Folgt man dem Bericht der BZ, so lag „der Mittelpunkt des alten Bergedorf“ nicht in dem Bereich von Schloss und Blickgraben, sondern weiter östlich, am Geestabhang am Brink, weil man dort vor Überflutungen sicher(er) war. Dort lag auch Bergedorfs erste Kirche „Zum heiligen Kreuz“ mit dem ältesten Friedhof aus der Zeit um 1100. – Das alles ist schlicht falsch, aber man darf es der BZ nicht allzu übelnehmen, dass sie dies schrieb: sie übernahm es aus Aufsätzen des kurz zuvor verstorbenen Heimatforschers Johann Friedrich Voigt, die dieser ab 1885 in der BZ veröffentlicht hatte – seine gesammelten und „nur wenig veränderten“ Aufsätze sind heute online verfügbar, siehe Beiträge zur Geschichte des ehemals Lübeck-Hamburgischen Amts und Städtchens Bergedorf, hier v.a. S. 1-28.
Beide, Voigt wie „-w“, der Verfasser des Artikels , hätten es längst besser wissen müssen, denn ein anderer Bergedorfer, Hans Kellinghusen, hatte dies schon 1908 widerlegt: seine Dissertation war in der Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte publiziert worden und ist heute ebenfalls online zugänglich, siehe Das Amt Bergedorf. Geschichte seiner Verfassung und Verwaltung bis zum Jahre 1620, hier v.a. S. 343-355: demnach war die Heilig-Kreuz-Kapelle ein Filial der (folglich älteren) Bergedorfer Pfarrkirche (S. 343). Den neueren Forschungsstand fasste Stefan Petersen 2002 zusammen: „Die erste mittelalterliche Siedlung in Bergedorf wurde früher fälschlicherweise am ‚Brink‘ vermutet (….). Heute weiß man jedoch, daß der Ortskern Bergedorfs auch im Mittelalter um die Kirche [St. Petri und Pauli] herum gelegen hat“ (S. 1, Anm. 1). Und um die Kirche herum lag auch der älteste Friedhof, auf dem bis 1832 Beisetzungen stattfanden (Harald Richert, in: Kirche zwischen Dorf und Stadt, S. 11; zur Geschichte der Bergedorfer Friedhöfe im Laufe der Geschichte siehe Georg Behrmann, S. 73-79, und den Beitrag Der Brunnen an der Brunnenstraße; eine Einbeziehung prähistorischer Gräber würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.)
Die Heilig-Kreuz-Kapelle lag also außerhalb der Stadt. Sie war erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts errichtet worden, wie Kellinghusen und Petersen schreiben, d.h. etwa zwei Jahrhunderte nach St. Petri und Pauli. Neben ihr lag ein Friedhof, der spätestens 1832 aufgegeben wurde. 1842 wurden bei Ausschachtungsarbeiten für eine Bebauung „viele Wagenladungen menschlicher Gebeine auf den Friedhof nach dem Gojenberge überführt“, wie der Bergedorfer Schloßkalender 1927 (o.p.) schrieb. Offenbar gab es 1920 weitere Funde, über deren Verbleib die Zeitung aber nicht berichtete.
Wie lange die Kapelle bestand, ist nicht geklärt: auf der Frese-Karte von 1593 ist „de oede Kerck“ bereits als Ruine eingezeichnet – möglicherweise wurde sie kurz nach Einführung der Reformation in Bergedorf aufgegeben, denn Johannes Aepinus, der die erste Bergedorfer Kirchenordnung (1544) ausarbeitete, geißelte Wallfahrten als „unnütte gelöffte“ (und stellte Bergedorf auf eine Ebene mit den Wallfahrtsorten Jerusalem und Rom!), wie Christof Walther in den Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 11 (1888), S. 308-309, zitierte: „… na Bergerdörpe tho dem Affgödeschen wormfretigen Crütze, dat men mit Brode, Beer und Wine möste upwegen“.
Über die Wallfahrt ist praktisch nichts bekannt, auch nicht über das angeblich wundertätige wurmzerfressene Kreuz – die von Hartmut Kühne (2015) gestellte Frage, ob es sich bei dem Kreuz um die kruzifixförmige „Eppendorfer Kohlwurzel“ handelte, die 1602 vom Rat der Stadt Hamburg Kaiser Rudolf II. auf dessen Wunsch für seine Kunstkammer verehrt wurde (S. 232-235), muss als rein spekulativ abgetan werden. Wunder gibt es zwar immer wieder, aber dies wäre ein besonders großes.