Bürgermeister gewählt, aber nicht bestellt

Bergedorfer Zeitung, 4. Oktober 1919

Endlich klappte es: Bergedorf bekam einen neuen Bürgermeister: von den 28 abgegebenen Stimmen erhielt am 3. Oktober 1919 der bisherige besoldete Ratmann Wilhelm Wiesner 20, es gab eine Nein-Stimme und sieben Enthaltungen (BZ vom 4. Oktober). Ob die Hoffnung der BZ, Wiesner möge „nutzbringend und ersprießlich für die Stadt Bergedorf und ihre Gesamteinwohnerschaft“ wirken, ehrlich gemeint war oder eine verklausulierte Mahnung zur Überparteilichkeit sein sollte?

Sein Amtsvorgänger Paul Walli war als Senatssyndikus nach Hamburg gewechselt (siehe den Beitrag Walli macht Karriere) und Wiesner hatte als Ratmann die Führung der Amtsgeschäfte übernommen; ein erster Wahlversuch war geplatzt, da von den bürgerlichen Stadtvertretern die Bürgermeisterfrage mit der Magistratswahl und der Sitzverteilung im Magistrat verknüpft worden war (siehe den Beitrag Die geplatzte Bürgermeisterwahl), womit die Bürgerlichen schließlich scheiterten, da die DDP, folgsamer Koalitionspartner der SPD, deren Forderungen ablehnte und zur Belohnung einen der Magistratssitze erhielt (BZ vom 4. Oktober).

Nun war Wiesner gewählt, aber er konnte nicht bestellt werden, denn das Gesetz betreffend die Einführung hamburgischer Organisationen und Gesetze an Amt und Städtchen Bergedorf vom 30. Dezember 1872 schrieb vor, dass der Bürgermeister „rechtsgelehrt“ sein müsse, und das war Wiesner nicht – laut Bergedorfer Personenlexikon hatte er eine Tischlerlehre absolviert. Formal war die Wahl also ungültig, was die BZ aber nicht davon abhielt, ihn ab sofort als „Bürgermeister“ zu titulieren (BZ vom 6. Oktober), und auch Wiesner selbst zeichnete Bekanntmachungen mit „Der Magistrat. Wiesner, Bürgermeister.“ (BZ vom 13. Oktober) – aber nur dieses eine Mal (wahrscheinlich hatte die Landherrenschaft Einspruch eingelegt); bis zum Jahresende hieß es dann einfach titellos: „Der Magistrat. Wiesner.“ (BZ vom 15. Oktober)

Das Problem wurde dann durch eine Gesetzesänderung gelöst: kurz vor Weihnachten 1919 verkündete der Senat die folgende von der Bürgerschaft beschlossene Änderung: „Für die Stadt Bergedorf besteht der Magistrat aus einem Bürgermeister und mindestens zwei Ratmännern.“ (BZ vom 24. Dezember) Das „rechtsgelehrt“ war also entfallen, das Problem gelöst, der neue Amtsinhaber erhielt ein wirklich schönes Weihnachtsgeschenk: er konnte bestellt werden.

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