolade, zum regelmäßigen Mittagessen Brot und Speck – es klingt nach einer Art Urlaub im Ausland. Aber: „Etwas lebensgefährlicher ist es allerdings doch“, wie es im ersten der beiden Briefe heißt, denn man lag unter Beschuss und die Schützengräben boten keinen Schutz gegen Granaten. Doch selbst hier findet der Briefschreiber den tröstenden Aspekt der Schönheit der „herrlichen Gräber“ der Gefallenen – wie auf dem Bergedorfer Friedhof am Gojenberg.

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Kriegsversicherung und –strumpf

Bergedorfer Zeitung, 27. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 27. Oktober 1914

Das war schon eine besondere Art von Versicherung, für die Bergedorfs Magistrat hier warb, und das Verhältnis von Aus- zu Einzahlung war mit voraussichtlich 25:1 sicher attraktiv – allerdings sollten nur die Hinterbliebenen von Gefallenen in den Genuss der Auszahlung kommen. Diese Art von Versicherung gab es im ganzen Reich, und so hieß es z.B.im Anzeigenteil der Gocher Zeitung am 8. September 1914 über ein entsprechendes Angebot des rheinischen Provinzialverbands in schönster, wenn auch grammatisch falscher Werber-Sprache:

„Welche ruhige Zuversicht muß den Krieger vor dem Feinde erfüllen, wenn er weiß, dass im Falle seines Todes durch die Versicherung fürs erste Not und Sorgen von seinen Hinterbliebenen fern gehalten wird!“ (Gocher Zeitung, 8. September 1914)
Die Renditeerwartungen wurden übrigens enttäuscht: das Verhältnis von 25:1 war nach den Erfahrungen des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 kalkuliert. In diesem Krieg sollten die Relationen für die Versicherten sehr viel schlechter ausfallen.

Bergedorfer Zeitung, 31. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 31. Oktober 1914

Mit Socken den Feind verhauen – siehe das Gedicht rechts – ja, wenn doch außer Socken keine Waffen zum Einsatz gekommen wären!
Geesthacht beteiligte sich also auch wie Bergedorf und die anderen Gemeinden der Landherrenschaft an der Herstellung von textiler Soldatenausstattung und verschickte ebenso vielfältige Liebesgaben, gleichfalls wurden Lazarette bedacht. Geesthacht hatte nicht nur weniger Einwohner als Bergedorf (5.408 gegenüber 16.509 laut Jahresbericht der Verwaltungsbehörden für das Jahr 1913), es war auch deutlich ärmer, wie sich am Sammlungsergebnis für die Kriegshilfe ablesen lässt: den Geesthachter 2.969,50 Mark standen 75.416,51 Mark aus Bergedorf gegenüber (Bergedorfer Zeitung vom 25. Oktober 1914).

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Die Schrecken des Krieges und posierende Landstürmer

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1914

Die von der Bergedorfer Zeitung abgedruckten „Feldbriefe“, d.h. Briefe von Soldaten in die Heimat, hatten überwiegend keinen Bergedorf-Bezug. Sie wurden möglicherweise von einer Nachrichtenagentur deutschlandweit verbreitet (oder aus anderen Blättern übernommen), weil sie die positive Einstellung der Leser zum Krieg bestärken sollten, indem Heldentaten Deutscher dem schlechten Charakter von Engländern, Franzosen und Russen gegenübergestellt wurden. Der hier wiedergegebene Brief eines Soldaten aus Boberg (ein Dorf westlich von Bergedorf) scheint echt, doch ob er die im eben beschriebenen Sinne erwünschte Wirkung hatte, scheint fraglich: ganze Städte und Dörfer durch Artilleriefeuer zerstört, Mensch und Tier obdachlos und vertrieben. „Selbstverständlich“ war dies das Werk der Engländer, und die Deutschen leisteten die humanitäre Hilfe – aber stärkte dies wirklich die Siegeshoffnung? Oder war nicht der Einleitungssatz geeignet, Angst vor dem Unaussprechlichen, einer Niederlage, zu erzeugen?

auf der Tafel: "Bergedorfer Landstürmer. Soignies 1914"

Schriftzug auf der Tafel: „Bergedorfer Landstürmer. Soignies 1914“

Die beschauliche Seite des Krieges zeigt dagegen die hier wiedergegebene Fotografie (aus Privatbesitz), die wohl in einem Feldbrief nach Bergedorf geschickt wurde: Landsturmmänner aus Bergedorf ließen in der belgischen Stadt Soignies (südwestlich von Brüssel) ein Erinnerungsbild anfertigen, das sie hübsch arrangiert vor parkähnlicher Kulisse in sauberer und vollständiger Uniform zeigt. Der anrührende Text auf der Rückseite des Fotos soll hier (ansonsten unkommentiert) wiedergegeben werden:

IMG_20140917_Text

Soignies, 25. 10. 1914
Meine liebe, brave Ilse!
Mama schrieb von Deiner Erkältungskrankheit. Hoffentlich bist Du jetzt schon wieder ganz gesund. Schreibe mir gleich einmal, daß ich wieder ganz ruhig sein kann.
Von Herzen wünscht Dir beste Gesundheit
Dein Dich liebender
Vater

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Liebesgaben und Feldpost

Bergedorfer Zeitung, 22. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 22. Oktober 1914

Wie schon im Beitrag Warme Unterkleidung und Vierländer Verkehrsstraßen geschildert, war die Ausstattung der Soldaten unzureichend und musste durch „Liebesgaben“ aus der Heimat ergänzt werden. Aus diesem Artikel kann man nicht nur im Detail ersehen, welche Dinge von der Sicherheitsnadel über Kautabak bis zum wärmenden Lungenschützer zusammen mit Nahrhaftem wie Speck und „Liebigkugeln“ (ein Fleisch-Extrakt für Suppen) verschickt wurden, sondern auch, wie man sicherstellen wollte, dass in erster Linie Bergedorfer hiervon profitierten. Laut Bergedorfer Zeitung vom 30. Oktober 1914 wurden in der Woche zuvor insgesamt 100 Pakete à 10 Pfund versandt – zweifellos eine Herausforderung für die Feldpost, wenn aus anderen Orten ähnliche Mengen zugestellt werden sollten.

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1914

Erreichten die Gaben auch ihr Ziel?  Zweifel sind angebracht, wenn man den Artikel über „Die Feldpost“ liest: Oberleutnant Dr. Matthaeis Brief an einen Hamburger Freund wurde von der Bergedorfer Zeitung als „Notschrei“ bezeichnet, da er das völlige Versagen der Feldpost belegte. Wenige Tage später folgte ein Leserbrief eines Curslacker Veteranen von 1870/71, der sich beklagte, dass von den sechzehn Paketen an seinen Sohn im Felde nur eines angekommen war, und der die rhetorische Frage stellte: „Kann ein Soldat, der sieht, wie seine Kameraden mit Unterzeug und allem versehen sind und er nicht, noch mit demselben Mut auf den Feind losgehen und noch dazu, wenn er friert?“ (Bergedorfer Zeitung vom 29. Oktober 1914)

Solche Klagen waren offenbar nicht selten, denn es gab offizielle Reaktionen: die Mehrzahl der Fälle von Nichtzustellung sei auf unzureichende Verpackung zurückzuführen, aber es gebe auch „Diebstähle und Beraubungen“ durch „unerprobte, beschäftigungslose Zivilpersonen als Ersatz“ für die eingezogenen Postbeamten (Bergedorfer Zeitung vom 31. Oktober 1914). Sogar eine Stellungnahme des Feldoberpostmeisters gab es (am 1. November 1914 abgedruckt): es habe kein Versagen der Feldpost gegeben, alle Adressaten hätten ihre Pakete erhalten – oder diese hätten unvollständige oder unrichtige Anschriften gehabt. Und öffentliche Klagen würden „nur weiter verbitternd wirken und in keinem Falle helfen.“ Diesen Hinweis verstand die Redaktion der Bergedorfer Zeitung offenbar, denn weitere derartige Leserbriefe erschienen hier nicht.

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Die Kriegshilfe der Bergedorfer Frauen

Bergedorfer Zeitung, 16. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 16. Oktober 1914

„Von den Vätern unserer Kinder stehen nur fünf im Felde“, heißt es im Jahresbericht des Bergedorfer Frauen-Vereins – bei 400 Vereinsmitgliedern eine wirklich erstaunlich niedrige Zahl, vielleicht erklärlich durch einen relativ hohen Altersdurchschnitt der Mitglieder und ihrer Ehegatten. (Zum Vergleich: laut Bergedorfer Zeitung vom 11. Oktober 1915 waren 40 der 200 Angestellten und Meister des Bergedorfer Eisenwerks eingezogen worden, auch etwa 200 Arbeiter. Die präzisen Angaben sind in der Berichterstattung fast einzigartig: aus den Zahlen könnte der Feind ja Rückschlüsse ziehen …)

Dem Bericht zufolge war der Verein in erheblichem Umfang auf sozialem Gebiet tätig, auch schon vor dem Krieg. Seine Aktivitäten für „erwerbende junge Mädchen“ sollten diese auf den rechten Weg geleiten, und man darf vermuten, dass die Vereinsmitglieder den bürgerlichen Kreisen angehörten, denen Erwerbstätigkeit von Frauen eigentlich fremd war. Die Bereitstellung kostenlosen Mittagessens für bedürftige Kinder zeigt die Mängel der städtischen bzw. staatlichen „Armenfürsorge“ – mehr als einen Zuschuss zu den Kosten wandte die Stadt nicht auf; der Mädchenhort musste wohl ohne städtische Unterstützung auskommen.

Mit Ausbruch des Krieges nahm das Engagement des Vereins eine neue Dimension an: man unterstellte sich der Bergedorfer Kriegshilfe und übernahm dabei zusätzliche Aufgaben wie die Mitarbeit in einer städtischen Volksküche für Arbeitslose und bedürftige Familien von Kriegsteilnehmern, richtete eine „Kriegsschreibstube“ ein (denn nun wollten auch schreibungeübte Menschen Briefe schreiben, um Kontakt zu Familienmitgliedern im Krieg zu halten), versorgte die Soldaten in Bergedorf haltender Militärzüge – und vor allem: man leistete „Liebesarbeit“, d.h. man stellte Dinge her, die den Soldaten fehlten (Strümpfe, Pullover, Handschuhe, Pulswärmer etc., wie aus anderen Artikeln hervorgeht). Dies hatte offenbar den Nebeneffekt, dass die „Vermittlung und Ausgabe von Frauenarbeit“ möglich wurde und die Not mancher Frauen etwas gelindert werden konnte.

Auf einen weiteren Punkt soll hingewiesen werden: bei der „Krankenkassenwahl“ wurde Frau Dr. Timm als Arbeitgebervertreterin gewählt – hier gab es offenbar (zumindest) ein passives Wahlrecht für Frauen, die ja ansonsten von der politischen Mitwirkung bis zum Ende des Kaiserreichs ausgeschlossen blieben. Übrigens: Frau Dr. Timm dürfte den akademischen Titel (ebenso wie die im Bericht genannten Frau Prof. Ohly, Frau Prof. Kraft und Frau Dr. Thomsen) durch Eheschließung, nicht durch eigene Promotion, erworben haben – das Hamburger Adreßbuch für 1913 verzeichnet in Bergedorf lediglich einen Dr. Walther Timm, Rechtsanwalt und Notar.

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Warme Unterkleidung und Vierländer Verkehrsstraßen

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1914

Immer wieder ist den Berichten im Herbst 1914 zu entnehmen, dass den Soldaten Textilien fehlten, die sie „im Felde“ warmhalten könnten – die Armeeführung war offenbar nicht imstande, für eine der Jahreszeit angemessene Ausstattung zu sorgen, und so musste dem Mangel durch „Liebesgaben“ abgeholfen werden. Dabei wetteiferten um derartige Spenden z.B. der „Kriegsausschuss für warme Unterkleidung“ (die beeindruckende Anschrift „Berlin NW, Reichstagsgebäude“ zeigt, dass die Parlamentsarbeit nicht von Bedeutung war) und lokale Initiativen, wobei letztere bemüht waren, „ihren“ Truppenteilen die Sachspenden zukommen zu lassen: für Hamburg (und Bergedorf) waren dies das Infanterie-Regiment 76 und die ihm zuzuordnenden Landsturmeinheiten – das Dankschreiben des Hauptmanns Mantius dürfte seinen Weg in diese Zeitung auch deshalb gefunden haben, weil Mantius (laut Bergedorfer Zeitung vom 31. Dezember 1914) Bruder des Bergedorfer Amtsrichters war.

Bergedorfer Zeitung, 8 Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 8 Oktober 1914

Der Textileinzelhandel hatte sich natürlich schnell auf diese Situation eingestellt, wie beispielhaft die Annonce der Firma Wittenburg aus Sande zeigt: wer das nötige Geld hatte, konnte kaufen und per Feldpost auch einzelne Soldaten bedenken. Immerhin, die Ausstattung der Soldaten mit Oberbekleidung scheint ausreichend gewesen zu sein – sonst wären entsprechende Inserate sicher aufgetaucht.

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1914

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1914

Von weit über den Krieg hinausreichender Bedeutung waren die Beschlüsse der Hamburgischen Bürgerschaft über den Ausbau der großen Nord-Süd-Verbindung im westlichen Teil der Vierlande:
größere Transporte von Kirchwerder nach Bergedorf wurden traditionell per Ewer über Stromelbe, Dove-Elbe und Schleusengraben abgewickelt, im Winter kam man mit Schlittschuhen auf den Gräben schneller voran als auf den Wegen – siehe hierzu Heinrich Dräger, Lebenserinnerungen, S. 78 ff. Nun also sollte eine leistungsfähige Straße nach Bergedorf gebaut werden, und das sogar (einschließlich der späteren Unterhaltung) aus der Kasse des Staates, d.h. Hamburgs, und nicht der Gemeinden und der Stadt Bergedorf. Das war eine Kostenverteilung nach dem Geschmack der Vierländer und Bergedorfer.

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