Die Verschärfung der Straßenpolizei-Ordnung

Bergedorfer Zeitung, 23. September 1920

Unstreitig war, dass die Kinderpflegerin E. mit ihrem „kleinen Handwagen“ den Knickweg (heute Vinhagenweg) benutzt hatte – aber durfte sie das? Nach Ansicht der Bergedorfer Ordnungspolizei durfte sie das nicht und sie bekam deshalb eine Strafverfügung über 5 Mark aufgebrummt. Das Schöffengericht sprach die Frau aber frei, denn nach der örtlichen Straßenordnung war das nicht verboten.

Aber irrte da nicht das Gericht? Bereits Monate vorher, am 15. Juli, hatten Magistrat und Bürgervertretung die  Straßenpolizei-Ordnung für die Stadt Bergedorf vom 20. Dezember 1894 geändert und in § 44a genau solches Handeln untersagt (und in einem anderen Paragraphen den Straßenhandel reguliert).

(Freunde und Freundinnen des heute absurd Anmutenden können die Straßenpolizei-Ordnung in den Gesetzen und Verordnungen für die Stadt Bergedorf online, S. 88 ff., einsehen.)

Bergedorfer Zeitung, 28. September 1920 (Auszug aus der Bekanntmachung des Magistrats)

Um Rechtswirkung zu erlangen, muss eine Vorschrift aber amtlich bekanntgemacht werden, und das war offenbar unterblieben: erst drei Tage nach dem Bericht über den Freispruch erfolgte in der BZ die Bekanntmachung der Änderungen, mit dem Datum des 25. Septembers.

Irgendwie hatten also alle recht: der Polizist, der den geänderten Paragraphen kannte und durchsetzte – die Frau, die die Vorschrift nicht kennen konnte und sich rechtlich wehrte – das Gericht, weil die Regelung mangels Bekanntmachung nicht in Kraft getreten sein konnte. Was aber die Stadtväter zu ihrem Beschluss veranlasst hatte, bleibt unklar. Zumindest Kinderwagen, die ihrem eigentlichen Nutzungszweck entsprechend durch das Gehölz und die öffentlichen Anlagen geschoben wurden, waren von dem Verbot nicht betroffen. Die Mütter bzw. Kindermädchen wird es erfreut haben.

Bergedorfer Gehölz (Ansichtskarte, undatiert)

Dieser Beitrag wurde unter Bergedorf 1920 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert