Drei Millionen Männeranzüge fehlten nach offiziellen Angaben im Deutschen Reich – zwar hatte die Kriegsrohstoffabteilung Stoffe für 1,35 Millionen Anzüge „in Aussicht gestellt“, das Kriegsministerium 500.000 getragene Uniformen, aber die fehlende Million sollte die Bevölkerung aufbringen, natürlich freiwillig. Benötigt wurden sie für Arbeiter der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, der Eisenbahnen und des Bergbaus (BZ vom 13. April 1918), und nun sollten „Anzüge für unsere Heimarmee“ auch in Bergedorf und Umgegend gesammelt werden. Die Anzeige richtete sich „an die wohlhabenden Bewohner“, die alte Anzüge entbehren konnten – der Erfolg war offenbar nur mäßig, denn in den folgenden Wochen gab es mehrfach Meldungen und Bekanntmachungen, die im Ton zunehmend schärfer wurden und bei Nichtablieferung sogar Zwangsmaßnahmen androhten (siehe z.B. BZ vom 13. Juni; soviel zur Freiwilligkeit). Die Behörden wiesen ergänzend darauf hin, dass die Aktion nicht nur „den gutbezahlten Rüstungsarbeitern“, sondern Arbeitern in allen kriegswichtigen Bereichen zugutekommen sollte und dass es keine Benachteiligung der Landarbeiter geben würde (BZ vom 20. Juli und 3. August) – offenbar waren entsprechende Gerüchte im Umlauf.
Anzüge brauchten aber nicht nur Arbeiter, sondern auch Angestellte: der „Bund der Festbesoldeten“ forderte deshalb eine Befreiung von der Ablieferung, wenn das Einkommen unter 6.000 M im Jahr lag (BZ vom 2. August). Ferner litt auch die Jugendkompagnie Bergedorf unter Mangel an uniformähnlicher Kleidung – ihr Führer Georg Raven rief dazu auf, abgelegte Jungmannen-Kleidung zur Verfügung zu stellen (BZ vom 12. August). (Ansonsten war 1918 von der Jugendwehr nur wenig in der BZ zu lesen: sie war vor allem im Ernteeinsatz tätig, worauf in einem späteren Beitrag eingegangen wird.)
Die reichsweite Aktion wurde schließlich verlängert (BZ vom 15. Juli), doch zwei Wochen vor dem Schlusstermin 15. August lagen die Landherrenschaften Bergedorf, der Geest- und der Marschlande weit unter dem Soll von 1030 Anzügen – nur 489 Anzüge waren eingeliefert worden (BZ vom 31. Juli). Eine Endabrechnung brachte die BZ leider nicht und auch über Beschlagnahmen oder Enteignungen war nichts zu erfahren. Man kann aber davon ausgehen, dass der Bedarf bei weitem nicht gedeckt wurde: im Oktober erfuhren die Leser, dass die Kommunalverbände ein Drittel der gesammelten Anzüge „für bedürftige entlassene Krieger“ hatten zurückstellen müssen (BZ vom 22. Oktober); als dann nach Kriegsende in größerem Ausmaß Soldaten entlassen wurden, hieß es, dass ihnen „unentgeltlich ein Entlassungsanzug (soweit der Vorrat reicht), sonst Uniform“ gestellt würde (BZ vom 16. November 1918), und bei diesen Kleidungsstücken handelte es sich eben nur zum Teil um Neuware (BZ vom 29. November 1918). Mancher wird also einen „instandgesetzten, aber noch brauchbaren Anzug“, eventuell ergänzt mit „ausgesonderten Uniformstücken“ als Friedensbekleidung empfangen haben.