Zugegeben: der Bergedorf-Bezug dieser Meldung liegt nicht auf der Hand, aber die „unerklärliche Krankheit“, die in Spanien große Teile der Bevölkerung erfasst hatte, erreichte auch Bergedorf. Wann genau sie hier zuerst auftrat, ist nicht bekannt, denn nach Verschärfung der Zensurbestimmungen war es den Zeitungen verboten, lokale Gesundheitszahlen zu veröffentlichen (siehe Marc Hieronimus (S. 73)), und zudem gab es den „Komment“, dass die Zeitungen nichts publizierten, was die Öffentlichkeit beunruhigen könnte (siehe Eckard Michels (S. 12)). Eine rätselhafte Krankheit im fernen Spanien war in der Hinsicht kein Problem.
Dabei gab es Anlass genug, sich Sorgen zu machen: die Krankheit, die bald als hochansteckende Influenza, also Grippe, identifiziert wurde, breitete sich schnell in Europa aus. Sie war zuerst Anfang März in einem Ausbildungslager der US Army in Kansas ausgebrochen und über Truppentransporte nach Frankreich gelangt, um Anfang Mai die deutschen Truppen dort und wenig später Deutschland zu erreichen (Michels, S. 5ff.). Dann ließen sich Zeitungsmeldungen nicht mehr unterdrücken: in Hamburg waren offenbar vor allem die „Fräuleins vom Amt“ in den Fernsprechvermittlungen betroffen, aber schon zwei Tage danach hieß es, dass „die auch in Hamburg jetzt massenhaft auftretende Grippe die Krankenhäuser überfüllt“ habe (BZ vom 5. Juli).
Kurz darauf berichtete die Bergedorfer Zeitung, dass auch in Bergedorf und Umgebung Fälle registriert worden seien – die Angaben zur Verbreitung („vereinzelt“) und Schwere („leichte Form“) dürften im Sinne des oben genannten „Komments“ geschönt gewesen sein, wenn man dem Medizinhistoriker Wilfried Witte (S. 11) folgt: „Überall, wo die Grippe ankam, blieb sie eine Woche virulent, verursachte meist plötzliche und heftige Krankheitssymptome, um dann wieder zu verziehen. …. In fünf Monaten hatte die Grippe die Erde umrundet.“ Sie machte sich aber bald auf eine zweite und sehr viel tödlichere Tour, siehe den Beitrag Die Rückkehr der Grippe.
UPDATE Oktober 2021:
Bis September 1922 ist im Medizinhistorischen Museum Hamburg die Ausstellung „Pandemie. Rückblicke in die Gegenwart“ zu sehen, die mit Pest und Cholera sowie der „Spanischen Grippe“ historische Pandemien ebenso thematisiert wie die aktuelle Corona-Pandemie, jeweils mit besonderem Fokus auf Hamburg.